Polemik gegen Betriebssystem

Tester zerpflückt Windows 8

04.10.2012 von Werner Kurzlechner
Frankenstein aus der Microsoft-Küche: Tester Woody Leonhard lässt kaum ein gutes Haar an Windows 8 - es enttäusche Desktop- wie Tablet-User gleichermaßen.

Frankenstein aus der Microsoft-Küche: Tester Woody Leonhard lässt kaum ein gutes Haar an Windows 8 - es enttäusche Desktop- wie Tablet-User gleichermaßen.
von Werner Kurzlechner

Windows 8 behält das gewohnte Desktop, wird aber auch touchy. Tester Leonhard: Wer zwischen Desktop und Touchscreen wechselt, kommt nicht ohne Valium aus.
Foto: Guido Vrola - Fotolia.com

Woody Leonhards Urteil ist unmissverständlich und hart. Windows 8 sei tatsächlich so schlecht wie sein Ruf, schreibt der Buchautor und Microsoft-Experte in einem Betrag für unsere Schwesterpublikation InfoWorld. Als eigenartiger Zwitter enttäusche das neue Betriebssystem sowohl die klassischen Desktop-User als auch die Tablet-Aficionados. „Windows Frankenstein“ und „Dr. Jekyll & Mr. Hyde-Betriebssystem“ seien durchaus berechtigte Etiketten, so Leonhard weiter. Sein abschließendes Fazit: „Es wird in absehbarer Zukunft einen signifikanten Bedarf an Laptops und Desktops mit Windows 7 geben.“

Klingt bis hierhin nach Totalvernichtung. Ganz so arg ist es nicht, denn der emsig testende Leonhard nimmt im Vergleich zur Beta-Version durchaus auch einige Fortschritte und Verbesserungen in der aktuellen Version wahr. Das ändert aber wenig daran, dass er Windows 8 in vielen Passagen regelrecht zerpflückt.

Dabei gibt es zum Einstieg sogar ein Lob für eine „fulminante Engineering-Leistung“, die Microsoft durch das Verbinden bewährter Arbeitstools mit dem modernen, Touchscreen-Interface namens Metro (Leonhard benutzt den derzeit zurückgezogenen Namen) gelungen sei: „Vom Nutzerstandpunkt betrachtet ist Windows 8 aber ein Fehlschlag – ein unbeholfener Mischmasch, der den User gleichzeitig in zwei Richtungen drängt.“ Wer das klassische Windows-Desktop gewohnt sei, werde das Metro-Interface nicht mögen, andere verabscheuten die angestaubten Desktop-Anwendungen unter der aufpolierten Oberfläche.

Leonhard vergibt einen Pluspunkt dafür, dass ein Teil des positiven Windows-7-Erbes beibehalten worden sei: Steuerbarkeit, Sicherheit und breite Kompatibilität mit bestehenden Hardware- und Softwarelösungen. Hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit sei Windows 8 aber missraten. Die „begrenzten, oftmals sogar verstümmelten“ Metro-Apps seien da keine Hilfe.

Windows 8 im Business-Einsatz
Windows 8
So sieht der neue Startbildschirm von Windows 8 aus.
Windows 8
Der neue Task Manager unterscheidet sich sichtbar von seinem Vorgänger.
Windows 8
Der Task Manager liefert künftig weitergehende Informationen.
Windows 8
Nach einer Registry-Änderung verfügt auch Windows 8 über ein echtes Startmenü.
Windows 8
So werden die neuen Apps in Windows 8 angezeigt.
Windows 8
Hier ein Beispiel für eine App. Das Hintergrundbild kann sich bewegen.
Windows 8
Windows Defender erkennt in Windows 8 auch Viren.
Windows 8
Der neue Kopier-/Verschieben-Dialog erlaubt auch das Pausieren.
Windows 8
Der Windows Explorer ist nun auch mit einem Menüband versehen.
Windows 8
So sieht die neue Wiederherstellungsoberfläche in Windows 8 aus.
Windows 8
Windows 8 kommt mit einer neuen Version der Schattenkopien.
Windows 8
So konfiguriert man die Replikation von virtuellen Servern in Hyper-V 3.0.
Windows 8
Netzwerkkarten lassen sich unter Windows 8 Server im Server-Manager als Team zusammenfassen
Windows 8
So sieht der neue Server-Manager aus.
Windows 8
So installiert man Serverrollen und Features im neuen Server-Manager.
Windows 8
Active Directory in Windows 8 Server kann man über die PowerShell installieren und verwalten.

