Strategische Chancen stärker nutzen

Warum Service Chefsache sein muss

19.10.2011
Firmen können mit offensivem Servicevertrieb Märkte erschließen und sichern, sagt Peter Schreiber.

In vielen Industriegüterunternehmen wird der Service lediglich als "Cash Cow" und Margen-Bringer verstanden und missbraucht. Die strategischen Möglichkeiten des Services hingegen, zum Markterfolg des Unternehmens beizutragen, werden nur selten konsequent genutzt.

Ursprünglich beruhte der Markterfolg der Industriegüteranbieter weitgehend auf der Leistungsfähigkeit und Qualität ihrer Produkte. Und der Service? Er war lediglich die notwendige Folge des Produktvertriebs. Die Kunden erwarteten einen After-Sales-Service - zum Beispiel die Versorgung mit Ersatzteilen sowie die Inspektion und Wartung der Maschinen. Also bekamen sie ihn. Dies war die Zeit des reaktiven Verkaufs von After-Sales-Serviceleistungen.

Doch in den vergangenen Jahren hat sich das Blatt gewendet. Aufgrund des häufig bestehenden technischen Patts zwischen den Produkten der Industriegüteranbieter entscheidet sich heute der Erfolg nicht mehr allein über die Leistungsfähigkeit und Qualität der Produkte. Entscheidend für den Markterfolg ist mehr und mehr die kundenorientierte Gesamtlösung - also der Nutzen, den der Kunde während der gesamten Nutzungsdauer aus dem Gesamtpaket "Produkt plus Service" zieht.

Service ist heute mehr als After-Sales-Service

Die logische Konsequenz: Viele Unternehmen bauen ihr Serviceangebot für die Kunden aus und der klassische After-Sales-Service wird zunehmend um einen

- Pre-Sales-Service (zum Beispiel technische Planung und betriebswirtschaftliche Beratung) und

- Ad-Sales-Service (zum Beispiel Montage, Inbetriebnahme, Supervision beim "Start of Production", kurz SOP).

ergänzt - unter anderem, weil die Unternehmen in der offensiven Vermarktung von solchen kunden- und nutzungsorientierten Service-Paketen eine Chance, sich gegenüber ihren Mitbewerbern zu profilieren, sehen. Und die Produkte? In ihnen wird zunehmend nur noch ein Mittel, um die von den Kunden gewünschte "ganzheitliche" Lösung zu realisieren, gesehen.

Zu Recht! Denn: "Der Kunde braucht - zugespitzt formuliert - "keine Bohrer, er braucht Löcher". Be-zogen auf die offensive Vermarktung von Serviceleistungen bedeutet dies:

- "Der Kunde braucht keine Ersatzteile, er braucht Standzeit."

- "Er braucht keine Störungsbeseitigung, er braucht Störungsvermeidung und Prozesssicherheit."

- "Er braucht Verfügbarkeit, Prozesskostenreduzierung, Gesamtanlagen-Effizienz".

- Und, und, und.

Eine solche kundennutzenorientierte Marktbetrachtung und -bearbeitung trägt Früchte. Das beweisen heute schon viele "First-Tier-Lieferanten", also bevorzugte System- und Modullieferanten, sowie Generalunternehmer, die für ihre Kunden lösungsorientiert Pakete aus Produkten und Service-/Dienstleistungen schnüren und/oder ihnen ein Performance-Contracting oder Betreibermodelle offerieren. Hersteller werden zunehmend zu herstellenden Dienstleistern.

Service ist nicht nur eine Chance zur Differenzierung

Eine zentrale Voraussetzung für eine solche Markt(bearbeitungs-)strategie ist nicht nur die entsprechende strategische Positionierung des Bereichs Service im Markt, sondern zuallererst im eigenen Unternehmen. Wichtig ist zudem die Erkenntnis, dass heute ein offensiver Servicevertrieb mindestens ebenso wichtig ist wie ein aktiver Produktvertrieb. Die damit zusammenhängenden Grundsatzentscheidungen können nur vom Top-Management eines Unternehmens getroffen werden. Dieses ist und bleibt auch der Motor dafür, dass sich der für das Umsetzen einer solchen Strategie erforderliche Bewusstseinwandel in der (gesamten) Organisation vollzieht. Diese Positionierung und konzeptionelle Umsetzung ist Chefsache. Hier sind Geschäftsleitung und Vorstand gefordert!

Welche strategischen Möglichkeiten bietet ein offensives Servicekonzept, um den Markt- und Serviceerfolg zu steigern?

1. Differenzierung von den Wettbewerbern

- Kundengewinnung und

- Wettbewerber-Verdrängung

2. Sicherstellen der Kundenzufriedenheit

- Kundensicherung / Kundenloyalisierung

- Kundenausbau / Folgegeschäft

- Forcieren der Weiterempfehlungen

- Durchsetzen besserer Preise im Neu- und Folgegeschäft

3. Quelle für zusätzlichen Umsatz mit lukrativem Deckungsbeitrag

- Steigerung des Gewinns

4. Anwendungsbetreuung eigener und fremder Produkte als Informationsquelle für Marktanalyse und über Anwenderbedarf

- kontinuierliche Verbesserung von Prozessen, Produkten und Dienstleistungen (KVP) sowie Entwicklung von Innovationen im eigenen Unternehmen.

Diese vier Aspekte sind alle in der Industriegüterbranche bekannt. Trotzdem wird meist nur auf einem "Instrument" gespielt; nur ganz selten wird daraus strategisch ein professionelles "Orchester" geformt.

