Schieflage in Unternehmen beseitigen

So bauen Firmen ihre Stärken aus

13.11.2017 von Frank  Rebmann
Viele Arbeitnehmer versuchen ihr Leben lang, ihre „Schwächen“ auszumerzen. Sinnvoller wäre es, die Talente zu schleifen.

"Ich bin pedantisch." "Ich werde schnell ungeduldig." "Ich bin nicht kreativ." Solche Aussagen hören Berater und Coaches oft, wenn sie Berufstätige fragen, warum ihnen bestimmte Aufgaben Probleme bereiten. So detailliert listen sie dann ihre Schwächen auf, dass man den Eindruck gewinnen könnte: Diese Person hat keinerlei Stärken. Dabei zeigt ein Blick in den Lebenslauf meist: Die Person hat schon viele Herausforderungen gemeistert.

Viele Arbeitnehmer versuchen ihr Leben lang, ihre „Schwächen“ auszumerzen. Sinnvoller wäre es, die Talente zu schleifen.
Foto: MOHD BAHIRI BIN IBRAHIM - shutterstock.com

Ähnlich verhält es sich, wenn sich Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern zu Förder- und Entwicklungs-gesprächen zusammensetzen. Auch dann spielen deren Schwächen häufig eine so große Rolle, dass man sich fragt: Warum wurde dem Mitarbeiter noch nicht gekündigt? Eine Ursache hierfür ist: Viele Führungskräfte thematisieren in den Gesprächen vor allem, was in der Vergangenheit nicht optimal verlief. Nur wenig Zeit verwenden sie hingegen darauf, mit dem Mitarbeiter zu erkunden: Was lief gut? Warum lief es gut? Und welche Fähigkeiten zeigte der Mitarbeiter dabei? Was gut war, wird im Hand-umdrehen abgehakt, um anschließend die Aufmerksamkeit ganz auf die Schwächen und Versäumnis-se zu richten.

Diese Schieflage spüren die Mitarbeiter. Deshalb erfahren sie die Förder- und Entwicklungsgespräche vor allem als Kritikgespräche. Und sie blicken ihnen mit Unbehagen entgegen. Dabei sollten sie sich hierauf freuen, weil sie wissen: In dem Gespräch suchen mein Chef und ich einen Weg, wie ich meine Fähigkeiten noch besser entfalten kann.

Lesetipp: Wenn das Mitarbeitergespräch in Streit ausartet

Stärken werden oft nicht gewertschätzt

Eine Ursache hierfür ist: Vieles, was wir - und die Menschen, mit denen wir regelmäßig Kontakt haben - gut machen, erachten wir als selbstverständlich. So erfüllt es zum Beispiel manch guten Organisator nicht mit Stolz, dass er gut organisieren kann. Und viele exzellente Zuhörer sind nicht stolz darauf, dass sie gut zuhören können.

Anders verhält es sich mit den Denk- und Verhaltensmustern, an denen wir uns regelmäßig stoßen - zum Beispiel, weil wir ein anderes Wunschbild von uns haben. Mit ihnen beschäftigen sich viele Men-schen tagein, tagaus. Und ihr Streben richtet sich vor allem darauf, ihre Schwächen ab- statt ihre Stärken auszubauen.

Ähnliches gilt für viele Führungskräfte. Auch sie erachten das, was ihre Mitarbeiter gut können und tun, als selbstverständlich - zum Beispiel, dass sie alle Termine einhalten oder viel Eigeninitiative zeigen. Also verlieren sie hierüber kaum Worte. Stattdessen wenden sie ihre Aufmerksamkeit den Ver-haltensmustern zu, bei denen ihre "Untergebenen" ihrem Wunschbild nicht entsprechen - selbst wenn diese für den Arbeitserfolg wenig Bedeutung haben.

Ein Umdenken findet meist erst statt, wenn der Mitarbeiter das Unternehmen verlässt und ein Neuer seinen Platz einnimmt. Dann wird der Alte glorifiziert. "Der Huber ließ sich zwar schwer führen, doch verkauft hat er wie ein Weltmeister." Dann ist das, was zuvor selbstverständlich war, plötzlich nicht mehr selbstverständlich.