Im Vergleich zu seinen früheren Kritikpunkten an der Beta-Version sei in der finalen RTM-Version manches Ärgernis weiterhin vorhanden. Es gebe etwa keinen Start-Button auf dem Desktop, der Metro-Start-Screen bleibe hoffnungslos zweidimensional mit aufpoppenden Elementen, die an billige Las-Vegas-Leuchtreklame erinnerten. Wer auf einem großen Monitor von Metro zu Desktop und wieder zurück wechseln wolle, brauche unweigerlich Beruhigungsmittel. Zudem hätten Hunderte von Testern bestätigt, dass „echte Arbeit“ mit Tastatur und Mouse mit Windows 8 schlechterdings unmöglich sei.

Optik wie billige Leuchtreklame

Optisch habe man sich vom Aero-Interface der Vista-Ära zurückentwickelt zum quadratischen und schattenlosen Flachland-Stil vergangener Windows-3.1-Tage. Die Ausnahme sei aus unerfindlichen Gründen der ansatzweise transparente Desktop-Taskbar. Leonhards Geschmack ist damit nicht getroffen. Das schlichte Design solle offenkundig weniger Strom fressen, als das zuletzt der Fall war.

Auch die Metro Apps – Mail, People, Calendar, Messaging, SkyDrive, Weather, News, Finance, Travel, Sports, Games, Camera, Music und Video – reißen den Tester nicht vom Hocker. Immerhin seien im Vergleich zur Beta-Version einige der schlimmsten Bugs behoben worden, wenngleich keineswegs alle.

Bei Metro Mail gebe es nach wie vor keine handliche Möglichkeit, neue Ordner anzulegen und Nachrichten in bestimmte Ordner abzulegen; dazu seien ein rechter Mausklick und eine manuelle Auswahl nötig. Zudem gebe es keine Konsolidierung der Inboxes für multiple E-Mail-Accounts. Zwar könne Metro Mail mit Hotmail, Exchange und Gmail vernetzt werden, erkenne aber weiterhin kein POP3. Besonders nervig sei, dass die Mail-App nichts aus anderen Mail-Programmen von Microsoft wie Office Outlook, Windows Live Mail, Windows Mail oder Outlook Express importiere.

Ein Lob des Kritikers gibt es für die Social-Networking-Integration. Metro People synchronisiere Kontakte über Facebook, Twitter und LinkedIn. Für sich betrachtet funktioniere es zudem ganz gut, die Daten von Mail, People und Metro Calendar zu konsolidieren. Wer aber aus allen dreien einen einheitlichen Datensatz schaffen möchte, scheitere nahezu unweigerlich.

Windows 8 im Detail
Windows 8 Startbildschirm erweitert
Der Startbilschirm.
Windows 8 Startbildschirm
Der Windows 8 Startbildschirm.
Windows Store
Der Windows Store ist noch nicht funktionsfähig.
Desktop
Der Desktop ist nahezu identisch zum Windows- 7-Pendant.
Explorer mit Ribbon
Auch der Explorer wird nun über die aus Office bekannten Ribbon-Menüs bedient.
Control Panel
Das Metro-Control-Panel ist stylisch gestaltet und bietet Zugriff auf die grundlegenden System Einstellungen.
Control Panel erweitert
Das erweiterte Control Panel entspricht dem aus Windows 7.
Internet Explorer 10 Tabs uns Adressleiste
So sehen im Internet Explorer 10 die Tabs und die Adressleiste aus.
Internet Explorer 10 Vollbild
Das ist der IE 10 im Vollbildmodus.
AirCraft App
In AirCraft bemalen Sie Ihren eigenen Papierflieger.
Aktien App
Mit der Aktien-App haben Sie die aktuellen Kurse stets im Blick.
Alarm App
Die Alarm-App hält was sie verspricht: An Termine erinnern.
BitBox App
BitBox ist ein kleines Mischpult mit dem Sie Ihre eigenen Beats mischen können.
Checkm8 App
CheckM8 ist ein kleines Schachspiel in Knuddel-Optik.
Copper App
Copper ist ein kleines 3D-Spiel.
FiveGame App
Five ist ein klassisches 5-Gewinnt Spiel.
FlashCards App
Mit Flash-Cards informieren Sie sich mit Spass über diverse Themen.
InkPad App
InkPad ist ein virtueller Schreib-Block.
Internet Explorer Desktop
So sieht der Internet Explorer aus, wenn Sie ihn auf dem Desktop betreiben. Gewohnter Look.
Labyrinth App
In diesem Spiel navigieren Sie durch ein Labyrinth.
MeasureIT App
MeasureIT kann auf Bildern Distanzen messen.
Memories App
Memories ist ein digitales Fotoalbum.
MoPod App
Mit MoPod hören Sie sie sich Podcasts an.
NearMe App
Near Me zeigt Ihnen an wo Sie in Ihrer Nähe essen gehen können oder Kulturveranstaltungen besuchen.
Notespace App
Notespace ist ideal um schnell Notizen zu schreiben.
PaintPlay App
Paint Play mach Spass beim schnellen zeichnen zwischendurch.
Piano App
Musiker werden mit Piano bedient.
PicSteam App
PicStream liest Photostream aus dem Internet ein.
Programm auf Desktop
Reguläre Programme funktionieren wie gewohnt auf dem Desktop.
Remote Desktop App
Direkt vom Startbildschirm aus können Sie Remote-Desktop-Verbindungen verwalten.
RSS App
News liest RSS Feed aus.
Socialite App
Socialite verpasst Facebook einen stylischen Look.
Space App
ZeroGravity ist ein weiteres mitgeliefertes Spiel.
Sudoku App
Das Zahlenspiel Sudoku aus Japan ist auch mit dabei.
TileGame App
In TilePuzzle müssen Sie Bilder richtig anordnen.
TreehouseStampede App
Tower Defense nun auch unter Windows 8.
TubeRider App
Tube Rider ist ein weiteres Simpel-Spiel
Twitter App
EIne Twitter-App ist auch dabei.
Wetter App
Die Wetter-App ist besonders schick geworden.
WordHunt App
In Word Hunt raten Sie, natürlich, Wörter.

