Arbeitgeber vs. Blaumacher

"Lieber einen Tag blau als eine Woche krank"

20.03.2013
Arbeitgeber können schon ab dem ersten Krankheitstag ein ärztliches Attest von ihren Mitarbeitern fordern, ohne dies begründen zu müssen. Doch das kann der Firma schaden.
Streit um die Arbeitsunfähigkeit gibt es vor allem bei Mitarbeitern mit häufigen Kurzerkrankungen.
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Arbeitgeber können schon ab dem ersten Krankheitstag ein ärztliches Attest von ihren Mitarbeitern fordern, ohne dies begründen zu müssen. Das hat das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil am 14.11.2012, 5 AZR 886/11) entschieden. Viele Unternehmer glauben seitdem, ein Blaumachen so besser verhindern zu können. Das ist ein Trugschluss. Setzen sie die strenge Attestpflicht in ihrem Unternehmen um, kann das ihrem Arbeitgeberimage schaden und genau das Gegenteil bewirken: Mitarbeiter werden länger krankgeschrieben werden.

Sind Arbeitnehmer erkrankt, trifft sie eine Anzeigepflicht. Diese bedeutet, dass Arbeitnehmer bei einer Erkrankung verpflichtet sind, ihre Arbeitsunfähigkeit unverzüglich ihrem Chef mitzuteilen. Dies ergibt sich aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz und ist meistens auch in den Arbeitsverträgen entsprechend geregelt. Zusätzlich besteht eine Nachweispflicht, wenn ein Arbeitnehmer länger als drei Tage krank ist. Spätestens am vierten Tag muss er seine Erkrankung mit einem ärztlichen Attest nachweisen. Verstoßen Mitarbeiter gegen eine dieser Pflichten, können sie abgemahnt oder sogar gekündigt werden.

Diskussionen rund um die Arbeitsunfähigkeit treten in Unternehmen besonders oft bei Mitarbeitern mit häufigen Kurzerkrankungen auf, insbesondere dann, wenn die Krankheitstage nach dem Wochenende, nach Festen und an Brückentagen liegen oder es die Mitarbeiter mit ihrer Anzeigepflicht nicht so genau nehmen. Insbesondere in der IT-Branche, wo gegenüber Kunden strenge Service-Level-Agreements eingehalten und häufig ein 24/7-Support gewährleistet werden muss, stören sehr kurzfristige Mitarbeiterausfälle empfindlich die Arbeitsabläufe und die engen zeitlichen Vorgaben in den Projekten können oft kaum noch erfüllt werden. Da die Mitarbeiter oft beim Kunden vor Ort eingesetzt werden, tangiert ein nicht reibungsloser Projektablauf immer auch unmittelbar die Kundenbeziehung. Krankheitsbedingte Ausfälle führen auch zu zusätzlichen Belastungen für die Kollegen, weil sie die fehlenden Kapazitäten mit abdecken müssen. Dabei dürfen die Arbeitszeiten unter anderem durch das Arbeitszeitgesetz aber auch nicht unbegrenzt ausgeweitet werden.

Liegt die Vermutung nahe, dass der Mitarbeiter nicht wirklich erkrankt ist, suchen Arbeitgeber oft nach Wegen, das Blaumachen zu erschweren. Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz dürfen Arbeitgeber die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung früher als nach drei Tagen, also auch schon ab dem ersten Krankheitstag verlangen.

Arbeitgeber darf Zeitpunkt frei bestimmen

Das Bundesarbeitsgericht entschied im November zugunsten eines Radiosenders, der wegen eines auffälligen Zusammenhangs zwischen abgelehnter Dienstreise und kurzer Erkrankung einer Redakteurin die strenge Attestpflicht für sie einführte. Der Arbeitgeber darf den Zeitpunkt für die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung frei bestimmen. Dafür muss er auch keinen konkreten Verdacht gegen einen Mitarbeiter äußern, wie z.B. auffällig häufige Kurzerkrankungen an Brückentagen. Er darf verlangen, dass der Mitarbeiter die Bescheinigung am ersten Tag in die Post gibt, aber nicht den Besitz eines Faxgeräts oder Scanners für einen schnelleren Versand voraussetzen.

Wichtig für Arbeitgeber ist jedoch, sich über einen etwa einschlägigen Tarifvertrag zu informieren und sich nicht nur auf das Entgeltfortzahlungsgesetz zu stützen. Gerade in der IT-Branche gelten Tarifverträge oft dann, wenn Mitarbeiter aus tarifgebundenen Unternehmen im Wege von Betriebsübergängen übernommen wurden. Es muss in diesen Fällen einzeln geprüft werden, ob der jeweils auf den Mitarbeiter anwendbare Tarifvertrag vom Entgeltfortzahlungsgesetz abweichende Sonderregelungen vorsieht. Von diesen darf der Arbeitgeber nicht zum Nachteil der Mitarbeiter abweichen. Gibt es in den Unternehmen besondere, ggf. mit dem Betriebsrat vereinbarte Regelungen zu Krankheitsfällen oder zum betrieblichen Eingliederungsmanagement nach langer Krankheit, können dort konkrete Vorgehensweisen festgelegt sein. Personalverantwortliche und Vorgesetzte sollten deshalb im konkreten Fall nicht überstürzt von dem Gestaltungsspielraum Gebrauch machen, den das Bundesarbeitsgericht mit der aktuellen Entscheidung vereinfacht hat. Vielmehr sollte der Fokus darauf liegen, wie sich zukünftig durch ein konstruktives Vorgehen die Krankheitszeiten reduzieren lassen.

Vereinzelt kann eine Attestpflicht ab dem ersten Tag helfen, die Fehlzeiten zu reduzieren. Sie im gesamten Unternehmen einzuführen, ist nicht zu empfehlen. Wer eine flächendeckende Attestpflicht ab dem ersten Tag im Unternehmen oder zumindest für bestimmte Bereiche einführen möchte, sollte auf jeden Fall die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats beachten. Da es derzeit (noch) üblich ist, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst nach dem dritten Tag zu verlangen, kann eine weitaus striktere Regelung ungewollt nachteilig für das Image des Unternehmens sein und auch potenzielle Bewerber abschrecken.

Fehlzeiten können steigen

Arbeitgeber sollten aber auch folgenden Effekt bedenken: Wer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag fordert, dem können insgesamt sogar steigende Fehlzeiten drohen. Es liegt in der Natur der Sache, dass dem Arzt am ersten Krankheitstag eine Prognose über die voraussichtliche Dauer der Krankheit schwerer möglich sein dürfte als zu einem späteren Zeitpunkt, wenn er deren Verlauf in die Bewertung mit einbeziehen kann. In der Praxis sind Krankschreibungen für eine ganze bzw. die Rest-Woche häufig zu finden, für nur einen Tag dagegen selten. (oe)
Die Autorin Eva Wißler ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei Schmalz Rechtsanwälte in Frankfurt, www.schmalzlegal.com