LiMux als Windows-Ersatz in der Kritik

Wohin steuert Linux in München?

01.10.2014 von Alexander Hoffmann und Alexander Roth
Linux hat Windows auf den Rechnern der Stadtverwaltung von München komplett ersetzt. Doch das Projekt LiMux wurde zuletzt massiv kritisiert – unter anderem von mehreren Politikern. Stimmen fordern die Rückkehr zu Windows. Wir geben einen Überblick und fragen betroffene Anwender.

Auf den Rechnern der Stadtverwaltung von München hat Linux Windows ersetzt – im Rahmen des Projekts LiMux. Doch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) und dessen Stellvertreter Josef Schmid (CSU) kritisieren LiMux in aller Öffentlichkeit. Beide sind aber keine IT-Experten. Wie zufrieden sind die städtischen Angestellten und Beamten mit LiMux & Co also wirklich? Was ist seit Projektabschluss passiert? Kollegen von unserer Schwesterpublikation PC-Welt haben bei den LiMux-Nutzern nachgefragt und einen tiefen Einblick in das IT-Projekt der Stadt München erhalten.

Das LiMux-Projekt stand in den vergangenen Wochen mehrfach in der Kritik. Aber ist die Kritik berechtigt?
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LiMux basiert auf dem bewährten Ubuntu

LiMux, die IT-Evolution der Stadt München, gilt als ein Leuchtturm-Projekt der Opensource-Gemeinde. Seit Dezember 2013 ist die Migration abgeschlossen und die Landeshauptstadt ist fast komplett frei von proprietärer Software: 15.000 PCs werden in der Stadtverwaltung mit LiMux betrieben.

In den vergangenen Wochen stand LiMux mehrfach in der Kritik: Sabine Nallinger, OB-Kandidatin der Münchner Grünen, brachte während der Kommunalwahl in München den Stein ins Rollen. Auf Facebook äußerte sich die Stadträtin über mangelnde Performance und fehlender Usability: "[…] Die Referate sind verzweifelt. Softwareanforderungen werden nicht erfüllt oder nur mit unendlicher Verzögerung und voller Fehler. Das führt zu Frust an der Verwaltungsbasis, langen Wartezeiten für die Bürger und teurem Personalmehrbedarf. […] Ich will die Verwaltung stark machen und Sand aus dem Getriebe nehmen. Ob die Lösung mit oder ohne Microsoft geht, das ist mir egal […]".

Auch der Münchner Bürgermeister Josef Schmid hat in einem Interview mit der AZ seinen Ärger über LiMux Luft gemacht: Beispielsweise fehlen ihm in Anwenderprogrammen "zahlreiche Funktionen, die sonst gängig sind". Er wünsche sich ein Programm, um Mails, Kontakte und Termine zu vernetzen. Die Tatsache, dass er vier Wochen auf sein Dienst-Smartphone warten musste, war für ihn "nicht mehr zeitgemäß".

Laut Schmid würden sich auch die Beschwerden der Mitarbeiter häufen. Der SZ sagte er: "Egal in welches Referat ich komme, überall kriege ich bestätigt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darunter leiden. Das müssen wir ändern". Eine unabhängige Expertengruppe sollte eine Rückkehr zu Microsoft prüfen.

Der frühere LiMux-Projektleiter Peter Hofmann versteht die Kritik der Bürgermeister hingegen nicht. Ihm sind keine schwerwiegenden Probleme bekannt, bei dem die IT sofort reagieren müsse. Auch Robert Kotulek, IT-Beauftragter der Stadt München, versteht nicht, was die Dienst-Smartphones mit LiMux zu tun haben sollen. Im Computermagazin des BR sagte er: "Das Einrichten eines Mobilen-Endgeräts hat nichts mit dem Betriebssystem zu tun."

Was sind die konkreten Probleme von LiMux?

Die Open Source Business Alliance (OSBA), Deutschlands größtes Netzwerk von Unternehmen und Organisationen, die Open-Source-Software entwickeln und anwenden, hat der Stadt München bereits Unterstützung bei Problemen mit Linux oder quelloffener Software angeboten. Doch damit die OSBA helfen kann, müssen die Probleme erst identifiziert werden. Die Stadtratsfraktion "Freiheitsrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung" hat eine umfassende Bestandsaufnahme über die Schwachstellen von LiMux gefordert.

