Fitness und Resilienz im Fokus der IT

Gesundheitsmanagement gegen Stress und Burnout

17.12.2015 von Bernd Müller
Berufe in der IT belasten Bewegungsapparat und Psyche. Schuld ist die sitzende Tätigkeit vor dem Monitor mit Pizza und Red Bull, aber auch Stress in der Projektarbeit. Immer mehr Unternehmen reagieren nun mit einem ganzheitlichen Gesundheitsmanagement, auch um in Zeiten des demografischen Wandels Fachkräfte zu halten.
 
  • Der Beruf schlägt immer stärker auf die Psyche.
  • Gute Führungskräfte erkennen Warnsignale bei Mitarbeitern.
  • Gesundheitsmanagement bindet Fachkräfte ans Unternehmen.

Krankheit im Job ist kostspielig: Rund 225 Milliarden Euro beträgt der volkswirtschaftliche Schaden in Deutschland durch Fehlzeiten und reduzierte Leistung am Arbeitsplatz, haben die Analysten von Booz & Company errechnet. Die Unternehmen hierzulande wissen um diese Tatsache und haben früh reagiert. Seit Jahrzehnten achten Arbeitsmediziner darauf, dass Kisten nicht zu schwer und Schreibtische nicht zu niedrig sind.

Psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch

Die Erfolge sind beachtlich, aber längst nicht ausreichend. Der Grund: Inzwischen werden die Betriebe von einer Welle psychischer Erkrankungen überrollt. Von 1997 bis 2012 haben die Fehlzeiten durch solche Befunde um 165 Prozent zugenommen. Gleichzeitig trifft der demografische Wandel die Wirtschaft mit voller Wucht. Junge Fachkräfte sind Mangelware, weshalb die Werktätigen im Schnitt alle einige Jahre länger arbeiten müssen.

Gezieltes Gesundheitsmanagement hilft, Fehlzeiten in Unternehmen zu reduzieren.
Foto: Christian Delbert - Shutterstock.com

Doch wie soll das gehen, wenn sich viele Berufstätige schon mit 50 ausgebrannt fühlen? Die Antwort klingt simpel und lautet: integriertes, betriebliches Gesundheitsmanagement. Das heißt im Klartext, dass Unternehmen sich künftig ganzheitlich um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter kümmern müssen. Und damit ist nicht nur der Bandscheibenvorfall gemeint, sondern auch die Psyche, die bisher am Arbeitsplatz wenig Beachtung fand.

Das trifft auch und gerade auf IT-Experten zu. Sie arbeiten überwiegend im Sitzen, sind also anderen physischen Belastungen ausgesetzt als etwa Arbeiter in der Produktion. Bewegungsmangel ist unter Schreibtischkräften weit verbreitet, hinzu kommt die Gefahr der ungesunden Ernährung. Der Programmierer mit Pizza und Red-Bull-Dose ist leider kein Klischee; er ist häufiger anzutreffen, als man denkt. Und mitunter kommen weitere Belastungen hinzu. Zum Beispiel nicht ergonomische Arbeitsplatzausstattungen wie schlechte Stühle oder falsch eingestellte Bildschirme, aber auch die Arbeit in Großraumbüros mit zahlreichen Geräuschquellen, die zu Konzentrationsstörungen führen.

Stressbewältigung am Arbeitsplatz

Unternehmen reagieren deshalb verstärkt mit Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. So hat die Schott AG Angebote entwickelt, wovon IT-Fachleute besonders profitieren. Dazu zählen ein Sinus-Training zur besseren Stressbewältigung, Massagen, die während des Arbeitstages in der Nähe des Arbeitsplatzes gebucht werden können, aber auch kurze Trainingssequenzen und Entspannungsübungen während der Mittagspause sowie Entspannungs- und Massagesessel im Werk. Medizinische Checks und kurze Klinikaufenthalte in kleinen Gruppen mit den Schwerpunkten Ernährung, Bewegung und Entspannung sollen ferner der Prävention und der Früherkennung von Erkrankungen dienen.

Während die Unternehmen bei solchen Angeboten in der Regel gute Standards erreichen, rücken andere Themen erst neuerdings in den Fokus. Da ist zum Beispiel die verstärkt diskutierte und beklagte Entgrenzung der Arbeitszeit zu nennen. Auch nach Feierabend oder am Wochenende ist der vom Chef oder selbst auferlegte Zwang, Mails zu checken, groß, und allzu oft verschwimmen Arbeit und Freizeit zu einem Kontinuum. "Internationale Reisen zu Zwecken der Projektarbeit oder Servicetätigkeit belasten durch Zeitverschiebung und flexible Arbeitszeiten", sagt Andreas Beeres, CIO der Schott AG. Wenn dann noch Ärger hinzukommt - und der ist bei Fachleuten, die sich mit IT und Software beschäftigen, im wahrsten Sinne des Wortes vorprogrammiert -, dann kann es je nach individueller Konstitution zu Schlafstörungen und Nervosität kommen. Auf Dauer können organische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzerkrankungen und Übergewicht die Folge sein.

