Warum so viele Manager scheitern

Und wer coacht die Alpha-Tiere?

29.12.2010
Warum Führungskräfte auf dem Weg nach oben ihr Verhalten ändern müssen, sagt Bernhard Kuntz.
Spitzenmanager in Unternehmen treffen in der Top-Etage auf viele "Konkurrenten" - und haben damit große Probleme.
Foto: Fotolia.de

Ehrgeizig und leistungsorientiert, machtbewusst und zielstrebig - das sind die Spitzenmanager aller Großunternehmen. Deshalb gelangten sie nach ganz oben. Doch in der Unternehmensspitze angekommen sind sie plötzlich nur noch von anderen Alpha-Tieren umgeben. Also müssen sie ihr (Führungs-)Verhalten ändern. Das fällt vielen schwer.

Wer wird Vorstand eines multinationalen Konzerns oder gar dessen Vorstandsvorsitzender? Nur ein brillanter Kopf. Persönlichkeiten also, die extrem schnell im Aufnehmen, Strukturieren und Analysieren von Informationen sind und entschlossen entscheiden; Männer und Frauen zudem, die sich immer anspruchsvollere Aufgaben stellen und in ihrer beruflichen Biografie schon oft bewiesen haben, dass sie Außergewöhnliches leisten können.

Entsprechend ausgeprägt ist das Selbstbewusstsein der Top-Entscheider in den Unternehmen. Meist zu Recht! Denn sie haben auf dem Weg nach ganz oben gezeigt, dass sie leistungsfähiger und -bereiter sowie durchsetzungsstärker sind als die meisten ihrer ebenfalls hochtalentierten und -qualifizierten "Konkurrenten".

Trotzdem scheitern immer häufiger Vorstände - nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung. Sie müssen entweder vorzeitig ihren Hut nehmen oder ihr Kontrakt wird nicht verlängert. Jürgen Dormann und Kajo Neukirchen, Ron Sommer und Hartmut Mehdorn, aber auch Jürgen Schrempp und Wendelin Wiedeking sind nur die prominente Spitze eines Eisbergs. Heute erreicht etwa jeder zweite Vorstandsvorsitzende das Ende seiner zweiten Amtszeit nicht. Und immer häufiger werden aus Managern, die noch vor Kurzem von den Wirtschaftsmagazinen und den Aktionären gefeiert wurden, scheinbar über Nacht "Versager".

CEO-Aufgaben sind nur bedingt "managebar"

Eine Ursache hierfür ist die Globalisierung der Wirtschaft und Internationalisierung der Kapitalmärkte. Durch sie wurden die Aufgaben der CEOs so komplex, dass sie nur noch bedingt "gemanagt" werden können. Das zeigt bereits die Unterschiedlichkeit der Anlässe, die in den vergangenen Jahren zum Aus von Top-Managern führten. Vielfach können die CEOs nur noch eine Risikominimierung betreiben, bei der sie die Dilemmata, vor denen sie bei ihrer Arbeit stehen, stets neu ausbalancieren. Dasselbe gilt für die oft widersprüchlichen Interessen der Stakeholder wie Anteilseigner und Banken, Kunden und Mitarbeiter.

Hierfür müssen die CEOs nicht nur sicherstellen, dass in ihrer Organisation die richtigen Leute in den richtigen Führungspositionen sitzen. "Vor allem müssen sie mit ihren Vorstandskollegen sowie den Leitern der Unternehmenseinheiten ein Hochleistungsteam bilden." Davon ist Dr. Kai W. Dierke, geschäftsführender Gesellschafter der Top-Managementberatung Dierke Houben AG, Zürich-Engelberg (CH), überzeugt. "Denn als heroische Einzelkämpfer können sie die Erwartungen der Stakeholder nicht erfüllen."

Und hier beginnt das Problem. In die Top-Etagen der Unternehmen, zumindest der großen Kapitalgesellschaften, gelangen in der Regel nur "Alpha-Tiere" - Menschen also, die aktiv die Führungsverantwortung suchen. Und in eine solche "Leitwolf"-Position steigen sie mit der Zeit auch auf. Denn auf ihrem Weg nach oben beweisen sie immer wieder, dass sie Organisationen erfolgreicher führen können als ihre Konkurrenten - aufgrund ihrer analytischen Intelligenz, ihrer Leistungsfähigkeit und -bereitschaft sowie ihrer Durchsetzungsstärke.

