Broadliner und der Vertrieb von Geschäftsanwendungen

Distribution und Business-Software

23.04.2014 von Ronald Wiltscheck
ERP- und CRM-Systeme werden nur in den seltensten Fällen über die Distribution vertrieben. Anders sieht es bei Office & Co. aus. Wir haben bei den drei Broadlinern nachgefragt

Also, Ingram Micro und Tech Data vertreiben Business-Software - allerdings im unterschiedlichen Umfang. So sind beispielsweise die Enterprise-Midmarket-Lösungen von Oracle nur bei Tech Data erhältlich, wohingegen Lexware-Produkte bei allen drei Broadlinern bestellt werden können. Business-Software von Microsoft führen die drei großen Distributoren ebenfalls. Laut Thorsten Schwecke, Senior Manager Software bei der Ingram Micro Distribution GmbH, fragen Fachhändler derzeit vor allem Produkte der Microsoft-Office-Familie sehr stark nach. Mike Rakowski, Leiter Business Unit Technology bei Also, weist in diesem Zusammenhang auf den Anfang April 2014 beendeten Support von Windows XP hin. Offenbar haben immer noch viele Business-Kunden nicht auf Windows 7 beziehungsweise 8 gewechselt, sodass hier für den Fachhandel noch viel zu tun übrig bleibt.

Thorsten Schwecke, Ingram Micro: "Inwieweit sich das Cloud-Modell durchsetzen wird, ist heute noch schwer abzuschätzen."
Foto: Ingram Micro

Microsoft hätte es natürlich am liebsten, wenn die verbliebenen XP-Nutzer gleich auf Windows 8 migrieren würden; dies war dem Konzern sogar eine Key-Note auf der diesjährigen Also-Hausmesse "Channel Trends+Visions" wert. Wolfgang Brehm, Direktor Mittelstand und Distribution bei Microsoft, betonte in seiner Rede vor Fachhändlern in Bochum, dass der Kunde nur mit Windows 8.1 zukunftssicher bleibe, denn nur dann könne er mit den bald auf den Markt kommenden Windows-8.1-Business-Apps etwas anfangen.

Fragt man Stefan Bichler nach den meistnachgefragten Softwareprodukten im Channel, so kann der frischgebackene Leiter Business Unit Software & Solutions bei Tech Data noch keinen eindeutigen Trend ausmachen. Nur so viel: "Verstärkt werden Cloud-basierte Lösungen angefragt, Auswirkungen auf die Umsätze sind hier aber noch nicht spürbar."

Geringe Cloud-Umsätze

Ähnlich äußert sich Thorsten Schweck von Ingram Micro. Da seiner Meinung nach insbesondere bei der Business-Software viele Hersteller auf die Cloud als Vertriebskonzept setzen, müsste man in diesem Segment auch zu allererst bei der Distribution etwas merken: "Es wird sicher zu weiteren Veränderungen kommen. Inwieweit sich das Cloud-Modell durchsetzen wird, ist heute noch schwer abzuschätzen. Es ist davon auszugehen, dass es künftig hybride Szenarien geben wird, auch aufgrund einer gewissen Zurückhaltung der Unternehmen mit Blick auf die Sicherung unternehmenssensibler Daten." Hier zeigt sich der Ingram-Micro-Manager also sehr vorsichtig.

Stefan Bichler, Tech Data: "Wir haben auch Enterprise-Midmarket-Lösungen von Oracle im Portfolio."
Foto: Tech Data

Doch wenn tatsächlich im ERP- und CRM-Umfeld Kunden eher auf die On-Premise-, also auf die bei ihnen im Haus installierte Software setzen, wo könnten Fachhändler und Systemhäuser dann ansetzen? Hier liefert Stefan Bichler eine sehr detaillierte Antwort. Seiner Erfahrung nach gilt es erst einmal festzustellen, ob der wechselwillige Kunde die neu zu erwerbenden ERP- und CRM-Systeme an seine eigenen Workflows anpassen will, also quasi Individualsoftware kaufen möchte, oder ob er unter Umständen bereit wäre, die Workflows in seinem Unternehmen an die Standardsoftware, zum Beispiel an die von SAP, anzugleichen.

"Diese Philosophiediskussion beschäftigt den Markt schon seit dem Entstehen von Business-Software. Beide Varianten haben Vor- und Nachteile. Im Grunde kann man schon feststellen, dass die heutige Software Standard-Workflows und -Prozesse in Unternehmen sehr gut abbildet und sich so mancher Endkunde fragen sollte, ob es nicht sinnvoller ist, die Unternehmensprozesse an eine professionelle Software anzupassen", analysiert Bichler.

