Telekom-Geschäftsführer Geschäftskunden Hagen Rickmann im Interview

Digitalisierungs-Innovationen kommen von Start-ups

25.05.2016 von Jürgen  Hill
Welche Rolle spielt die Telekom bei der Digitalisierung in Deutschland? Darüber haben wir mit Hagen Rickmann, dem Telekom-Geschäftsführer Geschäftskunden, diskutiert.
Der Ehrensaal des Deutschen Museums digitalisiert für die Indoor-Navigation.
Foto: NavVis

CW: Viele Unternehmen stehen noch vor der Digitalisierung. Welche Tipps oder lessons learned können Sie ihnen mit auf dem Weg geben, angesichts der gemachten Erfahrungen beim eigenen Digitalisierungsprozess?

Hagen Rickmann: Wenn mich jemand fragt, wie Unternehmen den Weg in die Digitalisierung schaffen, gebe ich gerne fünf Tipps. Der erste Schritt ist ein grundlegender: Die Entscheider sollten die digitale Transformation als Wachstumschance nutzen, als Möglichkeit, ihr Geschäft erfolgreicher zu machen. Der zweite Tipp ist ein Perspektivwechsel: einfach einmal die eigenen Dienstleistungen und Produkte aus einer anderen Sicht betrachten. Dadurch erkennen Unternehmer neue Chancen und können mutig vorangehen. Drittens sollten die Firmen so viele interne und externe Prozesse wie möglich digitalisieren und den Kunden jederzeit Kontaktmöglichkeiten bieten. In kleinen Schritten digital werden - das ist mein nächster Tipp. Nicht gleich einen riesigen Master-Plan entwerfen, sondern nach und nach einzelne Prozesse optimieren. Bei der digitalen Transformation sollte der Datenschutz immer eine große Rolle spielen - denn die neue Währung sind Daten und diese gilt es fünftens so gut wie möglich zu schützen.

Innovative Startups

CW: Wer treibt in Deutschland das Thema Digitalisierung eher voran - die Startups, der Mittelstand oder die Dax-30-Konzerne?

Hagen Rickmann; Geschäftsführer Geschäftskunden bei der Telekom, diskutierte mit CW-Redakteur Jürgen Hill über den Stand der Digitalisierung in Deutschland.
Foto: Deutsche Telekom

Rickmann: Ob kleine, mittelständische oder große Unternehmen: Alle tragen auf ihre Weise zur digitalen Transformation bei und sollten in der Lage sein, voneinander zu lernen. Innovationen kommen überwiegend von Startups, die von vorneherein auf Digitalisierung setzen und die mit neuen, digitalen Ansätzen ganze Branchen und Wertschöpfungsketten durcheinander wirbeln - siehe Uber oder Airbnb. Geboten werden besserer Service, neue Produkte, höhere Geschwindigkeit oder - immer ein probates Mittel - bessere Preise - dies hat das IT-Research- und Beratungsunternehmen Crisp Research herausgefunden.

Große und mittelständische Unternehmen haben hingegen meistens mehr Marktmacht, Erfahrung und eine finanzielle und organisatorische Robustheit, durch sie auch Rückschläge verkraften können. Doch Größe und althergebrachte Strukturen und Wertschöpfungsketten machen sie natürlich langsamer, das ist ihr Nachteil. Grundsätzlich treiben aber auch diese Unternehmen das Thema stark voran. So haben laut Accenture 40 Prozent der 500 größten Unternehmen eine umfassende Digitalstrategie. Und laut einem Panel von BDI und PwC stecken auch Mittelständler mittlerweile knapp fünf Prozent ihres Investitionsvolumens in digitale Technologien, Tendenz steigend. Jedes dritte dieser Unternehmen hält die eigene Digitalisierung für einen entscheidenden Gradmesser seiner Wettbewerbsfähigkeit. Weil sie erkannt haben, was die Statistik belegt: dass Unternehmen, die die Digitalisierung vorangetrieben haben, stärker wachsen als das Bruttoinlandsprodukt. Gerade diese oft traditionsreichen Unternehmen befinden sich in einer Art dauerhaften Transformation.