Das prägt ihr Selbstbild und ihre Sicht auf Menschen, Situationen und Konstellationen - zudem ihr Verhalten. "Alpha-Männer und -Frauen lieben Zahlen, Daten und Fakten", betont Dierke. Die "weichen Faktoren" im Management hingegen sind meist nicht ihre Welt. Und als brillante Analytiker haben sie oft schon ihre Lösung parat, wenn ihre Gesprächspartner noch versuchen, das Problem zu verstehen. Entsprechend ungeduldig und unduldsam reagieren sie zuweilen. Und entsprechend dominant, ja einschüchternd ist oft ihr Auftritt.

CEOs müssen wirkungsvolle Leader sein

Doch dann sind sie an der Spitze. Und plötzlich sind ihre engsten Mitstreiter ebenfalls "Alpha-Tiere". Und mit diesen müssen sie kooperieren und ein High-Performance-Team bilden. Das erfordert von den Top Executives teils andere Fähigkeiten als diejenigen, die sie auf dem Weg nach oben bewiesen haben, betont Dr. Georg Kraus, geschäftsführender Gesellschafter der Change-Management-Beratung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (D). Denn bisher bestand ihre Aufgabe weitgehend darin, dafür zu sorgen, dass die aus dem Tagesgeschäft sich ergebenden Aufgaben erfüllt werden; zudem überwachten sie das Erreichen der operativen Ziele.

"Nun müssen sie andere Menschen inspirieren und dazu motivieren, sofern nötig, gewohnte Pfade zu verlassen." Das haben die CEOs zuvor zwar auch getan - zum Beispiel als Leiter einer Unternehmenseinheit. Doch nun ist dies eine ihrer Kernaufgaben. Und ihre Gegenüber sind wie sie "Alpha-Tiere". Entsprechend vielfältig sind die Reibungspunkte auf der Top-Ebene von Unternehmen - "auch weil sich deren Mitglieder meist ähnlich misstrauisch beäugen wie konkurrierende Rüden in einem Wolfsrudel". Trotzdem müssen sie kooperieren, "obwohl die meisten Alpha-Tiere eher Einzelkämpfer als Teamplayer sind", so Kraus.

Kernfrage: Wie können wir die Wirksamkeit erhöhen?

Das erschwert es den Top Executives oft, (gemeinsam) die Wirkung zu entfalten, die zum Erfüllen der Erwartungen der Stakeholder und insbesondere der Shareholder nötig wäre. Doch dies ist ihnen vielfach nicht bewusst. Entsprechend selten kontaktieren Unternehmensführer externe Berater mit Anfragen wie: Können Sie mich (und meine Kollegen) dabei unterstützen, mehr Teamgeist zu entfalten?

Der Anlass für die Kontaktaufnahme stellt stets ein betriebliches Problem dar - zum Beispiel:

- "In unserer Matrixorganisation kooperieren die Bereiche nicht wie gewünscht. Deshalb ..." Oder:

- "In unserem nach der Fusion neu formierten Führungsteam gibt es unterschiedliche Führungsverständnisse. Deshalb ...".

Nach entsprechenden Kriterien erfolgt laut Dierke auch die Auswahl der externen Berater: "Die Top Executives müssen ihnen zutrauen, dass sie die Herausforderungen, vor denen ihre Organisation steht, kennen und verstehen und einen realen Beitrag dazu leisten können, diese zu meistern."

Diese Kompetenz schreiben Konzernmanager in der Regel nur Männern und Frauen zu, die ähnliche Biografien wie sie haben. Das heißt: Die Biografie von Beratern, die auf der CEO-Ebene von multinationalen Konzernen tätig werden möchten, muss eine gewisse Internationalität aufweisen. Ihr Curriculum Vitae muss zudem "’brands’ enthalten, die aus Sicht der Unternehmensführer für ‚Excellence’ stehen", betont Dierke. Dazu zählen die Namen solcher Ausbildungsinstitute wie Harvard und Insead oder die Namen von Beratungsgesellschaften wie McKinsey und der Boston Consulting Group. "Und im Idealfall haben sie mehrere Jahre auf der ‚Top Executive’-Ebene von Konzernen gearbeitet, die in den Augen der Vorstände echte ‚High Performer’ sind", betont Dierke, der unter anderem Vorstands-mitglied der Unternehmen Winterthur Insurance sowie Credit Suisse E-Business war.

Die Top-Entscheider wollen also, dass sich in der Biografie der Berater ihre Biografie widerspiegelt. Nur dann erachten sie diese als ebenbürtig. Völlig gleichgültig ist ihnen jedoch, ob der externe Unterstützer eine Coaching-Ausbildung durchlaufen hat. Hauptsache, er hat von ihrem und seinem Geschäft eine Ahnung.

