Umbesetzung im Vorstand

Technikchef Vishal Sikka kehrt SAP den Rücken

09.05.2014 von Martin Bayer
Paukenschlag wenige Wochen vor SAPs wichtiger Hausmesse Sapphire: Technikvorstand Vishal Sikka, der die Entwicklung des Hoffnungsträgers HANA maßgeblich geprägt hatte, verlässt den Softwarekonzern. Der überraschende Abschied im Vorfeld des Rückzugs von Co-CEO Jim Hagemann Snabe in den Aufsichtsrat wirft Fragen auf, wie der neue starke Mann Bill McDermott die künftige SAP-Strategie ausrichten wird.

Der überraschende Rücktritt von SAPs Technikchef Vishal Sikka hat Diskussionen angefacht, welchen strategischen Weg der größte deutsche Softwarehersteller einschlagen wird. Wieder einmal steht der Konzern vor einem Wendepunkt. Nachdem es dem Führungs-Duo Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe in den zurückliegenden Jahren gelungen war, den durch die ungeschickte Erhöhung der Wartungsgebühren angerichteten Vertrauensverlust ihres Vorgängers Leo Apotheker wieder gutzumachen und gemeinsam mit ihrem technischen Visionär Vishal Sikka eine langfristige Produktstrategie gerade für wichtige Themen wie Cloud Computing und Big Data auf den Weg zu bringen, steht das erfolgreiche Trio nun vor der Auflösung.

Der Vordenker und Technikchef Vishal Sikka kehrt dem Konzern den Rücken.
Foto: SAP

Bereits Mitte vergangenen Jahres hatte Co-CEO Snabe bekanntgegeben, sich nach der Hauptversammlung am 21. Mai dieses Jahres aus dem operativen Geschäft zurückziehen und danach für einen Posten im SAP-Aufsichtsrat kandidieren zu wollen. Nun hat auch SAPs technischer Vordenker Sikka seinen Rücktritt bekannt gegeben. Begründet wurde dieser Schritt in einer offiziellen Verlautbarung seitens SAP mit persönlichen Gründen. SAPs Mitbegründer und heutiger Aufsichtsratschef Hasso Plattner würdigte den "entscheidenden Beitrag", den Sikka zur Entwicklung der eigenen Cloud- und HANA-Plattform geleistet habe. Plattner bedankte sich auch persönlich dafür: "Unsere Freundschaft wird auch in Zukunft bestehen bleiben", betonte er.

Hasso Plattners Schützling geht

Sikka galt als ein besonderer Schützling Plattners und wurde von vielen Marktbeobachtern als Wegbereiter für SAPs Hoffnungsträger, der In-Memory-Datenbank-Plattform HANA gesehen. Nachdem Snabe, der im Führungs-Duo den Part für Technik und Produkte verantwortete, seinen Rückzug angekündigt hatte, übernahm Technikvorstand Sikka einen Großteil von dessen Aufgaben. Bei Analysten galt der Inder als möglicher zweiter Mann neben McDermott.

Ab Mai 2014 wird Bill McDermott den Konzern als alleiniger CEO lenken
Foto: SAP

Doch das ist nun Vergangenheit. Der starke Mann bei SAP ist der US-amerikanische Marketing- und Vertriebsspezialist Bill McDermott. Inwieweit Reibereien und Unstimmigkeiten über die Strategie und Ausrichtung von SAP mit ein Grund für die Demission Sikkas gewesen sind, bleibt indes Spekulation. SAP wollte entsprechende Vermutungen nicht kommentieren. Auch rund um Snabes Rückzug hatte es bereits Gerüchte über mögliche Unstimmigkeiten im engsten Führungszirkel gegeben.

Aus Sicht von Forrester-Analyst Stefan Ried ist das Timing von Sikkas Abschied einen Monat vor SAPs Hausmesse Sapphire allerdings durchaus pikant. Gerade auf diesen Großveranstaltungen werde die Strategie der Softwerker aus dem Badischen festgeklopft. Vielleicht sei man sich in der Chefetage nicht einig gewesen, was man Anfang Juni in Orlando, Florida, seinen Kunden und der Öffentlichkeit präsentieren sollte, mutmaßt der Experte.