Für mich ist ganz entscheidend, dass all diese von ihrer DNA her unterschiedlichen Unternehmen, voneinander lernen. Ansätze gibt es: Größere Unternehmen schaffen Digital Labs außerhalb ihrer normalen Strukturen, arbeiten mit Startups zusammen und investieren in sie. Startups wiederum nutzen nicht selten die Marktdurchdringung größerer Unternehmen oder lassen sich von ihnen coachen. Die Telekom ist beispielweise eine Partnerschaft mit dem Startup Zalando eingegangen und beide Seiten profitieren: Zalando setzt in einer Wachstumsphase auf die Erfahrung eines großen Unternehmens und wir als Telekom werden dynamischer und kundenorientierter. Aber auch der Mittelstand kann in digitalen Zeiten Vorbild sein und sich durch ein Spitzenangebot langfristig sowie nachhaltig in einem Markt durchsetzen.

Digitalisierung in der Praxis

CW: In der Theorie klingt das einleuchtend - aber haben Sie ein paar Praxisbeispiele parat?

Digitalisierung in der Praxis: Selbst Bäckereiketten wie Die Lohner´s kommen an Apps und IP-Netzen nicht mehr vorbei.
Foto: Bäckerei Lohner/Screebhot

Rickmann: Ich kenne viele Beispiele aus dem Mittelstand, weil wir selbst Kunden unterschiedlichster Größe und aus den unterschiedlichsten Branchen als Partner bei der Digitalisierung begleiten: Die Bäckereikette Lohner zum Beispiel hat ihre 135 Filialen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen auf IP umgestellt. Dank höherer Bandbreite können jetzt die vernetzten Kassen von der Zentrale aus gesteuert und abgerechnet werden - bequem und viel schneller als zuvor. Sogar die Backöfen sind seit kurzem mit der Zentrale vernetzt. Gibt es eine Störung, können Techniker die Öfen aus der Ferne warten.

Oder nehmen Sie Schmitz Cargobull: Der mittelständische Trailer-Hersteller aus Altenberge in Nordrhein-Westfalen hat ein Telematik-System entwickelt, das mit Hilfe von Sensoren Informationen zu Reifendruck, Bremsenverschleiß oder Feuchtigkeit im Laderaum misst. Das System hilft, den Kraftstoffverbrauch zu senken, die Anhänger effizienter zu be- und zu entladen und die Zahl der Leerfahrten zu reduzieren. Und damit gewinnen nicht nur die Kunden mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz. Schmitz Cargobull hat sein seit fast 125 Jahren bewährtes Kerngeschäft damit zeitgemäß weiter entwickelt - vom reinen Hersteller von LKW-Anhängern zum digital basierten Dienstleister. Der Lohn: mehr Umsatz und die Marktführerschaft in Europa.

Trailer-Bauer Schmitz Cargobull stieg nicht nur zum digital basierten Dienstleister auf, sondern auch zum Marktführer in Europa.
Foto: Schmitz Cargobull

Auch Carglass ist ein gutes Beispiel. Das Unternehmen hat ganz besonders den Service digital aufgerüstet. In den "Service-Centern der Zukunft" macht ein großes Angebot an Informations- und Unterhaltungselektronik den Kunden die Wartezeit auf das Auto so angenehm wie möglich. Zum Service gehört auch, dass die Monteure die kaputte Scheibe bei den Kunden zu Hause und auf der Arbeit reparieren. Mit Phablets und selbst entwickelter App gehören Papierberichte für die Mitarbeiter dabei der Vergangenheit an. Eine digitale Lösung also, die das mobile Arbeiten optimiert. Aber auch ganz kleine Firmen profitieren von digitalen Lösungen: Etwa die Metzgerei Böbel, die von ihrem Stammsitz in der fränkischen Provinz dank eines Online-Shops ihren Umsatz in kürzester Zeit um 50 Prozent gesteigert hat und ihre Leberwurst inzwischen bis nach Neuseeland und Jamaica vertreibt.

