Die IT zur WM

Software nach Maß für die Fußball-WM

24.06.2010 von Ina Hönicke
Bei der Weltmeisterschaft in Südafrika setzen die FIFA-Verantwortlichen diesmal nicht auf lizenzierte, sondern auf eigenentwickelte Software.
Foto: Fotolia/Titoonz
Foto: Fotolia/Titoonz

Die ganze Welt schaut auf Südafrika. Vier Wochen lang wollen Milliarden von Fernsehzuschauern in mehr als 200 Ländern mit Bildern versorgt werden, Tausende von Fans im Stadion ihren Sitzplatz finden, Sportreporter aus aller Welt reibungslos über die WM berichten. Um diesem sportlichen Großereignis gerecht zu werden, stellt der Weltfußballverband FIFA gemeinsam mit seinem Haupt-Partner South African Telkom das nach der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland umfangreichste IT-Equipment bei einem Fußball-Event auf die Beine. Auch die südafrikanische Regierung hat eigenen Angaben zufolge viele Milliarden Rand (einige hundert Millionen Euro) für die technische Vorbereitung ausgeben.

Bei der Weltmeisterschaft in Deutschland galt es, 21 Terabyte an Telefon- und sonstigen Daten von den 32 Teams, den FIFA-Offiziellen und den Medien über das Veranstaltungsnetzwerk zu übertragen. Für Südafrika erwarten Experten das doppelte Datenaufkommen. Details zeigt das "IT Background Document" der FIFA (siehe Infokasten auf der folgenden Seite).

