Milliarden-Deal im Cloud-Geschäft

Oracle kauft Netsuite

29.07.2016 von Martin Bayer
Rund 9,3 Milliarden Dollar will sich Oracle die Übernahme des Cloud-Pioniers Netsuite kosten lassen. Damit forciert der SAP-Konkurrent seinen Strategie-Wechsel in Richtung Cloud Computing.

Oracle forciert seinen Strategiewechsel in Richtung Cloud Computing mit dem Zukauf von Netsuite. 109 Dollar pro Aktie will der US-Konzern für den schon 1998 gestarteten Cloud-Pionier auf den Tisch legen. Insgesamt hätte der Deal damit ein Volumen von 9,3 Milliarden Dollar. Die Oracle-Verantwortlichen gehen davon aus, das Geschäft noch im laufenden Jahr unter Dach und Fach zu bringen - die Zustimung der Netsuite-Aktionäre und Kartellbehörden vorausgesetzt. Der Deal wäre die zweitgrößte Akquisition der Oracle-Historie, lediglich übertroffen von der Übernahme von Peoplesoft im Wert von 10,3 Milliarden Dollar. Der heftig umkämpfte Zukauf im Jahr 2005 war für Oracle der Auftakt zu einer beispiellosen Akquisitionsserie. In den darauffolgenden Jahren verleibte sich der Konzern für einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag unter anderem Branchengrößen wie beispielsweise Siebel Systems, BEA Systems und Sun Microsystems ein.