Die Geschichte der SAP -
Anfang der 70er
Die SAP-Gründer traten an, das alte Zeitalter der Datenverarbeitung ...
Anfang der 70er
... via Lochkarten zu beenden.
1974
Arbeitsplatz von Hackman und Neugard.
1976
Das Computer-Team mit ...
1976
... Dietmar Hopp und
1976
Hasso Plattner ...
1976
... bei einem Fußballturnier.
In den 80ern
Graphiken stellen R2 vor
1980
So sahen damals die Arbeitsplätze bei SAP aus.
1980
Das erste SAP-Gebäude
1982
Die Gründer von SAP (v.l.: Dietmar Hopp, Hans-Werner Hector, Hasso Plattner, Klaus Tschira)
1982
Die Gründer von SAP (v.l.: Hopp, Tschira, Hector, Plattner)
1982
10 Jahre SAP
1982
10 Jahre SAP. Das SAP-Gründer-Team und der damalige Walldorfer Bürgermeister (v.l.: Plattner, Tschira, Bürgermeister Jürgen Criegee, Hopp, Hector)
1986
SAP beim Gewerbegebiet an der Neurottstraße
1987
Hopp beim Tennistournier zum 15. Geburtstag von SAP
1987
Plattner beim Tennistournier zum 15. Geburtstag von SAP
1987
Das SAP-Team
1987
Hopp startet den Bau der SAP-Zentralen in Walldorf
1988
Dietmar Hopp bei der Einweihung des Schulungszentrum
1988
Der erste Handelstag der SAP-Aktie
1988
Plattner am ersten Handelstag der SAP-Aktie
1988
Die Gründer von SAP: v.l. Klaus Tschira, Hasso Plattner, Ditmar Hopp und Hans-Werner Hector
1988
Plattner am ersten Handelstag der SAP-Aktie
In den 90ern
R/3 wird vorgestellt.
In den 90ern
... vorgestellt.
Anfang der 90er
Hopp (2.v.l.) und Oswald (links) treffen den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl
1990
Die COMPUTERWOCHE schreibt bereits im Herbst 1990 über SAP:
1990
"Nahezu unbemerkt hat sich die SAP AG, Walldorf, mit dem modularen Standardsoftware-Paket R/2 eine Quasi-Monopol-Position auf dem Gebiet der kommerziellen Standardsoftware für S/370-Rechner in der Bundesrepublik geschaffen."
1990
Auf der CeBIT: Oswald und Hopp
1990
Die erste Bilanzpressekonferenz
1990
Die erste Bilanzpressekonferenz
1992
Plattner an der Gitarre auf der 20 Jahre SAP Feier in den USA
1992
Die Torte auf der 20 Jahre SAP Feier in den USA
1992
Das SAP-Team
1992
Bei der Übgerabe des Bundesverdienstkreuz: Hopp und der damalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg Erwin Teufel (Mitte)
1992
Der Countdown zu R/3
1992
Hopp und der Architekt Willi Vorfelder
1992
Hopp stellt die ersten SAP-Kunden vor
1992
Das Industriegebiet in Walldorf
1992
Gerhard Oswald (Mitte) beim Countdown zu R/3
1993
Bilder von der Hauptversammlung
1993
Hopp auf der Hauptversammlung
1993
Kooperationsabkommen zwischen Plattner und ...
1993
Bill Gates (links)
1995
Das SAP-Team: v.l. Tschira, Kagermann, Zencke, Plattner
1995
