Jahresrückblick 2017

Der Star des Jahres: Künstliche Intelligenz

29.12.2017 von Martin Bayer
Während die Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz immer wieder staunen lassen und Hersteller mit Hochdruck daran arbeiten, KI-Funktionen fest in ihre Produkte und Services zu integrieren, warnen etliche Experten vor der Gefahr, die Technik könnte sich verselbständigen. Zudem sind viele Sorgen hinsichtlich massiver Umbrüche in Arbeit und Gesellschaft nicht ausgeräumt.

Staunen, Hoffnung, Ängste, Streit - die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz haben 2017 für unterschiedlichste Emotionen und Reaktionen gesorgt. Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler und Entwickler, die Fähigkeiten der menschlichen Intelligenz mit Hilfe von Technik, Schaltkreisen und Maschinen nachzuahmen oder gar zu übertreffen. Nun scheinen sie diesem Ziel immer näher zu kommen. Was künstliche Intelligenz, die auf immer leistungsstärkeren Computern und modernsten Algorithmen basiert, zu leisten vermag, verblüffte in den zurückliegenden Monaten viele Menschen.

Künstliche Intelligenz (KI) hat im zurückliegenden Jahr ein ums andere Mal viele Menschen verblüfft.
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Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence)

Staunen - besser spielen, sehen, …

Für Schlagzeilen sorgten etwa die Poker-KI "Libratus" und "DeepStack". Bis dato galt das Glücksspiel als menschliche Domäne. Zwar gab es schon in der Vergangenheit Computerprogramme, die klassische Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung nutzten, Poker-Profis waren damit aber nicht zu schlagen. Das hat sich mittlerweile geändert. Libratus und DeepStack haben selbst die besten Profispieler der Welt alt aussehen lassen.

Libratus wurde von Wissenschaftlern der Carnegie-Mellon-University entwickelt und trat im Januar gegen vier Profi-Poker-Spieler an. Vom 11. bis 30. Januar 2017 wurden im Rivers Casino im US-amerikanischen Pittsburgh 120.000 Hände Texas-Hold'em-Pokerblätter gespielt. Am Ende waren Jimmy Chou, Dong Kim, Jason Les und Daniel McAuley besiegt. Libratus hatte die Profi-Spieler nach allen Regeln der Kunst abgezockt. 1.766.250 Dollar hätte die KI gewonnen, wenn es bei dem Spiel um reale Dollars gegangen wäre.

Dabei standen die Chancen für die menschlichen Spieler eigentlich nicht schlecht. Poker stellt eine besonders komplexe Herausforderung für KI dar. Während bei Spielen wie Schach und Go mit offenen Karten gespielt wird und den Spielern jederzeit alle Informationen wie Stellung, Position und Zahl der Figuren beziehungsweise Spielsteine zugänglich sind, gilt es beim Pokern mit unvollständigen Informationen klarzukommen. Keiner der Spieler - auch die KI nicht - weiß, welche der 52 Karten aktuell im Spiel sind. Dazu kommen Bluffs, um die Gegner in die Irre zu führen.

Libratus hat die Profi-Pokerspieler besiegt. Tuomas Sandholm (Mitte mit Krawatte), der das Projekt an der Carnegie-Mellon-University geleitet hat, freut sich über den Erfolg seines KI-Systems.
Foto: RiversCasino

Das macht Poker für Maschinen extrem komplex. Doch Libratus hat gelernt, sich auf die menschliche Spielweise und die damit ver­bundenen Unwägbarkeiten einzustellen. Man habe das KI-System anfangs wohl etwas unterschätzt, räumte Pokerprofi Chou ein. Die Maschine sei jeden Tag besser geworden. Zwar hätten sich die Spieler ausgetauscht, um gemeinsam Schwachstellen der Poker-KI herauszufinden. "Bei jeder Schwäche, die wir fanden, lernte Libratus von uns", stellte Chou aber fest. "Und am nächsten Tag war sie verschwunden."

