Die neuen Spielregeln der Arbeit

23.05.2006 von Alexandra Mesmer
Ambivalente Nachrichten vom IT-Arbeitsmarkt: Die Firmen stellen zwar wieder ein, fordern aber mehr Einsatz von den Mitarbeitern, ohne ihnen eine sichere Perspektive bieten zu können.

Gestiegene Umsätze sind nicht immer ein Garant für viele neue Arbeitsplätze. So erwirtschaftete die deutsche IT- und TK-Branche im vergangenen Jahr mit 137,4 Milliarden Euro um 2,4 Prozent mehr als 2004, schuf umgerechnet aber nur 4000 zusätzliche Arbeitsplätze. Damit blieben die Unternehmen weit hinter den Erwartungen ihres Branchenverbandes Bitkom zurück, der 10 000 neue Stellen vorhergesagt hatte. Auf der CeBIT erklärte Bitkom-Vizepräsident Jörg Menno Harms diese Kluft mit dem anhaltenden Stellenabbau in den Sparten Hardware und Festnetz. Mit Prognosen ist der Bitkom darum vorsichtig geworden, so rechnet Harms in diesem Jahr mit keinen zusätzlichen Arbeitsplätzen.

Hier lesen Sie...

  • wo in der IT-Branche die meisten neuen Arbeitsplätze entstehen;

  • wie sich die Arbeitsbedingungen für IT-Profis verändern;

  • welche IT-Jobs mittelfristig eine Perspektive haben und welche eher in Billiglohnländer verlagert werden.

Berater suchen im großen Stil

Noch suchen vor allem Softwarehäuser und IT-Dienstleister Personal im großen Stil. Accenture will in diesem Jahr 1000 neue Mitarbeiter, darunter 750 Hochschulabsolventen, an Bord holen, bei Capgemini sind es 500 neue Berater, IT-Dienstleister Computacenter hat 150 Vakanzen. Allerdings haben viele Beratungen auch eine hohe Fluktuation. Oft verlassen die Mitarbeiter nach drei bis vier Jahren das Unternehmen wieder, weil sie entweder die hohen Anforderungen nicht erfüllen können oder im Beraterdasein mit hoher Arbeitsbelastung und ständigem Reisen keine Perspektive für sich sehen.

Microsoft-Personalchef Rom de Vries: "Die Erwartung, 20 Jahre für ein Unternehmen arbeiten zu können, ist nicht mehr realistisch."

Die Hoffnung auf langfristige, sichere Arbeitsplätze mag die Branche trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs nicht wecken. Microsoft-Personalchef Rom de Vries sagte bei der Diskussion über die "Zukunft der Arbeit" auf dem CeBIT-Karrierezentrum der COMPUTERWOCHE: "Die Erwartung, 20 Jahre bei einer Firma arbeiten zu können, ist nicht mehr realistisch." Nicht nur vom Streben nach Sicherheit müssen sich IT-Profis in Zukunft verabschieden. Die Unternehmen erwarten deutlich mehr Flexibilität von ihrer Belegschaft, etwa was Arbeitszeit und -orte betrifft. Wenn es das Projekt beziehungsweise der Kunde fordert, sollten IT-Profis auch am Wochenende arbeiten können, so die Forderung. SAP-Personalvorstand Claus Heinrich kritisierte die veralteten Gesetze: "Wir brauchen mehr Ausnahmegesetze. Während Spargelstecher am Wochenende arbeiten dürfen, ist es für Berater nicht erlaubt."

Offen für neue Einsatzfelder sein

Für HP-Geschäftsführerin Regine Stachelhaus ist es selbstverständlich, dass die Mitarbeiter sich selbst ihre Chancen suchen: "Wer auch in Zukunft Jobchancen haben will, darf nicht auf seiner Grundausbildung sitzen bleiben, sondern muss ständig dazulernen." HP versuche immer wieder, Mitarbeiter in Bereiche zu bringen, die nicht ihrer Ausbildung entsprächen. Die gelernte Juristin hat selbst vor Jahren den Wechsel in den Vertrieb gewagt und leitet heute die HP-Sparte Drucker und Bildbearbeitung in Deutschland.

