Distribution entdeckt Physical Security

Mit Sicherheit ein gutes Geschäft

11.07.2016 von Armin Weiler
Sicherheit ist für die Distributoren längst mehr als nur Software. Gerade im Bereich "Physical Security" erwarten die Grossisten hohe Wachstumsraten. Nun muss noch der Handel mitziehen.

Digitalisierung kann auch so aussehen: Aus dem Wachhund wird ein Bewegungsmelder, aus dem Pförtner ein biometrisches Erkennungssystem und eine Fingerbewegung in der App ersetzt den Anruf beim Nachbarn, ob zuhause noch die Herdplatte eingeschaltet ist.

Sicherheitsprodukte wie IP-basierte Überwachungskameras gehören bei vielen ITK-Distributoren bereits zum Portfolio.

Das Angebot von digitalen Sicherheitsanwendungen ist vielfältig und täglich kommen neue Lösungen dazu. "Allgemein können wir beobachten, dass das Interesse am Thema Physical Security sehr hoch ist und der Markt starkes Wachstum verzeichnet", bestätigt Klaus Donath, Executive Director Value bei Ingram Micro. Auch bei Tech Data beobachtet man einen starken Anstieg in den letzten drei Jahren, der "vornehmlich aus dem klassischen SMB-Segment angetrieben war", wie Hormoz Vardeh, Business Unit Manager PC Components & Peripherals, bemerkt.

Für Rainer Büter, Leiter BU Hardware ITK, Netzbetreiber und Smart Home beim Nordhorner TK-Distributor ENO, gibt es zwei westliche Faktoren für den boomenden Markt: "Der Bereich wächst - nicht zuletzt durch steigende Einbruchszahlen und sinkende Preise der Systeme", erläutert er. "Einer der am häufigsten genannten Gründe für Endkunden, sich für Smart-Home-Lösungen zu entscheiden, ist der Sicherheitsaspekt von Gebäuden", ergänzt Anja Kratzer, Head of Product Management bei Komsa. Vor diesem Hintergrund sei "eine zunehmende Nachfrage nach Sicherheitslösungen" spürbar.

Hohe Nachfrage im Consumer-Segment

So wird das derzeitige Wachstum im ITK-Channel stark durch die Nachfrage im Consumer- und SMB-Segment getrieben. "Viele Errichter können sich nur schwer oder gar nicht von ihren gewohnten analogen Strukturen trennen", beschreibt Ingram-Value-Chef Donath das Problem. Das bremse die Vorwärtsbewegung derzeit noch aus. Zwischen B2C- und B2B-Segment gibt es weitere große Unterschiede, sowohl bei den eingesetzten Lösungen als auch in der Kundenansprache und den entsprechenden Fachhandelsstrukturen. "Die Produkte müssen vor allem schützen, sei es in der Videoüberwachung oder Zutrittskontrolle. Dennoch unterscheiden sie sich aus Sicht der technischen Anwendung enorm", bestätigt Donath. So habe ein B2B-Kunde deutlich höhere Anforderungen gegenüber der Technik und dem Leistungsumfang.

''Gewohnte analoge Strukturen bremsen die Vorwärtsbewegung derzeit noch aus'', Klaus Donath, Executive Director Value bei Ingram Micro.
Foto: Ingram Micro

Für Anja Kratzer von Komsa verschwimmen aber mitunter die Grenzen: "Ist ein kleines privates Fitnessstudio, welches zum Schutz seiner teuren Geräte nach einer einfachen Plug-and-Play Lösung sucht, die sich vom Tablet aus steuern lässt, ein B2C-Kunde oder ein B2B-Kunde?", fragt sie. Das Beispiel zeige, dass es auf eine gezielte, individuelle Beratung ankomme, die ganz auf die Bedürfnisse des Kunden ausgerichtet ist.

Auch Klaus Donath sieht die Notwendigkeit, bei der Kundenansprache zu differenzieren: "B2B-Kunden informieren sich recht autark auf Fachmessen, Events und Webinaren, während der Endkunde noch mit dem klassischen Marketing-Mix gewonnen werden muss", meint er. So seien Verpackungen für den B2B-Channel meist einfach und farblos gestaltet und dienen tatsächlich nur dem Transport. Ganz im Gegensatz zum B2C-Kanal - die Ware komme hier meist in Retail Stores, wo der Endkunde durch die richtige Ansprache zum Kauf bewegt werden muss.