Individual- oder Standard-Software

Nach Ansicht des Tech-Data-Managers liegt genau darin die große Geschäftschance für Fachhändler und Systemhäuser, die ihre Kunden die eine (Standardsoftware) oder die andere Variante (Individualentwicklung) empfehlen können. Da gibt es nämlich große Unterschiede zwischen den Branchen, unabhängig von der Größe des Kunden. "In der Regel findet man vor Ort sehr viel alte, selbst programmierte Software. Hier gemeinsam mit dem Endkunden eine ROI- und Risikoanalyse zu fahren dürfte in sehr vielen Fällen sinnvoll sein", so Bichler weiter.

Mike Rakowski, Also: "Viele Unternehmer haben Bedenken, ihre Daten, also ihr Kapital, in die Cloud, in fremde Hände, zu geben."
Foto: Also

Rakowski von Also und Schwecke von Ingram Micro zielen eher auf die modernen Software-Abonnement-Konzepte. "Mit den neuen innovativen und nachhaltigen Subskriptionsmodellen können sich Reseller langfristig an ihre Kunden binden", meint etwa Rakowski. Ins gleiche Horn bläst Schwecke. Er plädiert für die sogenannten "Recurring"-Erlöse, also auf Softwarelizenzumsätze, die auf mehrere Jahre verteilt sind. Die bekanntesten Beispiele dafür sind derzeit Office 365 von Microsoft und das VIP-Programm (Value Incentive Plan) von Adobe. "Diese Modelle eignen sich sehr gut zur Kundenbindung und zur Steigerung der Kundenzufriedenheit", schließt Schwecke seine Ausführungen ab.

Angesichts der sinkenden Lizenzmargen sind aber diese wiederkehrenden Erlöse keine Allheilmittel gegen die abnehmende Profitabilität beim Softwareverkauf. Hier sind also Services gefragt, die diese Verluste kompensieren könnten. Aber mit welchen softwaregebundenen Dienstleistungen könnten nun hier Fachhändler und Systemhäuser punkten?

Welche Software für welchen Kunden?

Wolfgang Brehm, Direktor Mittelstand und Distribution bei Microsoft: "Die Windows-8.1-Business-Apps kommen."
Foto: Microsoft

"Für den Reseller wird es immer entscheidender, zum Berater des Kunden zu werden - sei es bei der Installation und Wartung der Software, beim richtigen und optimalen Lizenzmanagement oder bei der Entscheidung, ob überhaupt und, wenn ja, welche neue Software eingesetzt wird", sagt Ingram-Micro-Manager Schweck und bricht eine Lanze für den "Trusted Advisor", also für den Reseller der vierten Generation - nach VAR und Systemhaus beziehungsweise -integrator.

Für Stefan Bichler beginnt die Dienstleistung des Resellers bei der Datenmigration, geht über die Anpassung der Software an die Prozesse (oder umgekehrt) und endet bei den klassischen Aufgaben eines Unternehmensberaters. So spürt der Tech-Data-Manager aktuell eine verstärkte Nachfrage der Kunden nach ausgelagerten Lösungen. Als Outsourcer agieren dabei die Hersteller selbst oder eben die dazu befähigten Systemhäuser. Diese agieren dann als sogenannte " Managed-Service-Provider" und hosten die Business-Software des Kunden in eigenen Rechenzentren.

"Best of Need", statt "Best of Breed"

"Aber auch die Idee, viele Einzel- oder Insellösungen in eine zentrale Lösung zu überführen, ist schon sichtbar", meint Bichler und macht damit ein neues Betätigungsfeld für Fachhändler aus. Seiner Ansicht nach weicht der bisherige "Best of Breed"-Trend, also für jede Anforderung die vermeintlich leistungsfähigste Lösung, dem sogenannte "Best of Need". Darunter versteht der Softwareexperte eine Komplettlösung, die nicht alle Anforderungen perfekt abdeckt, aber ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis aufweist. Denn die IT-Budgets der Kunden sind begrenzt, was vielen Resellern in der Vergangenheit schmerzhaft bewusst wurde.

Software und Distribution -
Thorsten Schwecke, Ingram Micro
Thorsten Schwecke, Senior Manager Software bei Ingram Micro: "Inwieweit sich das Cloud-Modell durchsetzen wird, ist heute noch schwer abzuschätzen."
Mike Rakowski, Also
Mike Rakowski, Leiter Business Unit Technology bei Also: "Viele Unternehmer haben Bedenken, ihre Daten, also ihr Kapital, in die Cloud, in fremde Hände, zu geben."
Wolfgang Brehm, Microsoft
Wolfgang Brehm, Direktor Mittelstand und Distribution bei Microsoft: "Die Windows-8.1-Business-Apps kommen."
Modulare Software
Die Idee, viele Einzel- oder Insellösungen in eine zentrale Lösung zu überführen, ist schon sichtbar.
Stefan Bichler, Tech Data
Stefan Bichler, Leiter Business Unit Software & Solutions bei Tech Data: "Wir haben auch Enterprise-Midmarket-Lösungen von Oracle im Portfolio."

