Distributionsfachmann Guido Wirtz

"Online-Händler haben für die Distribution neue Standards gesetzt"

23.11.2012
Der frühere Also-Actebis-Manager erklärt, wie der Online-Handel die Distribution verändert hat, warum Distis keine Rolle im E-Commerce spielen werden und wie sich der Fachhandel auf den digitalen Umbruch der Branche einstellen kann.
Hat bei Actebis auch lange den E-Commerce Bereich verantwortet: Guido Wirtz

Guido Wirtz war in den vergangenen Jahren in verschiedenen Führungspositionen bei Actebis Peacock / Also Actebis tätig und dabei auch lange Zeit für die E-Commerce Aktivitäten des Soester Broadliners verantwortlich. Im ChannelPartner-Interview erklärt er, wie der Onlinehandel die Distribution verändert hat, warum Distris wohl auch künftig keine eigene Rolle im E-Commerce spielen werden und wie sich der Fachhandel auf den digitalen Umbruch der Branche einstellen kann.

Herr Wirtz, wie hat aus Ihrer Sicht heraus der ITK-Onlinehandel die Distribution verändert?

Wirtz: Das starke Wachstum der Online-Händler in den vergangenen Jahren hat die Distribution nachhaltig beeinflusst. Die Shop-Systeme der großen Onliner haben neue Trends im Bereich Usability und Funktionalität gesetzt, denen die Distributionsshops gefolgt sind. Obwohl sie selber zu wichtigen Kunden der Broadline-Distributoren geworden sind, sind Online Händler – vorrangig im Geschäft mit den vielen Tausend mittleren und kleineren Fachhändlern – ganz eindeutig auch Wettbewerber der Distribution. Dabei bezieht sich der Wettbewerb zwischen Distributoren und Onlinern nicht nur auf den Preis, sondern auch auf Geschwindigkeit und Qualität der Transaktionsabwicklung sowie die Retourenabwicklung. Ich nenne hier nur das Stichwort „14-tägiges Rückgaberecht“ gemäß dem ehemaligen Fernabsatzgesetz. Die aktuelle Initiative von Tech Data im Bereich Retourenmanagement unterstreicht das beispielsweise.

Wie sinnvoll ist der starke Gegensatz zwischen Distributoren und Onlinehändlern noch: Sind Distris heute nicht letztlich eine Art B2B-Onlinehändler? Der Unterschied zu den Geschäftskundenbereichen von Onlinehändlern wie Notebooksbilliger.de und Cyberport scheint inzwischen recht gering…

Wirtz: Ganz sicher gibt es bei Onlinehändlern und Distributoren Überlappungen in den gebotenen Leistungen – hohe Qualität in den Prozessen, starke Logistik und in bestimmten Segmenten auch ein breites Produktsortiment. Dies macht Onliner und Distributoren im Bereich wenig erklärungsbedürftiger Massenartikel, wie beispielswiese im Komponentenbereich, recht vergleichbar. Die Distribution kann jedoch dort punkten, wo es um erklärungsbedürftigere Produkte oder Produktkombinationen geht. Die Vertriebler beim Distributor arbeiten oft jahrelang unmittelbar mit den gleichen Kunden zusammen – das schafft ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis. Der Vertriebler am Telefon ist somit anders als bei den Onlinern keine „Bestellhotline“, sondern im besten Falle ein langjähriger Begleiter des Kunden, der weiß, was dieser wirklich benötigt und ihn auch aktiv auf Chancen hinweist.

Zum anderen ist die Distribution immer dort stark, wo die Anforderung der Händler über die reine Bestellung hinausgeht. Die Distribution übernimmt für den ITK-Fachhandel nicht nur logistische Aufgaben, sondern vor allem auch die Finanzierung. Als weitere Pluspunkte der Distribution sind die zahlreichen – zum Teil auch herstellerübergreifenden – Veranstaltungen und Schulungen zu nennen.

Immer mehr Hersteller adressieren mit eigenen Onlineshops Endkunden. Haben die Hersteller vor dem Hintergrund der Chancen im E-Commerce ihre Angst vor Kanalkonflikten verloren?

Wirtz: Fakt ist, dass es für Hersteller durch eigene Online-Shops einfacher als früher geworden ist, direkt an Endkunden zu verkaufen. Fakt ist auch, dass es Kunden gibt, die aus Vertrauensgründen online gerne direkt beim Hersteller kaufen. Der Preis spielt in diesem Falle nicht die entscheidende Rolle. Somit liegt es nahe, dass Hersteller sich dieses Marktsegment aktiv erschließen. Shop-Management und Fulfillment laufen zumeist über externe Dienstleister, in seltenen Fällen auch über die Distribution.

