Arbeitsrechtliche Entscheidungen

Kommentierte Rechtsprechung, Teil 5

19.10.2012
Welche Bedeutung arbeitsrechtliche Urteile für die Praxis haben, erläutert Christoph J. Burgmer. Im Detail: Altersdiskriminierung durch Altersgruppenbildung, private Äußerungen über Kunden sowie Diskriminierungsverbot bei Vergütung.
Nicht jede Ungleichbehandlung ist ein Fall von Altersdiskriminierug.
Foto: Christian Töpfer

In den drei kommentierten Urteilen geht es um die Themen Keine Altersdiskriminierung durch Altersgruppenbildung, Private Äußerungen bei Facebook über den Kunden des Arbeitgebers sowie Vergütung einer Teilzeitkraft - Diskriminierungsverbot.

Urteil 1: Keine Altersdiskriminierung durch Altersgruppenbildung
Gericht: BAG, Urteil vom 15.12.2011, 2 AZR 42/10

Leitsatz:

Die gesetzliche Vorgabe in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG, das Lebensalter als eines von mehreren Kriterien bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen, und die durch § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eröffnete Möglichkeit, die Auswahl zum Zweck der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur innerhalb von Altersgruppen vorzunehmen, verstoßen nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung.

Bedeutung für die Praxis:

Das BAG entschied, dass nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG das Lebensalter trotz des Verbots der Altersdiskriminierung neben den weiteren Kriterien bei der Sozialauswahl zu berücksichtigen ist.

Das führe zwar zu einer Bevorzugung älterer und zu einer Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Diese Ungleichbehandlung verstoße aber weder gegen das AGG noch gegen Unionsrecht. Ältere Arbeitnehmer, die wegen ihres Alters typischerweise schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, sollen bei einer betrieblich veranlassten Kündigung nämlich stärker geschützt werden

Außerdem werde die Gewichtung des Lebensalters durch eine von § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ermöglichte Bildung von Altersgruppen zugunsten jüngerer Arbeitnehmer relativiert. Auch dies sei mit dem AGG und dem Unionsrecht vereinbar, sofern sie nicht willkürlich oder tendenziös auf bestimmte Personen zielend erfolge. Die Altersgruppenbildung diene nämlich auch dem Wettbewerbsinteresse des Unternehmers. Dieser habe ein Interesse daran, dass eine ausgewogene Altersstruktur im Betrieb herrscht.

Facebook

Urteil 2: Private Äußerungen bei Facebook über den Kunden des ArbeitgebersGericht: Bayerischer VGH, Beschluss vom 29.02.2012, 12 C 12.264

Leitsatz:

Diffamierende oder ehrverletzende Äußerungen in vertraulichen Gesprächen - sei es unter Arbeitskollegen oder Freunden - vermögen eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit auch die Annahme eines "besonderen Falles" im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen.

Bedeutung für die Praxis:

Die Arbeitnehmerin war für einen Sicherheitsdienst bei einem Mobilfunkunternehmen als Sicherheitskraft eingestellt. Noch während der Probezeit schrieb sie auf ihrem Facebook-Account über diesen Mobilfunkanbieter: "Boah kotzen die mich an (…), da sperren sie einfach das Handy, obwohl (…) man schon bezahlt hat … und dann behaupten die es wären keine Zahlungen da. Solche Penner … Naja ab nächsten Monat habe ich einen neuen Anbieter …"

Der schwangeren Arbeitnehmerin wurde mit Zustimmung der für den Mutterschutz zuständigen Behörde außerordentlich gekündigt. Hiergegen wehrt sich die Klägerin.

