Wie weiche Faktoren die harten beeinflussen

Unternehmenskultur gezielt verändern

09.04.2015 von Renate Oettinger
In der Struktur eines Unternehmens spiegelt sich dessen Kultur wider. Das berücksichtigen viele Manager nicht ausreichend beim Planen größerer Change-Vorhaben, weshalb die Projekte oft scheitern. Außerdem unterschätzen sie häufig, welch großen Einfluss die sogenannten „softs facts“ auf solche „hard facts“ wie Umsatz und Ertrag haben, sagt Michael Schwartz.

Wie kann man Sie charakterisieren? Allein mit solchen Daten wie 45 Jahre alt, 1,80 Meter groß, blon-des Haar? Machen sie anderen Menschen klar, was Sie als Person ausmacht? Gewiss nicht! Ähnlich verhält es sich bei Unternehmen. Sie lassen sich zwar mit solchen "hard facts" wie Branche, Mitarbeiterzahl, Umsatz, Ertrag beschreiben, doch nicht charakterisieren. Und schon gar nicht sagen diese Daten etwas darüber aus, wie eine Firma "tickt". Hierfür benötigt man andere Informationen - zum Beispiel darüber, von welchen Maximen sich die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit leiten lassen, wie sie Informationen aufnehmen, mit Kunden umgehen. Kurz: Man muss die Kultur des Unternehmens kennen.

Mit ausgeglichenen Mitarbeitern und einer guten Firmenkultur lässt sich im Unternehmen auch Schwieriges erreichen.
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Das wissen die meisten Unternehmensführer. Trotzdem unterschätzen sie oft, welche Chancen, aber auch Risiken, in den sogenannten "soft facts" für das Erreichen der Ziele schlummern. So kann zum Beispiel eine hoch motivierte Mannschaft (scheinbar) Unmögliches erreichen. Eine Belegschaft hingegen, die innerlich gekündigt hat, führt mittelfristig auch ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen in den Ruin.

Erfolgsfaktor und kein "Sozial-Gedöns"

Trotzdem wird in den meisten Betrieben keine bewusste Kulturarbeit betrieben, denn viele Unternehmensführer befassen sich ungern mit den "soft facts". Zum einen weil diese Erfolgsfaktoren sich schwieriger als der Umsatz mit Kennzahlen erfassen lassen. Zum anderen weil sie (unbewusst) Kulturfragen oft als "Sozial-Gedöns" abtun, der viel Zeit und Geld kostet.

Eine Ursache hierfür ist: In der öffentlichen Debatte wird das Thema Unternehmenskultur häufig auf das Hegen und Pflegen der Mitarbeiter reduziert. So berichten zum Beispiel Zeitschriften unter dem Stichwort "Unternehmenskultur" meist ausführlich über Programme zum Fördern der Mitarbeiter und zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie suggerieren damit: Die Unternehmen mit den meisten und aufwendigsten Programmen dieser Art haben die "beste" Unternehmenskultur.

Dabei wird übersehen, dass sich in solchen Programmen zwar teilweise die Kultur eines Unternehmens widerspiegelt, letztlich geht es aber um tiefer greifende Fragen. Zum Beispiel darum: Von welchen Normen und Werten lassen sich die Mitarbeiter und Führungskräfte bei ihrer Arbeit leiten? Oder: Von welchen Grundeinstellungen ist die Zusammenarbeit geprägt? Denken die Mitarbeiter eher "Was mein Kollege tut, geht mich nichts an"? oder handeln sie nach der Maxime: "Wir sind ein Team. Also müssen wir kooperieren und uns wechselseitig informieren"? Oder wie geht das Unternehmen mit neuen Herausforderungen um? Werden sie verdrängt oder aktiv bearbeitet?

Kulturveränderungen erfordern Zeit

Viele Unternehmensführer sind zudem (zu Recht) davon überzeugt: Die Kultur eines Unternehmens lässt sich nur allmählich und mit einem hohen Energieaufwand verändern. Also verzichten sie im Alltag ganz auf einen entsprechenden Versuch, weil es nach ihrer Auffassung stets "Wichtigeres" beziehungsweise "Dringlicheres" zu tun gibt. Diese Haltung ist verständlich. Denn ebenso wie es seine Zeit dauert, Rennpferde zu züchten, dauert es auch seine Zeit, aus behördenähnlich agierenden Unternehmen kundenorientierte Dienstleister zu machen. Drei bis fünf Jahre muss man hierfür bei größeren Organisationen schon einkalkulieren. Denn um einen solchen (mentalen) Turnaround zu vollziehen, genügt es nicht, die Strukturen zu verändern. Das Unternehmen muss auch neue Formen der Zusammenarbeit wie zum Beispiel eine "hierarchiearme" Projektarbeit fördern. Zudem müssen die Mitarbeiter neue Denk- und Handlungsmuster und -routinen entwickeln. Das erfordert seine Zeit.

Trotzdem sollte der Versuch nicht unterbleiben, die Unternehmenskultur zu gestalten. Denn anders lassen sich viele unternehmerische Ziele - wie zum Beispiel der "Technologie-" oder der "Serviceführer" oder das "ertragsstärkste Unternehmen" in der Branche zu werden - nicht erreichen.

Dranbleiben und Konsequenz zeigen

Doch Vorsicht! Nicht selten scheitert der Versuch, die Kultur zu verändern. Eine häufige Ursache hier-für: Die Unternehmensführer formulieren zwar entsprechende Entwicklungsziele, doch kaum sind sie verkündet, wenden sie sich anderen Dingen zu. Und die Aufgabe, die für die Veränderung nötigen Entwicklungsmaßnahmen einzuleiten und umzusetzen? Diese delegieren sie an eine junge Führungskraft, die sich bewähren soll, oder eine Stabsabteilung.

