Berufsgenossenschaft und Co.

Was tun bei Arbeitsunfällen?

24.02.2010
Michael Henn und Christian Lentföhr stellen das Wichtigste zur Arbeitnehmerunfallversicherung vor.

Der versicherte Personenkreis in der Unfallversicherung ergibt sich aus §§ 2ff. SGB VII. Danach sind primär wieder die abhängig Beschäftigten bzw. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung versichert, sowie über die anderen Versicherungszweige hinausgehend aber auch geringfügig Beschäftigte und andere im Einzelnen konkret in § 2 SGB VII aufgeführte Personengruppen. Träger der Unfallversicherung sind in erster Linie die Berufsgenossenschaften.

Im Unterschied zu den anderen Versicherungszweigen tragen die Beiträge zur Unfallversicherung die Unternehmer allein und wird die Beitragshöhe am Grad der Unfallgefahren von den Versicherungsträgern als "Gefahrtarife" gemäß § 157 SGB VII festgesetzt. Unternehmer können sich gemäß § 6 SGB VII freiwillig versichern.

Die Aufgabe des Unfallversicherungsträgers umfasst zunächst präventive Maßnahmen wie insbesondere den Erlass von Unfallverhütungsvorschriften gemäß § 15 SGB VII. Insoweit wird auch auf die Ausführungen zu Ziffer IV.B.3 verwiesen.

Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten

Versicherungsfälle der Unfallversicherung sind gemäß § 7 I SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

Berufskrankheiten i.S.d. § 9 SGB VII sind Krankheiten infolge einer versicherten Tätigkeit. Zunächst gelten nach § 9 I SGB VII als Berufskrankheiten die sogenannten Listenkrankheiten, die in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) aufgeführt sind.

Gemäß § 9 II SGB VII "haben" jedoch die Unfallversicherungsträger auch eine nicht in der BKVO verzeichnete Krankheit "wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen", wenn im Zeitpunkt der Entscheidung nach den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen von einer Krankheit auszugehen ist, die i.S.d. § 9 I S. 2 SGB VII durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen ein bestimmter Personenkreis durch seine versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt ist. Erkrankt ein Versicherter an einer Listenerkrankung, so besteht gemäß § 9 III SGB VII die gesetzliche Vermutung, dass die Erkrankung von der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

Ein Arbeitsunfall gemäß § 8 I SGB VII ist gegeben, wenn ein Versicherter einen Unfall infolge der versicherten Tätigkeit (z.B. auch Botengänge, Dienst- bzw. Lieferfahrt) erleidet, wobei der Unfall als zeitlich begrenztes Ereignis auf den Körper einwirkt und zu einem Gesundheitsschaden bzw. zum Tod führt. Das Unfallereignis muss unfreiwillig sein, da absichtliches Handeln grundsätzlich Unfallversicherungsleistungen ausschließt. Allein die etwaige Verbotswidrigkeit des Handelns schließt gemäß § 7 II SGB VII einen Versicherungsfall nicht aus. Gemäß § 8 II SGB VII umfasst die einen Arbeitsunfall begründende versicherte Tätigkeit auch die in den Nr. 1 - 4 des § 8 II SGB VII bezeichneten in Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehenden unmittelbaren Wege bzw. gemäß § 8 II Nr.5 SGB VII den Umgang mit Arbeitsgerät.

Ausschlaggebend: das Durchschreiten der Außentür

Als Begrenzung der Qualifizierung als gemäß § 8 II SGB VII geschützter unmittelbarer Weg zwischen Ort der betrieblichen Tätigkeit und Privatbereich gilt das jeweilige Durchschreiten der Außentür. Der Versicherungsschutz bei einem derartigen Wegeunfall besteht nur so lange, wie der Weg nicht der Privatsphäre, also z.B. eigenwirtschaftlichen Erledigungen vor und nach einem Weg im Sinne der Nr.1-4 des § 8 II SGB VII zuzurechnen ist. Eigenwirtschaftlich motivierte Unterbrechungen des direkten Wegs zur Arbeitsstätte beseitigen den Versicherungsschutz - sofern es sich nicht um äußerst geringfügige eigenwirtschaftliche "Abstecher im Vorübergehen" handelt. Nach Rückkehr auf den versicherten Arbeitsweg lebt der Unfallversicherungsschutz wieder auf.