Weiter gelernt hat auch "AlphaGo", das von Googles KI-Tochter Deepmind entwickelte System, das 2016 Lee Sedol, einen der weltbesten Go-Spieler, regelrecht vom Brett fegte. Dabei hatten Experten zuvor prognostiziert, es werde noch Jahre dauern, bis eine Maschine das japanische Spiel besser beherrsche als ein Mensch. Schließlich gebe es zu viele Kombinationsmöglichkeiten, die Steine zu positionieren, als dass pure Rechenpower alle Optionen durchrechnen könne.

Damit lagen sie falsch. Die Deepmind-Entwickler fütterten AlphaGo mit zehntausenden Partien und ließen das System gegen sich selbst spielen, damit das neuronale Netz lernen und sich laufend verbessern konnte. Anfang des Jahres bezwang die neue Version "Master" die weltbesten Go-Spieler mit 60 zu 0. Ein weiterer bedeutender Schritt gelang Deepmind dann im Herbst. Benötigten die ersten AlphaGo-Versionen noch rechenstarke Compute-Boliden, kommt die jüngste Variante "Zero" mit deutlich einfacherer Hardware aus. Der Grund: Zero muss nicht mehr tausende von Partien analysieren. Die Entwickler brachten dem neuronalen Netz lediglich die Spielregeln bei und ließen es dann gegen sich selbst spielen. In drei Tagen spielte Zero etwa 4,9 Millionen Go-Partien und trat dann gegen seinen KI-Vorgänger an, der zuvor Sedol gedemütigt hatte. Das Ergebnis: Zero siegte mit 100 zu 0.

AlphaGo von Google.
Foto: Google

Doch nicht nur im Spiel, auch in der Kunst finden sich Einsatzmöglichkeiten für KI. Informatiker an der Rutgers University in New Jersey haben ein intelligentes Bilderkennungssystem entwickelt, dass in der Lage ist, Fälschungen von originalen Kunstwerken zu unterscheiden. Das funktioniert derzeit zumindest bei Strichzeichnungen beispielsweise von Pablo Picasso oder Henri Matisse. Die KI orientiert sich bei der Analyse der Zeichnungen ausschließlich an der Art der Linienführung. Zunächst zerlegten die Forscher 300 Zeichnungen der Künstler in 800.000 Einzelstriche. Anhand dieser Striche lehrten sie das System, die Zeichnungen einzelnen Künstlern zuzuordnen. Bei Farbgemälden stößt das Verfahren allerdings noch an seine Grenzen, denn hier lassen sich einzelne Pinselstriche meist nur schwer auseinanderzuhalten. Doch die Wissenschaftler sind zuversichtlich, die Bandbreite ihrer Kunst-KI weiter steigern zu können. Denn wer weiß, wie viele Meisterwerke noch unentdeckt in Dachböden oder Kellern schlummern. Und dass im Kunstmarkt viel Geld zu machen ist, hat zuletzt die Versteigerung des "Salvator Mundi" von Leonardo da Vinci für rund 450 Millionen Dollar gezeigt.

Macht - Chinas Fünf-Jahres-Plan für KI

Das Thema KI spielt längst auch in politischen Überlegungen eine wichtige Rolle. Dabei dreht es nicht mehr nur um die Frage, inwieweit die Technik Arbeitsplätze und Gesellschaften verändert. Vielmehr stehen Überlegungen im Vordergrund, welche Vorteile Staaten aus KI-Technik ziehen könnten. Beispielsweise plant China einen regelrechten Investitionsschub in diesem Segment. Bis 2025 will das Reich der Mitte international eine führende Rolle im Bereich KI spielen, lautet die Vorgabe des Staatsrats. Dafür sollen grenzübergreifende Kooperationen vorangetrieben werden, hieß es. Konkret in Zahlen: Von 2020 bis 2015 soll sich der Wert der chinesischen KI-Industrie von 19 auf über 50 Milliarden Euro mehr als verdoppeln, so der Fünf-Jahres-Plan der kommunistischen Parteikader.

