Seit 1. Juli 2008 in Kraft

Das neue Pflegezeitgesetz und seine Folgen für den Arbeitgeber

24.07.2008
Das neue Pflegezeitgesetzt enthält einige bedeutende Änderungen des Arbeitsrechts. Rechtsanwalt Dr. Christian Salzbrunn erklärt die Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der Deutsche Bundestag am 14.03.2008 das neue Pflegezeitgesetz (kurz: PflegeZG) verabschiedet. Dieses Gesetz trat zum 01.07.2008 in Kraft und enthält einige bedeutende Änderungen des Arbeitsrechts. Die einzelnen Bestimmungen dieses Gesetzes sind im Internet auf der Website des Deutschen Bundestages (www.bundestag.de) in der Bundestagsdrucksache (BT-Drucks.) 16/7439 auf den Seiten 27 und 28 zu finden.

Ziel dieses Gesetzes ist, Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern (§ 1 PflegeZG). Dabei unterscheidet das Gesetz zwischen zwei unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen, gerichtet auf eine Freistellung von der Arbeitspflicht: einen Anspruch auf eine kurzzeitige Arbeitsbefreiung für eine Dauer von bis zu 10 Arbeitstagen (§ 2 PflegeZG) und einen Anspruch auf Gewährung einer Pflegezeit von einer Dauer von längstens 6 Monaten (§ 3 PflegeZG).

1. Kurzzeitige Arbeitsverhinderung, § 2 PflegeZG

Bei akut auftretenden Pflegesituationen haben Beschäftigte nach § 2 Abs. 1 PflegeZG das Recht, bis zu einer Dauer von zehn Arbeitstagen der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen nahen pflegebedürftigen Angehörigen eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen. Einer konkreten Zustimmung oder einer sonstigen Mitwirkungshandlung von Seiten des Arbeitgebers bedarf es dabei nicht.

Dieser Anspruch besteht unabhängig von der bisherigen Dauer des Arbeitsverhältnisses, so dass ein Arbeitnehmer schon vom ersten Arbeitstage an eine solche Freistellung geltend machen kann. Anders als bei der Pflegezeit nach § 3 PflegeZG spielt die Größe des Unternehmens dabei keine Rolle.

Nach § 2 Abs. 2 PflegeZG sind die Beschäftigten verpflichtet, dem Arbeitgeber ihre Verhinderung an der Arbeitsleistung und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich (d. h. ohne schuldhaftes Zögern) mitzuteilen. Dabei ist auf Verlangen des Arbeitgebers auch eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen und die Erforderlichkeit der Pflege durch den Beschäftigten vorzulegen.

Sofern nichts anderes vereinbart ist, besteht nach § 2 Abs. 3 PflegeZG während der kurzzeitigen Arbeitsbefreiung grundsätzlich kein Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung. Allerdings kann sich eine Verpflichtung zur Fortzahlung der Vergütung aus vertraglichen Vereinbarungen oder aufgrund gesetzlicher Vorschriften ergeben. Hier ist namentlich § 616 S. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) zu berücksichtigen, wonach ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Vergütung behält, wenn er lediglich für eine kurze Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert ist. Insoweit war schon unter dem bisherigen Recht die kurzzeitige Betreuung eines erkrankten eigenen Kindes oder sonstigen Angehörigen anerkannt. Zwar stellt diese Regelung in § 616 S. 1 BGB kein zwingendes Recht dar, so dass dieser Anspruch auf Lohnfortzahlung während der Dauer der Pflege naher Angehöriger theoretisch ausgeschlossen werden kann. Unklar ist aber noch, ob dieser Ausschluss auch in einem formularmäßig vorformulierten Arbeitsvertrag vorgenommen werden kann.

2. Pflegezeit, § 3 PflegeZG

Bei längerfristig auftretenden Pflegesituationen haben Beschäftigte das Recht, maximal für die Dauer von 6 Monaten (vgl. § 4 PflegeZG) ganz oder teilweise mit ihrer Arbeit auszusetzen, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in der häuslichen Umgebung pflegen möchten, § 3 Abs. 1 PflegeZG. Im Unterschied zum Anspruch auf kurzzeitige Arbeitsbefreiung besteht ein solcher Anspruch aber nur gegenüber Unternehmen, die regelmäßig mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigen (wobei anders als beim Kündigungsschutzrecht auch Auszubildende und auch Teilzeitbeschäftigte voll zählen). Während der Freistellung in der Pflegezeit erhält der Arbeitnehmer - ebenfalls im Unterschied zur kurzzeitigen Arbeitsbefreiung - regelmäßig keinerlei Vergütung. Der § 616 BGB findet hier keine Anwendung, da es sich nicht mehr um eine Verhinderung für eine kurze Zeit handelt.

Der § 3 PflegeZG gewährt dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Freistellung im Sinne eines einseitigen Gestaltungsrechts, so dass es einer ausdrücklichen Freistellungserklärung von Seiten des Arbeitgebers nicht bedarf. Es reicht nach § 3 Abs. 3 PflegeZG aus, wenn der Arbeitnehmer sein Freistellungsverlangen spätestens 10 Arbeitstage vor Beginn der Freistellungsphase beim Arbeitgeber schriftlich ankündigt und im Rahmen dessen erklärt, für welchen Zeitraum und in welchem Umfange er mit der Arbeit aussetzen möchte.