Von einem - außer im Fall des geringfügigen "Abstechers" - nicht unfallversicherten Um- oder Abweg auf dem Weg nach oder vom Ort der versicherten Tätigkeit ist der Weg von oder nach einem anderen dritten Ort als der Wohnung zu unterscheiden, der als Ausgangs- oder Zielpunkt des unfallversicherten Weges von oder nach der versicherten Tätigkeit zu werten ist. Hierzu ist eine vom BSG bisher nicht klargestellte längere Verweildauer in der Regel von mindestens ein bis zwei Stunden vorausgesetzt sowie auf die sonstigen Umstände des Einzelfalles hinsichtlich des Zusammenhangs mit der betrieblichen Tätigkeit sowie bei keiner übermäßigen Risikoerhöhung abgestellt. So wurde vom BSG z.B. Unfallversicherungsschutz auf dem jeweiligen Weg von bzw. zur Arbeitsstätte bejaht, wenn ein Arbeitnehmer regelmäßig das Wochenende in seinem Schrebergarten verbringt.

Betriebsbezogenheit

Bei einem "Arbeitsunfall" muss das Unfallereignis über den reinen zeitlich-räumlichen Zusammenhang hinaus in innerem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Hinsichtlich der Betriebsbezogenheit des Arbeitsunfalls als rechtlich erhebliche Folge einer betrieblichen Tätigkeit ist im Einzelfall bei z.B. privat und beruflich gemischten Tätigkeiten auf die Wesentlichkeit der Bedingung abzustellen. Das heißt, dass im Einzelfall abzuwägen ist, ob die jeweilige Verrichtung zumindest wesentlich - nicht unbedingt überwiegend - betrieblichen Interessen gedient hat. Dies ist dann zu bejahen, wenn die Tätigkeit auch ohne den privaten Zweck vorgenommen worden wäre. Im zweiten Schritt muss als Voraussetzung für den unfallversicherungsrechtlichen Entschädigungsanspruch der Arbeitsunfall zumindest wesentliche Mitbedingung für den Gesundheitsschaden bzw. Tod sein.

Als private und damit nicht unfallversicherte Tätigkeiten gelten z.B.:

- grundsätzlich Einnahme von Mahlzeiten, auch während Betriebszeit bzw. in Betriebsstätte (Ausnahmen z.B.: betrieblich bedingte besondere Eile oder besonderes Hunger- bzw. Durstgefühl aufgrund versicherter Tätigkeit oder wenn besondere betriebliche Umstände den Versicherten dazu veranlassten, seine Mahlzeit an einem bestimmten Ort wie z.B. Werkskantine einzunehmen; Urteil des BSG vom 24.02.2000 zu B 2 U 20/99)

??- Beschaffung von Zigaretten, Kaffee und sonstigen Genussmitteln

??- Besorgen einer Lohnsteuerkarte u.ä.

??- Besorgung aus eigenem Antrieb - ohne konkrete Weisung des Ausbilders oder Berufsschullehrers - zur Vorbereitung auf Prüfungsarbeiten (Urteil des BSG vom 18.04.2000 zu B 2 U 5/99 R)

Wie ist die Rechtslage bei einem Streit?

Kein Unfallversicherungsschutz wird auch dann angenommen, wenn Versicherte während einer versicherten Tätigkeit in Streit geraten, außer der Streit ist seinerseits unmittelbar aus einer versicherten Tätigkeit entstanden.

Als versicherte Tätigkeiten der betrieblichen Sphäre gelten z.B.:

?- Teilnahme an bzw. Vorbereitungshandlungen zu betrieblichen Veranstaltungen, wenn von der Betriebsleitung getragen und im Interesse der betrieblichen Gemeinschaftsförderung

??- Betriebssport, wenn im Rahmen des Ausgleichszwecks und nicht mit allgemeinem sportlichem Wettkampfcharakter

??- Aufsuchen des Arbeitgebers wegen Kündigung

??- innerdienstliche Betriebs- und Arbeitswege in Ausführung der versicherten Tätigkeit wie z.B. Botengänge, Lieferfahrten, Dienstreisen

Leistungen

Die Leistungen der Unfallversicherung umfassen gemäß §§ 26 ff SGB VII Heilbehandlung (medizinische Rehabilitation), Berufshilfe (berufliche Rehabilitation) und Geldleistungen wie Verletztengeld, Übergangsgeld, Verletztenrente, Hinterbliebenenrente, Sterbegeld und Überführungskosten.

Weitere Informationen zum Thema und Kontakt:

Michael Henn, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Präsident des VdAA, c/o Dr. Gaupp & Coll, Stuttgart, Tel.: 0711 305893-0, E-Mail: stuttgart@drgaupp.de, Internet: www.drgaupp.de und www.vdaa.de

Christian Lentföhr, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Mitglied im VdAA, c/o W. Schuster und Partner GmbH, Schuster, Lentföhr & Zeh, Tel.: 0211 658810, E-Mail: lentfoehr@wsp.de, Internet: www.esp.de