Wozu die ganze Plackerei?

Tipps zur Work-Life-Balance

15.02.2010
Beruflich stark engagierte Menschen sollten sich ab und zu die Sinnfrage stellen, sagt Andreas Lutz.

Was ist mir im Leben wichtig? Das fragen sich beruflich stark engagierte Menschen oft erst, wenn zum Beispiel ihre Gesundheit bereits ruiniert oder ihre Ehe zerrüttet ist. Wer dauerhaft ein erfülltes Leben führen möchte, beruflich und privat, sollte sich die Sinnfrage früher stellen.

Vielen Berufstätigen macht ein Leben unter Hochdruck Spaß. "Denn aus neuen Herausforderungen erwachsen auch neue Eindrücke und Erfahrungen", sagt Dr. Kai Hoffmann, Führungskräftecoach und Lebensberater aus Frankfurt. "Und selbstverständlich freuen sie sich auch über die finanzielle und soziale Anerkennung, die sie für ihr Engagement erfahren."

Zugleich verdichtet sich aber bei immer mehr Berufstätigen das Gefühl: "Egal, wie sehr ich mich anstrenge, es fällt mir immer schwerer, allen Anforderungen gerecht zu werden, die meine Umwelt an mich stellt." Wenn ich im Beruf die geforderte Leistung bringe, kommt mein Privatleben zu kurz. Wenn ich hingegen meiner Familie und meinen Hobbys die gewünschte Zeit einräume, komme ich beruflich nicht weiter. Ich kann noch so gut mit meiner Zeit haushalten, es bleiben meist genau die Dinge liegen, die wirklich wichtig sind.

"Denn das, was in unserem Leben wirklich wichtig ist, ist selten dringend." Darauf weist Dr. Elisabeth Heinemann, Professorin für Schlüsselqualifikationen an der Fachhochschule Worms hin. Es ist nie dringend, joggen zu gehen. Es wäre aber gut für unsere Gesundheit. Es ist nie dringend, mit den Kindern zu spielen. Es wäre aber positiv für ihre Entwicklung. Es ist nie dringend, sich Zeit für ein Gespräch mit dem Lebenspartner zu nehmen. Es wäre aber wichtig für die Beziehung. Es ist nie dringend, sich zu fragen: Welche Ziele habe ich in meinem Leben? Es wäre aber von Vorteil, damit wir nicht irgendwann in eine Sinnkrise geraten.

Die richtige Balance finden

Weil die wirklich wichtigen Dinge selten dringend sind, merken laut Kurt-Georg Scheible, Unternehmercoach aus Stuttgart, viele beruflich stark engagierte Männer und Frauen erst spät: Mein Leben ist nicht im Lot. Oft kommt diese Erkenntnis zu spät: Die Ehe ist kaputt, der Kontakt zu den Kindern abgerissen, die beruflichen Schwierigkeiten nehmen zu statt ab. "Dann ist eine Sinnkrise nicht mehr weit."

Kein Wunder also, dass das Thema Work-Life-Balance seit einigen Jahren boomt. Bei ihm geht es im Wesentlichen um die Frage: Wie kann ich das erforderliche Gleichgewicht zwischen den vier Lebensbereichen "Arbeit und Leistung", "Körper und Gesundheit", "Familie und Kontakt" sowie "Sinn und Kultur" bewahren? Denn diese beeinflussen sich wechselseitig:

- Wer krank ist, kann weder sein Leben in vollen Zügen genießen noch ist er voller Leistungskraft.

- Wer unter Einsamkeit leidet, ist weder "quietschfidel" noch kann er seine Energie voll im Beruf einsetzen.

- Wer sich im Job nur gehetzt und gestresst fühlt, bringt nach einem Zwölf-Stunden-Tag wenig Geduld für seine Kinder auf.

Das heißt: Nur wer ein Leben in Balance führt, ist auf Dauer zufrieden, motiviert und leistungsfähig.

Dies haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb bieten sie ihren Mitarbeitern zunehmend auch Seminare und Trainings zu Themen an, die nicht nur beruflich, sondern auch privat relevant sind. So zum Beispiel Selbst- und Stressmanagement-Seminare. Oder Rückentrainings. Selbst Massagen werden den Mitarbeiter bei einigen Unternehmen angeboten, die wie die Bausparkasse Schwäbisch Hall das Thema "Work-Life-Balance" als wichtiges Personalthema erkannt haben.

Sinnfrage nicht ausklammern

Kaum berücksichtigt wird bei diesen Fördermaßnahmen aber meist der Bereich "Sinn und Kultur". Dabei wäre dies wichtig, betont Prof. Dr. Elisabeth Heinemann. "Denn wenn wir das, was wir in den drei anderen Lebensbereichen tun, nicht als sinnhaft erfahren, empfinden wir unser gesamtes Leben irgendwann als öd und leer." Die Folge: Wir gehen mit angezogener Handbremse durchs Leben. Selbst die einfachsten Dinge fallen uns schwer. Deshalb ist es laut Kurt-Georg Scheible "nicht nur ein netter intellektueller Zeitvertreib, sich die Sinn-Frage zu stellen. Die Beschäftigung mit dieser essenziellen Frage hilft uns dabei, auf Dauer unsere Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit zu bewahren." Deshalb rät Scheible allen beruflich stark engagierten Menschen: "Fragen Sie sich regelmäßig, was Ihnen in Ihrem Leben wichtig ist - und zwar bezogen auf alle vier Lebensbereiche."