CW: Wie ist Ihr Eindruck: Stehen bei den Digitalisierungsprojekten im Mittelstand eher effizienzsteigernde Effekte im Vordergrund oder neue Produkte und Services für die Kunden dieser Unternehmen?

Rickmann: Natürlich unterstützt die Digitalisierung Unternehmen auch dabei, effizienter zu arbeiten, also Geld zu sparen - etwa, indem sie einen Teil ihrer Serviceleistungen virtuell anbieten und weniger Techniker vor Ort zur Maschinenwartung einsetzen müssen. Aber so wie Digitalisierungsprojekte nicht ausschließlich IT-getrieben sein sollten, sollte ihr Hauptzweck auch nicht darin bestehen, auf die Schnelle ein paar Pennys zu sparen. Die Digitalisierung sollte Unternehmen in erster Linie dabei helfen, neue, verbesserte Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln oder gar komplett neue Geschäftsfelder aufzubauen. Denken Sie etwa an das Stichwort "predicitive maintenance" - das vorausschauende Instandhalten etwa von Produktionsanlagen oder Aufzügen mittels intelligenter Datenanalyse. Dass gerade deutsche Unternehmen das Thema Digitalisierung genau in diesem Sinne - also sehr strategisch - bearbeiten, bestätigen Analysten wie Crisp Research immer wieder. Eine gute Voraussetzung, um den zu erwartenden Veränderungen unserer Industrielandschaft mit unternehmerischem Verve und absolutem Fokus auf die Interessen der Kunden zu begegnen.

Teilen und Tauschen

CW: Digitalisierung ist oft auch eine Shared Economy - wie klappt die Zusammenarbeit der Unternehmen in Deutschland?

Werkstatt der Zukunft: Mit neuen Angeboten will Carglass den Kunden die Wartezeit verkürzen.
Foto: Carglass

Rickmann: Teilen und Tauschen liegen offenbar in der Tat im Trend - das hat jüngst eine Studie von PwC ergeben: Demnach nutzt schon heute zumindest im privaten Bereich jeder zweite Deutsche Angebote der so genannten Share Economy - Tendenz steigend. Zwei Drittel der befragten Deutschen wollen künftig Produkte oder Dienstleistungen teilen oder leihen - ein Auto mit Freunden, die Wohnung an Touristen, das Fahrrad mit Nachbarn. Diese Sharing-Modelle boomen insbesondere in Großstädten. Und lassen sich aus dem Gebiet des Privatkonsums durchaus auch auf die Geschäftswelt übertragen. Denken Sie nur an das Modell der Cloud: Dahinter steckt nichts anderes als das Mieten von IT-Infrastruktur, die gleichzeitig von vielen anderen Kunden genutzt wird. Da die Server damit insgesamt besser ausgelastet sind, wird es für alle preiswerter. Früher deckten die Server eine Maximallast ab, wurden aber im Normalbetrieb nur zur Hälfte ausgelastet. Das ist Verschwendung von Ressourcen und kostet außerdem sehr viel Geld. Mit Cloud-Angeboten erzielen wir also eine Win-Win-Situation.

Wir sind in Deutschland gerade deshalb stark, weil wir wie kaum ein anderes Land eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur haben. Großunternehmen, eine lebendige Startup-Szene und als Besonderheit eben unseren weltweit erfolgreichen Mittelstand. Darum liegt gerade im Zusammenspiel dieser Kräfte ein Hebel dafür, dass wir uns auch im Zeitalter der Digitalisierung in der Weltwirtschaft behaupten können.

Die Telekom als Integrator

CW: Die Telekom hat im Large-Enterprise-Segment ebenso Kunden wie im Mittelstand - warum übernehmen Sie nicht die Rolle als Integrator und bringen beide Seiten zusammen?