Das Top-Management ist gefragt

Warum werden die strategischen Potenziale des Services meist nicht konsequent genutzt? Die 2010 von der Hochschule Mannheim in Zusammenarbeit mit Peter Schreiber & Partner erstellte Studie "Vermarktung von Serviceleistungen in der Industriegüterbranche" nennt hierfür, ebenso wie mehrere aktuelle Expertenbefragungen, unter anderem folgende Ursachen:

- Die Geschäftsleitungen/Vorstände vieler Unternehmen unterstützen zwar positiv das Vermarkten von Serviceleistungen, sie sehen darin aber (noch) nicht einen bedeutsamen Hebel zum Realisieren der Unternehmensvision.

Man spricht firmenintern und in den Unternehmensbroschüren zwar von markt- und kundengerechten Lösungen, zugleich wird jedoch zugelassen, dass im Tagesgeschäft dabei nach wie vor nur an Pro-dukte und deckungsbeitragsträchtige Ersatzteile gedacht wird - statt auch an die vier strategischen Dimensionen des Service zu denken.

Dort, wo Service kein bedeutsames Element der Vision ist, fehlt natürlich auch die formulierte Strategie.

Folglich gibt es auch keine differenzierten Arbeitsziele für die Vertriebs- und Servicemitarbeiter, professionellen Vermarktungspläne sowie konkreten Budgets (zum Beispiel für Marketing und Personal). Auch ein differenziertes Controlling fehlt.

- Die für das Vermarkten der Serviceleistungen verantwortlichen Führungskräfte sind oft von der Geschäftsleitung/dem Vorstand nicht eindeutig instruiert und haben für diese Aufgabe auch nicht die notwendige Qualifikation bekommen.

Sie betrachten das gezielte Forcieren der Vermarktung der Serviceleistungen nicht als eine ihre strategischen Kernaufgaben. Sie haben für den Verantwortungsbereich "Vermarktung von Serviceleistungen" keine Balanced Score Card und keinen Selling-Plan. Und da sie zudem von ihrer Geschäftsleitung beziehungsweise ihrem Vorstand beim Wahrnehmen der Aufgabe "Strategische Vermarktung der Serviceleistungen" keine persönlich engagierte Unterstützung erfahren, gerät diese Aufgabe im operativen Tagesgeschäft vielfach aus dem Blick.

- Die Vertriebs- und Servicemitarbeiter sind für einen offensiven Serviceverkauf nicht adäquat qualifiziert und trainiert. Zudem sind sie nicht mit den nötigen verkaufsfördernden Tools ausgerüstet.

Die Mitarbeiter spüren diese Defizite und "sperren" sich entweder mental gegen den Verkauf von Serviceleistungen oder stellen entsprechende Versuche nach einiger Zeit frustriert ein.

Was ist zu tun?

Wie können diese Defizite behoben werden und die strategischen Chancen eines Service-Vermarktungskonzeptes offensiv genutzt werden? Zunächst muss die Geschäftsleitung beziehungsweise der Vorstand eine strategische Grundsatzentscheidung treffen, welche Rolle der Bereich Service beim Realisieren der Unternehmensvision und Erreichen der Unternehmensziele spielt. Ist der Bereich Service diesbezüglich relevant, ist nach den Regeln des Projektmanagements ein Projekt "Service Excellence" aufzulegen. Dieses strategisch wichtige Projekt muss Chefsache sein und bleiben! Dies bedeutet: Im Lenkungsausschuss des Projekts ist die Geschäftsleitung/der Vorstand persönlich vertreten.

Und die Projektleitung? Sie muss zunächst eine Marktanalyse durchführen - und daraus die verschiedenen strategischen und organisatorischen Optionen ableiten. Nach der Diskussion dieser Optionen im Lenkungsausschuss ist dann für den Service-Bereich eine erste Balanced Scorecard mit Marketing- und Selling-Plan auszuarbeiten, die Jahr für Jahr weiter entwickelt werden.

Fazit

In der Industriegüterindustrie hängt der Markterfolg der Unternehmen schon lange nicht mehr nur von der Leistungsfähigkeit und Qualität ihre Produkte, Komponenten und Anlagen ab. Gefragt sind kundenspezifische Lösungen, die den Kunden helfen, ihre Prozesse zu optimieren und wettbewerbsfähiger zu sein, damit sie wiederum ihre Lösungen ihren Kunden erfolgreich verkaufen können.

Nur wenn Industriegüteranbieter ihre Kunden mit ihren Lösungen wettbewerbsfähiger machen, verdienen diese Kunden Geld, das sie dann wieder beim Anbieter in neue, noch bessere Lösungen investieren können. Solche kundenorientierte Lösungen bestehen grundsätzlich aus Produkten im Zusammenspiel mit (Service-)Dienstleistungen. Deshalb ist ein Verankern des Services in der Unternehmensstrategie und ein professionelles Vermarktungskonzept speziell für die Service-Dienstleistungen unabdingbar. (oe)

Der Autor Peter Schreiber ist Dipl.-Betriebswirt BA und Inhaber der auf die Investitionsgüterindustrie spezialisierten Management- und Vertriebsberatung Peter Schreiber & Partner, Ilsfeld bei Heilbronn.
Kontakt:
Tel.: 07062 96968, E-Mail: sekretariat@schreiber-managementpartner.de, Internet: www.schreiber-managementpartner.de

Hinweis: Die Studie "Vermarktung von Serviceleistungen in der Industriegüterbranche" kann beim Institut für Unternehmensführung der Hochschule Mannheim (E-Mail: ifu@hs-mannheim.de; Tel.: 0621/292-6151) und bei der Unternehmensberatung Peter Schreiber & Partner angefordert werden. Sie kostet 95 Euro (inkl. Versand).