Ein Sprecher der Stadtverwaltung stellte jedoch klar, dass die Analyse nicht nur eine Rückmigration von Linux zu Microsoft prüfen werde. Stattdessen werde eine hausinterne Untersuchung die gesamte IT-Infrastruktur behandeln, um Aufschluss über das Ausmaß der Probleme und somit die mögliche Unzufriedenheit der Nutzer zu erhalten.

OB Dieter Reiter wolle sich erst wieder zum Thema äußern, wenn die Untersuchung abgeschlossen ist. Auch das Presse- und Informationsamt der Landeshauptstadt München hat einer Befragung der LiMux-Anwender und -Administratoren nicht zugestimmt.

Screenshot des LiMux-Clients, wie Mitarbeiter der Stadtverwaltung ihn täglich sehen.
Foto: Landeshauptstadt München

Das Thema liegt auf Eis, über die Gründe kann man nur spekulieren. Lässt sich auch ohne die Studienergebnisse ein Eindruck über die Nutzerzufriedenheit gewinnen?

Das sagen die Anwender über LiMux & Co

Unsere Kollegen von der PC-Welt waren auf Spurensuche und haben einige Anwender gefunden, die bereits seit Jahren in der Stadtverwaltung tätig sind. Die Befragten sind allesamt zwischen 30 und 60 Jahren alt und besitzen unterschiedliche Computer-Kenntnisse. Sie waren so freundlich und haben einer Veröffentlichung ihrer Erfahrungen zugestimmt, möchten aber anonym bleiben.

Sollte die Landeshauptstadt wirklich wieder zu Microsoft zurückkehren, müssen die rund 30.000 Mitarbeiter wieder umgeschult werden. Der Wissensstand der Mitarbeiter wurde bei Windows 2000 eingefroren.
Foto: davis - Fotolia.com

Ist die installierte Open Office Version veraltet und unbenutzbar?

LiMux-Anwender1: "Ob OpenOffice total veraltet ist, kann ich nicht beurteilen, da ich nicht sehen kann, wann welche Version irgendwie geupdatet wird. Dafür fehlt mir das technische Hintergrundwissen, so dass ich mich auch nicht so sehr mit dieser Thematik auseinandersetze. Wichtig ist für mich, dass es funktioniert und das tut es zum Glück."

OpenOffice wird in den nächsten Wochen durch LibreOffice ersetzt werden. Als weitere Anwendungen werden Thunderbird (Version: 3.1.10) und Mozilla Firefox (Version 3.6) eingesetzt. Also uralte Versionen dieser beiden Anwendungsprogramme – unter Ubuntu Linux stehen längst viel modernere Versionen dieser beiden Programme zur Verfügung!

Wie kommen Sie mit einem vier Jahre alten Firefox zurecht?

LiMux-Anwender1: "Der veraltete Firefox stört nur insofern, als manche Seiten nicht optimal angezeigt oder Inhalte abgespielt werden können. Aber allzu häufig bin ich während der Dienstzeit ja auch nicht im Internet. Der Gruppenkalender funktioniert zwar, aber ich benutze den als einfacher Sachbearbeiter eigentlich nicht. Das nutzen eher unsere Vorgesetzten für die Terminierung von Besprechungen, etc."

Warum wird der Firefox nicht aktualisiert?

LiMux-Anwender2: "Das immer noch die Version 3.6 Verwendung findet, ist dem Umstand geschuldet, dass einige, von der LHM (Landeshauptstadt München) entwickelte, browserorientierte Anwendungen eben unter 3.6 entwickelt wurden und nur damit vollumfänglich funktionieren."

Wie ist Ihr Gesamteindruck von LiMux?

LiMux-Anwender3: "Ich hatte mit LiMux bisher noch keine großen Probleme. Es ist mir ziemlich egal, ob ich mit MS Word oder mit OpenOffice Writer arbeite. Bisher hatte ich auch noch keine Programmabstürze. Nur unsere interne Software "Wohnen in München" (WIM) stürzt häufiger ab, aber das hat nichts mit dem Betriebssystem zu tun. Die Anmeldeprozedur am PC läuft aber wirklich recht träge, es dauert schon mindestens fünf Minuten, bis ich auf den Desktop gelange."

Sollte die Landeshauptstadt wirklich wieder zu Microsoft zurückkehren, müssen die rund 30.000 Mitarbeiter wieder umgeschult werden. Aus informierten Kreisen erfuhr PC-Welt, dass – bis auf einige Windows-XP-Rechner, die weiter als Insellösungen für Spezialsoftware benötigt werden – alle Clients auf Linux umgestellt worden sind. Der Wissensstand der Mitarbeiter wurde bei Windows 2000 eingefroren. Davon ist auch die Bürosoftware betroffen, denn bereits unter Windows wurde Thunderbird und OpenOffice genutzt. Ein Umstieg zu Microsoft Office würde auch eine Migration von allen Formblättern und Formularen mit sich ziehen, die aktuell mit der hauseigenen OpenOffice Extension Wollmux erstellt und bearbeitet werden.