Kagermann und Rudolf Scharping
1995
Die erste SAP-Aktie
1996
Award: Company of the Year für SAP
1996
Dietmar Hopp
1996
Dietmar Hopp auf der Bilanz-Pressekonferenz
1996
Kagermann und Bill Gates
1996
Kagermann, Bill Gates und Tschira (v.l.)
1996
Tschira, Bill Gates und Kagermann (v.l.)
1996
Die SAP-Zentrale
1997
25 Jahre SAP
1997
25 Jahre SAP
1997
25 Jahre SAP
1997
25 Jahre SAP
1997
25 Jahre SAP
1997
Ein SAP-Arbeitsplatz
1997
Ein SAP-Arbeitsplatz-Server
1997
SAP auf der CeBIT
1997
SAP auf der CeBIT
1997
SAP auf der CeBIT
1997
SAP auf der CeBIT
1997
Hasso Plattner auf der CeBIT
1997
Der SAP Formel1 Wagen
1997
Dietmar Hopp
1997
Hopp beim Golfturnier zum 25. Geburtstag
1997
Hopp, Kagermann und Oswald (v.l.)
1997
Kagermann beim Golfturnier zum 25. Geburtstag
1997
Plattner beim Golfturnier zum 25. Geburtstag
1997
Plattner beim Golfturnier zum 25. Geburtstag
1997
Die SAPPHIRE in Amsterdam
1997
Die SAPPHIRE in Amsterdam
1997
Die SAPPHIRE in Orlando
1997
Hasso Plattner auf der SAPPHIRE in Amsterdam
1997
Luftbild von der SAP-Zentrale in Walldorf
1998
Kagermann und Namgung, der damalige CEO von Samsung
1998
Das SAP-Team in New York
1998
Kagermann (li.) und Heinrich (Mitte) beim Börsengang in New York
1998
Kagermann und Plattner beim Börsengang in New York
1998
Kagermann und Plattner beim Börsengang in New York
1998
Plattner, Erwin Teufel, Kagermann (v.l.) auf der CeBIT
1998
Die Eröffnungszeremonie zu den WDF03 mit Kagermann
1998
Die Eröffnungszeremonie mit Kagermann (li.) und dem damaligen Bürgermeister von Walldorf
1998
Die Eröffnungszeremonie mit Kagermann (li.) und Erwin Teufel
1998
Die Softwarepalette R/3
1998
Ein SAP-Arbeitsplatz
1998
Plattner (re.) und Joschka Fischer
1998
Plattner (re.) und Joschka Fischer
1998
Ex-Bundeskanzler Helmuth Schmidt, Kagermann und Plattner (v.l.)
1998
Der Release von R3
1998
Der Release von R3
1998
Bilanzpressekonferenz mit Plattner, Hopp und Kagermann
1998
Zum Börsengang in New York
1998
Zum Börsengang in New York
1998
Zum Börsengang in New York
1998
Die SAPPHIRE in LA
1998
Die SAPPHIRE in LA
1999
Das SAP-Team
1999
Kagermann (li.) und Ex-Bundespräsident Roman Herzog
1999
Tiger Woods bei der SAP Open
1999
Ein SAP-Arbeitsplatz
2000
Luftbild von der SAP-Zentrale in Walldorf
2002
Auf der CeBIT 2002
2002
Auf der CeBIT 2002 treffen sich Kagermann (vorne li.) und Gerhard Schröder
2007
Luftbild von der SAP-Zentrale in Walldorf
2008
Das SAP-Team
2008
Auf der CeBIT mit Angela Merkel und Kagermann
2009
Auf der CeBIT mit Léo Apotheker, Arnold Schwarzenegger, Angela Merkel und Henning Kagermann (v.l.)
2010
Luftbild von der SAP-Zentrale in Walldorf

