Hersteller-Direktvertrieb im Internet – Fluch oder Segen?

07.12.2007
Der Internetvertrieb als Problematik im IT-Handel ist immer wieder im Gespräch. Zugleich werden in diesem Kanal immer wieder Umsatzrekorde vermeldet und trotz aller Unkenrufe verdienen einige Anbieter damit tatsächlich Geld. In diesem emotionalen Umfeld kann etwas Versachlichung vielleicht hilfreich sein.

Den Internetfeinden sei vorab gesagt: Ich arbeite für einen E-Commerce Dienstleister und betreibe seit elf Jahren E-Commerce, also blättern Sie vielleicht gleich weiter, oder eben nicht. Ich möchte am Beispiel eines Herstellers den Sinn des Internetvertriebs beleuchten und zuvor die Probleme von Herstellern und Fachhändlern mit dem Internet ansprechen.

Der Kernvorwurf lautet "Das Internet macht die Preise kaputt". Lassen wir die Hehlerei und Fakes auf diversen Auktionsportalen weg, so gilt grundsätzlich, dass die Preise im Internet tatsächlich meist deutlich unter anderen Angeboten liegen. So kommt ein prominenter Geschäftsführer eines Herstellers zu der These: "Internethandel ist Wertvernichtung". An der Stelle lohnt ein Blick auf das Warum, dabei sollen drei Themenbereiche kurz beleuchtet werden.

Hohe Markttransparenz

Der Internethandel ist nahe am betriebswirtschaftlichen Optimum völliger Markttransparenz. Dank diverser Preissuchmaschinen kann der Kunde zwischen Flensburg und Garmisch seinen Händler wählen. Wenn die Kunden aber eine hohe Markttransparenz erhalten, war dies schon immer schlecht für die Margen der Anbieter. Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten.

Von Herstellern und Distribution unterstützt

Die Markteinstiegsbarrieren sind sehr gering. Für wenige Euro erhält man einen Online Shop und kann ein Sortiment der Distribution ohne viel Aufwand anbieten. Im Web sieht niemand, dass der Anbieter ohne eigene Strukturen sein Geschäft von seinem Wohnzimmer aus betreibt. Um in den Markt zu kommen, wird häufig zum HEK verkauft – gelebt wird von den Frachtkosten. Das Modell ist nicht skalierbar und sobald ernsthaft Retouren zu verkraften sind, sind diese Geschäftsmodelle meist am Ende.

Da kaufmännischer Verstand aber nicht überall verbreitet ist und die Einstiegsbarrieren eben gering, werden immer wieder neue Anbieter starten. So könnte man der Distribution vorhalten; dass sie diese Entwicklung aktiv mit Ihren Drop Shipment Angeboten forciert. Zusätzlich bedarf es dann aber auch noch einer unbefriedigenden Partnerstrategie der Hersteller. Wenn ein völlig unbedeutender Online-Anbieter zwar keine Volumen für den Hersteller dreht, aber mit dem Verkauf zum HEK den Marktpreis eines Produktes zerstören kann, zeigt das, dass die Hersteller und Distis noch Lernkurven für Ihre Preispolitik vor sich haben. Hier besteht vorsichtige Hoffnung.

Spiel ohne Grenzen

Einkaufsvorteile werden genutzt. Heute ist es auch für einen kleinen Händler kein Problem mehr, Ware im europäischen Ausland zu beschaffen. Da viele Hersteller nach wie vor keine abgestimmte europäische Preispolitik haben, können massive Marktstörungen entstehen. Geplatzte Projekte, zu sportliche Forecasts und schon fällt dem Vertrieb ein, dass im europäischen Ausland nebenan noch 80 Millionen potenzielle Kunden wohnen. Bei einem Notebook trifft das wegen der Lokalisierungsanforderungen meist nicht zu, aber die sprichwörtliche Digitalkamera, die in jedem Benelux Haushalt eigentlich in zweistelligen Stückzahlen vorrätig sein müsste, mag als Beispiel dienen. Gerade in diesem Punkt, der meist die gravierendsten Preisabstände erzeugt (in der Distribution liegt die Preisvariation meist unter 2 Prozent), müssen die Hersteller erst mal vor der eigenen Tür fegen.