Alpha-Tiere wollen gefordert werden

Eine solche Biografie ist aber kein Garant für einen Auftrag. Sie sorgt nur dafür, dass das Alpha-Tier an der Unternehmensspitze‚ "dem Berater fünf oder zehn Minuten Aufmerksamkeit schenkt", betont Peter Schreiber, Inhaber der Vertriebsberatung Peter Schreiber & Partner, Ilsfeld (D). "In dieser Zeit muss der Consultant dem Top-Entscheider das Gefühl vermitteln: Ich ticke ähnlich wie Sie. Ich spreche Ihre Sprache und bin ein ähnlich ‚tougher guy’ - ähnlich schnell im Denken, aktiv und output-orientiert."

Dies gelingt Beratern nicht, indem sie dem Manager nach dem Mund reden. Im Gegenteil, konstatiert Dierke. "Top-Entscheider wollen spüren: Mir steht eine Person mit Haltung gegenüber; zudem ein Mensch mit Rückgrat, der wie ich bereit ist, Risiken einzugehen - selbst auf die Gefahr hin, das Mandat zu verlieren." Denn nur dann entstehe bei ihnen das Gefühl: Dieser Berater kann mich und meine Kollegen fordern. Und nur wenn ein CEO diesen Eindruck hat, schenkt er einem Berater mehr als fünf Minuten seiner wertvollen Zeit. Denn: "Alpha-Tiere wollen von Alpha-Tieren beraten werden", betont Dierke. Nur Menschen mit einer solchen Ausstrahlung akzeptieren sie als Sparringspartner. Und tun sie das, dann messen sie deren Aussagen auch Bedeutung bei. Denn Alpha-Tiere wollen etwas bewegen und Spuren hinterlassen. Deshalb sind sie an einer klaren Rückmeldung, wie sie ihre Wirksamkeit erhöhen könnten, interessiert.

Ziel: die Wirksamkeit in der Organisation erhöhen

Klar sollte externen Beratern laut Elisabeth Heinemann, Professorin für Schlüsselqualifikationen an der Fachhochschule Worms, jedoch sein: "Beim Coachen von oberen Führungskräften geht es nicht darum, individuelle Schwächen zu beseitigen. Denn als Individuen sind die Top Executives bereits spitze - sonst hätten sie ihre Position nicht erreicht." Das Ziel lautet vielmehr: ihre Wirksamkeit (in der Organisation) erhöhen. Und dies ist nur möglich, wenn klar ist: Wie wirkt der betreffende Top-Manager beziehungsweise sein Verhalten auf sein Umfeld? Und: Welche Verhaltensweisen schmälern seine Wirksamkeit?

Deshalb sollte, wenn es darum geht, die Wirksamkeit eines Top Executives zu erhöhen, stets auch das Feedback seiner Kooperationspartner eingeholt werden. Darüber sind sich alle befragten Experten einig. Doch nicht nur dies. Den Partnern sollte auch mitgeteilt werden, was die ermittelten "Knackpunkte" sind und an welchen Punkten sowie mit welchem Ziel die betreffende Person ihr Verhalten ändern möchte. Denn nichts verunsichert Kollegen und Mitarbeiter so sehr, wie wenn ein CEO plötzlich scheinbar unmotiviert sein Verhalten ändert. Hierdurch wird er für sie unberechenbar.

Ähnlich verhält es sich, wenn die Wirksamkeit eines Führungsteams erhöht werden soll. Auch dann ist laut Kai W. Dierke "eine übertriebene Geheimhaltung kontraproduktiv". Den Teammitgliedern müsse vielmehr rasch vermittelt werden: Dies ist keine Spaßveranstaltung. Im Gegenteil! Hier geht es darum, die Wirksamkeit ihres Teams so zu erhöhen, dass zum Beispiel der anstehende Turnaround konsequent und ohne Bereichsegoismen gemanagt wird.

Im Fokus steht die "Business Challenge"

Der Anlass, initiativ zu werden, ist also eine "Business Challenge". Und Ziel des Prozesses ist es, die Dynamiken zu durchbrechen, die einem geschäftlichen Erfolg im Weg stehen. Hierfür ist es nötig, die individuellen und kollektiven Verhaltensweisen und -muster zu thematisieren, die die Performance schmälern.