Der Favorit der IT-Branche
Christine Künne, IT- und KT-Leiterin, Jowat
"Ich denke, in diesem Jahr ist Spanien mal dran. Die waren noch nie Weltmeister. Außerdem möchte ich persönlich mir möglichst oft Fernando Torres ansehen. Leider wird das deutsche Team wohl im Halbfinale rausfliegen. Es ist zwar bekannt als typische Turniermannschaft. Aber durch den Ausfall von Adler und Ballack ist es etwas geschwächt. Ich möchte aber, dass es bis ins Halbfinale kommt, damit ich zumindest dahin regelmäßig am "Public Viewing" teilnehmen kann."
Matthias Karlshaus, Operations & Projekte, Sal. Oppenheim
"Weltmeister wird Spanien; spielen den schnellsten und taktisch besten Konzeptfußball. Deutschland scheidet im Viertelfinale aus. Dahin kommt die Mannschaft mit guter Taktik von Jogi Löw, aber dann reicht die individuelle Klasse nicht mehr aus."
Reinhard Clemens, Geschäftsführer T-Systems
"Mein Favorit ist Spanien. Die Spanier haben eine geschlossene Teamleistung schon beim Erreichen der Europameisterschaft abgeliefert. Trotz toller Einzelspieler ist das Team der Star. Für das deutsche Team kann es zum Halbfinale reichen, aber alles darüber hinaus wäre ein sehr überraschender Erfolg. Das Fehlen von Leistungsträgern ist bei einem weltweit hohen Niveau kaum zu kompensieren."
Thomas Hemmerling-Böhmer, Leiter IT, Karl Storz
"Die Elfenbeinküste wird gewinnen. Die Vorrundengruppe G ist zwar sehr stark. Aber Brasilien wird mit den ungewohnt kalten Temperaturen nicht zurecht kommen. Dadurch übersteht die Elfenbeinküste die Gruppenphase und gerät in einen Lauf, der nicht mehr aufzuhalten ist. Es wird endlich Zeit für einen afrikanischen Weltmeister. Immerhin wurde auch die letzte Afrikameisterschaft von einem afrikanischen Team gewonnen ;-) Das deutsche Team landet … zunächst in Johannesburg und dann wieder in Frankfurt, nachdem es im Viertelfinale rausgeflogen ist."
Wolfgang Gaertner, CIO Core Banking, Deutsche Bank
"Frankreich wird Weltmeister. Denn diesmal lassen sich die Spieler nicht provozieren. Außerdem freuen wir uns auf die Superstimmung, wenn wir im Sommer an den Atlantik fahren. Das deutsche Team kommt wieder ins Finale, erreicht also Platz 2. Dort gibt es genug coole junge Spieler. Und 2014 in Brasilien schaffen sie es."
Ohlaf Röper, Leiter IS, Uhde
"Spanien wird gewinnen. Nach der jahrzehntelangen ausschließlichen Fixierung der spanischen Spieler auf eine - jeweils übergroße und berühmte - Vereinsmannschaft gelang es 2008 erstmals, dieses ganze riesige Potenzial in eine Nationalmannschaft zu projizieren. Die Spanier sind nicht wie andere auf das Provozieren von Fouls und Schinden von Frei- und Strafstößen angewiesen. Deutschland wird leider das Viertelfinale nicht überstehen. Irgendwie drängt sich mir der Eindruck auf, dass das Turnier beim Trainer und einigen Schlüsselspielern nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit erfährt. Sommermärchen fallen nicht vom Himmel, schon gar nicht regelmäßig."
Stafanie Kemp, Group Information Officer, Vorwerk
"Weltmeister wird Deutschland. Na wer denn sonst! Was mich da so sicher macht? Nichts, aber das ist immer ein guter Tipp."
Volker Smid, Deutschlandchef, HP
"Geht man nach dem Gesetz der Serie, dann wird keine europäische Mannschaft den Titel erringen (außerhalb Europas wurde seit 1930 nie ein europäisches Land Fußball-Weltmeister, Anm.d.Red.) Ich denke, dass eine südamerikanische Mannschaft Weltmeister wird. Und da favorisiere ich Argentinien. Maradonas Team verfügt über außergewöhnliche Spieler. Zu nennen wären hier nebem dem Weltfußballer Lionel Messi Spieler wie Carlos Tévez, Diego Milito oder Gonzalo Higuain . Allein diese vier stehen für den wahrscheinlich weltbesten Sturm – Albtraum jeder Verteidigung. Aber es gibt für mich zwei Geheimfavoriten. zum einen die Niederlande, die ích für sehr stark halte. Vielleicht erleben wir aber auch eine Überraschung der besonderen Art. Das Wetter, ein hochmotivierter Coach und die lange "Durststrecke" könnte - nach 44 Jahren - durchaus wieder einmal den Engländern in die Karten spielen. Was die deutsche Mannschaft betrifft, so wünsche ich dem Team und uns allen eine WM, die Spaß macht."
Karl-Heinz Streibich, CEO Software AG
"Deutschland wird Weltmeister, denn das ist eine spielstarke Mannschaft, die ihre Fähigkeiten gerade im Turnier entwickelt - wie sich bei der letzten Weltmeisterschaft gezeigt hat. Obwohl es bei der diesjährigen WM mit vielen neuen Spielern an den Start geht, wird dieses Team den nötigen Spielgeist gerade rechtzeitig abrufen. Wenn erfahrene Spieler wie Michael Ballack verletzungsbedingt ausfallen, bedeutet das ja auf der anderen Seite, dass sich für Nachwuchsnationalspieler neue Chancen ergeben. Und die werden sie sich nicht entgehen lassen. Der zweite Favorit ist Spanien. Das ist auch eine spielstarke Mannschaft mit einer Reihe von Weltstars."
Bernd Hilgenberg, CIO, Fressnapf
"Argentinien wird Weltmeister. Zur Begründung wäre der derzeit beste Fussballer der Welt anzuführen: Lionel Messi, ein argentinischer Fußballspieler in Diensten des FC Barcelona. Er wurde 2009 sowohl zu Europas Fußballer des Jahres als auch zum Weltfußballer des Jahres gewählt. Auch sonst ist diese Mannschaft mit Spielern aus den europäischen Top-Ligen gespickt. Das deutsche Team wird das Viertelfinale erreichen und dann ausscheiden. Es wird ein gutes Turnier spielen, allerdings wird es nicht zu Sieg reichen, da Mannschaften wie Spanien, Brasilien, Argentinien und auch Italien in der Spielanlage eine Spur weiter sind."
Uwe Siller, KI/IV/Organisation, Bitburger
"Deutschland wird Weltmeister, weil es dazu mal wieder Zeit wird und ich Lust auf ein neues Sommermärchen habe."
Eirch Ehbauer, CIO, Apollo Optik
"Dieses Mal tippe ich auf Spanien. Die haben mich bei der Europameisterschaft überzeugt und sind sehr eingespielt. Das deutsche Team schafft es wieder ins Halbfinale, das war's dann. Sicher bin ich mir aber nicht, es wird bestimmt wieder Überraschungen geben. Falls ich diesmal wieder richtig liege, biete ich meine Dienste als Wahrsager an, dann kann es kein Zufall sein." (Anmerkung der Redaktion: Ehbauer war vor vier Jahren der Einzige, der auf Italien setzte.)
Michael Kranz, CIO, Krones
"Weltmeister wird Deutschland, weil der Mut von Joachim Löw, jungen Spielern eine Chance zu geben, belohnt werden wird. Nach dem Ausfall von Michael Ballack gilt außerdem: Jetzt erst recht!"

