Urteil zur Online-Durchsuchung

"Meilenstein im Informationsrecht"

27.02.2008
Rechtsanwalt Niko Härting über die weitreichenden Konsequenzen des Urteils des BVerfG zur Online-Durchsuchung.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem heutigen Urteil zur Online-Durchsuchung ein neues Grundrecht kreiert: das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. Das Urteil wird für Verbraucher und die Privatwirtschaft ähnlich weitreichende Folgen haben wie das Volkszählungsurteil. Durch das Volkszählungsurteil legte das BVerfG im Jahre 1983 die Grundlagen für ein zeitgemäßes Datenschutzrecht.

Dass das BVerfG aus dem Grundgesetz ein neues Grundrecht ableitet, ist ein ungewöhnlicher Vorgang. Zuletzt geschah dies 1983: In dem Volkszählungsurteil schuf das BVerfG das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - bis heute die Basis des Datenschutzrechts.

Notwendig ist das neue Grundrecht laut dem BVerfG, weil den Bürger weder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch das Telekommunikationsgeheimnis noch das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gegen eine heimliche Überwachung des eigenen Rechners ausreichend schützen:

- das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung schützt nur gegen die Erhebung und Speicherung einzelner personenbezogener Daten, nicht jedoch gegen das heimliche Ausspähen von Computerdaten.

- das Telekommunikationsgeheimnis schützt nur die "laufende Telekommunikation", nicht jedoch das Ausspähen von Datenspuren, die die Telekommunikation auf dem Rechner hinterlässt (beispielsweise gespeicherte E-Mails oder Verbindungsdaten).

- das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung schützt nicht gegen Überwachungsmaßnahmen, die - online - aus der Ferne vorgenommen werden.

Das neue Grundrecht schließt die Lücken und erlaubt dem Staat das Ausspionieren privater Rechner nur bei erheblichen Gefahren für überragend wichtige Rechtsgüter. Allerdings gilt das Grundrecht nur, wenn der Bürger auf Vertraulichkeit bauen kann:

- das neue Grundrecht schränkt die Möglichkeiten des Staates nicht ein, das Internet durchzuforsten, um dort an Informationen zu gelangen, die allgemein zugänglich sind.

- Ermittler und andere Beamte sind durch das neue Grundrecht nicht gehindert, unter Pseudonym verdeckt an Diskussionsforen und Chats teilzunehmen. Das BVerfG betont ausdrücklich, dass ein Grundrechtsschutz nur besteht, soweit der Bürger darauf vertrauen kann, dass er tatsächlich Kenntnis von der Identität seiner Kommunikationspartner hat.

Nicht zu unterschätzen sind die Folgen, die das Urteil - jedenfalls mittelfristig - für die Internetwirtschaft hat:

- das Urteil setzt dem Datenschutz erhebliche Grenzen: Nur wenn es um personenbezogene Daten geht, ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Daher sind IP-Adressen und Cookies kein Fall für den Datenschutzbeauftragten.

- das Telekommunikationsgeheimnis gilt nur für "laufende Telekommunikation". Der Arbeitgeber macht sich daher nicht ohne Weiteres strafbar, wenn er Kenntnis von privaten E-Mails seiner Mitarbeiter erlangt oder dem Verdacht nachgeht, dass Mitarbeiter während der Arbeitszeit zu privaten Zwecken surfen.

Rechtsanwalt Niko Härting: "Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Meilenstein im Informationsrecht. Der Gesetzgeber muss jetzt neue Regeln schaffen für die Vertraulichkeit der Kommunikation im Netz."

Kontakt und weitere Informationen: Niko Härting, Härting Rechtsanwälte, Chausseestraße 13, 10115 Berlin. Tel +49 30 28 30 57 40, Fax +49 30 28 30 57 44. Email: mail@haerting.de, Internet: www.haerting.de. (mf)