Die chinesische Straatsführung hat sich das Thema KI ganz groß auf die Fahnen geschrieben.
Foto: Gang Liu - shutterstock.com

Auch Russlands Präsident Wladimir Putin beschäftigt sich mit KI. Wer hier einen Durchbruch erziele, könne damit die Welt beherrschen, glaubt der Autokrat. KI eröffne "kolossale Möglichkeiten und Gefahren, die sich schwer vorhersagen lassen", sagte Putin vor Studenten. "Wer in diesem Bereich die Führung übernimmt, wird Herrscher der Welt". Es sei daher nicht wünschenswert, dass jemand in diesem Bereich eine Monopolstellung erreiche. Sollte Russland ein solcher Durchbruch gelingen, werde sein Land diese Technik aber mit dem Rest der Welt teilen, versicherte der einstige KGB-Chef.

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Darum geht es bei Artificial Intelligence

Machine Learning: Anbieter und Trends auf einen Blick

Während Staaten wie China die KI-Entwicklung offensiv angehen, treten andere Institutionen erst einmal auf die Bremse. Das Europaparlament forderte in einer Resolution umfassende Gesetze für Roboter und KI auf EU-Ebene. Wenn Maschinen Entscheidungen treffen, müsse geklärt werden, wer haftet, wenn etwas schief geht. Gerade selbstlernende Roboter müssten reglementiert werden, hieß es. Einzelne Parlamentarier brachten eine Art Pflichtversicherung ins Spiel. Außerdem müsse eine Art Verhaltenskodex entwickelt werden. Diskutiert wurde zudem über eine Art Not-Abschaltfunktion. Die Abgeordneten forderten eine eigene Behörde für Robotik und KI.

Auch die grüne Ex-Verbraucherschutzministerin Renate Künast forderte die Politik auf, sich intensiver mit der Macht von Algorithmen auseinanderzusetzen. Der nächste Bundestag sollte fraktionsübergreifend vor allem "ethische Fragen der digitalen Transformation" untersuchen. Es gelte Spielregeln und Leitplanken aufzuzeigen. Der noch amtierende Bundesjustizminister Heiko Maas von der SPD hat sich angesichts des zunehmenden Einflusses von Algorithmen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ebenfalls für klarere und schärfere Regeln für Programmierer und Unternehmen ausgesprochen.

Hoffnung - auf bessere Geschäfte

Während die Politik noch diskutiert - und dies vermutlich noch eine ganze Weile tun wird, schaffen Hersteller und Anbieter Fakten. In ihren Strategien spielt das Thema Künstliche Intelligenz eine immer wichtigere Rolle - nicht zuletzt weil sie sich davon natürlich auch mehr Geschäft erwarten. Beispielsweise will Intel seinen Kurs mehr in Richtung Data-Center-Geschäft trimmen und damit seine Abhängigkeit vom nach wie vor schwierigen PC-Markt verringern. Dafür hat der weltgrößte Halbleiterhersteller im Frühjahr die Artificial Intelligence Products Group gegründet. Geleitet wird die neue Einheit von Neveen Rao, Gründer des AI-Startups Nervana, das im August 2016 von Intel aufgekauft worden war. Nervana hatte an einem speziell für KI-Aufgaben ausgelegten Chip gearbeitet. Unter der Ägide Intels soll diese Arbeit fortgesetzt werden. Geplant ist Hardware und Software, um die immer größer werdenden Datenmengen analysieren zu können. Rao bezeichnete dies als eines der größten rechenintensiven Probleme unserer Zeit.

Intel hofft mit seinen Chiparchitekturen auf gute Geschäfte mit Künstlicher Intelligenz.
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Damit will Intel offenbar gegenüber dem Konkurrenten Nvidia aufholen. Der Spezialist für Graphic Processing Units (GPUs) forciert schon seit längerem seine Entwicklungen rund um KI. Grafikprozessoren eignen sich besonders gut für KI-Berechnungen, da sie stark parallelisiert arbeiten und so viele Rechenaufgaben gleichzeitig abarbeiten können. Seine neue Chiparchitektur Volta hat der Hersteller speziell auf KI- und Machine-Learning-Anforderungen zugeschnitten. Die Erwartungen des Nvidia-Managements sind hoch. Schließlich gebe es eine hohe Nachfrage nach KI-Beschleunigern. Um seine Technik im Markt zu verankern, kooperiert der Chipfertiger mit anderen Unternehmen - neben zahlreichen Automobilherstellern gehören dazu auch SAP und HPE.