Software von der Stange taugte nicht

Beispielsweise soll die IT-Lösung 9000 feste Verbindungen und 130 WLANs mit einer Bandbreite von 2 bis 155 Mbps umfassen. Die gesamte installierte Bandbreite ist dann in der Lage, rund 1,5 Terabyte pro Sekunde zu senden und zu empfangen. Um eine reibungslose High-Definition-Übertragung zu gewährleisten, wird eine doppelt abgesicherte Dateninfrastruktur aufgebaut.

Bislang setzte der Weltfußballverband bei allen sportlichen Großveranstaltungen lizenzierte Software ein. Doch nach der Weltmeisterschaft in Deutschland entschieden die Verantwortlichen, die Software für Südafrika individuell entwickeln zu lassen. Schließlich ist es laut FIFA überaus schwierig, ein fremdes Softwareprodukt an die eigenen Erfordernisse anzupassen.

Foto: Fotolia/Signtime
Foto: Fotolia/Signtime

Die Ausschreibung für dieses komplexe Softwarevorhaben gewann bereits vor drei Jahren bereits das indische IT- und Beratungsunternehmen Satyam, das heute als Mahindra Satyam firmiert. Die IT-Profis des Unternehmens entwarfen das Event Management System (EMS) für die Match AG, eine IT-Organisation, die die FIFA unterstützt. Die Programme laufen auf der Basis des Microsoft-Datenbanksystems SQL Server. Sie setzen sich aus einer Reihe unterschiedlicher Module zusammen und sollen Anwendungen wie Akkreditierung, Einsatz von ehrenamtlichen Mitarbeitern oder Transportwesen abdecken.

Eine Ahnung von der Größe des Projekts vermitteln folgende Daten: Das System ist verantwortlich für die Akkreditierung von 230.000 Personen, die in irgendeiner Form mit der Weltmeisterschaft zu tun haben. Dazu kommen 130.000 ehrenamtliche Helfer, die angeheuert und eingewiesen werden müssen.

Die Infrastruktur der WM

  • Die IT für die Weltmeisterschaft in Südafrika ist über 44 Hauptstandorte verteilt.

  • Sie umfasst unter anderem 4.500 Notebooks und 4.000 Mobilgeräte - vor allem in den zehn Fußballstadien, neun FIFA-Büros, zehn ausgewählten Hotels und zwölf Ticket-Verkaufsstationen.

  • Die Telefon- und Netzlösung besteht unter anderem aus 250 analogen Telefonleitungen, etwa 90 Sprachkanälen und 150 A-DSL-Routern.

  • An den Nebenstellenanlagen der Hauptstandorte hängen 1.825 Telefongeräte sowie 350 Faxgeräte.

  • Ferner umfasst das Netz 150 Router, 30 Level-3-Verteilerknoten, 500 Level-2-Verteilerknoten und 6.300 aktive Netzanschlüsse.

  • Telkom SA hat ein "Next Generation Network" installiert, das aus 128.000 Kilometern Glasfaserkabel besteht. Diese Länge würde reichen, um drei Mal die Erde zu umrunden.

  • Für die IT-Lösung benötigt die FIFA mehr als 150 Kilometer Glasfaberkabel, 40 Kilometer Kategorie-3-Kabel und mehr als 370 Kilometer Kategorie-5-Kabel.

  • Die FIFA hat vier offizielle ITK-Partner benannt: Neben SA Telkom und Mahindra Satyam sind das MTN und Sony.

  • Daneben bedient sie sich einer Reihe kleinerer südafrikanischer IT-Dienstleister.

  • Rund 1000 IT-Spezialisten und Freiwillige wurden für den Support rekrutiert.

  • Die Softwareunterstützung umfasst hauptsächlich zehn Applikationen, von denen sechs neu entwickelt wurden.

  • Dabei handelt es sich vor allem um das Event Management System (EMS) mit seinen Modulen Akkreditierung, Staff-/Volunteer Management, Ground Transportation Services sowie Space and Materials Planning.

  • Darüber hinaus gibt es ein FIFA-Extranet inclusive des Medienkanals mit 10.000 registrierten Nutzern.