Die Geschichte von Oracle
Eine Zeitreise durch die Oracle-Geschichte
Oracle ist das Werk von Ellison, und es passt zu dem ehrgeizigen und charismatischen Gründer, dass er sein Hobby, das Segeln, professionalisiert. Mit Erfolg: Das Team gewann 2013 den America´s Cup.
Oktober 2015: Erster Oracle-Sparc kommt heraus
Auf der Kundenkonferenz OpenWorld stellt Larry Ellison mit dem M7 die erste Sparc-CPU vor, die komplett unter der Ägide Oracles geplant und gebaut wurde. Mit speziell für den Prozessor entwickelten und tief in der Hardware verankerten Security-Funktionen will der Hersteller die Sicherheit von Anwendungen und Daten verbessern - vor allem in Cloud-Umgebungen.
Februar 2015: Neuer Deutschlandchef
Frank Obermeier wird neuer Country Leader von Oracle in Deutschland. Obermeier kommt von Hewlett-Packard und löst Jürgen Kunz ab, der künftig als Senior Vice President Northern Europe die Geschäfte von Oracle in Nordeuropa verantwortet.
September 2014: Ellisons Paukenschlag
Nach 37 Jahren an der Spitze von Oracle gab Larry Ellison überraschend seinen Rücktritt als Konzernchef bekannt. Gründe nannte der 70-jährige nicht, Ellison will aber weiterhin als CTO für das Unternehmen wirken. Die bisherigen Stellvertreter Mark Hurd und Safra Catz sollen als Doppelspitze das Ruder übernehmen. Zugleich kündigte Oracle Aktienrückkäufe über 13 Milliarden Dollar an.
2011: Investition ins Cloud Computing
Hat Larry Ellison seine Spürnase für Erfolgstechnologien verloren? Ende 2011 hatte Oracle zwar den Cloud-CRM-Anbieter RightNow Technologies für 1,5 Milliarden Dollar gekauft, doch im Vergleich zu agileren Wettbewerbern wie Salesforce hängt das Unternehmen aus Redwood Shores hinterher. <br/><br/>Die „Computerwoche“ schreibt: „Nachdem Gründer und CEO Lawrence "Larry" Ellison noch vor wenigen Jahren über die IT-Wolke gelästert hatte und das Ganze als schnell vorübergehenden Hype abgetan hatte, muss er heute sehen, dass er nicht den Anschluss verliert“. Konkurrent SAP hatte sich 2011 für 3,4 Milliarden Dollar den Cloud-HR-Anbieter Successfactors einverleibt. Oracle legte mit der Übernahme von Successfactors-Wettbewerber Taleo an für 1,9 Milliarden Dollar nach.
2010: Mark Hurd wechselt von HP zu Oracle
Nur einen Monat nach seinem unrühmlichen Ausscheiden als CEO bei Hewlett-Packard (HP) kommt Mark Hurd zu Oracle. Ellison hatte zuvor Hurds Rauswurf heftig kritisiert "Das war die dümmste Personalentscheidung, seitdem die Idioten im Apple- Verwaltungsrat vor vielen Jahren Steve Jobs gefeuert haben." <br/><br/>In der Folge gab es einen erbitterten Streit zwischen den beiden Unternehmen, wobei es nur vordergründig um den Wechsel von Hurd ging: Oracle hatte die Unterstützung von Intels Itanium-Chips durch die eigene Software beendet und damit den Verkauf von HP-Server mit diesen Chips geschadet.
2009: Oracle kauft Sun Microsystems
Sun heißt jetzt Oracle. Der Datenbankspezialist hatte den Hardwarehersteller für 7,4 Milliarden Dollar eingekauft. Dabei ging es Ellison jedoch weniger um die etwas aus der Mode gekommene Hardware, sondern um die Software: Java und MySQL gehören jetzt Oracle.
2008: Übernahme von Bea Systems
Das Siebel On Demand CRM Release 15 kommt auf den Markt und Oracle kauft weiter ein, größter Brocken ist BEA Systems, ein Anbieter für Sercive-oriented Architecture, für 8,5 Milliarden Dollar. (Im Bild: Bea-CEO Alfred Chuang)
2007: Konsolidierung im BI-Markt
Der Markt für Business Intelligence ist auf Konsolidierungskurs, die großen Player werden geschluckt. Oracle macht im März den Anfang und kauft Hyperion für 3,3 Milliarden Dollar. Im Oktober schlägt SAP bei BusinessObjects zu und IBM im November bei Cognos. Der Kampf mit Rivale SAP spitzt sich zu: Oracle reicht in den USA eine Klage gegen wegen Urheberrechtsverletzung ein. Der Vorwurf: SAP habe Diebstahl geistigen Eigentums in großem Stil begangen und unerlaubt von einer Kundenbetreuungs-Web-Site „Tausende Softwareprodukte“ sowie anderes vertrauliches Material heruntergeladen. Erst in 2010 ist klar: SAP muss Oracle 1,3 Milliarden Dollar Schadensersatz zahlen.
2005: Siebel, die nächste Großakquisition
Kundenbeziehungs-Management wird immer wichtiger und Oracle schnappt sich den CRM-Marktführer Siebel Systems. Für rund 5,85 Milliarden Dollar wechseln Anfang 2006 die 5.500 Siebel-Mitarbeiter zu Oracle.
2004: Übernahme von Peoplesoft
Oracle übernimmt nach 18-monatigem erbitterten Widerstand Peoplesoft für 10,3 Milliarden Dollar und wird damit zum zweitgrößten Business-Software-Anbieter nach SAP. Erst 2003 hatte Peoplesoft den ERP-Hersteller J.D. Edwards für 1,7 Milliarden Dollar übernommen.
2000: Oracle entdeckt Linux
Die Open-Source-Bewegung nimmt Fahrt auf: “Im Jahr 2000 haben wir ein Linux-Engineering-Team gebildet. Dessen Aufgabe bestand darin, dafür zu sorgen, dass Linux ein Betriebssystem wird, das sich für unsere Kunden im Rechenzentrum eignet”, erinnert sich Ed Screven, Chief Corporate Architect bei Oracle.