Wie dies geschehen kann, erläutert Dierke an einem Beispiel. Angenommen, der Vorstand eines Konzerns hat das diffuse Gefühl: Unser Führungsteam arbeitet nicht optimal zusammen, und die "Disharmonien" wirken sich negativ auf die Ergebnisse des Gesamtunternehmens aus. Dann empfiehlt es sich ist oft, zunächst mit einem strukturierten Team Performance Assessment zu ermitteln: Wie wirksam arbeiten die Top-Executives zusammen? Wie werden Entscheidungen getroffen und kommuniziert? Von welchen Denk- und Verhaltensmustern lassen sie sich leiten? Und: Wie wirkt sich ihr Verhalten auf ihre Kollegen und Mitarbeiter aus?

Auf Basis der Ergebnisse von Interviews kann in einem Workshop mit den Top-Executives gezielt gearbeitet werden. In diesem Workshop muss der Berater eine klare Agenda aufstellen. Er muss den Teilnehmern zunächst noch einmal kurz und knapp vermitteln, worum es geht. Zum Beispiel, über alle Vorstandsbereiche hinweg so zusammenzuarbeiten, dass eine Umsatzrendite von 15 Prozent überhaupt möglich wird. Und dieses undiskutierbare Ziel setzt ein optimales Zusammenwirken der Führungsmannschaft voraus.

Der Berater muss die "Leader-Rolle" übernehmen

Ist der Rahmen definiert, kann der Berater die Ergebnisse des Team Assessments als Input geben - und zwar in einer für Manager gewohnten Form. Also zum Beispiel mittels Grafiken, die zeigen, in welchen Bereichen das Team bereits spitze ist und wo noch "Soll-Ist-Abweichungen" bestehen. Diese Gaps gilt es nicht nur zu konstatieren. Den Anwesenden muss vielmehr auch verdeutlicht werden, worin ihre persönliche Mitverantwortung beispielsweise bei mangelndem "Alignment" liegt. Zum Beispiel darin, dass Bereichsegoismen kultiviert oder Entscheidungen nicht frühzeitig nachvollziehbar begründet werden. Auch diese Defizite gilt es "unabweisbar" zu belegen - mit Beispielen aus der Unternehmenspraxis und mit anonymisierten Zitaten aus den Interviews.

Liegt der Befund auf dem Tisch, muss der Berater dem Team verdeutlichen, welchen Fragen es sich stellen muss, um

- die Performance des Teams zu steigern und

- sicherzustellen, dass das übergeordnete Ziel erreicht wird.

Der Berater muss in dem Workshop also Position beziehen. Und er muss, so Dierke, "die Rolle des Leaders übernehmen, der das Team dazu treibt, das zu tun, was nötig ist, um die geforderten Ergebnisse zu erzielen".

Angenommen, das Team Assessment ergab: Die Mitglieder der Führungsmannschaft misstrauen einander - was nicht unüblich ist. Deshalb verwenden sie viel Energie darauf, sich abzusichern und ihre eigenen Verantwortungsbereiche zu optimieren. Dann bewirkt es wenig, wenn der Berater mit den Top-Executives in Vier-Augen-Gesprächen darüber spricht. Darauf weist Georg Kraus hin. Die involvierten Personen müssen vielmehr an einen Tisch und gemeinsam offen darüber sprechen, welche Faktoren oder Handlungsmuster bei ihnen das Misstrauen bewirken. Denn nur dann können sie sich auf (Verhaltens-)Änderungen "committen", die allmählich zu mehr Vertrauen führen. Erst danach sind in der Regel individuelle Einzel-Coachings als Unterstützung sinnvoll - beispielsweise um Strategien zu erarbeiten, wie die Top-Executives künftig in bestimmten Situationen reagieren, um ihren Beitrag zum Schließen des konstatierten Gaps zu leisten.

Von (Konzern-)Managern erfordert es Mut, mit Kollegen oder Mitarbeitern beispielsweise darüber zu sprechen, was die Ursachen ihres Misstrauens sind. Die meisten Top-Executives sind aber zu solch "harten" Maßnahmen bereit, wenn sie wissen: Das ist nötig. Diese Erfahrung hat Dr. Kai W. Dierke gesammelt. Denn als Alpha-Tiere haben sie auch die Maxime "No pain, no gain" verinnerlicht. Deshalb springen sie auch über ihren Schatten, wenn dies für das Erreichen des übergeordneten Ziels unabdingbar ist. Und genau dies muss der externe Berater ihnen vermitteln. (oe)

Der Autor Bernhard Kuntz ist Inhaber der Agentur Die PRofilBerater GmbH, Eichbergstraße 1, 64285 Darmstadt, Tel: 06151 896590, E-Mail: info@die-profilberater.de, Internet: www.die-profilberater.de