Digitalisierung bei der Metzgerei Böbel in Franken.
Foto: Metzgerei Böbel

Rickmann: Das tun wir bereits an vielen Stellen und auf verschiedene Weise. Aus vielen IT-Lösungen, die wir einst für unsere Großkunden entwickelt haben, sind inzwischen Standards geworden, die wir kleineren und mittelständischen Unternehmen anbieten. Ohne diese Standardisierung könnte der Mittelstand gar nicht im vollen Umfang an der Digitalisierung teilhaben. Wir selbst arbeiten als Großunternehmen heute mit vielen Partnern aus dem Mittelstand und der Startup-Szene zusammen. Sei es durch Investitionen oder durch Programme wie DT Capital Partners, mit dem wir Startups fördern und das wir in letzter Zeit stark erweitert haben. Dahinter steckt eine klare Strategie: Wir können und wollen nicht alles selbst machen. Darüber hinaus bringen wir die Unternehmen an einen Tisch - beispielsweise bei Dialogrunden, Kaminabenden oder großen Veranstaltungen - oder über unser Kundenprogramm "Telekom Dialog". Dieses fördert den Meinungsaustausch und die Mitgestaltung. Unser oberstes Ziel ist dabei, den Kunden zuhören.

CW: Welche Dienste kauft der Mittelstand eigentlich bei Ihnen ein?

Mit ihrem Online-Shop konnte die Metzgerei Böbel nicht nur den Umsatz um 50 steigern, sondern auch neue Klientel in Neuseeland adressieren.
Foto: Metzgerei Böbel

Rickmann: Als Anbieter von Mobilfunk und Festnetz ist die Telekom vielen Mittelständlern ja ein fester Begriff. Dieses Angebot spielt natürlich auch heute noch eine große Rolle. Das IT-Know-how hat der Mittelstand lange nicht bei uns gesehen. Das ändert sich. Wir bieten ein großes Portfolio an IT-Lösungen an, mit denen Unternehmen verschiedene Handlungsfelder optimieren können: von Webshops für kleine Geschäfte, die mit dem digitalen Vertriebskanal ihren Absatz steigern bis hin zu M2M-Lösungen für große Logistikfirmen wie die Hamburger Reederei Deutsche Afrika Linien. Die Reederei überwacht per M2M ihre Container, um so ihren Kunden noch einen besseren Service zu bieten. Gerade im Mittelstand können wir neben unseren innovativen Cloud-Lösungen zudem mit unseren guten Sicherheits- und Datenschutzstandards überzeugen.

CW: Einer Ihrer Wettbewerber versucht zu punkten, indem er besonders die Startup-Szene mit Rechenzeit-Credits, Online-Trainings oder Venture-Capital-Kontakten adressiert? Wie sprechen Sie diese Zielgruppe an?

Die Deutsche Afrika Linien könne dank Digitalisierung ihren Kunden einen besseren Service bieten.
Foto: Deutsche Afrika Linien/Screenshot

Rickmann: Startups sind für uns ein absolut notwendiger, und immer wichtig werdender Faktor in der deutschen und europäischen Wirtschaft. Wir als Telekom leben unsere Verantwortung, die Startup-Szene aktiv zu unterstützen. Diese Unterstützung reicht vom frühen Support in unseren eigenen Inkubatoren wie Hubraum in Berlin und Krakau, über das Funding von Startups bis hin zum Zugang zu relevanten Kundengruppen in der Wirtschaft.

Im Geschäftskunden-Segment nehmen wir diese Verantwortung auch sehr ernst: Zum einen bieten wir Startups und Existenzgründern ein sehr attraktives, kostengünstiges Portfolio mit einer "Digitalisierungserstausstattung" an. Zum anderen haben wir für Tech-Startups mit der Open Telekom Cloud ein gegenüber Amazon wettbewerbsfähiges, dynamisches Cloud-Angebot. Spezielle Partner-Programme und Angebote sind aktuell in der Ausarbeitung. Zum anderen arbeiten wir mit Startups zusammen, um mit ihnen gemeinsam attraktive Kundenangebote an den Markt zu bringen. Je nach Reifegrad können dies Entwicklungskooperationen sein, oder wir integrieren Startup-Produkte in unsere Angebote als Bundle, um den Startups den Zugang zum Mittelstand und den Kleinstunternehmen zu ermöglichen.