1998: Oracle Applications 11i
1998: Schon ein Jahr später geht der Hersteller in puncto Internet aufs Ganze: Oracle Applications 11i soll den Wandel von Client-Server- hin zu Internet-Computing einleiten, kurz darauf bekommt auch die Datenbank ein “i” für „Internet“ angehängt. “Wenn sich herausstellt, dass die Zukunft des Computings nicht im Internet liegt, sind wir erledigt. Aber wenn es die Zukunft ist, liegen wir goldrichtig“, sagte Ellison über die forsche Internet-Strategie von Oracle.
1997: Java kommt
1997 stellt Larry Ellison die neue Version Oracle8 der Datenbank vor, die mit dem Network-Computer (NC) arbeitet und die Daten an Thin-Clients liefert. Mit dem Application Server 4.0 stellt Oracle eine Lösung vor, die das Management von Business-Software zentralisiert und damit effizienter machen soll. Vor allem aber schlägt die Stunde der Programmiersprache Java. Der Hersteller kündigt mit Oracle Applications Release 10.7 NCA die weltweit erste Enterprise-Applications-Suite an, die auf offenen Standards basiert.
1995: Business Intelligence
1995 investiert der Datenbankriese in Business Intelligence und kauft die OLAP-Produktlinie (Express Server) von Information Resources Inc. für 100 Millionen Dollar. Außerdem beginnt das kalifornische Unternehmen nicht nur, seine Produkte über das Internet zu verteilen, sondern verkündet als einer der ersten Anbieter eine Internet-Strategie. Mit parallel queries lassen sich jetzt deutlich komplexere Datenbankabfragen gestalten.
1990: CFO Henley kommt an Bord
Nachdem sich bisher der Umsatz jedes Jahr verdoppelt hatte, geriet das Unternehmen 1990 das erste Mal in schwereres Fahrwasser. Oracle baute sein Management-Team um und ernannte Jeff Henley zum CFO. Henley brachte das Unternehmen wieder auf Spur und blieb bis 2004 CFO, danach wurde er Vorstandsvorsitzender. 1991 stellt Oracle eine Datenbank vor, die auf MPP (massively parallel processing) basiert und mit der sich deutlich schneller und billiger in Datenbeständen suchen lässt als mit dem Mainframe. 1993 kam Oracles Cooperative Development Environment (CDE) auf den Markt.
1989: Oracle zieht um
Neuer Firmensitz wird Redwood Shores. Ab jetzt unterstützt die Datenbank auch OLTP, Online Transaction Processing. Anders als zuvor bei der Batch-Verarbeitung ist die Echtzeit-Transaktionsverarbeitung Grundlage der modernen Geschäftsanwendungen, bei denen die Verarbeitung von Transaktionen direkt erfolgt. Zu sehen sind Bilder aus der Bauphase des Headquarters.
1987: Entwicklung von Applikationen
1987 beginnt Oracle, eigene Enterprise-Applikationen zu entwickeln, die auf der Datenbank basieren. In der Folge setzt der Datenbankhersteller jedoch auf Übernahmen im Bereich der Business-Software und konzentriert sich auf deren Adaption für die eigenen DBMS-Produkte. (Im Bild "Oracle Financials").
1986: Der Börsengang
Am 15. März 1986 ging Oracle an die Börse. 450 Leute arbeiten für den Datenbank-Hersteller. Auf dem Bild feiern unter anderem Ellison (Mitte) und Charles Phillips (damaliger Co-President, rechts) das 20-jährige Listing von Oracle an der Nasdaq.
1983: Die erste Datenbank
1982 benannte sich RSI nach seinem Produkt: Oracle. Ein Jahr später kam das neu in C programmierte Oracle V3 für Mainframes, Minicomputer und PCs auf den Markt. „Damals kamen die Datenbanken vom Hardware-Anbieter. Oracle bot als eines der ersten Unternehmen ein Datenbankmanagementsystem an, das auf unterschiedlichen Hardware-Plattformen und Betriebssystemen laufen konnte“, sagt Ken Jacobs, Vice President Product Strategy bei Oracle über die Anfänge. Als erstes DBMS unterstützt die Version 5.1 von 1986 verteilte Abfragen und läuft in Client-Server-Umgebungen.
1977: Das erste Büro
Das allererste Büro hatte viel Ähnlichkeit mit Bill Gates Garage. 1979 benannte sich das Unternehmen kurz in Relational Software Inc. (RSI) um, Firmensitz wurde Menlo Park, Kalifornien. Zu den ersten Projekten gehörte eine Oracle-Datenbank für die Wright-Patterson Air Force Base. “Wenn du innovativ bist, musst du darauf vorbereitet sein, dass alle dir sagen, du spinnst”, sollte Larry Ellison später sagen.
1977: Die Gründung
Im August 1977 gründen Larry Ellison, Bob Miner und Ed Oates Software Development Laboratories (SDL). Ellison hatte sich zuvor durch eine theoretische Arbeit von Edgar F. Codd über relationale Datenbanken daran gemacht, ein zu IBMs System R Database kompatibles System zu schaffen. SDL schuf die allererste Version des Datenbanksystems Oracle. Auftraggeber: der Geheimdienst CIA. 1978 feiern die Gründer ihren ersten Firmengeburtstag. Von links nach rechts: Ed Oates, Bruce Scott, Bob Miner und Larry Ellison.