Nvidia-Technik steckt auch in den neuen Fahrzeug-Entwicklungen der Deutschen Post.

Vor allem die großen Internet- und Cloud-Konzerne haben sich im zu Ende gehenden Jahr das Thema KI ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Kaum eine Ankündigung kam ohne dieses Thema aus. Beispielsweise stellte Google-Chef Sundar Pichai KI in den Mittelpunkt der Entwicklerkonferenz I/O im Mai. Entsprechende Funktionen würden in Zukunft elementarer Bestandteil sämtlicher Angebote von Google sein - in der Websuche, den Android-Apps sowie anderen Online-Diensten wie beispielsweise das Office-Paket G-Suite. Als Beispiel präsentierte Pichai "Google Lens", eine KI-Technik, die Anwendern dabei helfen soll, Bilddaten zu analysieren und daraus nützliche Informationen zu ziehen.

Auch Microsoft arbeitet mit Hochdruck an vergleichbaren Technologien. Der Cloud-Anbieter will KI-Dienste wie Bild- oder Gesichtserkennung auf seiner Cloud-Plattform anbieten. Entwickler könnten diese Services dann in die eigenen Cloud-Applikationen integrieren, kündigte der Softwarehersteller auf seiner Entwicklerkonferenz Build im Frühjahr an. Microsoft werde zudem in vielen seiner eigenen Produkte KI-Funktionen einbauen, sagte CEO Satya Nadella auf der DLD-Konferenz im Januar. Auf die Frage, wann er selbst durch einen Bot ersetzt werden könnten, antwortete er gut gelaunt: Er habe so viel zu tun, dass gerne ein paar Aufgaben an KI abgeben würde.

Microsoft-CEO Satya Nadella könnte sich gut vorstellen, ein paar seiner Aufgaben an einen intelligenten Bot abzugeben.
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Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Gerade erst im Dezember hat Cloud-Primus Amazon Web Services auf seiner Konferenz re:Invent eine intelligente Kamera inklusive vorkonfigurierter KI-Funktonen vorgestellt, die Entwickler und Anwender ganz einfach in der Amazon-Cloud buchen könnten. Salesforce hat in den zurückliegenden Monaten alles auf Einstein gesetzt. Die KI-Plattform soll den gesamten SaaS-Kosmos des Cloud-Pioniers durchdringen und sämtliche dort angebotenen Softwareservices intelligenter machen, so die Vision der Verantwortlichen.

Streit - zwischen Optimisten und Pessimisten

Über die Folgen und Auswirkungen, die KI auf die weitere menschliche und gesellschaftliche Entwicklung nehmen könnten, streiten sich Prominente aus IT, Technik und Wissenschaft schon lange. Richtig in die Haare gekriegt haben sich im Sommer Facebook-Chef Mark Zuckerberg und Tesla-Gründer Elon Musk. Zuckerberg hatte in einem Video-Post im weltgrößten Social Network Musk und andere KI-Kritiker als "ziemlich unverantwortlich" kritisiert und sich betont optimistisch zur Zukunft von KI geäußert. Nein-Sager und Beschwörer von Endzeit-Szenarien könne er nicht verstehen. Der Facebook-CEO verwies beispielsweise auf die Möglichkeiten, mit Hilfe von KI Autounfälle zu vermeiden und so Menschenleben zu retten.

Nein-Sager und Beschwörer von Endzeit-Szenarien könne er nicht verstehen, sagte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.
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Musk konterte Zuckerbergs Kritik postwendend und twitterte, er habe mit dem Facebook-Gründer über das Thema gesprochen. "Sein Verständnis dieser Sache ist begrenzt", lautete Musks Fazit. Der Tesla-Chef reklamiert für sich, als CEO verschiedener Hightech-Unternehmen tiefe Einblicke in aktuelle KI-Entwicklungen zu haben und daher das daraus resultierende Risiko fundiert einschätzen zu können. Er bezeichnet KI als "fundamentale Bedrohung der Existenz menschlicher Zivilisation".