Will der Arbeitnehmer nur teilweise aussetzen, muss er dem Arbeitgeber die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit angeben. Nach § 3 Abs. 4 PflegeZG haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer dann eine schriftliche Vereinbarung über die Verringerung und die Verteilung der Arbeitszeit zu treffen. Den Wünschen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber zu entsprechen. Der Arbeitgeber kann den Wunsch des Arbeitnehmers lediglich bei dringenden betrieblichen Gründen ablehnen. Welche Gründe das im Einzelnen sind, ist im Gesetz aber nicht geregelt. Hier wird man sich wohl in der Zukunft an die zur Elternteilzeittätigkeit gem. § 15 Abs. 7 Nr. 4 BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz) entwickelte Grundsätze zu orientieren haben.

Die beim Angehörigen eingetretene Pflegebedürftigkeit ist vom Arbeitnehmer in jedem Falle - und nicht nur auf Verlangen des Arbeitgebers - durch Vorlage einer Bescheinigung der Pflegekassen oder des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (kurz: MdK) nachzuweisen, vgl. § 3 Abs. 2 PflegeZG.

3. Ergänzende Regelungen

Ergänzt werden diese beiden zentralen Regelungen in § 2 und § 3 PflegeZG zunächst durch die Begriffsdefinitionen in § 7 PflegeZG. Einen Anspruch auf Freistellung haben nach § 7 Abs. 1 PflegeZG alle Beschäftigten, wozu vor allem Arbeitnehmer, Auszubildende und arbeitnehmerähnliche Personen gehören. Als nahe Angehörige gelten nach § 7 Abs. 3 PflegeZG Eltern, Schwiegereltern, Großeltern, Ehegatten, Lebenspartner, Geschwister, Kinder (sowohl leibliche als auch angenommene) sowie Enkel. Dagegen werden Onkeln und Tanten nicht als nahe Angehörige vom Gesetz erfasst. Eine Pflegebedürftigkeit wird nach § 7 Abs. 4 PflegeZG in den Fällen angenommen, in denen der Angehörige wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage ist, die gewöhnlichen und regelmäßigen Dinge des täglichen Lebens auf Dauer alleine zu verrichten.

Für Arbeitgeber wird des Weiteren von besonderem Interesse sein, dass Beschäftigte gemäß § 5 Abs. 1 PflegeZG von dem Zeitpunkt der Ankündigung bis zum Ende der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung bzw. der Pflegezeit einen Sonderkündigungsschutz erhalten. In dieser Zeit dürfen Arbeitsverträge weder ordentlich noch fristlos gekündigt werden. Nur in besonderen Fällen kann eine Kündigung von der obersten Landesbehörde für Arbeitsschutz für zulässig erklärt werden. Gerade hier sind natürlich gewisse Missbrauchsfälle denkbar, indem Beschäftigte ein Pflegezeitverlangen stellen, nur um in den Genuss dieses Kündigungsschutzes zu gelangen. Wie die Arbeitsgerichte hier entgegenwirken werden, bleibt künftig abzuwarten.

Der Gesetzgeber möchte den Arbeitgebern andererseits dergestalt entgegen kommen, indem diese gem. § 6 PflegeZG die Möglichkeit erhalten, etwaige Pflegezeiten ihrer Mitarbeiter mit Hilfe von befristeten Arbeitsverträgen zu überbrücken. Die Regelung ist aber im Grunde genommen überflüssig, da schon unter derzeit geltendem Recht der Sachgrund der Vertretung über § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz) anerkannt ist.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die hier beschriebenen Vorschriften des PflegeZG zwingendes Recht darstellen. Von ihnen darf weder in einzelvertraglichen Vereinbarungen, noch in Tarifverträgen oder Betriebsvereinbarungen zum Nachteil der Beschäftigten abgewichen werden. Etwaige nachteilige Vereinbarungen wären gem. § 134 BGB unwirksam und damit letztlich das Papier nicht wert, auf dem sie stünden. Abweichungen zugunsten der Beschäftigten sind indes möglich. 4. Fazit

Inwieweit dieses neue Gesetz in der Zukunft tatsächlich von betroffenen Arbeitnehmern angenommen wird, kann nur spekuliert werden. Denn vor allem der Anspruch auf Freistellung für die Pflegezeit gem. § 3 PflegeZG ist ohne Lohnfortzahlung ausgestaltet, so dass eine Inanspruchnahme dieser Rechte von der persönlichen finanziellen Leistungsfähigkeit der jeweiligen Arbeitnehmer abhängen wird.

Grundsätzlich ist ein solches Gesetz gesellschaftspolitisch zu begrüßen. Auf der anderen Seite wird die Personalplanung für Unternehmen ein weiteres Mal erschwert. Vor allem die kurze Ankündigungsfrist von nur 10 Tagen für die Pflegezeit wird Unternehmen künftig erhebliche Probleme bereiten, da es zumeist schwierig ist, innerhalb einer so kurzen Zeit einen Ersatz für die freigestellten Mitarbeiter zu finden. Daher ist es durchaus ratsam, wenn Arbeitgeber künftig entsprechende Vorsorgemaßnahmen betreiben (z. B. durch entsprechende Kontakte mit Leiharbeitsunternehmen). Außerdem enthält das neue Gesetz auch weitere Gefahren für Arbeitgeber, indem z. B. Mitarbeiter durch missbräuchliche Antragstellungen theoretisch den Sonderkündigungsschutz des § 5 PflegeZG erschleichen könnten.

Der Autor: Dr. Christian Salzbrunn arbeitet als Rechtsanwalt in Düsseldorf. Zu seinen Tätigkeitsschwerpunkten zählen das Arbeitsrecht, Wirtschaftsrecht sowie die Themen Insolvenz und Inkasso. Kontakt und weitere Informationen: Telefon +49 (0)2 11. 1 75 20 89-0, Telefax +49 (0)2 11. 1 75 20 89-9, E-Mail: info@ra-salzbrunn.de, Internet: www.ra-salzbrunn.de (mf)