Netsuite bietet ein komplettes Business-Software-Paket aus der Cloud an. Enthalten sind Finanzsoftware, Enterprise Ressource Planning (ERP) sowie Customer Relationship Management (CRM). Das Netsuite-Angebot ergänze die eigenen Cloud-Produkte und die verschiedenen Pakete hätten im Markt durchaus nebeneinander Platz, erklärte Mark Hurd, einer der beiden Oracle-CEOs. Mit der Netsuite-Lösung sei Oracle in der Lage, breitere Kundenschichten zu adressieren, vor allem im Bereich der kleineren und mittelgroßen Unternehmen. Außerdem könne Oracle mit der Akquisition Cloud-Lösungen in mehr Ländern und für mehr Branchen anbieten.

Enge Bande zwischen Oracle und Netsuite

Netsuite versorgt eigenen Angaben zufolge mehr als 30.000 Kunden in über 100 Ländern mit seinen Coud-Lösungen. Im Branchenfokus stehen dabei unter anderem das Gesundheitswesen, der Handel sowie das produzierende Gewerbe. Die Bande zwischen Netsuite und Oracle sind eng. Lawrence "Larry" Ellison, Oracle-Gründer und derzeit Executive Chairman des Datenbankspezialisten gehört seit langer Zeit zu den Großinvestoren des Cloud-Anbieters. Evan Goldberg, der Gründer von Netsuite, sowie der aktuelle Netsuite-CEO Zach Nelson waren beide ehemals Top-Manager bei Oracle. "Es gibt jede Menge Oracle-DNA im Unternehmen", hatte Nelson, der in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts Oracle Marketing geleitet hatte, in einem Interview im vergangenen Jahr gesagt.

Am deutlichsten werden die Verflechtungen zwischen beiden Unternehmen in der Person von Oracle-Gründer Lawrence Ellison. Dieser hält aktuell 27 Prozent der Oracle-Aktien im Wert von 47,6 Milliarden Dollar. Der Anteil, den Ellison beziehungsweise Mitglieder seiner Familie an Netsuite halten, liegt bei 40 Prozent - im Zuge der Übernahme ein Wert von 3,5 Milliarden Dollar. Darin liege durch ein gewisses Rechtsrisiko für den gesamten Deal, sagt Cowen & C. Analyst Derrick Wood. Zumal Oracle für Netsuite deutlich mehr auf den Tisch legt als bei früheren Akquisitionen. Aktuell liegt der Preis den Oracle zahlt, um den Faktor elf höher als der Netsuite-Umsatz der letzten 12 Monate. Bei den vorangegangenen Übernahmen betrug dieser Faktor lediglich 6,5.

Akquisition ist keine Überraschung

Die Akquisition dürfte aus Sicht von Experten und Branchenbeobachtern die am wahrscheinlichsten erwartete Übernahme sein. Wie zwei junge Leute, die sich seit der Highschool kennen und dann nach dem College-Studium heiraten, vergleicht Frank Scavo, President von Strativa. "Das einzige, was ich mich frage, ist, warum Oracle so lang gebraucht hat." Wäre der US-Konzern schneller gewesen, wäre Netsuite vermutlich günstiger zu haben gewesen. Der Kurs des Cloud-Anbieters hatte in den vergangenen Monaten deutlich zugelegt. Im Februar dieses Jahres lag das Papier noch bei deutlich unter 60 Dollar. Dennoch könnte sich die Investition auszahlen, glaubt Scavo. Mit dem Zukauf verfüge Oracle über die breiteste Basis an reinen Cloud-ERP-Kunden. Viele davon seien kleinere Unternehmen, eine Klientel, in der Oracle bis dato wenig punkten konnte.

Auf Produkt- und Lösungsseite sind die Bande allerdings weniger eng. Zwar sind die Cloud-Anwendungen beider Anbieter durchaus miteinander verzahnt. Aber auf Infrastruktur-Seite hat Netsuite erst vor gut einem Jahr eine enge Kooperation mit Microsoft verkündet. NetSuites Software-as-a-Service-Lösungen (SaaS) sollten demzufolge mit Office 365, Windows und Microsoft Azure integriert werden. Netsuite hatte bei dieser Gelegenheit zudem angekündigt, seine zum Teil intern, zum Teil bei Amazon Web Services (AWS) betriebenen Softwarelösungen in Microsofts Azure-Welt zu migrieren. Azure sei nun die bevorzugte Cloud-Infrastrukturplattform, hieß es im vergangenen Jahr. Inwieweit dieses Aussagen, gerade angesichts des nicht gerade von Freundschaft geprägten Verhältnisses zwischen Oracle und Microsoft, nach einer Übernahme Bestand haben werden, bleibt abzuwarten.