Die Zahl der Frühverrentungen aufgrund psychischer Befunde nimmt zu, besonders dramatisch seit 2006. Es besteht die Gefahr, dass den Arbeitgebern die angesichts des demografischen Wandels unverzichtbaren Mitarbeiter über 50 wegbrechen. Der Yoga-Kurs reicht dann nicht mehr, "wir müssen diese Mitarbeiter bei der emotionalen Arbeit unterstützen", sagt Medizinerin Margit Emmerich, die seit 2003 den betriebsärztlichen Dienst sowie das betriebliche Gesundheitsmanagement bei der Schott AG leitet.

Gesundheitsmanagement gehört zur Unternehmensstrategie

Ein ganzheitliches Gesundheitsmanagement ist für die Ärztin der Schlüssel zur Bewältigung des demografischen Wandels. Ihrer Erfahrung nach helfe das Gesundheitsmanagement, Fachkräfte länger ans Unternehmen zu binden. Auch wenn die Fehlzeiten von Älteren höher seien als bei Jungen, sei die Wertschätzung für Ältere gestiegen. Die Unternehmen hätten begriffen, dass sie sich das Wissen der Erfahrenen möglichst lange sichern und kontinuierlich auf die Jungen übertragen müssten. Damit ist Gesundheitsmanagement ein wichtiger Aspekt einer Unternehmensstrategie. Und es ist eine Führungsaufgabe, auf die Führungskräfte leider kaum vorbereitet sind.

Das möchte die Schott AG ändern. Der Mainzer Spezialglashersteller hat das Gesundheitsmanagement deshalb in den letzten Jahren zunehmend auf spezielle Zielgruppen wie IT-Fachkräfte und Führungskräfte ausgeweitet. Ein Schulungstag zu "Führung und Gesundheit" ist seit 2008 mit wechselnden Themenschwerpunkten Pflicht. Die Führungskräfte lernen dort, Warnsignale bei Mitarbeitern zu erkennen, auch Ursachen, die aus dem privaten Umfeld kommen. Denn Probleme etwa durch den Tod eines Angehörigen oder eine Trennung legt ein Mitarbeiter nicht am Werkstor ab, sondern trägt sie als unsichtbare Bürde durch den Arbeitsalltag.

Führungskräfte dürfen und sollen sich aktiv um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter kümmern - und natürlich um ihre eigene, denn Burnout ist bei Managern auch bei Schott kein unbekanntes Thema. Ganzheitliches Gesundheitsmanagement, nennt das Emmerich. Sie hat die Leadership-Trainings mit Gesundheitsbezug bei Schott federführend entwickelt.

Resilienz hilft Belastungen meistern

Eine weitere Initiative von Unternehmen und Betriebsrat ist der Arbeitskreis Demographie, der unter anderem Maßnahmen zur Gesunderhaltung bis ins Rentenalter entwickeln soll. Emmerichs klare Botschaft: "Gesundheit im Alter fängt in jungen Jahren an." Ob ein IT-Experte in 20 Jahren mit 67 in Rente gehen kann, entscheidet er durch sein Verhalten bereits heute. Die Arbeitszeitentgrenzung durch die ständige digitale Erreichbarkeit oder das Arbeiten von Teams über mehrere Zeitzonen hinweg ist realistischerweise nicht umkehrbar. Neue Rezepte müssen also her, eines ist der Aufbau von Resilienz. Statt die Ursachen von Belastung zu beseitigen, hilft Resilienz, mit Belastungen besser umzugehen und mental gesund zu bleiben.

Manchmal nutzt es auch, bei Problemen mit jemand zu sprechen. Schott hat dafür die Insite Interventions GmbH als Dienstleister für die externe Mitarbeiterberatung (EAP) beauftragt. Aber auch mittelständische Unternehmen wie das IT-Beratungshaus BTC Business Technology AG bieten ihren Mitarbeitern eine solche Hilfestellung an. Schließlich fällt es vielen Angestellten schwer, ihre Vorgesetzten in eine persönliche Gesundheitsthematik einzuweihen.

Andjelina Gudelj, Verantwortliche für das Gesundheitsmanagement bei BTC, erklärt: "Auch wenn es bei BTC keine Gefahrenstoffe gibt, können andere Themen Körper und Psyche belasten", (siehe Interview). Die 1600 Mitarbeiter, die bei dem IT-Dienstleister in der Beratung, Entwicklung oder in anderen Bereichen arbeiten, können bei Bedarf direkten Kontakt zum Fürstenberg-Institut in Hamburg aufnehmen. Die unabhängige Anlaufstelle bietet BTC-Mitarbeitern die Möglichkeit, sich über eine kostenfreie Rufnummer unbegrenzt beraten zu lassen - auch bei privaten Fragestellungen. Die Konsultation ist anonym, so dass sich der Mitarbeiter in einer geschützten Umgebung wiederfindet und nichts nach außen dringt. Alle Kosten übernimmt die BTC AG.

