Bereiche und Werke besuchen, Feedback geben

Warum die Führungsspitze Präsenz zeigen sollte

31.01.2014 von Renate Oettinger
Wie konsequent bei strategischen Projekten beschlossene Maßnahmen umgesetzt werden, hängt auch davon ab, wie stark sich das Top-Management - für die Mitarbeiter erkennbar - engagiert, sagt Daniela Kudernatsch.
Wer sein Unternehmen oder seinen Bereich steuern will, sollte direkten Kontakt zur Belegschaft haben.
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Wenn Unternehmen herausfordernde strategische Ziele erreichen möchten, dann benötigen sie in ihrer Organisation ein Review-System, das sicherstellt, dass

- die beschlossenen Maßnahmen konsequent umgesetzt werden und

- die definierten Ziele erreicht werden.

Hierfür hält das auch Policy Deployment genannte Managementsystem Hoshin Kanri - in Ergänzung zu den traditionellen Methoden - eine neuartige Review-Methode bereit: die sogenannte Presidents Diagnosis. Diese wird so genannt, weil bei ihr der Präsident (beziehungsweise das Topmanagement) persönlich alle Werke, Standorte und/oder Bereiche des Unternehmens besucht. So besucht zum Beispiel der Präsident von Toyota einmal pro Jahr alle Werke, um deren Fitness zu beurteilen. Die Presidents Diagnosis bindet also das Topmanagement an ein systematisches Review, das die Umsetzung der Strategie überprüft.

Frühwarnsystem

Die Presidents Diagnosis, die zu den Hoshin Kanri-Standard-Tools zählt, eignet sich vorzüglich, um strategische Veränderungen voranzutreiben. Außerdem ist sie ein bewährtes Frühwarnsystem. Während beim Shopfloor-Management der Fokus darauf liegt, die Ursachen für kurzfristige Abweichungen oder Fehler zu entdecken und zu beseitigen, konzentriert sich die Presidents Diagnosis darauf, die Entwicklung des Unternehmens und seiner Bereiche zu überprüfen.

Bei der Presidents Diagnosis wird der Fortschritt des Unternehmens anhand folgender elf Kategorien gemessen: 1. Management, 2. Finanzmanagement, 3. Human Resources, 4. Supply Chain Management, 5. IT 6. Qualität, 7. Vertrieb und Marketing, 8. Engineering, 9. Herstellung, 10. Instandhaltung und 11. Material und Logistik.

Jede Kategorie wird dabei entsprechend ihres aktuellen Stands in den Phasen Plan, Do, Controll, Act des PDCA-Zyklus bewertet. Zusätzlich wird eine fünfte Phase, die Scan-Phase, hinzugefügt, die dem eigentlichen PDCA-Zyklus vorgelagert ist und besagt: Ein Problem (oder eine "Soll-Ist-Abweichung") wurde erkannt und seine Ursache bereits analysiert, aber es wurde noch kein Plan zur Beseitigung erstellt. Es steht sozusagen noch unerledigt auf der To-do-Liste.

Drei Phasen der Presidents Diagnosis

Die Presidents Diagnosis selbst besteht aus drei Phasen:

1. Selbstdiagnose der Bereiche/Werke (durch die Hoshin-Teams),

2. (die eigentliche) Presidents Diagnosis durch das Topmanagement und

3. Anerkennung der Zielerreichung durch das Topmanagement.

Phase 1: Selbstdiagnose der Bereiche/Werke (durch die Hoshin-Teams)

Anders als der Name nahelegt, ist an der Presidents Diagnosis nicht nur das Topmanagement beteiligt. Hierbei handelt es sich vielmehr um ein unternehmensweites System zur Selbstbewertung durch alle Prozess-Beteiligte. Alle Bereiche beziehungsweise Hoshin-Teams nehmen einmal jährlich eine Selbst-Diagnose der Entwicklung ihres PDCA-Zyklus vor. Hiermit sind folgende Teilaufgaben verbunden:

- Performance-Kennzahlen zusammenstellen:

Für das Review werden Informationen über die eigene Performance benötigt. Wenn Shopfloor-Management und Hoshin-Boards installiert sind, stehen diese Informationen automatisch zur Verfügung.