Analysten sehen indes durchaus Vorteile des Deals für Oracle. Auch Ray Wang, Gründer und Princiapl Analyst von Constellation Research, verweist auf die soliden Marktanteile Netsuites im Cloud-ERP-Geschäft. Außerdem mache es Oracle mit der Akquisition den Wettbewerbern schwerer, den eigenen Markt anzugreifen. Mit den Netsuite-Lösungen könne Oracle darüber hinaus Lücken im eigenen Cloud-Portfolio stopfen. Beispielsweise adressiere Netsuite mit seinen Cloud-Lösungen Branchen, in denen Oracle mit seinen On-Premise-Lösungen ein starkes Standing im Markt habe, konstatiert Wang. Netsuite-Kunden müssten sich indes keine Sorgen machen, beruhigt der Analyst. Oracle habe viel Erfahrung, Zukäufe abzuwickeln und in die eigene Organisation zu integrieren. Netsuite könnte durchaus Vorteile von den technischen Assets Oracles haben. Kunden könnten von den Synergien profitieren. Allerdings, so rät Wang den Kunden, sollten sie ihre Verträge möglichst schnell erneuern. Das dürfte derzeit noch zu günstigeren Konditionen möglich sein, als später, wenn Oracle das Ruder übernommen hat.

Mit der Übernahme könne Oracle seine Reputation im Cloud-Geschäft aufpolieren, sagt Rob Enderle, Principal Analyst der Enderle Group. Diese sei aktuell eher schwach. Mit dem Zukauf erhalte der Konzern wertvolle Cloud-Assets und -Skills. In der Folge dürfte sich Oracle mit der Akquisition von Netsuite als ein deutlich stärkerer Cloud-Player im Markt positionieren, prognostiziert Enderle.

Umsatz wächst, aber auch die Verluste

Zeitgleich zur Bekanntgabe der Übernahmeabsichten durch Oracle, veröffentlichten die Netsuite-Verantwortlichen auch ihre Bilanz für das zweite Quartal 2016. Demnach setzte der Cloud-Anbieter in den Monaten April bis Juni dieses Jahres rund 230,8 Millionen Dollar um. Das bedeutet ein Plus von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Allerdings rutschte Netsuite auch tiefer in die roten Zahlen. Stand im zweiten Quartal 2015 ein Verlust von 32,3 Millionen Dollar zu Buche, wuchs das Defizit im jüngst abgelaufenen Quartal auf 37,7 Millionen Dollar.

Cloud-Giganten: Oracle Cloud Platform
Oracle Cloud-Service Portfolio
Oracle versucht sowohl in der Höhe als auch in der Breite seinen Kunden eine Service-Auswahl zu bieten.
Oracle Enterprise Cloud Manager
Der Oracle Enterprise Manager Cloud Control liefert Administratoren einen Überblick über ihre Infrastrukturlandschaft.
Oracle IaaS
Oracles IaaS-Angebot setzt konsequent auf Compute, Storage, Network und Security.
Oracle Deployment
Oracle möchte seinen Kunden die Wahl über das für sie passende Cloud-Modell bieten.
Oracle Integrated Cloud
Mit der Integrated Cloud versucht Oracle, sein Cloud-Service-Portfolio zu integrieren.
Oracle PaaS
Oracle interpretiert seinen PaaS anders als der Mitbewerb und bietet über eine Programmierumgebung weitere Lösungen, etwa für die Zusammenarbeit.

Auch bei Netsuite wird ein Dilemma deutlich, in dem viele auf die Cloud spezialisierte Anbieter stecken. Ihnen gelingt es zwar, ihren Einnahmen eindrucksvoll zu steigern. Profitabel arbeiten indes die wenigsten. Das gilt auch für Netsuite. Im Jahr 2015 verbuchte das Unternehmen einen Umsatz von gut 741 Millionen Dollar, ein gutes Drittel mehr als noch im vorangegangenen Jahr (556 Millionen Dollar). Allerdings legte uch das Defizit von rund 100 auf knapp 125 Millionen Dollar zu.

