Tipps für Freiberufler

Scheinselbstständigkeit - welche Gefahren drohen

06.09.2016 von Isabel Blank
Das Thema Scheinselbstständigkeit ist ein heißes Eisen zwischen Auftraggeber und Freiberufler. Nun wird es neu befeuert durch den aktuellen Gesetzesentwurf, den die Regierung bis Ende 2016 verabschieden will.
Die Quote der "Positiv-Geprüften" steigt kontinuierlich im Scheinselbstständigkeit-Feststellungsverfahren der DRV.
Foto: Haufe-Lexware

Die Änderung des Gesetzes zielt vor allem auf den Missbrauch von Werkverträgen (Leiharbeit) und trifft jedoch auch die Freiberufler. Unternehmen und Selbstständige sollten überprüfen, ob sie richtig aufgestellt sind, die Zusammenarbeit gesetzeskonform gestaltet ist, und welche "No Gos" es zu beachten gilt. Es drohen sonst große Nachzahlungen.

Die Scheinselbstständigkeit ist für viele Selbstständige und Kleinunternehmer sowie ihre Auftraggeber ein leidiges Thema. Das liegt vor allem daran, dass es in Deutschland keine harten Kriterien für Scheinselbstständigkeit gibt. Der seit Ende 2015 vorliegende Gesetzesentwurf "gegen den Missbrauch von Werkverträgen" versucht dieses nun zu ändern. Er will ausbeuterische Arbeitsformen unterbinden, Betriebsräte stärken und gute Arbeitsplätze schaffen.

Doch viele Formulierungen betreffen auch die Zusammenarbeit von Selbstständigen mit Unternehmen. Deswegen sollten sowohl Auftragnehmer als auch Auftraggeber stets genau prüfen, ob das Risiko einer Scheinselbstständigkeit besteht. Der Grund: Die finanziellen Konsequenzen sind gravierend, denn die Arbeitgeber müssen die Sozialversicherungsbeiträge für die gesamte Auftragsdauer nachzahlen - im schlimmsten Fall für die vergangenen 30 Jahre.

Welche Merkmale deuten auf Scheinselbstständigkeit hin?

Selbstständige, die in keinem abhängigen Arbeitsverhältnis stehen, sind nicht verpflichtet, Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherungen abzuführen. Da dem deutschen Staat daran gelegen ist, die Einnahmen zu erhöhen, toleriert er keine Scheinselbstständigkeit, wenn der Verdacht auf eine abhängige Beschäftigung vorliegt. Welche Art der Beschäftigung vorliegt, ist häufig ein komplexer Entscheidungsprozess. Bei komplizierten und unsicheren Fällen kann die Clearing-Stelle der Deutschen Rentenversicherung Bund bei der finalen Klärung helfen. Sie prüft aktiv freiberufliche Existenzformen und kommt bei Verdacht der Scheinselbstständigkeit auf den Selbstständigen zu.

Eine Scheinselbständigkeit liegt vor, wenn eine Person zwar nach außen (z.B. mit einem Werkvertrag) als selbstständiger Unternehmer auftritt, ihre Aufgaben aber wie ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer erfüllt. Anhaltspunkte dafür sind:

• Unmittelbare Weisungsbefugnis des Auftraggebers

• Feste Arbeitszeiten (z.B. Schichtdienst etc.)

• Reporting-Pflichten gegenüber dem Auftraggeber

• Die feste Integration in Prozesse und sonstige Infrastruktur des Auftraggebers

• Feste Bezüge und Urlaubsanspruch

Schreckgespenst Scheinselbständigkeit
Agenturen versichern regelmäßig, dass sie alles im Griff haben …
... schließlich stehen ihre Existenz und ihr Geschäftsmodell auf dem Spiel. Aber können Auftraggeber sich darauf verlassen?
Mehr als 70 Prozent der Selbständigen …
... werden in der IT-Branche über Agenturen eingekauft.
Die Kunden halten sich mit Protest …
... gegen das geplante Gesetzvorhaben zurück. Sie wollen nicht in die Schmuddelecke mit Ausbeutern, Sozialversicherungsbetrügern und Abzockern gestellt werden.
Arbeiten vor Ort beim Kunden …
... erhöht das Risiko und ist für die DRV ein Argument für Scheinselbständigkeit. Für viele ITler ein großes Problem, da sie oft zu 100 Prozent beim Kunden eingesetzt werden.
Die DRV nimmt jedes Auftragsverhältnis unter die Lupe.
Nimmt ein Freiberufler einen fünftägigen Auftrag beim Kunden wahr, kann ihm für genau dieses Auftragsverhältnis Scheinselbständigkeit attestiert werden.
Für Freiberufler gilt: mehrere Auftraggeber sind kein Schutz …
... da die Deutsche Rentenversicherung (DRV) das einzelne Auftragsverhältnis, nicht mehr die Situation des Selbständigen prüft.
Scheinselbständigkeit bedroht 2,5 Millionen Solo-Selbständige
Die Entscheidungsgrundlage der Deutschen Rentenversicherung eine Gefahr für Selbständige, Vermittlungsagenturen und Projektkunden. Es drohen hohe Nachzahlungen und strafrechtliche Verfolgung.

