Was Arbeitnehmer wissen sollten

Kündigungsschutzgesetz – gegen die Chef-Willkür

17.02.2010
Wie die Entlassung von Mitarbeitern geregelt ist, sagen Michael Henn und Christian Lentföhr.

Arbeitnehmer genießen bei Entlassungen zahlreiche Schutzmaßnahmen, die der Gesetzgeber im Kündigungsschutzgesetz zusammengefasst hat. Hier lesen Sie Einzelheiten.

1. Allgemeines

Wenn das zu kündigende Arbeitsverhältnis gemäß § 23 I KSchG als Kleinbetrieb bzw. bei nicht länger als sechsmonatiger Beschäftigung des Arbeitnehmers i.S.d. § 1 I KSchG nicht dem Kündigungsschutz des § 1 I KSchG unterliegt, so ist eine ordentliche Kündigung ohne soziale Rechtfertigung möglich.

Hinsichtlich der Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung ist zunächst danach zu fragen, ob das Arbeitsverhältnis dem allgemeinen Kündigungsschutz nach KSchG unterliegt.

Der Anwendungsbereich des 1. Abschnitts des KSchG, in dessen § 1 I KSchG die soziale Rechtfertigung der Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung vorausgesetzt wird, nicht auf Kleinbetriebe. Als solche gelten seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Arbeitsmarktreform ab 01.01.04 gemäß § 23 I S. 2 und 3 KSchG Betriebe, in denen in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich Auszubildender beschäftigt werden. Auch werden die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis erst nach dem 31.12.03 begonnen hat, nicht bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer berücksichtigt. Für Arbeitsverhältnisse, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.01.04 begonnen hat, gilt weiterhin der Schwellenwert von nicht mehr als 5 (Alt-)Arbeitnehmern im Betrieb.

Teilzeitbeschäftigte sind gemäß § 23 I 4 KSchG gestaffelt wie folgt einzurechnen: Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden sind mit 0,5 zu berücksichtigen, Arbeitnehmer mit nicht mehr als 30 Wochenstunden mit 0,75.

Der Arbeitsplatz des zu kündigenden Arbeitnehmers ist in die Berechnung des Schwellenwerts für die Anwendbarkeit des KSchG mit einzurechnen. Dies gilt auch dann, wenn Kündigungsgrund die unternehmerische Entscheidung ist, den betreffenden Arbeitsplatz künftig dauerhaft nicht mehr neu zu besetzen (BAG Urteil v. 22.01.04 zu 2 AZR 237/03).

Aushilfskräfte

Nicht der Betriebsgröße nach § 23 I 2 KSchG zuzurechnen sind Aushilfskräfte, außer es kann eine regelmäßige Anzahl von Aushilfskräften in einem Betrieb festgestellt werden. Gemäß § 21 VII BErzGG zählt ein Arbeitnehmer in Elternzeit nicht zur Betriebsbelegschaft, sofern eine dem Betrieb zuzurechnende Ersatzkraft für ihn eingestellt ist. Leiharbeitnehmer sind gemäß § 14 I AÜG nicht als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs einzurechnen, sondern sind Arbeitnehmer des Verleiherbetriebs.

Nach § 1 I KSchG ist die Kündigung eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb ohne Unterbrechung länger als 6 Monate bestanden hat, rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

Die soziale Rechtfertigung kann im Sinne des § 1 II 1 KSchG durch die dort aufgeführten drei Fallgruppen von Kündigungsgründen gegeben sein: personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte Kündigungsbegründung.

2. Verhaltensbedingte Kündigung

Für die sogenannte verhaltensbedingte Kündigung gilt Folgendes:

2.1 Überblick

Eine Kündigung ist dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe bedingt ist, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, § 1 Abs. 2 KSchG.

In der Regel wird deshalb eine verhaltensbedingte Kündigung auszusprechen sein. Es müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

- Verletzung vertraglicher Pflichten

- Negative Zukunftsprognose

- Verschulden

- Abmahnung

- Interessenabwägung

2.2 Vertragsverletzungen

Verhaltensbedingte Kündigungsgründe können Vertragsverletzungen, dienstliches und außerdienstliches Verhalten, Umstände aus dem Verhältnis des Arbeitnehmers zu betrieblichen und überbetrieblichen Einrichtungen, Organisationen und Behörden sein. Entscheidend ist ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers, das in einer Verletzung arbeitsvertraglicher Haupt- oder Nebenpflichten liegen kann.