Über die neue App Metro Bing führe einen die hauseigene Suchmaschine erst einmal auf eine Trending-List – aus Sicht Leonhards ein überflüssiges Zugemülltwerden mit Klatsch und Tratsch. Dafür seien die schlimmsten Schnitzer in Bing Finance behoben, wenngleich es immer noch 20 Minuten dauere, bis Aktienkurse aktualisiert seien. Dafür sei Metro Bing News mittlerweile aktueller als in der Beta-Version.

Aktienkurse nach 20 Minuten aktuell

Metro Bing Travel beziehe einen Großteil seiner Hotel- und Restaurant-Empfehlungen von Frommer’s. Allerdings hat inzwischen Google angekündigt, den Reiseführerverlag zu verkaufen, weshalb Leonhard mit einer Umstrukturierung dieser App rechnet.

Der Windows Store immerhin enthalte neue Versionen von Spielen wie Solitaire und Minesweeper, die „eine Augenweide“ seien. Auch das Angebot von Metro Music sei gut, während Metro Photos und Metro Video immer noch eine Editierfunktion vermissen ließen.

Die Veränderungen bei den Windows-Desktop-Programmen seien alles in allem kosmetischer Natur, so Leonhard. Eine Ausnahme in der Enterprise-Version sei Windows To Go: eine tragbares Windows 8 für den USB-Stick.

„Ich war überrascht, dass das tatsächlich auf jedem Rechner funktionierte, den ich finden konnte – vorausgesetzt er konnte von USB booten“, urteilt Leonhard zufrieden. Allerdings sei das ganze ohne USB 3-Verbindung unerträglich langsam, zudem sei die Software nur in der Enterprise-Version enthalten.

„Insgesamt laufen die Microsoft-Programme in der RTM-Version von Windows 8 deutlich schneller als in der Release-Preview-Version“, so der Tester. Irritierend sei, dass man „Do not Track“ (DNT) über das Win8-Setup statt über den Internet Explorer 10 ausstellen müsse.

Wohl kein Massenansturm

Der Tester erinnert daran, dass Microsoft mittlerweile auch mehrere Upgrade-Routen von XP, Vista und Windows 7 bekanntgemacht hat. Demnach kann jeder Windows-Kunde eine Upgrade-Lizenz erwerben – bis kommenden Januar für 39,99 US-Dollar.

Wer kein Upgrade benötigt, kann laut Microsoft auch mit der System-Builder-Version von Windows arbeiten. Das gilt zum Beispiel für die Installation von Windows 8 auf einer neu konstruierten Maschine oder für eine Dual-Boot-Nutzung. Eine Neuerung ist laut Leonhard, dass Windows 8 klar je Nutzer an beliebigem Rechner lizensiert werde.

Anders als manche andere Experten denkt Leonhard nach einem Jahr intensiven Testens an Desktop, Laptop und Tablet nicht, dass Windows 8 und die darauf basierenden Tablets den Markt im Sturm erobern. „Obwohl Win8 auf Intel-Tablets zweifellos einige besondere Anforderungslücken von Firmen und Endverbrauchern schließt, erwarte ich sicherlich keinen massiven Umstieg auf Windows 8 – weder im Büro noch für den Hausgebrauch“, kommentiert der Experte. Womöglich anders liege der Fall bei den Windows-RT-Surface-Tablets, die auf ARM-Prozessoren basieren.

Dieser Artikel stammt von unserer Schwesterpublikation CIO. (kv)