Wichtig ist es laut Dr. Kai Hoffmann, der unter anderem den Ratgeber "Dein Mutmacher bist du selbst" schrieb, auch, sich zu fragen: Welche (Grund-)Einstellung habe ich zum Leben? Ist es für mich ein Dschungel, in dem jeder jeden frisst und nur der Stärkere gewinnt? "Wenn ja, dann werden Sie gegenüber Ihren Mitmenschen stets ein gewisses Misstrauen empfinden und irgendwann vermutlich allein durchs Leben gehen." Oder geht es für Sie im Leben darum, immer der Schnellste zu sein? "Dann werden Sie laufen und laufen, bis Sie sich irgendwann wie ein Hamster im Laufrad drehen." Das heißt: Unsere Einstellung zum Leben prägt unser Handeln und bestimmt mit, was uns widerfährt. Deswegen sollten wir ab und zu auch unsere Lebensmaximen überdenken.

Umgekehrt gilt: Die besten Lebensmaximen nutzen uns wenig, wenn sie sich nicht in unserem Handeln widerspiegeln. Fragen sollten wir uns deshalb: Stimmt mein Handeln mit meinen Lebenszielen und -maximen überein? Kann ich es zum Beispiel vor mir verantworten, Mitarbeiter permanent unter Druck zu setzen, nur weil ich als Führungskraft selbst einen hohen Druck verspüre? Oder: Befriedigt es mich als Verkäufer auf Dauer, Produkte zu verkaufen, von deren Qualität ich selbst nicht überzeugt bin? Und überlegen Sie sich: Worin zeigt sich für mich ein er-fülltes statt ge-fülltes Leben? Darin, dass ich bei der Arbeit unentbehrlich bin? Darin, dass ich in einer Villa wohne und eine Luxuskarosse fahre? Oder darin, dass ich auch Zeit für mich, meine Familie und Freunde sowie Hobbys habe?

Neue Perspektiven gewinnen

Klar sollte beruflich stark engagierten Menschen laut Scheible aber sein: "Die Antworten auf diese Fragen fallen nicht vom Himmel. Eine Lebensvision lässt sich nicht zwischen zwei Geschäftsterminen entwickeln. Hierfür muss man sich Zeit nehmen." Sein Tipp: Ziehen Sie sich ab und zu für einige Zeit aus der Hektik des Alltags zurück, um den roten Faden in Ihrem Leben (wieder) zu finden.

Manche Firmen bieten ihren Mitarbeitern sogenannte Sabbaticals an - also zeitlich begrenzte berufliche Auszeiten, meist für drei bis zwölf Monate. Ein Sabbatical ist sinnvoll, wenn Sie einmal grundsätzlich überdenken möchten: Was sind meine Lebensziele? Befinde ich mich auf dem Weg dorthin? Doch nicht jeder Berufstätige kann sich ein Sabbatical leisten - finanziell oder job-bedingt. Dann empfiehlt es sich, den Urlaub für eine Neu- oder Rückbesinnung zu nutzen. Hoffmanns Tipp: "Verzichten Sie mal auf einen Kulturtrip oder eine Städtereise. Gehen Sie statt dessen in ein Kloster. Oder besuchen Sie einen Meditationsworkshop. Oder wandern Sie einige Tage in den Bergen." Die Wege, um wieder zu sich selbst zu finden, können sehr verschieden sein.

Wenn Sie Ihre Lebensvision gefunden haben und wissen, was Ihnen wichtig ist, dann sollten Sie dies zu Papier bringen. Doch Vorsicht, mahnt Hoffmann: "Es genügt nicht, einmal Ihre Lebensvision und Ihre Lebensziele zu fixieren. Denn nicht nur Sie ändern sich im Lauf der Jahre, sondern auch das, was Ihnen wichtig ist. Also sollten Sie regelmäßig kürzere Auszeiten nehmen, um zu überprüfen: Bin ich noch in der richtigen Spur?"

Bewusst "Nein" und "Ja" sagen

Ein regelmäßiges Sich-Besinnen ist auch nötig, weil wir immer wieder mit neuen Herausforderungen und "Verlockungen" konfrontiert werden. Unser Chef bittet uns, ein weiteres Projekt zu leiten. Unsere Kumpels im Gesangsverein möchten, dass wir den Job des Kassenwarts übernehmen. Unser Lebenspartner möchte, dass wir ihn stärker entlasten. Über Nacht fliegen uns so neue Aufgaben zu. Und ehe wir uns versehen, haben wir unseren Lebenspfad verlassen. Entsprechend wichtig ist es laut Elisabeth Heinemann nicht nur, sich regelmäßig auf seine Lebensziele zu besinnen, sondern auch zu lernen, "Nein" zu sagen. Denn nur so können wir uns den nötigen Freiraum bewahren, um zu den Dingen, die uns wirklich wichtig sind, bewusst "Ja" zu sagen. (oe)

Autor: Andreas Lutz

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