Trend zu einfachen Systemen

Die Digitalisierung der Sicherheitslösungen steht dabei noch am Anfang. So treiben neue Produkte, Lösungen und Innovationen das Wachstum. "Ganz klar den Trend zur Vernetzung der gesamten physikalischen Security Infrastruktur - also Kameras, Zugangskontroll- und Alarmsysteme. Dabei geht es um Einstiegssysteme bis hin zu Enterprise Sicherheitskonzepten", meint Tech-Data-Manager Hormoz Vardeh. So verzeichnet der Distributor im Einstiegsbereich eine starke Nachfrage nach einfachen Out-of-the-box-Lösungen, die ohne große Vorkenntnisse oder Adminaufwand zu betreiben sind. "Im Bereich Smart-Home-Security wird sich der Trend zu einfachen und komfortablen Systemen fortsetzen. Vor allem Systeme zur Einbruchsicherung werden stark nachgefragt, also Alarmanlagen, Bewegungsmelder, Überwachungskameras sowie die Überwachung über Tür- und Fensterkontakte", prognostiziert Komsa-Managerin Kratzer.

''Die Komplexität der Sicherheitslösungen ist eine der zentralen Herausforderungen'', Anja Kratzer, Head of Product Management bei Komsa.
Foto: Komsa

Im B2B-Segment sieht Klaus Donath einen starken Trend zu IP-basierten Produkten sowie in Richtung Analyse-Lösungen. "Die Vorbehalte gegenüber der Cloud scheinen sich zu verringern, denn Speichern in der Cloud (VSaaS) wird verstärkt nachgefragt", berichtet er. Immer häufiger kommen auch offene Schnittstellen zum Einsatz, um verschiedene Hersteller zu integrieren. Außerdem werden Systeme als Komplett-Dienstleistungen verkauft und finanziert, also ein Komplett-Paket aus Hardware, Software, Wartung, Cloud-Lösung.

Technisches Know-how ist die Chance des Handels

Die Distributionsexperten verhehlen aber auch nicht die Defizite, die derzeit noch im Channel bestehen. " Der Bereich Physical Security verlangt sehr umfassendes technisches Knowhow, das bei Endkunden und im Handel teilweise noch im Aufbau befindlich ist", konstatiert Hormoz Vardeh von Tech Data. Man wolle hier weiter investieren, um Partner in den Themen fit zu machen. Als Maßnahmen nennt Vardeh Schulungen, Zertifizierungs-Workshops, Demopools und eigene Security-Spezialisten.

''Physical Security wächst nicht zuletzt durch steigende Einbruchszahlen und sinkende Preise der Systeme'', Rainer Büter, Leiter BU Hardware ITK, Netzbetreiber und Smart Home bei ENO.
Foto: ENO

Laut Komsa-Spezialisten Kratzer ist die Komplexität, die Sicherheitslösungen mit sich bringen, eine der zentralen Herausforderungen. "Nur die wenigsten Endverbraucher kennen sich mit diesen Themen aus, durchsteigen den Dschungel an Systemen, die am Markt erhältlich sind oder wissen, was Sicherheitslösungen eigentlich alles leisten können", erläutert sie. Das gelte für private Konsumenten ebenso wie für Unternehmen. "Dies wiederum ist aber im Grunde kein Hemmnis, sondern die eigentliche Chance für Reseller, sich über gute Beratung neue Kunden zu erschließen", betont Kratzer. "Beratungskompetenz ist in diesem Segment sehr wichtig, da es sich hier um ein sehr sensibles Thema handelt und der Kunde Vertrauen sucht", bestätigt Rainer Büter von ENO. Hier seien persönliche Beratungsgespräche, im B2B-Segment auch vor Ort, sinnvoll, um Kunden optimal zu betreuen und somit Kundenbindung zu schaffen.

Der Distributor hilft

Die Unterstützungsmaßnahmen seitens der Distribution sind bereits vielfältig. So hat Ingram Micro bereits 2013 eine eigene Business Unit gegründet. "Dabei sehen wir unsere Rolle als verlässlicher Partner, der den Resellern in allen Phasen vom Einstieg über Planung bis zur Umsetzung komplexer Systeme zur Seite steht", erklärt Klaus Donath. Zum leistungsumfang gehören unter anderem individuelle Beratung, Workshops und Schulungen, Demogeräte sowie Finanzierungsmodelle.

Bei Komsa setzt man darauf, die Partner während des gesamten Vermarktungsprozesses zu begleiten. "Das fängt bei Produktinformationen und Roadshows an und geht über Trainings- und Zertifizierungsschulungen bis hin zur Unterstützung bei der Installation und Inbetriebnahme", erläutert der Vice President Systems & Solutions, Steffen Ebner.

Neben den Schulungsmaßnahmen bietet man bei ENO auch Projekt- und Marketingunterstützung sowie Portfoliomanagement. So ist sich Tech-Data-Spezialist Hormoz Vardeh sicher, dass Fachhändler mit einer "hohen Lösungskompetenz" gute Chancen haben, sich im Physical-Security-Markt zu positionieren: "Das gilt speziell für den traditionellen Fachhandel, der mit entsprechendem Konzept-Knowhow rund um Kameras, Speicher und Netzwerke bei seinen bestehenden aber auch neuen Kunden langfristig zum Trusted Advisor werden kann". Damit könne man sich deutlich vom reinen Online-Handel abheben.