Das ist nicht das Einzige, was das IT-Consulting-Unternehmen unternimmt, "damit Krankheiten gar nicht erst entstehen", wie Gudelj sagt: "Ein Gesundheitsmanagement muss alle Risikofaktoren erkennen und daraus passende Maßnahmen ableiten. Zusätzlich wollen wir die Ressourcen unserer Mitarbeiter stärken, damit Belastungen gar nicht erst als solche erlebt werden."

Für die Zukunft ist Betriebsärztin Emmerich optimistisch. Bewerber würden nicht nur vermehrt nach Kitaplätzen sowie Vereinbarkeit von Familie und Beruf fragen: "Die Jüngeren haben das Thema Gesundheit zunehmend auf dem Schirm."

Interview mit Andjelina Gudelj

Eigentlich müssten Arbeitende in der IT-Branche glücklich und zufrieden sein. Es gibt keine gefährlichen Chemikalien, mit denen sie in Berührung kommen könnten, und keine schweren Lasten zu heben…

Andjelina Gudelj: Ja, das stimmt. Die Arbeitsbedingungen im IT-Dienstleistungs- und Beratungsbereich sind im Vergleich zu vielen anderen sehr gut. Es gibt ein hohes Maß an Handlungs- und Entscheidungsfreiräumen. Doch auch hier kommt es zu Belastungen, die auf Anhieb oft nicht erkannt werden. Zu einem der Risikofaktoren zählt die Bildschirmarbeit. Langes Sitzen und konzentriertes Sehen beanspruchen den Körper, die Augen und natürlich auch die Psyche.

Was beansprucht die Psyche?

Andjelina Gudelj: In der IT-Branche ist es die Arbeitsform an sich, die belasten kann. Viele unserer Mitarbeiter - gerade die Projektleiter, Berater und Entwickler - arbeiten in Projekten, zum Teil auch in mehreren gleichzeitig. An der Tagesordnung sind neue und komplexe Aufgaben, Belastungsspitzen und wechselnde Projektteams. Das ist oft weit weg vom klassischen "9-to-5-Job" und gibt viel Freiheit, erfordert aber auch Flexibilität, Einsatz und Selbstorganisation. Darüber hinaus gilt es, Kunden zu besuchen und dort Projekte zu betreuen. Das bringt oft lange Arbeitszeiten mit sich.

Welche typischen Krankheiten registrieren Sie?

Andjelina Gudelj: Wie in anderen Büroumgebungen, wo viele Menschen zusammenarbeiten, sind grippale Infekte natürlich häufig. Richtig typisch für Büroarbeit sind Beeinträchtigungen des Muskel- und Skelettsystems, die durch den Bewegungsmangel und die einseitige Haltung entstehen. Die Folgen sind beispielsweise Rückenschmerzen oder Probleme an den Bandscheiben.

Notebook und Smartphone begleiten heute fast jeden. Ist die Entgrenzung der Arbeitszeit ebenfalls ein Problem?

Andjelina Gudelj: Mit mobilen und flexiblen Arbeitsmodellen bieten wir den BTC-Mitarbeitern viele Möglichkeiten, ihre Arbeit auch mit dem Notebook und Smartphone dann zu erledigen, wann es gut in ihren Tag passt - das kann dann auch mal erst abends um 20 Uhr sein, wenn die Kinder schon schlafen. Aber nicht alle Mitarbeiter wollen ihre Arbeit auch mit nach Hause nehmen. Hier ist eine hohe Eigenverantwortung des Einzelnen und auch Achtsamkeit des Unternehmens gefragt. Denn regelmäßige Ruhephasen sind wichtig, damit der Stress nicht zur Dauerbelastung führt.

Was tun Sie dafür, dass der Einzelne sich nicht selbst ausbeutet, sondern eine gute Balance zwischen Arbeit und Privatem findet?

Andjelina Gudelj: Schon unsere Führungskräfte werden dafür sensibilisiert, auf die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu achten - und natürlich auch auf ihre eigene. In einem Training mit einer Psychologin und einem Mediziner reflektieren sie beispielsweise die Erfolgsfaktoren gesunder Führung und lernen, erste Anzeichen von Stress und Burnout zu erkennen. Aber auch unseren Mitarbeitern bieten wir ein entsprechendes Angebot mit dem Titel "Gesund denken und handeln". Fragen wie "Was verursacht Stress bei mir?", und "Wie gehe ich anders damit um?" stehen hier im Vordergrund. Wir bekommen sehr positive Rückmeldungen auf diese Angebote. (pg)