Vor allem die hohen Vertriebs- und Marketing-Aufwendungen machen den Cloud-Anbietern zu schaffen. So machte der Posten Sales und Marketing bei Netsuite im vergangenen Jahr fast 389 Millionen Dollar aus (2014: 291 Millionen Dollar), das ist mehr als die Hälfte der Gesamteinnahmen. Zum Vergleich: Oracle gab in seinem Geschäftsjahr 2015/16 knapp 7,9 Milliarden Dollar für Vertrieb und Marketing aus. Das waren 21 Prozent vom Gesamtumsatz (37 Milliarden Dollar).

Oracle verfolgt ehrgeizige Cloud-Ziele

Die Oracle-Verantwortlichen setzen derweil - wie viele andere etablierte Softwaregrößen auch - alles auf die Cloud-Karte. Während das klassische On-Premise-Lizenzgeschäft kontinuierlich schrumpft, legen die Cloud-Umsätze zu. Oracle meldete für sein abgelaufenes Fiskaljahr in den Bereichen Software as a Service (SaaS) und Platform as a Service (PaaS) Einnahmen von 2,2 Milliarden Dollar, ein Plus von rund 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Inklusive den Einnahmen für Infrastructure as a Service (IaaS) belief sich der Posten Cloud in der Oracle-Bilanz für 2015/16 auf 2,9 Milliarden Dollar - 36 Prozent mehr als im Vorjahr.

Damit hätten die Zahlen für das Cloud-Geschäft die eigenen Erwartungen übertroffen, sagte Safra Catz, Oracles Co-CEO und Kollegin von Mark Hurd. Ellison geht davon aus, dass gerade der SaaS- und PaaS-Bereich in den kommenden Jahren weiter stark wachsen wird. Gleichzeitig legt der Oracle-Gründer die Latte der Erwartungen hoch. "Das eröffnet uns die Chance, die erste Cloud-Company zu sein, die in einem Jahr mehr als zehn Milliarden Dollar mit SaaS und PaaS einnimmt."

Oracle soll die erste Cloud-Company sein, die in einem Jahr mehr als zehn Milliarden Dollar mit SaaS und PaaS einnimmt, so die Vision von Oracle-Gründer Lawrence Ellison.
Foto: Asa Mathat | All Things Digital

Inwieweit die Übernahme von Netsuite auf dieses Ziel einzahlen wird, bleibt indes ungewiss. Denn ganz so komplentär, wie CEO Hurd den jüngsten Zukauf verstanden wissen will, dürften die beiden Cloud-Portfolios nicht sein. Hurd selbst verwies Mitte Juni anlässlich der Bekanntgabe der Bilanz auf die eigenen Erfolge im ERP-Cloud-Geschäft. Allein für Fusion ERP seien im Schlussquartal 800 neue Cloud-Kunden hinzugekommen. Aktuell betrieben 2600 Unternehmen ihr Geschäft mit Fusion ERP in Oracles Public Cloud.

Oracle braucht diese vermeintlichen Erfolgsmeldungen für das eigene Cloud-Business. Schließlich hat der US-Konzern in den zurückliegenden Jahren Milliarden Dollar in den Ausbau seines Applikationsgeschäfts gesteckt: Zunächst in die Übernahme zahlreicher Anbieter - prominente Namen sind an dieser Stelle Peoplesoft (ERP) und Siebel (CRM) - und später in den Umbau des Anwendungsportfolios. Auf Basis der eigenen E-Business-Suite und der zugekauften Applikationen wuchs unter dem Label "Fusion" eine neue Applikations-Generation heran, die sämtliche Belange im Business der Kunden abdecken sollte. Diese Fusion-Anwendungen bilden heute auch die Grundlage für das SaaS-Angebot Oracles. Dort sollen sie die Ernte für die jahrelange, mühevolle und teure Aufbauarbeit einfahren.

Künftige Organisation noch unklar

In welche Organisationsform die Übernahme münden wird, ist derzeit noch völlig unklar. Bis dato liegen keine Informationen darüber vor, inwieweit Netsuite als eigenständige Organisation weiterarbeiten wird, beziehungsweise ob das Unternehmen in der Oracle-Organisation aufgehen wird. Des weiteren kann aktuell lediglich darüber spekuliert werden, ob es Entlassungen geben wird. Auch die Frage, ob das Management rund um CEO Nelson an Bord bleibt, ist derzeit noch unbeantwortet.