"Warum zurück zu Microsoft?"

Bündnis 90 / Die Grünen und die Rosa Liste im Münchner Stadtrat haben eine offizielle Anfrage an den Oberbürgermeister gestellt, in der sie mit einem Fragenkatalog Klarheit in den Gerüchten rund um LiMux schaffen wollen. Gleich die erste Frage bezieht sich darauf, ob eine Re-Migration zu Microsoft ernsthaft in Betracht gezogen wird. Sie fragen auch nach den konkreten Beschwerden, die die interne Untersuchung ausgelöst haben soll.

Es bleibt spannend, wie sich die Stadtregierung für die weitere Entwicklung ihrer IT-Infrastruktur entscheiden wird. Solange das Ergebnis der internen Untersuchung nicht bekannt ist, wird die Gerüchteküche rund um LiMux weiterhin angeheizt. Die bisher genannten Kritikpunkte lassen sich fachlich nicht nachvollziehen.

Einige Zitate: Das sagen Mitarbeiter im Netz zu LiMux

"Ich bin selbst Münchner, die Stadtverwaltung funktioniert und eine Bekannte, die dort arbeitet, hat mir auch bestätigt, dass die IT eigentlich rund läuft." (ein Zitat aus dem heise.de-Forum)

"Das finde ich ja sehr interessant, dass hier über Linux gejammert wird. Ich sitze zufälligerweise direkt an einem Linux-Arbeitsplatz und habe direkten Kontakt zum Admin und würde es aus erster Quelle erfahren, wenn da was wäre." (Facebook-Kommentar zu einem LiMux-Posting)

"Laut Kumpel der mit #LiMux arbeitet, ist der überwältigende Anteil aller Kollegen mit der Migration hochzufrieden und will nicht zurück." (unverändertes Originalzitat aus einem Twitter-Tweet)

Politische Gegner, aber seit Mitte 2014 Koalitionspartner: Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter von der SPD (l.) und der Zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU)
Foto: Michael Nagy/Presseamt München

Rückblick: Wie alles begann – Parteien-Zank und Microsoft-Intervention

LiMux begann 2001 mit dem Antrag eines einzelnen SPD-Abgeordneten, Gerd Baumann: Er war übersät mit Alternativen zu Microsoft-Produkten: "Diese Marktmacht von Microsoft hat mich schon immer gestört, dass die einfach diktieren konnten, wann wir was zu welchem Preis kaufen müssen."

Zu Microsoft gäbe es keine Alternativen. So lautete dann aber die Antwort der IT-Verwaltung auf den Antrag des Stadtrats. Doch das war ein Ergebnis, mit dem sich der Ausschuss nicht zufrieden stellen wollte. Dieser forderte eine erneute Prüfung durch externe Experten.

Die zweite Untersuchung brachte eine technologische sowie ökonomische Machbarkeit einer Migration von Microsoft nach Linux. Doch bei der Vorstellung der Pläne schienen die Politiker nicht sonderlich begeistert. Einer der beteiligten IT-Kräfte erläutert: "Als wir erstmalig mit unserem Linux-Vorschlag im Herbst 2002 in die IT-Kommission sind, da haben wir Prügel gekriegt [lacht herzlich], da habe ich geglaubt, wir brauchen gar nicht mehr weitermachen, da sind wir wie die begossenen Pudel nach Hause gegangen."

Der damalige Oberbürgermeister Christian Ude nutzte das trockene Thema "IT in der Verwaltung" dann aber geschickt als Chance zur politischen Profilierung und ebnete damit den Weg für LiMux. Nach heftigem parteipolitischem Gezerre zwischen rot-grüner Stadtführung, CSU-Oposition und Microsoft, politisch motiviertem Widerstand von Teilen der Münchner CSU, die der rot-grünen Stadtregierung eines auswischen wollten, widersprüchlichen Äußerungen des damaligen CSU-Stadtrates Robert Brannekämper und der vergeblichen Intervention des damaligen Microsoft-Chefs Steve Ballmer gelang schließlich der Umstieg und die Münchner Stadtverwaltung wurde Windows-freie Zone. (tö)