2.3 Verschulden

Der Arbeitnehmer muss schuldhaft handeln, es ist nicht notwendig, dass er auch vorsätzlich handelt. Es genügt bereits eine fahrlässige Pflichtverletzung. Abweichend von diesem Prinzip soll ein Objektiv pflichtwidriges Verhalten dann eine Kündigung rechtfertigen können, wenn die Folgen für den Arbeitgeber erheblich waren, z. B. bei Verursachung eines beträchtlichen Schadens oder bei einer erheblichen Störung des Betriebsfriedens.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Sachverhalt vor Ausspruch der Kündigung umfassend aufzuklären. Unter den Tatsachen, die für die Kündigung maßgebend sind, sind im Sinne der Zumutbarkeitserwägungen sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände zu verstehen. Es genügt somit nicht, die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlasses, der einen wichtigen Grund darstellen könnte. Dem Kündigungsberechtigten muss eine Gesamtwürdigung nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten möglich sein. Bei der Arbeitgeberkündigung gehören deswegen zum Kündigungssachverhalt auch die für den Arbeitnehmer und gegen eine außerordentliche Kündigung sprechenden Gesichtspunkte, die regelmäßig ohne Anhörung des Arbeitnehmers nicht hinreichend vollständig erfasst werden können. Solange der Kündigungsberechtigte diese zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinen Maßnahmen nicht durchführt, insbesondere den Kündigungsgegner Gelegenheit zur Stellung nähme gibt, kann die Ausschlussfrist nicht beginnen.

Grundvoraussetzung für den Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung ist aber eine vorherige Abmahnung.

2.4 Abmahnung

Abmahnungen sollen dem Arbeitnehmer ein Fehlverhalten deutlich machen und ihn vor zukünftigen Konsequenzen warnen. Dies setzt eine genaue Bezeichnung des Vorwurfes mit Datum und Sachverhalt voraus. Um die Warnfunktion zu erfüllen, sind auch die Konsequenzen genau bezeichnet anzudrohen.

Das Bundesarbeitsgericht hält einer Abmahnung bei Störungen im Leistungsbereich regelmäßig vor Ausspruch einer Kündigung für erforderlich. Bei Störungen im Vertrauensbereich ist eine vorherige Abmahnung regelmäßig entbehrlich. Nur wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen, ist bei einem Fehlverhalten im Vertrauensbereich einer Abmahnung ausnahmsweise entbehrlich.

Der Arbeitgeber muss in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise Leistungsmängel beanstanden und damit den Hinweis verbinden, dass in Wiederholungsfalle der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet sei. Eine Abmahnung, die diesen Anforderungen nicht entspricht, ist unwirksam.

Die Abmahnung ist nicht formgebundenen, sie bedarf insbesondere keiner Schriftform. Zweckmäßig ist es aber die Abmahnung umfassend mündlich vorzunehmen und unter Bezug hierauf schriftlich zu bestätigen.

Das Bundesarbeitsgericht hat eine Regelausschlussfrist für Abmahnungen abgelehnt.

Bagatellverstöße

Bei Bagatellverstößen, die jeder für sich mangels Verhältnismäßigkeit keine Abmahnung rechtfertigen können und erst durch ständige Wiederholung das Gewicht eines abmahnungsfähigen Verhaltens gewinnen, wird deutlich, dass die Abmahnung grundsätzlich nicht an Zeitvorgaben gebunden ist. Unter Umständen kann aber das Recht zur Abmahnung verwirkt sein.

Das Bundesarbeitsgericht hat es ebenfalls abgelehnt, eine Regelfrist anzuerkennen, nach deren Ablauf eine Abmahnung grundsätzlich unwirksam wäre. Eine eventuelle Unwirksamkeit durch Zeitablauf kann nur aufgrund aller Umstände des Einzelfalles festgestellt werden. In der Praxis kann von vier Wochen ausgegangen werden.

Abmahnungsberechtigt sind alle Mitarbeiter, die auf Grund ihrer Aufgabenstellung verbindliche Anweisungen bezüglich des Ortes, derzeit sowie der Art und Weise der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu erteilen haben. Zu beachten ist vor allem, dass der Arbeitgeber einen etwaigen Kündigungsgrund verbraucht, wenn er den zu Grunde liegenden Sachverhalt nur mit einer Abmahnung ahndet.

Das Bundesarbeitsgericht billigt dem Arbeitnehmer in ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte zu.

Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für die Tatsachen, aus denen die Berechtigung der Abmahnung erfolgt. Werden in einer Abmahnung mehrere Pflichtverletzungen gerügt und ist auch nur eine der vermeintlichen Pflichtverletzungen seitens des Arbeitgebers nicht beweisbar, ist die Abmahnung insgesamt aus der Personalakte zu entfernen. Es ist aber zulässig, die in einem Abmahnungsprozess als berechtigt angesehene Rüge unter Entfernung des unberechtigten Teils neu zusammenzufassen und in die Personalakte aufzunehmen.

2.5 Interessenabwägung

Ebenso wie bei anderen Kündigungsformen bedarf es auch bei der verhaltensbedingten Kündigung einer umfassenden Interessenabwägung.

Aufseiten des Arbeitgebers können dabei Gesichtspunkte und Disziplin, Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Betriebes oder des Unternehmens, der Eintritt eines Vermögensschadens, die Wiederholungsgefahr, die Schädigung des Ansehens in der Öffentlichkeit sowie der Schutz der übrigen Belegschaftsmitglieder einbezogen werden. Führt das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers (etwa unentschuldigtes Fehlen) zu Betriebsablaufstörungen, kommt diesen im Rahmen der Interessenabwägung den Arbeitnehmer belastendes Gewicht zu.

Aufseiten des Arbeitnehmers kommen folgende Gesichtspunkte für die Einstellung in die Interessenabwägung in Betracht: Art, Schwere unter Häufigkeit der vorgeworfenen Pflichtwidrigkeiten, früheres Verhalten des Arbeitnehmers, Mitverschulden des Arbeitgebers, Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Umfang der Unterhaltsverpflichtungen sowie die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Insbesondere ist zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betriebsunternehmens eingesetzt werden kann.

2.6 Darlegung- und Beweislast

Der Arbeitgeber trägt die Darlegung und Beweislast für die verhaltensbedingten Kündigungsgründe, § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG. Das bezieht sich auch auf das Verschulden des Arbeitnehmers.

2.7 Einzelfälle

Durch Alkoholismus bedingte arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen während der Arbeitszeit können eine Kündigung rechtfertigen. Der Alkoholismus selbst wird in der Regel nur einen krankheitsbedingten Kündigungsgrund darstellen können.

Wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist, hat er alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Das bloße Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit kann als beharrliche Arbeitsverweigerung sogar mit einer außerordentlichen Kündigung geahndet werden. Arbeitet ein Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit anderweitig, ist der Beweis der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Der Arbeitnehmer muss dann seinerseits konkret darlegen, warum er gesundheitlich nicht in der Lage gewesen sein soll, in seinem Hauptarbeitsverhältnis zu arbeiten.

Außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers setzt als Kündigungsgrund voraus, dass das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird. Dies kann der Fall sein, wenn die nicht durch eine Notlage verursachte Verschuldung eines in einer Vertrauensstellung beschäftigten Arbeitnehmers in kurzer Zeit zu häufigen Lohnpfändungen führt. Eine abstrakte Störung des Betriebsfriedens reicht allerdings nicht aus.

Nebenbeschäftigung

Eine Nebenbeschäftigung rechtfertigt eine Kündigung nur dann, wenn der Arbeitgeber an der Unterlassung ein berechtigtes Interesse hatte. Eine Verletzung eines Wettbewerbsverbotes rechtfertigt allerdings regelmäßig eine Kündigung.

Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und so weit der Arbeitgeber die Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines nicht erwiesenen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Bei der Verdachtskündigung sind wegen des Risikos, einen Unschuldigen zu treffen, sehr strenge Anforderungen an die Aufklärungspflicht des Arbeitgebers zu stellen. Eine Verdachtskündigung ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist grundsätzlich unwirksam.

Verstöße gegen die Betriebsordnung sind nach vorheriger Abmahnung geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung zu begründen. Dies gilt insbesondere für wiederholte Unpünktlichkeit des Arbeitnehmers.

Weitere Informationen zum Thema und Kontakt:

Michael Henn, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Präsident des VdAA, c/o Dr. Gaupp & Coll, Stuttgart, Tel.: 0711 305893-0, E-Mail: stuttgart@drgaupp.de, Internet: www.drgaupp.de und www.vdaa.de

Christian Lentföhr, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Mitglied im VdAA, c/o W. Schuster und Partner GmbH, Schuster, Lentföhr & Zeh, Tel.: 0211 658810, E-Mail: lentfoehr@wsp.de, Internet: www.esp.de