Verkäufer haben umfassende Beratungspflichten

19.11.1998

BERLIN: Beim Verkauf von EDV-Anlagen ist nicht selten die Beratungspflicht des Verkäufers ein heikler Punkt. Die Informationspflichten des Verkäufers sind nämlich gesetzlich nicht geregelt. Die Rechtsprechung in Sachen Aufklärungspflichten basiert auf dem Gewohnheitsrecht, wie Niko Härting* berichtet.Zwar hat bereits eine Vielzahl von Gerichtsentscheidungen die Aufklärungs- und Beratungspflichten des Verkäufers einer EDV-Anlage konkretisiert. Die Anforderungen an die Beratung werden von den verschiedenen Gerichten jedoch noch immer nicht einheitlich bemessen. Als Leitlinie lassen sich zunächst folgende Überlegungen festhalten:

"Je fachkundiger der Verkäufer ist und je laienhafter das EDV-Verständnis des Kunden, desto größer sind die Erwartungen des Kunden. Die Rechtsprechung zieht daraus den Schluß, daß die Intensität der Beratung vom Wissen des Verkäufers abhängt.

"Je komplizierter die Anforderungen an eine DV-Anlage, desto größer ist die Bandbreite an möglichen Lösungen. Bei großen und komplexen IT-Systemen stellt die Rechtsprechung daher höhere Anforderungen in puncto Beratung und Aufklärung an den Verkäufer.

In der Rechtsprechung kommt der Dokumentation der konkreten Leistungsanforderungen in Form eines Pflichtenhefts eine große Bedeutung zu. Der Verkäufer einer EDV-Anlage hat nicht nur anhand der Angaben des Kunden Vorschläge für eine Problemlösung zu entwickeln; er muß vielmehr bereits darüber informieren, daß eine optimale Problemlösung die intensive Klärung der konkreten Anforderungen des Anwenders voraussetzt.

Am Pflichtenheft führt kein Weg vorbei

Bei umfangreicheren Systemanforderungen ist dem Verkäufer daher zu empfehlen, mit dem Kunden detailliert das Anforderungsprofil zu besprechen und in einem Pflichtenheft schriftlich festzuhalten. Wird bei komplexeren EDV-Systemen die Anfertigung eines solchen versäumt, neigt die Rechtsprechung dazu, dieses Manko dem Verkäufer als haftungsbegründendes Beratungsverschulden zur Last zu legen.

Zu einer intensiven Beratung gehört es nach Auffassung der Gerichte auch, die Betriebsräume, in denen die EDV-Anlage genutzt werden soll, in Augenschein zu nehmen. Verläßt sich der EDV-Verkäufer ausschließlich auf die Angaben des Kunden, läuft er Gefahr, sich haftbar zu machen, wenn sich beispielsweise später herausstellt, daß der Kunde aufgrund seiner EDV-Unerfahrenheit falsche oder unvollständige Angaben zu den Örtlichkeiten gemacht hat.

Einschränkungen bei der Beratungspflicht

Geringere Anforderungen an die Beratungspflichten des EDV-Verkäufers gelten nach der Rechtsprechung immer dann, wenn sich der Kunde bereits an anderer Stelle beraten hat lassen oder genaue Vorstellungen hat. Verkäufer können in diesem Fall davon ausgehen, daß der Kunde bereits vorinformiert ist und keiner intensiven Beratung mehr bedarf. Die Beratungspflicht beschränkt sich zudem auf die technischen Features der Anlage. Ob die kaufmännischen Angaben des Käufers richtig und vollständig sind, braucht der Verkäufer nicht kritisch zu prüfen. Der Grund: Verkäufer können naturgemäß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht kompetent genug beurteilen.

Die Beratungspflicht des Verkäufers reduziert sich zudem, wenn der Anwender die ihm angebotene Mitwirkung an dem Anforderungsprofil, das der Problemlösung zugrundeliegt, versäumt. Verweigert der Kunde die Mitwirkung an der Erstellung des Pflichtenhefts, kann er sich später nicht darauf berufen, daß er wegen eines fehlenden oder unvollständigen Pflichtenhefts falsch beraten worden ist.

EDV-Verkäufer, die ein Anforderungsprofil ermitteln, sollten auf mehrere Punkte achten:

"Zunächst ist es Aufgabe des Verkäufers, die Bedürfnisse des Anwenders zu erfragen und ihn bei der Formulierung der Anforderungen zu unterstützen. Jedenfalls gegenüber einem Laien besteht nach der Rechtsprechung die Pflicht, sich für Gespräche mit dem Kunden Zeit zu nehmen und genau auf dessen Bedürfnisse einzugehen.

"Gegenüber einem Laien besteht auch die Verpflichtung, ein wirtschaftlich sinnvolles Angebot zu erstellen. Bei unrealistischen Vorstellungen auf Kundenseite sollten Verkäufer durchaus ihre Bedenken anmelden. Spätere Vorwürfe eines Beratungsverschuldens lassen sich so vermeiden. Bei der Erstellung eines Angebots sind Käufer vollständig über die anfallenden Kosten aufzuklären. Dazu gehören auch Ausgaben für die Wartung und spätere Systemanpassungen. Vor überdimensionierten Lösungen sollte gewarnt werden. Sind verschieden teure Versionen eines Softwareprodukts verfügbar, so muß der Anbieter den Kunden hierauf hinweisen. Enthält ein Angebot Software einer älteren Version, ist der Kunde ebenfalls darauf aufmerksam zu machen. Ihm ist außerdem der Grund zu nennen, warum das Angebot in einer älteren Version vorliegt.