Der von Zuckerberg gescholtene Tesla-Chef Elon Musk glaubt indes nicht, dass Zuckerberg das notwendige Verständnis mitbringt, um die technischen Zusammenhänge richtig beurteilen zu können.
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Um dem entgegenzuwirken hat sich Musk an dem Unternehmen Neuralink beteiligt. Die Wissenschaftler arbeiten dort an Elektroden, um das menschliche Gehirn direkt mit Computern zu vernetzen. Diese Techniken könnten Menschen dabei helfen, mit KI mitzuhalten, glaubt Musk und spricht von einem direkten Interface zur Hirnrinde. Noch ist allerdings unklar, wie viel von diesen Ideen Fantasie beziehungsweise reales Projekt ist.

Musk steht mit seinen Warnungen nicht allein. Auch der bekannte Physiker Stephen Hawking, der Anfang 2017 seinen 75. Geburtstag feierte, wird nicht müde, vor den Gefahren Künstlicher Intelligenz zu warnen. "KI wird entweder das Beste sein, was der Menschheit jemals widerfahren ist - oder das Schlimmste", sagte der Wissenschaftler auf dem Web Summit Anfang November 2017 in Lissabon. KI habe das Potenzial, ganze Volkswirtschaften auf den Kopf zu stellen. Oder die Technik könne für autonome Waffensysteme und zur Unterdrückung missbraucht werden, mahnte Hawking. "Wir können nicht vorhersehen, was passiert, wenn wir den menschlichen Geist mit der KI verbinden."

Angst - was wird aus meinem Job

Angesichts der neuen Möglichkeiten durch KI wuchs vielerorts die Verunsicherung, wie die Folgen für die Arbeitswelt von Morgen aussehen könnten. Für Aufsehen sorgte eine Meldung Anfang des Jahres: Das japanische Versicherungsunternehmen Fukoku Mutual Life Insurance gab bekannt, 34 Mitarbeiter in der Abteilung Schadensbemessung durch ein KI-System ersetzen zu wollen. Deren Arbeit soll künftig IBMs Watson-Technik übernehmen. Watson werde die verbliebenen Fukoku-Mitarbeiter ab Ende Januar dabei unterstützen, die Auszahlungen an Versicherungsnehmer richtig zu kalkulieren, lautete der Plan. Dafür analysiert die künstliche Intelligenz Unterlagen von Hospitälern sowie Ärzten und prüft, ob deren Angaben schlüssig und richtig sind. Allerdings, so betonten die Verantwortlichen des japanischen Versicherers, würde die Auszahlung der Versicherungsprämie schlussendlich nach wie vor von einem Menschen und nicht von einer Maschine veranlasst. Watson helfe lediglich, Daten und Informationen zu prüfen.

Davon verspricht sich Fukoku eine um 30 Prozent bessere Produktivität sowie handfeste finanzielle Vorteile. Das IBM-System soll 2,36 Millionen Dollar sowie weitere 177.000 Dollar pro Jahr an Wartung kosten. Angesichts der jährlich eingesparten Personalkosten in Höhe von 1,65 Millionen Dollar habe sich die Investition innerhalb von rund zwei Jahren amortisiert, rechneten die Japaner vor. Fukoku ist nicht das einzige Versicherungsunternehmen in Japan, das sich bereits aktiv mit KI-Systemen beschäftigt. Etliche andere Versicherer wie die Nippon Life Insurance setzen ebenfalls vergleichbare Lösungen ein, um beispielsweise ihre Versicherungsverträge zu prüfen.