Scheinselbstständigkeit vorbeugen

Um einen Verdacht der Scheinselbstständigkeit zu vermeiden, sollte der Selbstständige sicherstellen, dass er folgende Konstellationen vermeidet:

• über längere Zeit nur für einen Auftraggeber arbeiten

• mehr als 5/6 des Gesamtumsatzes von einem Auftraggeber beziehen

• über keinen eigenen Unternehmensauftritt nach außen verfügen (weder Werbung, Website, Geschäftspapier, noch Buchführung)

• Weisungsgebundenheit gegenüber dem Auftraggeber

• Teilnahme an regelmäßigen internen Briefings und Meetings des Auftragsgebers

Umgekehrt ist der Selbstständige nach den Richtlinien der Rentenversicherung auf der sicheren Seite, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

• freie Ortswahl und Zeitplanung

• freie Honorarverrechnung und eigene Buchführung

• freie Auftragswahl mit Option der Ablehnung

• Beschäftigung eigener Angestellter

Vor allem mit einer ordentlichen Buchführung lässt sich schnell und transparent aufzeigen, wie sich der Umsatz auf verschiedene Auftraggeber verteilt und dass selbstständig und unter eigenem Namen abgerechnet wird. Hierfür kann der Selbstständige auf vielfältige Software-Lösungen und Online-Tools zur Unterstützung zugreifen.

Scheinselbständig? So positionieren sich Freiberufler als Unternehmer
Nicht länger als ein Jahr am Stück ...
... für den gleichen Vermittler arbeiten und so unterschiedliche Auftraggeber und Rechnungen vorweisen.
Jährliche Weiterbildungen ...
... nachweisen.
Verträge ...
... selbst verhandeln.
Projektanfragen, die über Xing oder Gulp kommen ...
... , archivieren und damit im Falle einer Prüfung Präsenz am Markt belegen.
Unternehmerisches Auftreten:
Eigenes Briefpapier, Visitenkarten, Website und gepflegte Profile bei Xing und Gulp.
Früh das Gespräch ...
... mit dem Steuerberater suchen.
So positionieren sich Freiberufler als Unternehmer
Klare Kriterien für Scheinselbständigkeit gibt es nicht. Mehrere Gesprächspartner empfehlen, sich als Selbständiger möglichst klar als Unternehmer zu positionieren. Dies sind die sehr persönlichen Maßnahmen eines Freiberuflers, der anonym bleiben möchte:

Steuerrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen

Eine Überprüfung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, kann zum einen der Selbstständige direkt beantragen oder wird zum anderen durch einen Verdacht vom Finanzamt oder der Rentenversicherung angestoßen. Äußert das Finanzamt oder die Rentenversicherung einen Verdacht auf Scheinselbstständigkeit, kann dies eine Betriebsprüfung für den Selbstständigen bedeuten. Wird eine Scheinselbstständigkeit von der Rentenversicherung Bund festgestellt, zieht das die folgenden steuer- und arbeitsrechtlichen Folgen nach sich:

• Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen die neue steuerrechtliche Situation klären und haften für Nachzahlungen als Gesamtschuldner. Sämtliche Lohnsteuer- und Sozialversicherungs-Beiträge müssen nachgezahlt werden.

• Sozialversicherungsbeiträge müssen vom Auftraggeber nachbezahlt werden, sogar für den komplett nachgewiesenen Zeitraum (bis 30 Jahre, abzgl. der letzten drei Monate). Der Auftragnehmer haftet maximal drei Monate rückwirkend für nicht gezahlte Beiträge.

• Ehemalige Selbstständige können nach der Feststellung einer Scheinselbstständigkeit ihren Arbeitnehmerstatus einklagen. Hat ein Scheinselbstständiger damit vor dem Arbeitsgericht Erfolg, ist der bisher Selbstständige dann ein Angestellter - mit allen Rechten und Pflichten, inklusive der Sozialversicherungspflicht.

Scheinselbstständigkeit und Arbeitnehmerüberlassung - Änderungen ab Januar 2017 möglich

Es wird damit gerechnet, dass der Gesetzentwurf bis Januar 2017 als Gesetz verankert wird. So oder so - als Auftraggeber und Auftragnehmer lohnt sich der Check aller Kriterien, um gar nicht erst nicht in den Verdacht von Scheinselbstständigkeit zu kommen.

Checkliste Scheinselbstständigkeit

Checkliste Scheinselbständigkeit

Arbeitnehmer

Selbständige

Vorgabe der Arbeitszeit, Teilnahme am Gleitzeitverfahren, Bedienen von Zeiterfassungsgeräten (Stechuhren)

keine Zeiterfassung durch Auftraggeber, ggf. nur zeitlich gebunden an Öffnungszeiten

Urlaubsansprüche

Freizeit wird durch Auftragslage bestimmt

Anweisungen zur Art der Tätigkeit, Vorgabe von Verrichtungswegen, Arbeitsanweisungen, festgelegtes Aufgabengebiet

lediglich Resultat ist maßgebend, unabhängig vom zeitlichen Aufwand

Arbeiten müssen in eigener Person erbracht werden

Beschäftigung von versicherungspflichtigen Arbeitnehmer

festgelegter Arbeitsort, bei Außendienstlern - festgelegtes Einsatzgebiet

freies Agieren oder Handeln, ggf. auch international

nur einen Auftraggeber, bzw. 5/6 der Gesamteinkünfte (Einkünfte im wesentlichen Umfang) werden bei diesem erzielt

verschiedene Auftraggeber mit unterschiedlicher finanzieller Gewichtung der Aufträge

feste Bezüge

Betriebsrisiko aufgrund eingebrachter Materialien oder Werkzeuge

früher bereits in der gleichen Tätigkeit bei diesem Auftraggeber beschäftigt gewesen

Werbung mit eigenem Corporate Design und eigener Webseite

(rw)