Brückenbauer Telekom

CW: Die Telekom als Brückenbauer - das ist ein interessanter Ansatz. Können Sie an einem Beispiel konkretisieren, wie die Zusammenarbeit aussieht?

Hilfe für Startups wie NavVis. Die Telekom half dem Anbieter von Indoor Navigation auf dem Weg zum marktreifen Produkt.
Foto: NavVis

Rickmann: Wir sind das Verbindungsstück zwischen der deutschen Wirtschaft, insbesondere dem Mittelstand und dem hochinnovativen, dynamischen Segment der Startups. Beide Gruppen können stark voneinander profitieren und benötigen einander. Unternehmen brauchen kleine, flexible Anwendungen, die sie in der Digitalisierung voranbringen. Startups benötigen den kleinen und großen Mittelstand als Kundengruppe. Doch häufig sprechen beide Gruppen nicht die gleiche Sprache. Mittelständler haben Probleme, die Startups richtig zu adressieren, oder deren Lösungen lassen sich nicht 1:1 in die Infrastruktur integrieren. Und Startups haben Lösungen, die für den durchschnittlichen Business-Kunden noch nicht relevant sind. Genau hier kommt die Telekom ins Spiel. Wir verstehen beide Welten und übersetzen die Sprache, die Anwendungsszenarien und letztlich auch die Technologie.

Ein konkretes Beispiel dafür ist beispielsweise unsere Partnerschaft mit NavVis, einem hochinnovativen Münchner Unternehmen aus dem Bereich der Indoor-Navigation. Wir arbeiten gemeinsam an einem Angebot für Mittelstandskunden. Dieses Segment kann NavVis auf Grund seiner Größe selber noch gar nicht adressieren. Unsere Hosting-Leistung und Service-Infrastruktur ergänzt das NavVis-Angebot so zu einem reifen Marktprodukt. Weitere Beispiele sind Projekte zur bedarfsgerechten Gründung. Wir vernetzen Kunden, die ein bestimmtes Problem haben mit Gründern, die dieses Problem lösen können. Eine klassische Win-Win-Win-Situation. Das Start-up hat gleich einen ersten Kunden zum Proof-of-Concept, der Kunde hat ein Problem gelöst, und wir können unseren Kunden auf Basis unserer Technologie und Infrastruktur neue Produkte anbieten.

CW: Themenwechsel, oft werden die deutschen IT-Verantwortlichen wegen ihren Befürchtungen in Sachen Compliance und Security als German Ängstler verspottet. Zu Recht, oder wie sehen Sie die Lage?

Rickmann: Wer darüber spottet, dass die deutschen Unternehmen Compliance und Security sehr ernst nehmen, verkennt die aktuelle Lage. Mitte April hat Symantec den Internet Security Threat Report 2015 veröffentlicht. Laut dieser Studie sind vergangenes Jahr mehr als eine halbe Milliarde Datensätze mit persönlichen Daten gestohlen worden oder verloren gegangen. 2015 kursierten mehr als 430 Millionen Schadprogramme im Netz. Dies entspricht gegenüber 2014 einem Anstieg um mehr als ein Drittel. Angesichts solcher Zahlen halte ich Spott für mehr als unangebracht. Ganz im Gegenteil: Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen das Risiko, Opfer einer Cyberattacke zu werden, eher noch auf die leichte Schulter nehmen und sich zu wenig beziehungsweise falsch schützen. Das liegt auch daran, dass die Abwehr von Angriffen inzwischen sehr viel Know-how erfordert. Dieses Spezialwissen ist insbesondere in kleinen und mittelständischen Unternehmen kaum vorhanden. Daher empfehlen wir, IT-Sicherheit auf externe Spezialisten zu verlagern.

