Emotionaler Stress

Psychische Erkrankungen und Arbeitsrecht

15.04.2013
Eine adäquate Reaktion auf Krankheitsrisiken und gesundheitliche Beschwerden ist Pflicht des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers gleichzeitig. Was Unternehmen tun können und was sie tun müssen, sagt Inken Hansen.
Viele Risikofaktoren wie Erschöpfung am Arbeitsplatz werden zu spät erkannt.
Foto: JeanB - Fotolia.com

Burn-out, Bossing, Mobbing: Heute stellen psychische Erkrankungen die zweithäufigste Ursache für krankheitsbedingte Fehlzeiten in deutschen Unternehmen dar. Immer häufiger führen sie auch zur Frühverrentung. Dadurch entstehen nicht nur hohe Kosten für die Entgeltfortzahlung, sondern die Unternehmen verlieren Fachkräfte. Eine adäquate Reaktion auf Krankheitsrisiken und gesundheitliche Beschwerden ist daher nicht nur Pflicht des Arbeitsgebers, sondern liegt auch in seinem eigenen Interesse. Was Unternehmen tun können - und was sie tun müssen.

Der Arbeitgeber ist nach § 618 BGB verpflichtet, die Arbeit so zu gestalten, dass die Arbeitnehmer so weit wie möglich gegen Gefahren für Leben und Gesundheit geschützt sind. Aufgrund seiner Fürsorgepflicht muss er daher auch erkannte und erkennbare Risikofaktoren für psychische Erkrankungen vermeiden beziehungsweise beheben, sofern dies im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten umsetzbar ist. Dazu gehört selbstverständlich vor allem die Einhaltung rechtlicher Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer, etwa des Arbeitszeitgesetzes oder des Bundesurlaubsgesetzes. Ausreichende Erholungszeiten sind eine Grundbedingung dafür, dass Arbeitnehmer den Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht werden. Vor allem der - oft gar nicht ausgesprochene - Druck, durch Smartphones rund um die Uhr erreichbar zu sein, kann diese Erholung empfindlich stören. Aus diesem Grund gehen manche Unternehmen dazu über, ihre Mitarbeiter sogar vor sich selbst zu schützen, indem ab einer bestimmten Uhrzeit Mails nicht mehr zugestellt werden und Vorgesetzte angewiesen werden, ihre Mitarbeiter nur während der Normalarbeitszeiten zu kontaktieren.

Wenn Risikofaktoren wie Überlastung, Erfolgs- oder Konkurrenzdruck, aber auch Unterforderung im Unternehmen insgesamt oder an einzelnen Arbeitsplätzen erkannt werden, ist der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet zu prüfen, ob er einschreiten und Veränderungen vornehmen kann, um diese Belastung zu reduzieren. Das kann durch eine Umstrukturierung der Organisation geschehen, durch Schulungen von Führungskräften oder durch Coaching einer gesamten Abteilung, wenn sich die Probleme aus der Zusammenarbeit der Kollegen ergeben.

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Prävention durch Unternehmenskultur

Ein weitaus größeres Problem besteht jedoch häufig darin, dass derartige Risikofaktoren zu spät erkannt werden. Hier steht nun auch der Arbeitnehmer in der Pflicht: Wer merkt, dass er mit seinen Aufgaben oder seiner Arbeitszeit nicht zurechtkommt, kann und muss im eigenen Interesse ein so-genannte Überlastungsanzeige erstatten, damit der Arbeitgeber die Möglichkeit hat zu reagieren.

Was Unternehmen tun können

Eine rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers zu einem vorbeugenden Gesundheitsmanagement besteht nicht. Es kann im Unternehmensinteresse aber sehr sinnvoll sein, qualifizierte Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen, an die sich Mitarbeiter vertrauensvoll wenden können. Gerade in kleineren Unternehmen sind das oft Betriebsratsmitglieder. Eine Missbrauchsgefahr durch falsche Mobbing- oder Bossing-Vorwürfe ist dabei nicht ganz auszuschließen. Vor diesen ist ein Unternehmen aber nie gefeit, und ein professioneller Umgang mit Konflikten schützt oft besser als eine "Vogel-Strauß-Politik". Besondere Belastungsfaktoren können auch durch Mitarbeiterbefragungen und eine arbeitsplatz- oder abteilungsbezogene Auswertung von Fehlzeiten festgestellt werden.

Was Unternehmen tun müssen

Rechtlich stärker geregelt sind die Möglichkeiten und Pflichten des Arbeitgebers, wenn es tatsächlich zu Arbeitsunfähigkeit kommt. Bei mehr als sechs Wochen Krankheitsdauer ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen. Es dient dazu, die Ursachen für die Erkrankung festzustellen und gemeinsam mit dem Arbeitnehmer, dem Betriebsrat, gegebenenfalls der Schwerbehindertenvertretung und sonstigen Experten zu beheben. Wenn das BEM behutsam und professionell durchgeführt wird, stellt es oft die beste Chance dar, betriebliche Ursachen festzustellen und auszuräumen und so den Verlust eingearbeiteter Fachkräfte zu vermeiden.

Letzter Ausweg: Kündigung

Noch wichtiger ist jedoch in aller Regel eine gute, auf gegenseitigem Vertrauen basierende Unternehmenskultur. Klare Strukturen, die eindeutige Definition von Rechten und Pflichten und eine offene Kommunikation im Unternehmen sind der beste Schutz vor Überlastungssituationen und vermeiden jene Unsicherheit, die bestehende psychische Anfälligkeiten verstärken kann. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Führungskräfte besonders gefordert und sollten daher auch entsprechend qualifiziert werden.

BEM hat viele Vorteile

Letztendlich muss aber auch konstatiert werden, dass selbst der engagierteste Arbeitgeber nicht immer helfen und Belastungssituationen beheben kann. In vielen Fällen wird es daher dennoch zur Trennung kommen. Auch das kann das Ergebnis eines BEM sein - mit der Konsequenz, dass der ausgeschiedene Mitarbeiter unter Umständen in Ruhe genesen kann und vielleicht später sogar eine Wiedereingliederung in das Unternehmen möglich ist. Zudem werden krankheitsbedingte Kündigungen wesentlich erleichtert, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass er durch vorbeugende Maßnahmen seiner Fürsorgepflicht nachgekommen ist, notwendige Schutzmaßnahmen ergriffen und ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt hat. (oe)
Weitere Informationen und Kontakt:
Inken Hansen ist Rechtsanwältin in der Kanzlei Aulinger Rechtsanwälte und Notare, Büro Bochum, Tel. 0234 68779-0, Büro Essen: Tel. 0201 95986-0, Internet: www.aulinger.eu