- Hoshin-Teams vorbereiten:

In der Vorbereitung auf die Selbst-Diagnose überprüft jedes Hoshin-Team die Zielerreichung sowie ihre A3-Reports. Außerdem stellen sie sicher, dass alle Teammitglieder die Grundlagen und Kategorien der Presidents Diagnosis sowie die damit verbundene PDCA-Logik kennen. Mit einer sogenannten Diagnostic-Scorecard werden die elf Kategorien bewertet und den fünf Phasen zugeordnet. Dabei wird für Scan 1 Punkt vergeben und für Plan 2 Punkte, für Do 3 Punkte, für Check 4 Punkte und für Act 5 Punkte.

- Diagnoseformular vorbereiten:

Bei der geplanten Begehung des eigenen Bereichs sollen alle Teammitglieder für jede zu bewertende Kategorie und/oder Unterkategorie ein Diagnose-Formular ausfüllen. Dieses gilt es zunächst zu erstellen. Ganz oben in dem Formular werden die relevanten Kategorien, die untersuchte Einheit und das Diagnose-Team eingetragen. Außerdem formuliert das Hoshin-Team Diagnosefragen, auf deren Basis die Bewertung und die Zuordnung zur PDCA-Phase erfolgen.

Persönlich vor Ort erscheinen

- Bereichsbegehung:

Bei der Bereichsbegehung überprüfen die Teammitglieder, inwieweit seit der letzten Diagnose Verbesserungen erzielt wurden. Die Begehung sollte außer den produktiven Bereichen, auch die Service- und administrativen Bereiche umfassen. Die Teammitglieder sammeln bei der Begehung die wesentlichen Informationen. Sie achten zum Beispiel darauf, ob visuelle Informationen, wie zum Beispiel ein Hoshin-Board, das tägliche Management und Reporting unterstützen.

- Beobachtungen dokumentieren:

Während der Begehung notieren die Teammitglieder auf ihren Diagnoseformularen Beobachtungen, die ihre Einschätzungen und Bewertungen unterstützen. Diese Beobachtungen tragen sie in die entsprechenden Formularspalten ein.

- Analysieren, Entwicklung bewerten, Radar-Chart erstellen:

Im Anschluss an die Begehung trifft sich das Hoshin-Team, um die Bewertung für ihren Bereich vorzunehmen. Die Bewertungstabelle (siehe Abbildung 1) erleichtert es, sich im Team auf einen Score zu einigen. Nach der Bewertung wird ein Radar-Chart erstellt, um den Entwicklungsverlauf der einzelnen Kriterien besser erkennen zu können. Dieses Chart eignet sich gut, um die Ergebnisse zum Beispiel Mitarbeitern, Führungskräften und Kollegen zu präsentieren und ihnen ein schnelles Feedback über den Fortschritt der Hoshin-Aktivitäten zu geben.

Phase 2: (Die eigentliche) Presidents Diagnosis durch das Top-Management

In Vorbereitung auf die jährliche Presidents Diagnosis überprüft und interpretiert das Topmanagement die Ergebnisse der Selbst-Diagnosen der Hoshin-Teams. Es formuliert Fragen und Anmerkungen hierzu und lässt diese den Teams vor dem Besuch zukommen. Nach den Besuchen nimmt das Ma-nagement eine Gesamtbewertung des Unternehmens vor und teilt diese inklusive schriftlicher Empfehlungen den Hoshin-Teams mit. Die einzelnen Schritte der Presidents Diagnosis sind:

- Vorbereitung des zu besuchenden Bereichs:

Vor der Begehung schickt das Topmanagement seine Fragen und Anmerkungen aufgrund der Selbst-Diagnose des Bereichs sowie die Agenda an das zu besuchende Team.

Vorbesuchs-Bericht

- Hoshin-Team erstellt einen Vorbesuchs-Bericht:

Anhand der Fragen und Anmerkungen verfasst das Hoshin-Team noch vor dem Besuch einen Bericht und schickt diesen an das Topmanagement. Dieser Bericht sollte konkret und nicht länger als zwei Seiten sein. Der Vorbesuchs-Bericht darf jedoch A3-Reports im Anhang enthalten.

- Topmanagement bereitet das Diagnoseformular vor:

Für die unternehmensweite Diagnose formuliert das Topmanagement für jedes Kriterium Fragen. Die-se sind weiter als die Fragen bei der Selbst-Diagnose durch die Hoshin-Teams gefasst. So sollte das Diagnose-Formular des Topmanagements zum Beispiel auch Fragen enthalten, die den Strategieumsetzungsprozess betreffen.

