Stürzen die US-Terroranschläge IT-Branche in die Krise?

27.09.2001
Die Terroranschläge auf das New Yorker World Trade Center drohen, den IT-Sektor zu belasten. Experten befürchten, dass Investitionen für den Wiederaufbau der IT-Infrastruktur angesichts der zu erwartenden neuen Verbraucherzurückhaltung wie Makulatur erscheinen könnten.

Die Terroranschläge in den USA vom 11. September haben die größte Wirtschaftsmacht der Welt mitten ins Herz getroffen und stellen auch für die IT-Branche eine neue Bedrohung dar. Zwar schätzt das US-Beratungsunternehmen Computer Eco-nomics die Austauschkosten für zerstörtes Inventar auf über 15 Milliarden Dollar. Doch andere Experten gehen davon aus, dass dieser neue Investitionsschub angesichts der zu erwartenden weiteren Abschwächung der Nachfrage wie ein Tropfen auf dem heißen Stein verpuffen könnte. IDC-Analyst John Gantz zufolge belaufen sich die unmittelbaren Kosten für den Wiederaufbau der IT-Infrastruktur gerade mal auf 250 Millionen Dollar. Er verweist darauf, dass das gemessen an den 450 Milliarden Dollar jährlichen Hightech-Ausgaben weltweit kaum der Rede wert sein dürfte. Er revidiert seine Prognosen für die Einnahmen im Technologiesektor jedenfalls deutlich nach unten: von gut fünf auf maximal drei Prozent.

Düstere Aussichten fürs Jahresendgeschäft

Noch schwärzer als IDC-Mann Gantz malen die Auguren vom taiwanischen Market Intelligence Center (MIC) die Folgen der Anschläge für die IT-Industrie. Sie rechnen sogar damit, dass die Hightech-Exporte der Insel um bis zu 15 Prozent einbrechen werden und das lukrative Weihnachtsgeschäft dieses Jahr ausbleiben könnte. Statt der erwarteten 1,8 Prozent Wachstum gehen sie jetzt davon aus, dass die Umsätze im IT-Sektor um bis zu fünf Prozent unter dem Vorjahresniveau liegen könnten. Allein durch Transportausfälle sollen Taiwans Industrie tägliche Verluste in Höhe von über 15 Millionen Mark entstanden sein. Kurzfristig werden sich die betroffenen Unternehmen nach der Katastrophe nur auf das Nötigste an IT-Ausstattung beschränken, so die Befürchtung der Taiwaner.

Das Flugverbot nach und in Amerika ist zwar Anfang letzter Woche wieder aufgehoben worden, für etliche IT-Unternehmen könnte das aber zu spät sein. Denn viele von ihnen beenden ihr drittes Quartal im September, wobei sie einen Großteil ihres Geschäftes in den letzten zehn Tagen abrechnen. Die Frist kurz vor Ablauf eines Quartals nutzen auch viele Großunternehmen, da sie von den Anbietern in der Zeit oft wesentlich günstigere Konditionen eingeräumt bekommen. Viele Firmen hätten ihre Budget-Meetings kurz nach nach Anschlägen verschoben, berichtet Michael Erbschloe, Analyst bei Computer Economics. Die unmittelbare Folge sei, dass die IT-Unternehmen ihre finanziellen Ziele für das laufende Quartal nach unten korrigieren müssen. Umsatzwarnungen werden sich häufen, so die Analysten. Betroffen sein könnten laut Morgan Stanley unter anderem so bedeutende IT-Unternehmen wie Peoplesoft, SAP, Microsoft, Sun, IBM, Hewlett-Packard und EMC. Nur Oracle hat seine Schäfchen für das letzte Quartal ins Trockene gebracht, denn das endete am 31. August.

Entgegen aller negativen Prognosen gibt es anderslautende Meinungen. Gail Fosler, Chefökonomin des Instituts New York Conference Board, verweist auf die wirtschaftsstimulierenden Maßnahmen der US-Regierung nach dem Anschlag und wird in der Wochenzeitung "Die Zeit" mit den Worten zitiert: "Die Bedeutung der Informationstechnologie wird noch zunehmen. Auf eine perverse Art profitiert also ein Sektor, der zuletzt durch seine Schwäche die Volkswirtschaft belastet hat." Die Nachfrage nach Sicherheitssystemen wird wachsen, und auf die TK-Industrie kommen unerwartete Geschäfte zu, so Fosler: "Viele werden mehr Redundanz in ihre Kommunikationsnetze einbauen. Mobiltelefone werden zu einer Art Muss - der Verkauf wird boomen." Der von Fosler angekündigte Mobilfunkboom leuchtet auf makabre Weise ein. Denn wer von den in den Türmen eingeschlossenen Opfern ein Handy besaß, hatte bei den Rettungsarbeiten am ehesten die Chance, gefunden zu werden, oder konnte sich nach außen zumindest mitteilen. Sollten Fingerprint-Lesegeräte für Visa, wie aktuell diskutiert, an deutschen und internationalen Flughäfen zur Pflicht werden, entstünden für die Industrie ebenfalls neue Absatzmöglichkeiten. Eine Analystin der Gartner Group erwartet, dass gerade viele kleinere Firmen jetzt ihre Ausgaben für Backup-Systeme und Storage erhöhen werden, wodurch den IT-Unternehmen zusätzliche Aufträge zufließen werden.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in diesem Heft auf den Seiten 26 bis 28.

www.computereconomics.com

www.idc.com; www.gartner.com

mic.iii.org.tw; www.forrester.com

ComputerPartner-Meinung:

So sehr die schrecklichen Terroranschläge und die vielen Todesopfer in den USA zu bedauern sind, sollte man, was die Folgen für die Wirtschaft angeht, nicht gleich in allgemeine Panikmache verfallen. Es mag zwar pietätlos klingen, aber die Hersteller von Sicherheitssystemen und Mobiltelefonen werden sich um mangelnden Absatz in nächster Zeit keine Sorgen machen müssen. (kh)