Datenschutz

Die Pandemie zeigt die Zwei-Klassen-Gesellschaft

Kommentar  von Harold Li
Privatsphäre sollte eine Grundrecht sein. Doch die COVID-19-Pandemie hat bestehende Ungleichheiten weiter verschärft.

Die COVID-19-Pandemie hat bestehende Ungerechtigkeiten in vielen Bereichen stärker ins Rampenlicht gerückt - unter anderem im Gesundheitswesen, beim Einkommen und der Beschäftigung sowie beim Wohnraum. Unsere digitale Welt und die persönliche Privatsphäre sind dabei keine Ausnahmen. Da wir uns alle an neue Arbeits-, Lern- und Lebensrealitäten anpassen mussten, wurde die digitale Kluft in Bezug auf die Privatsphäre offengelegt - mit größeren Konsequenzen als je zuvor.

Grundschulkinder, die in ländlichen Gebieten leben, tragen eine Gesichtsmaske, um eine Infektion mit dem Coronavirus in einer ländlichen Schule in Thailand zu verhindern.
Foto: BELL KA PANG - shutterstock.com

Privatsphäre sollte jedoch ein Grundrecht sein, kein Luxus. Die Technologien, Produkte und Wahlfreiheit, um die eigenen Geräte und persönlichen Daten online zu schützen, sind für zu viele Menschen nicht zugänglich und nicht erschwinglich - und oft haben diese Technologien eingebaute Benachteiligungen, wenn es zum Beispiel um Rasse und Geschlecht geht.

Remote Work und Lernen

Ein Beispiel dafür ist Software zur Prüfungsaufsicht. Sie soll angeblich nur dazu dienen, Schüler und Studenten beim Spicken zu erwischen, wenn sie zu Hause Prüfungen ablegen. Zu diesem Zweck werden die Prüflinge und ihre Umgebung (durch KI, Subunternehmer, Professoren usw.) über deren Webcams und Mikrofone überwacht. Es werden sogar Informationen darüber gesammelt, welche Websites sie besuchen, welche Apps sie installiert haben, und möglicherweise sogar über Dateien, die sie auf ihrem Computer gespeichert haben.

Ein um seine Privatsphäre besorgter Student berichtete, dass sein Professor ihm vor einer Prüfung zur Installation einer Software auf seinem privaten Computer riet. Während sich manche Studenten ein zweites Gerät leisten können, müssen sich andere einen Computer mit der ganzen Familie teilen, auf dem auch private Daten gespeichert sind.

In ähnlicher Weise bestehen viele Arbeitgeber darauf, dass ihre Mitarbeiter die Kameras einschalten, wenn sie zu Hause Videokonferenzen abhalten. Das zwingt quasi dazu, Kollegen in das eigene Heim einzuladen. Einige können zwar einen sicheren, neutralen Raum nutzen, andere jedoch haben nur Zugang zu einem Raum mit privaten oder persönlichen Gegenständen.

Diese Tools mögen auf den ersten Blick "neutral" erscheinen, aber tatsächlich wirken sie sich auf die Privatsphäre von Menschen unterschiedlich aus - je nach Klasse, Geschlecht und anderen Merkmalen.

Fehlender Zugang zu Technologie

Die grundlegende digitale Kluft selbst - d.h. die Unterschiede beim Zugang zu Technologie und Vernetzung - hat auch erhebliche Auswirkungen auf die digitale Privatsphäre. So verfügen viele Menschen zu Hause beispielsweise über keinen Breitbandanschluss. Daher sind einige gezwungen, für Schule, Arbeit oder sogar Telemedizin auf öffentliche WLAN-Netzwerke zurückzugreifen. Solche kostenlosen öffentlichen Netzwerke sind aber notorischerweise mangelhaft in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz. Nutzer laufen hier Gefahr, dass bei unzureichender Verschlüsselung der Datenverkehr vom Betreiber oder sogar von anderen Teilnehmern des Netzwerks überwacht werden kann.

Gleichzeitig haben Schüler, die kein Gerät für den Fernunterricht besitzen, nur begrenzte Möglichkeiten und müssen in vielen Fällen auf kostenlose Angebote zurückgreifen. Beispielsweise stellte Google bedürftigen Schülern kostenlos Chromebooks zur Verfügung - eindeutig ein großzügiges Angebot. Aber wenn Schüler keine andere Wahl haben und die verbundenen Google-Dienste verwenden müssen, ergeben sich auch Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes.

New Mexico hat Google verklagt, weil die Bildungsprodukte angeblich in die Privatsphäre der Kinder eindringen und die Aktivitäten der Schüler außerhalb des Klassenzimmers verfolgen. Schüler mit geringem Einkommen sollten keine Daten preisgeben müssen, nur um ihr Grundrecht auf Bildung wahrzunehmen.

Anstieg der Überwachung am Arbeitsplatz

Für diejenigen, die nicht im Homeoffice arbeiten können, bedeutet die verstärkte Überwachung am Arbeitsplatz im Namen des Gesundheitsschutzes auch eine Benachteiligung in Bezug auf die Privatsphäre. Ride-Sharing-Mitarbeiter zum Beispiel müssen ein Foto von sich vorlegen, auf dem sie eine Maske tragen, um ihre Arbeit antreten zu dürfen. Das steht im Kontrast zu vielen Mitarbeitern in der Dienstleistungsbranche, die ihr dringend benötigtes Einkommen verlieren würden, wenn sie sich nicht an diese Vorgaben halten.

Oft gibt es keinen Ausweg - außer der Kündigung. Dies kommt aber für viele nicht in Frage, die sich aufgrund der Pandemie bereits in finanziellen Schwierigkeiten befinden. So müssen diese Menschen Systeme nutzen, die wenig Rücksicht auf ihre Privatsphäre nehmen. Schlimmer noch: Solche Systeme wirken sich ungleich auf verschiedene Gruppen von Menschen aus - zum Beispiel bei Algorithmen zur Gesichtserkennung, die bestimmte Rassen oder Geschlechter benachteiligen.

Wir alle haben ein Recht auf Privatsphäre

Die digitale Kluft bei der Privatsphäre war lange Zeit eine übersehene Ungerechtigkeit. Die Pandemie und ihre Auswirkungen auf unser Leben und unsere Arbeit im Internet haben dies nur verdeutlicht. Privatsphäre ist ein Menschenrecht. Einzelnen Menschen steht es nicht weniger zu als anderen, und niemand sollte es aufgeben müssen, nur um eine Ausbildung zu erhalten oder seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Um die Kluft zu schließen, müssen alle dieses Grundrecht anerkennen - von Technologen und Designern bis hin zu Arbeitgebern und Regierungen. Es ist wichtig, dass alle dieses Prinzip bei ihren Entscheidungsfindungen berücksichtigen, anstatt es erst im Nachhinein zu beachten. Da unser Leben in jedem Aspekt zunehmend auf Technologie angewiesen ist, war es noch nie so wichtig wie heute, unsere Identität und unsere Daten online zu schützen. (bw)

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