Der VGH stellte klar, dass der "besondere Fall" des § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG nicht mit dem "wichtigen Grund" des § 626 BGB gleichzusetzen ist. Ein solcher Fall könne nur "ausnahmsweise" dann angenommen werden, wenn außergewöhnliche Umstände das Zurücktreten der vom Gesetz als vorrangig angesehenen Interessen der Schwangeren hinter die - noch gewichtigeren - Interessen des Arbeitgebers rechtfertigen. Ein solcher Fall liege hier fern, da es sich nicht um Schmähkritik handele. Die Arbeitnehmerin habe lediglich ihre privaten Interessen wahrgenommen, in dem sie ihre Unzufriedenheit mit dem Mobilfunkanbieter ausdrückte.

Außerdem sei es relevant, ob die Veröffentlichung auf Facebook im öffentlichen oder im privaten Bereich erfolge. Bei Äußerungen im privaten Gespräch liegt die Annahme eines besonderen Falles im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 1 MuSchG fern.

Die Frage, wann eine Äußerung bei Facebook im privaten Bereich erfolgt, beantwortete der VGH nicht. Denn auch bei einem nicht öffentlichen Posting können die Freunde des Facebook-Mitglieds (darunter auch vielfach Arbeitskollegen) die Aussagen lesen.

Teilzeit

Urteil 3: Vergütung einer Teilzeitkraft - Diskriminierungsverbot
Gericht: BAG, Urteil vom 14.12.2011, 5 AZR 457/10

Leitsätze:

1. Eine Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Vergütung entsprechend dem "pro-rata-temporis-Grundsatz" des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG schließt eine sonstige Benachteiligung im Sinne des Satzes 1 nicht aus.

2. Droht einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer im Laufe des Vertragsverhältnisses aufgrund unterschiedlicher Vertragsgestaltung des Arbeitgebers bei Voll- und Teilzeitbeschäftigten eine schlechtere Behandlung, ist der Arbeitgeber nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG verpflichtet, den Teilzeitbeschäftigten so zu stellen, dass eine schlechtere Behandlung unterbleibt.

Bedeutung für die Praxis:

Die Parteien streiten über die Vergütungshöhe eines Musiklehrers in Teilzeit. Die Vergütung betrug anfangs 9,5/20 einer Vollzeitkraft. Da sich die Vergütung an den Wochenstunden für Vollzeitkräfte orientierte betrug die Vergütung nach einer Anhebung der Pflichtstundenzahl für Vollzeitkräfte auf 25 Wochenstunden nur noch 9,5/25 der Vergütung einer Vollzeitkraft. Der Kläger meint, er werde im Sinne von § 4 Abs. 1 TzBfG benachteiligt, weil nur Teilzeitkräfte Einkommensverluste durch die Anhebung der Wochenstunden für Vollzeitkräfte hinnehmen müssten.

Das BAG entscheid, dass trotz einer Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter bei der Vergütung entsprechend § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG eine Benachteiligung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 nicht ausgeschlossen ist. Eine schlechtere Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG könne auch darin liegen, dass aufgrund unterschiedlicher Vertragsgestaltung der teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer Nachteile erleide, die ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nicht habe. Das sei vorliegend der Fall.

Das Verbot schlechterer Behandlung in § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG verpflichtet den Arbeitgeber, eine Benachteiligung zu unterlassen. Das BAG fordert vom Arbeitgeber, dass er Teilzeitbeschäftigte so stellt, dass eine schlechtere Behandlung unterbleibt. Dies gelte auch dann, wenn erst im Laufe des Vertragsverhältnisses einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer aufgrund unterschiedlicher Vertragsgestaltung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten eine schlechtere Behandlung droht. Dementsprechend müsse der Beklagte dem Kläger eine Verlängerung seiner Arbeitszeit anbieten, so dass ihm seine bisherige monatliche Vergütung erhalten bleibt. Unterlässt er dies, macht er sich nach dem BAG gegebenenfalls schadensersatzpflichtig.

Arbeitgebern ist anzuraten darauf zu achten, den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern die Nachteile auszugleichen, die sie aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung erleiden. Andernfalls kann es sein, dass sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig macht. (oe)

Christoph J. Burgmer ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator.
Internet: www.burgmer.com