Security in der digitalisierten Welt

CW: Und auf rechtlicher Seite? Soll der Entscheider warten bis sich Deutschland und andere auf neue Regeln wie Safe Harbor II geeinigt haben?

Rickmann: Es herrschte mit Safe Harbor II Rechtsunsicherheit und daran hat sich mit der Überarbeitung der Vereinbarung unter dem Namen Privacy Shield nicht viel geändert. Beide Datenschutzregelungen dienen in erster Linie dem Zweck, den Unternehmen beiderseits des Atlantiks einen bequemen und rechtssicheren Weg des Datenaustauschs zu ermöglichen. Ein für sich genommen begrüßenswertes Ansinnen. Dennoch gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Privacy Shield aus Sicht des Datenschutzes ausreichend ist. Laut dem Bundesverband der Verbraucherschützer gewährleistet die Safe-Harbor-Nachfolgeregelung Privacy Shield kein angemessenes Schutzniveau für in die USA übermittelte personenbezogene Daten. Die Bundesregierung dagegen hält die gesetzlichen Veränderungen der US-Rechtslage zur Einschränkung der Zugriffsmöglichkeiten der US-Behörden auf Daten von EU-Bürgern für ausreichend.

CW: Wie soll ein Unternehmen stattdessen mit seinen Daten beziehungsweise den Daten seiner Kunden umgehen?

Rickmann: Alle Daten, ob unternehmenseigene oder die der Kunden, müssen gegen Cyberangriffe geschützt werden. Das ist unumstritten. Zu unterscheiden ist zwischen datenschutzrelevanten Daten - also personenbezogenen Daten - sowie den Informationen, die nicht unter das Datenschutzrecht fallen. Rein rechtlich gesehen fällt der Schutz nicht personenbezogener Daten unter keine gesetzlichen Vorgaben. Trotzdem sollten Unternehmen insbesondere die so genannten Kronjuwelen, also geschäftskritische Informationen, mit allen Möglichkeiten sichern. Die unter dem Datenschutzrecht stehenden Daten sollten idealerweise in Deutschland oder zumindest in der EU bleiben. Zwar gibt es auch innerhalb der EU unterschiedlich strenge Datenschutzgesetze - aber spätestens mit dem Inkrafttreten der EU-Datenschutzgrundverordnung - voraussichtlich Anfang 2018 - herrscht in der EU ein einheitliches Datenschutzniveau. Und davon kann die Telekom profitieren - als verlässlicher Treuhänder eben dieser Daten.

CW: Die Telekom als Daten(schutz)treuhänder - erklären Sie dieses Business-Szenario genauer?

Rickmann: Microsoft bietet Software wie Azure, Office 365 und Dynamics CRM Online aus zwei deutschen Rechenzentren an. Die Option ist dabei, dass die Telekom als Daten-Treuhänder den Zugriff auf die Kundendaten kontrolliert. Alle Kundendaten verbleiben so ausschließlich in Deutschland, und auch US-Unternehmen wie Microsoft können den Kunden damit den Cloud-Betrieb gemäß deutschen Datenschutzregeln garantieren. Der Unterschied zu US-amerikanischen Cloud-Anbietern: Sie betreiben zwar Rechenzentren in Deutschland, unterliegen aber selbst als deutsche Tochterunternehmen teilweise dem US-amerikanischem Recht. Fungiert die Telekom dagegen als Datentreuhänder, sichert sie die Zugänge zu den Kundendaten ab und sorgt dafür, dass Microsoft nicht auf die Kundendaten zugreifen kann. Als Datentreuhänder steht die Telekom mit den Cloud-Kunden von Microsoft in einer vertraglichen Beziehung, indem sie als Auftragsdatenverarbeiter nach deutschem Datenschutzgesetz auftritt.