2015 - das Jahr der Wahrheit

Doch gerade angesichts der gravierenden Veränderungen im Geschäftsmodell - vor allem hinsichtlich Cloud-Computing und der Entwicklung der HANA-Plattform - sowie der selbst gesteckten Ziele, kommt der richtigen strategischen Ausrichtung eine existenzielle Bedeutung zu. Schließlich steht mit 2015 das Jahr der Wahrheit an. Und die Ziele sind ehrgeizig - teilweise offenbar zu ehrgeizig. Erst Anfang des Jahres hatte die SAP-Führung ihr Margenziel verschoben. Ursprünglich sollte bereits im kommenden Jahr eine operative Marge von 35 Prozent zu Buche stehen. Dieses Ziel werde man jedoch erst 2017 erreichen, räumten die SAP-Verantwortlichen ein. Es habe noch kein Unternehmen gegeben, welches den Schritt in die Cloud gegangen wäre, ohne zwischenzeitlich bei Umsatz und Gewinn zurückzustecken, kommentierte damals Co-SAP-Chef Snabe.

An den anderen Zielen hielt der Konzern dagegen fest: Für 2015 erwarten die Walldorfer einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Euro, 2017 sollen es 22 Milliarden Euro sein - zum Vergleich: 2013 beliefen sich die Einnahmen auf 16,8 Milliarden Euro. Um diese Ziele zu erreichen wird sich SAP jedoch steigern müssen. Nachdem man für das laufende Jahr seine Prognose für das Umsatzwachstum auf sechs bis acht Prozent zurechtgestutzt hatte, braucht SAP im kommenden Jahr ein zweistelliges Plus, um seine ambitionierte Messlatte nicht zu reißen. Bei den Cloud-Umsätzen peilt der Konzern für 2015 zwei Milliarden Euro an, das wären zehn Prozent vom Gesamtumsatz. Im vergangenen Jahr standen unter diesem Posten knapp 700 Millionen Euro zu Buche.

Vielleicht habe man bei SAP die Geduld verloren, vermutet IDC-Analyst Philip Carter. Wie der Rückzieher beim Margenziel gezeigt habe, stehe der Konzern unter Druck - von verschiedenen Seiten. Einerseits forderten Börse und Anleger mehr Wachstum und bessere Profitabilität, andererseits stehe mit dem Schwenk in Richtung Cloud ein massiver Umbau des gesamten Geschäftsmodells an. Beides lasse sich nur schwer unter einen Hut bringen.

Die HANA-Plattform bezeichnet Carter als wichtigen Meilenstein für SAP. Allerdings gebe es an dieser Stelle noch viel Erklärungsbedarf. Schließlich habe die Entwicklung in den vergangenen Jahren eine rasante Metamorphose von einem Analytics-Werkzeug über eine In-Memory-Datenbank zu einer Applikationsplattform hingelegt. In diesem Zusammenhang wollen die Kunden keine Visionen hören, wie das System in zehn Jahren aussehen wird - so wie es Sikka auf den vergangenen SAP-Hausmessen präsentiert hat, moniert der IDC-Analyst. Die Anwender wollten vielmehr wissen, wie sie die Plattform heute einsetzen können und vor allem was es ihnen bringt. "SAP muss die Dinge erklären und vereinfachen", lautet Carters Fazit.

Balance zwischen Technik und Vertrieb

SAP braucht die richtige Balance zwischen Produkt- und Vertriebsfokus, bekräftigt auch Forrester-Analyst Ried. Mit dem Führungs-Duo aus dem Vertriebsspezialisten McDermott und dem Technik- und Produkt-orientierten Snabe habe diese Balance gut und erfolgreich funktioniert - auch nachdem Snabe seinen Rückzug angekündigt hatte, weil mit Sikka eine andere starke Führungspersönlichkeit mit Technikfokussierung bereit stand, die Lücke zu füllen. Mit Sikkas Abschied neigt sich die Waage nun jedoch auf die Seite des Vertriebs.