"Auch die Frage nach der Kapazität der EDV-Anlage hat bei einem Beratungsgespräch auf der Themenliste zu stehen. Ist absehbar, daß die gewählte Lösung bald nach dem Kauf an Kapazitätsgrenzen stoßen wird, besteht eine Hinweispflicht. Das gilt auch für den umgekehrten Fall, wenn die Leistung des verkauften Systems mit Blick auf die Bedürfnisse des Anwenders überdimensioniert erscheint.

Auch auf günstigere Versionen hinweisen

Wie streng die Anforderungen an die Beratungspflichten sein können, belegt ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 22.10.1993 (Aktenzeichen 19 O 260/93). In dem Fall ging es um den Inhaber einer Autowerkstatt, der bei einem EDV-Anbieter "branchenspezifische Software" kaufte. Die Bezahlung verweigerte der Mittelständler allerdings mit der Begründung, der Verkäufer habe ihn nicht darauf aufmerksam gemacht, daß es neben der ihm angebotenen Softwarelösung noch eine "abgespeckte" und wesentliche günstigere "Einsteigerversion" gab.

Das Kölner Oberlandesgericht unterstrich in seinem Urteil klar das Beratungsverschulden des Verkäufers, der den Kunden auf die günstigere Produktversion hätte hinweisen müssen. Dies sei insbesondere deshalb nötig gewesen, da der Kunde nur sehr einfache Ansprüche an die Lösung hatte und über keine EDV-Kenntnisse verfügte.

Es wäre Aufgabe des Verkäufers gewesen, sich über die Bedürfnisse des Kunden zu informieren. Daß er ihm einfach die "teuerste Version angedient" habe, stelle einen Beratungsfehler dar. Folge: Der Kunde mußte den Preis für die Software nicht bezahlen.

Ähnlich strenge Maßstäbe legte das Landgericht Celle in einer Entscheidung vom 21.2.1996 (Aktenzeichen 13 U 255/95) an. In jenem Fall ging es um ein Fuhrunternehmen, das eine EDV-Anlage für das Bestellwesen und die Finanzbuchhaltung benötigte. Der Verkäufer hatte mehrere Beratungsgespräche mit dem Geschäftsführer des Unternehmens geführt. Den Mitarbeitern wurden dann die ausgewählten Programme auch vor Ort demonstriert.

Software muss Anforderungen des Kunden erfüllen

Nach dem Kauf stellte sich jedoch heraus, daß die gelieferte Software Fachbegriffe aus der Fuhrparkbranche nicht aufnahm und nicht in der Lage war, eine Auftragsbearbeitung zu gewährleisten. Das OLG Celle bejahte trotz der durchaus intensiven Gespräche und der Präsentation, die dem Kauf vorausgegangen waren, eine Verletzung der Beratungspflicht. Und zwar mit der Begründung, daß der Kunde ersichtlich ein Computerlaie war und es Aufgabe des Verkäufers gewesen sei, dessen exakte Bedürfnisse zu ermitteln. Der Fuhrunternehmer erhielt die volle Rückzahlung des Kaufpreises gegen Rückgabe der Computeranlage zugesprochen.

Etwas mildere Maßstäbe legte das Oberlandesgericht Dresden in einer Entscheidung vom 8.7.1998 an (Aktenzeichen 8 U 3525/97). Ein Dachdeckerbetrieb hatte bei einem Händler, der auf Computerprogramme spezialisiert war, Software erworben. Diese erwies sich nach Ansicht des Käufers im nachhinein als "überdimensioniert und überteuert".

Preisvergleiche sind Aufgabe des Kunden

Der Dachdecker warf dem Verkäufer insbesondere vor, nicht darüber aufgeklärt worden zu sein, daß die ihm angebotene Software auch für größere Handwerksbetriebe geeignet und teurer als Konkurrenzprodukte war. Diese wiederum seien spezifisch auf kleinere Handwerksbetriebe zugeschnitten. Überraschend verkäuferfreundlich entschied das OLG Dresden, daß es nicht Sache des Verkäufers gewesen sei, den Käufer auf "rentablere" Konkurrenzprodukte hinzuweisen. Da der Dachdeckermeister den Verkäufer nicht nach Konkurrenzprodukten gefragt hatte, konnte er nach Auffassung der Dresdener Richter auch nicht erwarten, daß der Verkäufer von sich aus auf günstigere Konkurrenzangebote aufmerksam macht.

Die Beratungspflichten des EDV-Anbieters gehen - so läßt sich die Entscheidung des OLG Dresden deuten - nicht so weit, daß sich der Anbieter durch ausdrückliche Hinweise auf die "billigere Konkurrenz" das eigene Geschäft vermasseln muß. Die strengen Anforderungen an die Aufklärungs- und Beratungspflicht des EDV-Verkäufers kennen somit auch Grenzen.

* Rechtsanwalt Niko Härting leitet die Berliner Kanzlei Härting und ist auf die Themen Multimedia und Immobilien spezialisiert.