Was die einzelnen Module leisten

Ein Modul verwaltet den Einsatz der Fahrzeuge zwischen den Stadien und Austragungsorten, ein anderes den Online-Verkauf der Eintrittskarten. Ein weiteres Programm steuert elektronisch den Einlass in die Stadien (siehe auch: "Real Madrid - ein CIO packt aus"). Allein diese Komponente kostete laut Mahindra Satyam in der Erstellung mehrere Millionen Dollar.

Mit Hilfe des Akkreditierungsmoduls wird vor allem die Berechtigung der einzelnen Personen festgestellt. Dazu Dilbagh Gill, der bei Mahindra Satyam als Head of Sports tätig ist: "Alle Berechtigten erhalten ein Ansteckschild mit einem RFID-Chip (Radio Frequency Identification). Damit können beispielsweise Journalisten das Pressezentrum betreten, die Betreuer in die Kabine ihrer Mannschaft gelangen und die Putzkolonne ihrem Job überall in den Stadien nachgehen." Die jeweiligen Zugangsdaten werden laut Gill mit Scannern ausgelesen und zentral gesammelt. So wüssten die Verantwortlichen immer, wer sich wann und wo aufhalte.

Dilbagh Gill, Head of Sports bei Mahindra Satyam
Foto: Mahindra Satyam

Eine wichtige Rolle spielen laut Gill auch das "Volunteer Management Modul" sowie das "Ground Transportation Service Modul". Während Ersteres den Einsatz der vielen freiwilligen Helfer unterstützt, soll Letzteres für den reibungslosen Transport der Mannschaften, Journalisten und Besucher innerhalb einer Stadt beziehungsweise zwischen den WM-Stadien in den verschiedenen Städten sorgen. Nach ihrer Anmeldung im Internet werden die freiwilligen Helfer von lokalen Organisationen direkt vor Ort betreut. Wie ein FIFA-Mann erläutert, hat die Rekrutierung der Freiwilligen bereits vor einiger Zeit begonnen. Deshalb verfüge man vor Ort mittlerweile über Erfahrungen.

Die Software ist nicht nur für die diesjährige Weltmeisterschaft, sondern für viele weitere kleine und große Sport-Events ausgelegt. An dem Event-Management-System arbeiten sowohl indische als auch südafrikanische IT-Profis - onshore und offshore. Gesteuert wird die Software von einem Rechenzentrum der südafrikanischen Telekom aus.

Herausforderung für das Netz

Foto: Fotolia/Bernd Ege
Foto: Fotolia/Bernd Ege

Für den Weltverband steht fest, dass das Großereignis vor allem eine riesige Herausforderung an das Netz darstellt. Bereits 2006 sagte der FIFA-Vertreter Peter Meyer auf einer Pressekonferenz in München: "Eine WM ist nicht gerade der beste Zeitpunkt, um Fehler zu machen." Nach Angaben des FIFA-Partners für die Vernetzung von Südafrika 2010, der South African Telkom, sind bislang keinerlei Probleme aufgetreten. Auch in puncto E-Mail-Übertragung sind die Verantwortlichen zuversichtlich. Schließlich verfüge das Netz in Südafrika über ausreichend Kapazität, um auch große Datenmengen zu übertragen.

Obwohl in den Stadien überall WLAN installiert ist, hat die FIFA dafür gesorgt, dass für bestimmte Bereiche zusätzlich Kabelanschlüsse vorhanden sind. Davon sollen vor allem die Journalisten vor Ort profitieren. Sämtliche Fußballergebnisse oder Torsituationen können die Pressevertreter einem Web-Portal entnehmen.

Last, but not least muss die Sicherheit in den Stadien gewährleistet sein. Die FIFA-Vertreter sind überzeugt, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben. Sollten beispielsweise im Eingangsbereich kritische Situationen auftreten, werden diese sofort auf Monitore übertragen, so dass das Security-Personal schnell reagieren kann.

Vor einem Stromausfall wie beim Halbfinale der Europameisterschaft in Wien fürchtet sich der Weltverband nicht - trotz der teilweise maroden Stromversorgung in Südafrika. Redundante Systeme sollen im Fall der Fälle sämtliche Prozesse übernehmen. Die Zuversicht der FIFA-Verantwortlichen könnte auch damit zu tun haben, dass der "Pilotversuch" während des Confederation Cup im vergangenen Jahr glatt über die Bühne ging. Damals musste man lediglich zwei kleinere Anpassungen vornehmen. Das Fazit von Mahindra-Satyam-Manager Gill: "World Cup Software is ready for kick-off."