Eine zu einseitige Orientierung könne jedoch gefährlich werden, warnt Ried und führt als Beispiel die Ära Apotheker an. Nachdem der Vertriebsspezialist Ende Mai 2009 nach dem Rückzug des ebenfalls eher technisch orientierten Hennig Kagermann alleiniger CEO von SAP wurde, schaffte er es innerhalb weniger Monate mit einer komplett verunglückten Kommunikationsstrategie rund um die Erhöhung der Wartungsgebühren das Vertrauen der Kunden zu verspielen. Das kostete Apotheker schließlich seinen Stuhl. Nach nicht einmal einem Jahr zog Aufsichtsratschef Plattner die Reißleine und erklärte im Februar 2010, dass Apothekers Vertrag nicht verlängert werde. Dieser erklärte daraufhin seinen Abschied. Die Nachfolger McDermott und Snabe brauchten viel Geduld und Einfühlungsvermögen, den Scherbenhaufen, den ihnen ihr Vorgänger hinterlassen hatte, wieder zu kitten.

SAP nimmt neuen Plattformanlauf

Diese Fehler dürfen sich nicht wiederholen. "SAP braucht eine ordentliche Produktstrategie", sagt Ried. In diesem Bereich lägen auch die großen Hausaufgaben des Softwarekonzerns. SAP versuche derzeit mit HANA einen neuen Anlauf in Sachen Plattform, nachdem man mit Netweaver außerhalb der SAP-Applikationen gescheitert sei. Den Anspruch, sich auch als Anwendungsplattform für Produkte von anderen Anbietern im Markt zu etablieren, habe Netweaver nie erfüllen können. Nun nehme SAP mit HANA einen neuen Anlauf. Allerdings fehle derzeit noch die nötige Marktreife, stellt der Forrester-Analyst fest.

Im Rahmen von SAP-Installationen könne HANA zwar überzeugen. Den Beweis, dass HANA auch außerhalb der SAP-Welt funktioniert, habe die Plattform indes noch nicht antreten können, stellt Ried fest. Auch die Eignung HANAs für den Provider-Einsatz lasse noch zu wünschen übrig. Die Plattform sei primär auf eine Nutzung als Single-Tenant-Enterprise-Lösung ausgelegt. Für einen Multi-Tenant-Einsatz müssten Provider mit virtuellen Maschinen hantieren. Doch das funktioniere dies im Umfeld von In-Memory-Technik nur begrenzt, urteilt der Forrester-Experte.

Die zweite Baustelle bilden SAPs Cloud-Plattformen. Gerade durch die Zukäufe der vergangenen Jahre wie SuccessFactors im Human-Resources-Umfeld (HR) sowie der Cloud-Einkaufsplattform Ariba habe sich an dieser Stelle eine gewisse Heterogenität bei SAP eingeschlichen. Wie damit umzugehen sei, war in der Vergangenheit offenbar umstritten, berichtet Ried. Der ehemalige Cloud-Chef von SAP, Lars Dalgaard - Ex-CEO von SuccessFactors -, hatte offenbar kein Problem unterschiedliche Cloud-Plattformen zu unterstützen, solang nur entsprechend groß genug seien. Derzeit - Lars Dalgaard ist längst SAP-Geschichte - scheint das Pendel wieder umzuschwingen in Richtung einer einheitlichen Cloud-Plattform. Doch gerade im Cloud-Umfeld seien die Anbieter Ried zufolge auf das Entwickler-Ökosystem angewiesen. Und diese bräuchten Sicherheit hinsichtlich der Plattformstrategie beziehungsweise der Klientel, die damit adressiert werden soll.

Neue Gesichter im SAP-Vorstand

Sikka hinterlässt seinen Nachfolgern also ein gut gefülltes Hausaufgabenheft. Im Zuge des Rücktritts des Technikchefs hat der Softwarekonzern seinen Vorstand neu geordnet. Es rücken der Vertriebschef Rob Enslin sowie der bislang für die Anwendungsentwicklung zuständige Bernd Leukert als weltweiter Entwicklungschef in den Vorstand nach. Beide gehörten bislang dem erweiterten Führungszirkel "Global Managing Board" an.