Auch für kleine Firmen wie die Kölner KI AG ist die Veränderungsbereitschaft ihrer Mitarbeiter überlebensnotwendig. Dirk Buschmann, Vorstand des auf Mobile Business spezialisierten Dienstleisters, sucht vor allem Kandidaten, die über ein fundiertes Programmier- und IT-Wissen verfügen: "Wir als Berater müssen immer vorne mitschwimmen, egal welche Buzzword-Welle gerade kommt." Als Chef von derzeit 41 Mitarbeitern kann sich Buschmann keine Fehler in der Personalauswahl leisten, da sich Leistung und Schwächen des Einzelnen viel stärker auf das ganze Unternehmen auswirkten, als das in einem Konzern der Fall sei.

Technik und Betriebswirtschaft verbinden

SAP-Vorstand Claus Heinrich fordert mehr Begeisterungsfähigkeit von den Mitarbeitern.

Fundiertes technisches Know-how gepaart mit betriebswirtschaftlichen Kenntnissen und Prozesswissen - auf diese Formel bringen derzeit viele Personalchefs ihre fachlichen Anforderungen an Bewerber. Darüber hinaus sollten die Kandidaten auch die viel zitierte soziale Kompetenz aufweisen, sprich kommunikativ, teamfähig und sicher im Umgang mit dem Kunden sein. SAP-Vorstand Heinrich wünscht sich zudem mehr Begeisterungsfähigkeit: "Die hiesigen Programmierer brauchen die gleiche Motivation wie ihre Kollegen in Bangalore. Wir sollten wieder mehr sportlichen Wettbewerb haben, anstatt andauernd über die schlechte Lage zu jammern." SAP will in diesem Jahr weltweit 3500 neue Stellen schaffen, davon 700 in Deutschland und etwa 1000 in Bangalore. In den Augen Heinrichs ist diese Personalpolitik kein Beispiel für verstärktes Offshoring, zumal der Softwarehersteller auch hierzulande noch viele Stellen schaffe. Allerdings verständen manche SAP-Mitarbeiter hierzulande nicht, dass die indischen Kollegen auch zum Erhalt der deutschen Arbeitsplätze beitrügen.

Unsichere Programmierjobs

Für reine Programmiertätigkeiten sehen viele IT-Unternehmen mittelfristig keine Perspektive mehr am Standort Deutschland, da diese Jobs billiger und in gleicher Qualität in Osteuropa oder Indien erledigt werden können. Dafür bauen Konzerne wie Microsoft und HP den Servicebereich weiter aus und suchen Mitarbeiter mit technischem und betriebswirtschaftlichem Grundlagenwissen, die die Anforderungen des Kunden übersetzen.

Auf die Vermittlung von Grundlagenwissen bauen auch die Hochschulen. Christian Scholz, Professor für Personal-Management an der Universität Saarbrücken, will aber seinen Studenten darüber hinaus einen realistischen Blick auf die Arbeitswelt vermitteln: "Es existiert oft eine große Kluft zwischen den großen Versprechungen einer Stellenanzeige und den tatsächlichen Bedingungen in den Unternehmen. Die Firmen müssen die veränderten Spielregeln der Arbeit klar kommunizieren und auch intern danach handeln."

Wenn Mitarbeiter an sich denken

Personalprofessor Christian Scholz: "Zwischen Stellenanzeigen und Personalarbeit in den Unternehmen existiert eine große Kluft."

Die beliebte Forderung der Firmen nach dem "Mitarbeiter als Unternehmer" berücksichtige in der Regel nur eine Seite. Zwar soll der ideale Beschäftigte mitdenken und eigenverantwortlich arbeiten, aber nicht egoistisch agieren. "Wenn der Mitarbeiter aber als Unternehmer in eigener Sache handelt, muss er zwangsläufig an seine Interessen denken und egoistischer werden." Auf die abnehmende Loyalität ihrer Mitarbeiter seien viele Betriebe nach Ansicht von Scholz noch nicht vorbereitet. In den vergangenen Jahren spielte Mitarbeiterbindung keine große Rolle, schließlich gab es viel mehr Bewerber als offene Stellen. Diese Situation wird sich mittelfristig zugunsten der Kandidaten ändern, wenn der demografische Faktor greift und sich die Zahl der Hochschulabsolventen reduziert.