Dieses Szenario dürfte kein Einzelfall bleiben. Kai-Fu Lee, der frühere Chef von Google Research in China und heute einer der bekanntesten Technologie-Investoren des Landes, erwartet, dass KI bald viele Millionen Büro-Beschäftigte in seinem Land ersetzen wird. "Diese Ablösung passiert jetzt, und sie bringt eine echte, vollständige Dezimierung. Meiner Meinung nach werden Büro-Arbeiter zuerst dran sein, und erst später die Produktionsarbeiter", sagte Lee Anfang November auf einer Konferenz des Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Wie sich KI auf die künftige Arbeitswelt auswirken wird, darüber gab es auch im ablaufenden Jahr wieder eine ganze Reihe von Studien - mit unterschiedlichen Ergebnissen. In einer Umfrage der IT-Consultingfirma Capgemini unter 993 Firmen antworteten 83 Prozent, der KI-Einsatz habe sogar neue Aufgaben geschaffen. Alle neuen Jobs erfordern jedoch hoch qualifizierte Arbeitskräfte. Immerhin erklärten mehr als sechs von zehn befragten Unternehmen, dass im Zuge der KI-Nutzung gar keine Arbeitskräfte weggefallen seien.

Zu einem ganz anderen Ergebnis kamen gerade erst kürzlich die Experten von McKinsey. Ihrer Einschätzung nach wird die durch KI vorangetriebene Automatisierung und Maschinisierung von Arbeit gerade die Arbeitswelt in Deutschland drastisch umkrempeln. Bis 2030 könnte ein Viertel aller Arbeitsstunden, die dann hierzulande geleistet werden, aus menschlicher in maschinelle Obhut übergehen. Bis zu zwölf Millionen Beschäftigte, also bis zu einem Drittel aller Arbeitskräfte, müssten sich neue Fähigkeiten aneignen oder eine Stelle in einer anderen Branche suchen. Für die USA taxiert McKinsey dieses Potenzial auf 23 Prozent, in China auf 16 und in Indien auf neun Prozent.

Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass die Bevölkerung das Thema KI mit durchaus gemischten Gefühlen betrachtet. Zwar erhofft sich die Mehrheit der Deutschen von KI in Zukunft vor allem Hilfe bei der Organisation ihres Alltags, hat eine Umfrage der Unternehmensberatung PwC gezeigt. Fast 90 Prozent der Deutschen sind darüber hinaus überzeugt, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz helfen kann, zukünftige Herausforderungen zu meistern. Besonders groß ist die Hoffnung bei den Themen Cybersicherheit (49 Prozent), Klimawandel (45) und Schutz vor Krankheiten (43). Auf uneingeschränkte Begeisterung stößt die Technik aber nicht. Mehr als die Hälfte der Befragten räumte ein, lernfähige Computer lösten bei ihnen "eher Angst" aus. Dass künstliche Intelligenz mehr Arbeitsplätze schafft als vernichtet, glaubt nur gut ein Drittel der Befragten.

Eine Umfrage des Bitkom kam zu ähnlichen Ergebnissen: Viele Deutsche sehen KI demnach als eine echte Chance, etwa bei der Verbesserung von Verkehrssteuerungen, um so Staus zu reduzieren (83 Prozent). Die Studie deckte jedoch auch zahlreiche Bedenken auf. So befürchten mehr als drei Viertel der Teilnehmer, dass "der Einsatz von KI Machtmissbrauch und Manipulation Tür und Tor öffnet." Die Technik würde demnach die Vorurteile der Programmierer abbilden und faktenbasierte Entscheidungen nur vorgaukeln. Rund jeder Zweite habe Angst, dass KI den Menschen entmündigt (50 Prozent) oder sich die intelligenten Maschinen sogar irgendwann gegen den Menschen richten (54 Prozent).

"Wir erleben immer bessere KI-Systeme, die jeweils für eine bestimmte Aufgabe trainiert sind und diese zum Teil auch besser als wir Menschen erledigen", konstatierte Bitkom-Präsident Berg. "Wir müssen besser und breiter darüber aufklären, was KI kann, und was sie aber auch nicht kann." Eine wichtige Rolle spielt dabei offenbar die Politik. Mit 88 Prozent sprach sich der Großteil der vom Bitkom Befragten dafür aus, dass die Politik die Regeln vorgeben soll.