Alsos Softwarespezialist Mike Rakowski hat über den Rollout, die Wartung und das Lizenzmanagement hinaus noch eine zusätzliche Geschäftschance für Reseller entdeckt, nämlich die Finanzierung von Softwareprojekten. Selbstredend steht hier der Broadliner Gewehr bei Fuß - etwa mit einem Null-Prozent-Finanzierungs-Angebot auch bei Softwareverkäufen.

Zusatzgeschäft durch das Support-Ende für Windows XP

Was Cross-Selling angeht, plädiert Rakowski für den Verkauf von zur Software passender Hardware. Da könnte sich der Kunde beispielsweise nach der Installation von Windows 8.1 auf den Clients neue mobile Endgeräte (Tablets und Smarthphones) zusätzlich anschaffen. Angesichts der geringen Marktanteile von Windows in diesen Marktsegmenten dürfte sich dieses Anliegen aber als etwas schwierig erweisen. Mit neuen UCC-Systemen (Unified Communication und Collaboration) wiederum könnte es schon eher klappen, etwa wenn der Kunde merkt, dass seine Anwender mit den neuen mobilen Endgeräten von unterwegs aus produktiver arbeiten als mit den herkömmlichen Notebooks.

Die Idee, viele Einzel- oder Insellösungen in eine zentrale Lösung zu überführen, ist schon sichtbar.
Foto: Anatoly Maslennikov - Fotolia.com

Laut Schwecke von Ingram Micro birgt vor allem die Windows-XP-Ablösung ein Riesenpotenzial für zusätzliche Verkäufe im Hardwaresektor: "Gerade jetzt, wo Microsoft die Support-Leistungen bei Windows XP beendet, hat der Reseller die Möglichkeit, Altsysteme abzulösen und auf die neuen Technologien zu setzen. Viele der aktuellen Business-Software-Versionen funktionieren unter Windows XP gar nicht mehr oder nur sehr fehlerhaft. Außerdem verlangen viele Softwareapplikationen eine optimale Netzwerkinfrastruktur, um alle Vorteile optimal ausspielen zu können. Hier ergibt sich noch sehr viel Potenzial für den Reseller", glaubt der Ingram-Micro-Mann.

Studie von insalcon

Die Zukunft der Software liegt ohnehin in der Cloud, da sind sich die drei Broadliner ausnahmsweise mal alle einig. Nur über den Zeitpunkt, wann die Software "komplett aus der Steckdose kommt", herrscht noch Ungewissheit. "Die Vertriebs- beziehungsweise Lizenzmodelle entwickeln sich immer weiter in Richtung Cloud", da ist sich Mike Rakowski von Also ganz sicher. Er nimmt aber an, dass es noch eine längere Zeit beide Softwarebezugskonzepte (on- und offline) geben wird. "Viele Unternehmer haben Bedenken, ihre Daten, also ihr Kapital, in die Cloud, in fremde Hände, zu geben. Andere Kunden wiederum wollen von der Wirtschaftlichkeit, der Flexibilität und den Kostenersparnissen der Cloud-Dienste profitieren."

Reine On-Premise-Lösungen wird es noch lange geben, glaubt auch Stefan Bichler von Tech Data. Seiner Erfahrung nach ist die Anpassung einer Software in der Cloud nur mit sehr hohem Aufwand oder vielleicht gar nicht möglich. SAPs Eingeständnis, die Entwicklungskapazitäten für die eigene mittelstandstaugliche ERP-Cloud-Sofware "Business by Design" zu drosseln, bestätigt Bichler in seiner Einschätzung. Außerdem sind CRM- und ERP-Daten vielen Kunden immer noch heilig, da sie oft das einzige Kapital dieser Unternehmen bilden - so etwas gibt keiner gerne aus der Hand.

Klassische Software und Apps

Für den Ingram-Micro-Manager Thorsten Schwecke wird die Bedeutung der Software beim Kunden hingegen abnehmen: "Viele Unternehmen sehen die Business-Software nicht mehr als Anlagevermögen, sondern lediglich als Mittel zum Zweck. Daher wollen sie nur so viele Lizenzen oder Produkte nutzen und anschaffen, wie sie aktuell brauchen. Daher gehen wir davon aus, dass es weiterhin zu Veränderungen in den unterschiedlichen Arten der Lizenzformen kommen wird. Die Zukunft wird jeglicher Art des zeitlichen Mietens, sei es aus der Cloud oder durch andere Formen, gehören." Man könnte dies auch als einen Reifeprozess für die Software betrachten. Sie ist endlich "erwachsen" geworden, und dieser "Rohstoff" könnte in Zukunft von den Kunden ähnlich einfach bezogen und abgerechnet werden wie Strom, Heizung und Wasser.

Zum Video: Distribution und Business-Software