- Top-Management besucht das Werk/den Bereich:

Der Besuch eines Werkes oder eines Standortes durch das Topmanagement dauert circa einen Tag; bei Bereichen ist er meist kürzer. Die Diagnose durch das Topmanagement verläuft wie die Selbst-Diagnose. Der Fokus der Presidents Diagnosis liegt jedoch auf der Integration und der Umsetzung von Methoden, Systemen usw. sowie der Entwicklung von Ressourcen und Fähigkeiten. Zweck des Besuchs ist es, wettbewerbsfähige Ressourcen zu entwickeln - und nicht Schuldzuweisungen zum Beispiel bei einer schlechten Performance vorzunehmen. Deshalb sollte das Topmanagement als Coach und Mentor auftreten und zum Beispiel erklären, wie ein Problem besser gelöst werden könnte.

- Top-Management nimmt eine unternehmensweite Bewertung vor:

Wie bei der Selbst-Diagnose der Hoshin-Teams trifft sich das Topmanagement im Anschluss an den Besuch, um die Bewertung des besuchten Werks oder Bereichs beziehungsweise des Gesamtunternehmens vorzunehmen. Das Ergebnis wird ebenfalls mit Radarcharts, die die Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr sichtbar machen, visualisiert.

Schriftliches Feedback

- Top-Management gibt schriftliches Feedback:

Um das verbale Coaching und Mentoring während der Diagnose zu verfestigen, verfasst das Top-Management ein schriftliches Feedback mit den Beobachtungen beim Besuch und stellt es als Bericht mit der Bewertung den betreffenden Standorten oder Bereichen zur Verfügung. Dieses Feedback enthält unter anderem:

- positive Ergebnisse,

- identifizierte Verbesserungsbereiche,

- empfohlene kurz- und langfristige Maßnahmen,

- Notwendigkeit von Schulungen und Trainings.

Wichtig ist, dass das Positive bestärkt wird und Wege zur Optimierung empfohlen werden.

Schritt 3: Anerkennung der Zielerreichung durch das Top-Management

Nach der Presidents Diagnosis sollte die Zielerreichung jedes Teams gewürdigt und der Erfolg gefeiert werden. Feiern ist der beste Weg, um die harte Arbeit im vergangenen Jahr anzuerkennen und die Teams, Einheiten und Bereiche noch stärker zusammenzubringen. Dieses Feiern kann auch im Rahmen einer Veranstaltung erfolgen, bei der das Topmanagement wichtige Ergebnisse und Erkenntnisse der Presidents Diagnosis vorstellt und die Leistung der Mitarbeiter würdigt.

Die Presidents Diagnosis hat sich bei Strategieumsetzungsprojekten als Review- und Steuerungsinstrument bewährt. Nicht nur, weil sie den Review-Prozess ausgehend von den Zielen sehr stark systematisiert und operationalisiert, weit entscheidender ist: Das Top-Management wird hierdurch aktiv in den Umsetzungsprozess einbezogen und kommuniziert mit den Umsetzungsverantwortlichen auf der operativen Ebene über das (Noch-nicht-)Erreichte. Das schärft das Bewusstsein des Top-Managements für die Herausforderungen, vor denen die Werke und Bereiche im Alltag stehen.

Stellenwert signalisieren

Zugleich wird hierdurch an die Bereiche das Signal gesandt: Das Top Management misst einer konsequenten und nachhaltigen Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen eine sehr hohe Bedeutung bei. Das erhöht die Verbindlichkeit in der gesamten Organisation. Insofern ist die Presidents Diagnosis auch ein kulturveränderndes Instrument - unter anderem weil das Topmanagement auch eine Vorbildfunktion vor allem für die Führungsmannschaft im Unternehmen hat.

Weitere Infos:

Dr. Daniela Kudernatsch ist Inhaberin der Unternehmensberatung KUDERNATSCH Con-sulting & Solutions in Straßlach bei München, die Unternehmen beim Umsetzen ihrer Strategie im Betriebsalltag unterstützt. Im März 2013 erschien ihr neuestes Buch "Hoshin Kanri - Unternehmens-weite Strategieumsetzung mit Lean-Management-Tools" (Tel.: 08170 92233, E-Mail: in-fo@kudernatsch.com, Internet: www.kudernatsch.com).