Was erfolgreiche Leader auszeichnet
7. Lern- und Entwicklungsbereitschaft
Aus Erfahrungen lernen; herausfordernde Situationen annehmen und darin liegende Chancen ergreifen; Feedback über die eigene Wirkung einholen und verarbeiten, zukunftsorientiert handeln; Pioniergeist entwickeln; Förderung von Talenten und Entwicklung von Mitarbeitern durch Toleranz bei Fehlern; Unterstützung bei Schwierigkeiten (Coaching), aber Konsequenz bei mangelnder Leistungsbereitschaft.
6. Emotionale Stabilität:
Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten; in Stresssituationen gelassen und verlässlich bleiben; eigene und fremde Gefühle verstehen und darauf eingehen können; mit Enttäuschungen umgehen können und dabei handlungsfähig bleiben; angemessenes Konfliktlöseverhalten zeigen.
5. Erfolgreiches Beziehungsmanagement:
Ein überzeugendes Auftreten und offenes Zugehen auf andere; die Fähigkeit, Beziehungen kooperativ zu gestalten und Schnittstellen förderlich zu entwickeln; die Fähigkeit, Netzwerke zu knüpfen und mit heterogenen Interessen umzugehen; die Fähigkeit, sich wirksam im sozialen Organisationsgefüge zu bewegen.
4. Fähigkeit, Sinn zu bilden und Verhalten zu bewirken:
Sinn stiften und Verständnis erzeugen; glaubwürdig und authentisch kommunizieren; Leistungsbereitschaft mobilisieren; ermutigend auf andere wirken; Gespür für die Wirkkräfte im Organisationsgefüge und Erkennen der entscheidenden Hebelkräfte; klare Verantwortungen und transparente Aufgabenstrukturen schaffen, um andere erfolgreich zu machen.
3. Unternehmerische Initiative:
Geschäft entwickeln und vorantreiben; Wille zum Erfolg; Sensibilität für Marktsignale und frühes Erkennen von Geschäftsmöglichkeiten; Produkte, Abläufe und Verhaltensweisen konsequent vom Kunden her durchdenken und steuern; die Fähigkeit und den Mut, sofern nötig, neue Wege zu gehen.
2. Selbstorientierung:
Sich seiner selbst bewusst sein; sich im Umfeld behaupten; Standpunkt beziehen auch bei heiklen Themen; selbstbewusster Umgang mit Neuem und Unbekanntem; ein breites, flexibles Handlungsrepertoire für differenzierte Situationen; ein klar ausgeprägtes persönliches Wertebewusstsein.
1. Eigenverantwortlichkeit:
Sich selbst herausfordernde Ziele setzen; Unternehmensziele nachhaltig umsetzen; Gestaltungsräume entwickeln; Prioritäten aufzeigen; Absichten konsequent und klar vermitteln, Lösungen generieren und in die Tat bringen; Realitäten schaffen.
Führungskräfte, die erfolgreiche Leader sind, ...
... verfügen über sieben Eigenschaften, die sich in ihrem Verhalten artikulieren.

Führungskräfte sollten, wenn sie mit einem Mitarbeiter über dessen Arbeit und künftige Entwicklung sprechen, mit ihm vor allem erörtern: Warum hat der Mitarbeiter diese und jene Aufgabe gut erledigt? Welche Fähigkeiten zeigte er dabei? Und: Wie sollte sein Arbeitsfeld aussehen, damit er diese noch stärker entfalten kann? Denn Mitarbeiter werden nur absolute Spitzenkräfte, wenn sie ihre individuellen Fähigkeiten schleifen. Verwenden sie ihre Zeit und Energie hingegen vor allem darauf, ihre Schwächen zu beseitigen, dann entrinnen sie nie der Mittelmäßigkeit. Ein Michael Schumacher wäre nie der beste Formel-1-Pilot geworden, wenn er zugleich versucht hätte, den Nobelpreis in Physik zu erringen.

"Schwächen" sind übertriebene Stärken

Bei einem genauen Betrachten der sogenannten Schwächen zeigt sich zudem meist: Sie sind über-trieben ausgeprägte Stärken. So arbeitet zum Beispiel eine Person, die "zur Pedanterie neigt", sehr gewissenhaft. Eine Eigenschaft, die jeder Buchhalter braucht. Zur Schwäche wird ein solches Verhalten erst, wenn der Mitarbeiter Aufgaben wahrnimmt, bei der dieses Verhalten den Erfolg eher verhin-dert als fördert.

Hierfür ein Beispiel. Wenn ein Fluglotse zig Mal prüft, ob die Landebahn frei ist, bevor er einem Flug-zeug die Landeerlaubnis erteilt, dann handelt er verantwortungsbewusst und nicht zögerlich. Denn eine falsche Entscheidung kann Hunderte Menschen das Leben kosten. Prüft ein Einkäufer hingegen vorm Kauf von zehn Pack Klopapier hundert Mal, wo er diese günstiger erhält, dann ist dies eher ein Zeichen mangelnder Entschlusskraft. Dasselbe Verhalten kann also eine Stärke und eine Schwäche sein.

Diese Zusammenhänge sind vielen Menschen nicht bewusst. Wenn sie im Alltag häufig mit denselben Schwierigkeiten kämpfen, verdichtet sich bei ihnen schnell das Gefühl: Ich habe hier eine Schwäche. Dieses Gefühl wird mit der Zeit so stark, dass sie ihre Stärken aus dem Blick verlieren. Entsprechend unsicher werden sie.

Dann ist oft ein neutraler Gesprächspartner nötig, der ihnen die Augen öffnet - nicht nur für ihre offen-sichtlichen Stärken, sondern auch für die Stärken, die sich hinter ihren "Schwächen" verbergen. Dies eröffnet ihnen neue Handlungsperspektiven.

Ein solches Augen-Öffnen ist auch fruchtbar, weil viele Menschen, die regelmäßig gegen dieselben Barrieren stoßen, glauben: Ich muss mich radikal verändern. Wenn die meisten Schwächen jedoch übertrieben ausgeprägte Stärken sind, ist das nicht nötig. Dann genügen oft kleine Verhaltenskorrek-turen, um wieder in die Erfolgsspur zu gelangen. (oe)

Lesetipp: Tipps für Mitarbeiter- und Feedback-Gespräche