Leukert, ein langjähriges SAP-Gewächs, könne eine gute Rolle spielen, glaubt Forrester-Experte Ried. Es sei jedoch schade, dass Björn Goerke, der im Herbst vergangenen Jahres den CIO-Posten bei SAP übernommen hatte, offenbar nicht zum Zuge kam. Goerke habe sich in der Vergangenheit in erster Linie um die Plattform gekümmert, während Leukert vor allem für die Applikationen zuständig war. Da die Herausforderungen SAPs jedoch primär auf der Plattformseite liegen, wäre Goerke der bessere Mann gewesen, folgert Ried.

Der Zeitpunkt von Sikkas Abschied und die Neubesetzungen im Vorstand seien Belege dafür, dass SAP allem Anschein nach keine Zeit hatte, die Personalien lange vorzubereiten oder zu planen, und von den Entwicklungen offenbar selbst überrascht wurde, glaubt Frank Scavo, Managing Partner beim IT-Beratungsunternehmen Strativa. Der Experte mutmaßt, Sikka könnte im Vorfeld des Wechsels von Snabe in den Aufsichtsrat Ambitionen als Co-CEO angemeldet haben und nachdem diese abgewiesen wurden, kurzfristig seinen Rücktritt eingereicht haben. Angesichts dieser Eigendynamik habe die SAP-Führung offenbar schnell gehandelt und bereits im Vorfeld der Sapphire Tatsachen geschaffen, um die Unruhe bis dahin etwas ausklingen zu lassen und sich in Orlando auf die zukünftige Strategie konzentrieren zu können. Ganz werden die Diskussionen jedoch nicht abklingen, meint Ray Wang, Chef des Analystenhauses Constellation Research. Die Sapphire-Besucher werden genau hinhören und Fragen stellen, wie die künftige SAP-Strategie aussehen wird. Mit den Antworten dürfe sich die SAP jedoch nicht viel Zeit lassen, "sonst verlieren die Kunden die Geduld".

Eine Frage der SAP-Kultur

Für den neuen starken Mann bei SAP McDermott wird es in Orlando auch darum gehen, neue kulturelle Grabenkämpfe innerhalb der Firma erst gar nicht aufkommen zu lassen. In der Vergangenheit hatte es gerade im Zuge der immer stärker international ausgerichteten SAP-Strategie wiederholt Konflikte zwischen der alteingesessenen Entwicklerfraktion in der Zentrale in Walldorf und den stärker werdenden Dependancen vor allem im Silicon Valley in den USA gegeben. Geschürt wurde der Konflikt auch von den SAP-Verantwortlichen selbst. Erst kürzlich hatte beispielsweise SAP-Gründer Plattner selbst Öl ins Feuer gegossen, als er die Behäbigkeit der deutschen Entwickler kritisierte und mehr Agilität in der Entwicklung einforderte, woraufhin sofort Spekulationen aufkamen, der Konzern plane seine Zentrale ins Ausland zu verlagern - was die Verantwortlichen prompt dementierten. Insider haben auch darüber spekuliert, das den hauptsächlich in den USA arbeitenden Sikka die Bürokratie und Trägheit der deutschen SAP-Organisation zermürbt und schließlich so frustriert habe, dass er seinen Abschied eingereicht habe.

Innovations- und Produktvorstand Vishal Sikka geht
Foto: SAP

Mit der Besetzung des Vorstands durch die SAP-Veteranen Enslin und Leukert baut der US-Amerikaner McDermott aber offensichtlich Brücken in Richtung der alten SAP-Welt und könnte so die Gemüter schon im Vorfeld zumindest etwas beruhigen. Auf Anwenderseite scheint man den Umbruch indes noch gelassen zu sehen. "Wir haben die Zusammenarbeit mit Vishal Sikka sehr geschätzt. Er hat SAP technologisch stark geprägt", verlautete von Seiten der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG). "Mit dem neuen SAP-Vorstand Bernd Leukert arbeiten wir seit Jahren gut und gerne zusammen. Er weiß, welche Themen die DSAG-Mitglieder beschäftigen."