Ein weiterer Mechanismus in diesem Bereich sind kleine kooperierte Händler. Insbesondere in der Unterhaltungselektronik wird mit den Preisvorteilen der Kooperation im eigenen Webshop die Ware fast zum EK angeboten. Meist reicht dem Händler ein Überschuss bei den Frachtkosten, weil man in der Kooperation auch mit überschaubaren Volumen in die nächste Preisstaffel für das Gesamtvolumen rutscht. Das erklärt am besten; dass insbesondere UE Ware von Herstellern, die angeblich nicht an deutsche E-Tailer liefern, trotzdem im Web zu finden ist. Allerdings nicht bei den renommierten E-Tailern, die mit ihrem Geschäftsmodell auch Geld verdienen müssen. Hier sind also zuerst die Hersteller und dann auch die Kooperationen gefragt, den Wildwuchs einzudämmen.

Es führt kein Weg daran vorbei

Was heißt das für den Hersteller? Ob er will oder nicht, er wird im Internet sein. Das ist das schöne am Markt, Bedürfnisse werden identifiziert und befriedigt. Der Hersteller kann über Copyright Klagen und Markenschutzgesetz den Kampf gegen die Windmühlen starten, oder versuchen, sein Geschäft zu gestalten und es mit den richtigen Partnern voranzubringen. Denn bei allen (Lippen-)Bekenntnissen, sich von den Internet- "Schmuddelkindern" fernzuhalten, der Hersteller stiert auf Umsätze und Wachstum im Web. Daraus ergibt sich häufig eine selbst blockierende "Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass" Positionierung.

Akzeptieren Sie die normative Kraft des Faktischen: Das Internet ist als Vertriebskanal inzwischen etabliert. Es empfiehlt sich, die Entwicklung dieses Kanals mit zu gestalten, denn sonst werden Sie gestaltet. Allein dafür muss man nicht selbst im Internet tätig werden. Dennoch gibt es aus meiner Sicht zwei Argumente, die über vernünftiges Partnering unter Berücksichtigung der oben genannten Mechanismen den Direktvertrieb für einen Hersteller sinnvoll machen:

1. Vertrieb des Restsortiments
Die Macht des Handels (Stichwort MSH) ist insbesondere für kleinere Hersteller ein Problem. Wie kann ein Hersteller Optionen und Zubehör anbieten, wenn der Handel nicht will? Hier wird in aller Regel nicht der Erstkäufer sondern der Nachrüster angesprochen, der zum Beispiel die Original Dockingstation für ein Notebook oder eine farblich passende Logo- Tasche haben will. Dieser Kunde sucht auch zuerst auf der Herstellerseite.

2. Stützen der eigenen Preisempfehlungen/UVP
Das Komplettangebot des Herstellers wird zum UVP angeboten, Zubehör und Optionen sind ab Lager verfügbar. Hier geht es nicht um Erstkäufer und Volumenvertrieb, sondern um Marketing und Kundenzufriedenheit. Bevor der Kunde sich die Hacken abläuft, um ein Zubehörteil "seines" Herstellers zu erhalten, soll er doch beim Hersteller kaufen und glücklich werden. Die Händler haben sich ja schon gegen den "Kleinkram" entschieden, weil die Stückzahlen zu gering und Lagerhaltung zu teuer ist. Diese Käufer sind auch nicht preissensitiv – sie wollen ihr Problem lösen.

Die Frage nach dem Aufruhr unter den Partnern kann der Hersteller meist entspannt angehen: Nach mehr als 10 Jahren Dell in Deutschland störte sich am Start der Shops von Acer und FSC (um zwei Anbieter mit großer Partnerstruktur zu nennen) schon vor Jahren niemand mehr.

Nachdem ich mit dem Gesagten nun Handel und Distribution gleichermaßen gegen mich aufgebracht habe, bleibt als Quintessenz: Handel bleibt Wandel, das Internet hat erst begonnen, unsere Branche zu bewegen oder um den Ökonom Schumpeter zu bemühen: "die kreative Zerstörung voranzutreiben". Unsere Branche wird auch in den nächsten Jahren nicht langweilig. Zumindest das sind die guten Nachrichten. (bw)

Der Autor:
Michael Gerke.arbeitet bei der 004 Beratungs- und Dienstleistungs- GmbH in Aschaffenburg. Seit 1996 ist er in der Entwicklung des Online Handels im Bereich IT und UE aktiv. Bei der 004 betreut er Kunden wie den T-Online Shop und leitet den Einkauf.