Die Hersteller müssen an dieser Stelle jedoch Vorsicht walten lassen. Ein zu starkes Direktgeschäft mit aggressiven Preisen unter Distri-EK sorgt für vermeidbare Channelkonflikte. Dies gilt ebenso für den Vertrieb über große Onlinehändler. Der Versuchung, rasch große Überschussmengen mit hohen WKZ-Zahlungen über einzelne Onliner zu „verklappen“, erliegen Hersteller allzu oft. Anschließende Treuebekenntnisse zum Channel wirken dann jedoch wenig glaubwürdig.

"B2B-Onlinehandel bietet Chancen für den Fachhandel"

Dennoch bleibt fraglich, ob Hersteller – von denen einige bereits heute zu den umsatzstärksten Onlinehändlern gehören – aus freien Stücken auf das Online-Geschäft verzichten. Was können Distris und Händler tun, um sich gegen die neue Konkurrenz zu behaupten?

Wirtz: Wehklagen hilft weder der Distribution noch dem Fachhandel. Beide müssen dem Hersteller gemeinsam attraktive Alternativen zum Direktvertrieb aufzeigen. So bevorzugen viele Endkunden bei gleichem Preis das Angebot eines regionalen Fachhändlers. Somit könnte man zentrale Herstellerseiten zur Online Leadgenerierung und Artikeldarstellung nutzen und dem Endkunden dann über eine Regionalsuche die Chance geben, den Wunschartikel bei einem regionalen Fachhändler zu bestellen oder abzuholen. Im ersten Schritt würde es sicher auch genügen, „Knallerangebote“ aus dem Direktvertrieb oder Online-Handel dem stationären Vertrieb zu gleichen Konditionen anzubieten.

Wie sieht es beim Thema Direktvertrieb auf Distributorenseite aus: Der Distributor Wave betreibt mit Alternate bereits seit Jahren einen der größten deutschen ITK-Onlineshops. Könnten auch Broadliner diesem Vorbild folgen?

Wirtz: Ob und in welchem Maße bei den Broadlinern Überlegungen im Raum stehen, organisch oder durch Zukäufe ernsthaft in den Onlinehandel einzusteigen, vermag ich nicht zu beurteilen. Einem solchen Schritt stehen deutliche Risiken entgegen. Dies betrifft den drohenden Vertrauensverlust sowohl beim Fachhandel als auch bei den heute belieferten größeren Online-Händlern, mit denen man dann in unmittelbarer Konkurrenz stehen würde. Fraglich ist auch, ob die Hersteller dies kommentarlos akzeptieren würden und wie sich dies auf die für die Wirtschaftlichkeit entscheidenden Bonusmodelle auswirkt.

Fakt ist: Entscheidet sich ein Broadliner für einen solchen Schritt, muss er einen Jahresumsatz in mindestens zweistelliger Millionenhöhe anstreben. Ansonsten droht die Gefahr der Verzettelung und die negativen Folgen würden den zusätzlichen Profit klar überwiegen. Zu fragen ist auch, woher der Distributor die notwendigen fachlichen Kompetenzen im B2C-Online Marketing in kurzer Zeit erlangen sollte. Die heutigen B2B Online-Aktivitäten der Broadliner unterscheiden sich doch deutlich von den B2C-Aktivitäten der Onliner.

Sämtliche Distris versuchen heute mit E-Shop-Lösungen ihren Händlern ein E-Commerce-Angebot zu bieten. Was halten Sie davon? Kann man auf diese Weise als Fachhändler Online-Versendern wie Notebooksbilliger und Redcoon etwas entgegensetzen?

Wirtz: Im Bereich B2C ist es als Fachhändler naturgemäß sehr schwer, mit den ganz Großen mitzuhalten. Dies betrifft sowohl die Expertise im Onlinemarketing als auch mengenbezogene günstige EK-Konditionen. Im B2B-Bereich sieht die Sache jedoch anders aus: Auf Grund des persönlichen Vertrauensverhältnisses möchten viele gewerbliche Kunden bestimmte Standardwaren lieber beim regionalen Partner vor Ort online bestellen als bei unbekannten Internetanbietern. In diese Richtung sollten sinnvollerweise auch die Distributionsangebote im Bereich Shop-in-Shop zielen.

Wir haben bei Also Actebis unseren Kunden oftmals empfohlen, das Shop-in-Shop System zum workflow-basierten Einkaufsportal des jeweiligen Endkunden mit dessen Firmenlogo und Firmen-Design zu machen. Dies schafft – gepaart mit dem umfassenden Sortiment des Broadliners und konkurrenzfähigen Preisen – echte Differenzierungschancen und Kundenbindung für den Fachhandel. (mh)