Bei einem solchen Vorgehen kommt bei den Mitarbeitern die Botschaft an: Allzu wichtig kann das Ganze für unsere "Chefs" nicht sein, sonst würden sie sich selbst darum kümmern. Fatal wird dieses Signal, wenn die Unternehmensführung zudem in der Folgezeit widersprüchliche Botschaften an die Mitarbeiter sendet. Das ist oft der Fall. Hierfür drei Beispiele:

  1. Der Vorstand eines Unternehmens verkündet "Wir wollen die Nummer 1 in Sachen Kundenorientierung werden"; die Leistung der Bereiche misst er aber weiterhin rein am Ertrag.

  2. Ein Vertriebsleiter propagiert ein aktives Verkaufen. Er kontrolliert aber zum Beispiel nicht, ob seine Mitarbeiter Angebote nachfassen.

  3. Ein Bereichsleiter verkündet "Wir führen in jedem Quartal ein Mitarbeitergespräch, weil dies wichtig ist". Doch wenn diese anstehen, verschiebt er sie regelmäßig oder lässt sie ganz ausfallen.

Wenn Unternehmensführer einen kulturellen Wandel wünschen, müssen sie dies durch ihr Verhalten dokumentieren. Sie müssen ihren Mitarbeitern die "neue" Kultur vorleben. Hierfür ein Beispiel: Der Vorstand sagt "Wir wollen eine Vertrauenskultur entwickeln und künftig nicht mehr einen großen Teil unserer Arbeitszeit damit verschwenden, uns abzusichern". Dann muss der Vorstand auch selbst zeigen, dass er bereit ist, Risiken einzugehen. Zudem darf er Mitarbeiter nicht an den Pranger stellen, wenn sie Fehler machen. Und er sollte durch symbolische Handlungen signalisieren: Fortan ist ein neues Verhalten gefragt.

Die richtigen Signale senden

Erneut ein Beispiel. Als Ferdinand Piëch vor vielen, vielen Jahren VW-Manager wurde, schnappte er sich angeblich nach seinem Amtsantritt einen Blaumann und stellte sich für einige Tage ans Fließband. Hierdurch signalisierte er den Mitarbeitern in der Produktion: Ich schätze eure Arbeit, und es ist mir wichtig zu erfahren, was euch antreibt und bewegt.

Um die Kultur eines Unternehmens oder Bereichs kennenzulernen, muss man sich nicht unbedingt ans Fließband stellen - auch wenn man die Bedeutung solcher symbolischer Handlungen nicht unterschätzen sollte. Es gibt systematischere Vorgehensweisen. Hilfreich beim Ermitteln der Kultur einer Organisation ist es zum Beispiel, sich zu fragen:

Das Ziel all dieser Fragen ist es zu begreifen, wie das Unternehmen tickt. Denn nur so lässt sich erkennen, wo Veränderungen ansetzen sollten, damit die Entwicklungsziele und die unternehmerischen Ziele erreicht werden.

Drei Ebenen der Unternehmenskultur

Der US-amerikanische Organisationspsychologe Edgar Schein, einer der Väter der Organisationsberatung, unterscheidet drei Ebenen, auf denen sich eine Unternehmenskultur manifestiert.

Alle diese Faktoren zu erfassen, erscheint auf den ersten Blick aufwendig - und ist zuweilen auch übertrieben. Trotzdem ist eine fundierte Kulturanalyse wichtig. Das zeigt sich unter anderem darin, wie häufig in Unternehmen zum Beispiel Projekte gestartet oder Umstrukturierungen vollzogen werden, ohne dass sich die erhofften Effekte einstellen. Eine häufige Ursache hierfür ist: In der Planungsphase wurde nicht ausreichend beachtet, dass sich in der Struktur eines Unternehmens ebenso wie in den firmeninternen Arbeitsbeziehungen dessen Kultur widerspiegelt. Deshalb setzten Strukturveränderungen, damit sie wirksam werden, meist auch eine Kulturveränderung voraus. Dasselbe gilt, wenn die strategischen Ziele sich ändern.

Den Veränderungsprozess gezielt steuern

Deshalb sollten Unternehmensführer, bevor sie in ihrer Organisation größere Veränderungsprojekte initiieren, die auch eine neue Kultur erfordern, analysieren: Wie tickt das Unternehmen aktuell? Denn nur dann kann der Change-Prozess so gestaltet werden, dass er nicht nur auf dem Papier, sondern auch real gelingt.

Hinzu kommt: Zum Steuern eines Change-Prozesses benötigt man Parameter, aus denen sich ablesen lässt: Hat sich etwas verändert? Befinden wir uns noch auf dem richtigen Weg? Sonst ist bei Bedarf kein korrigierendes Eingreifen möglich. Deshalb führen Unternehmen bei größeren Change-Vorhaben oft nach der ersten Kulturanalyse im Ein-, Zwei-Jahres-Rhythmus (abgespeckte) Folgeanalysen durch - beispielsweise in Form von Mitarbeiter- und Kundenbefragungen.

Diese Analysen haben auch die Funktion, Veränderungen sichtbar zu machen. Denn gerade weil Kulturveränderungen so lange dauern, haben die Beteiligten zuweilen das Gefühl: "Da bewegt sich nichts. Wir kommen nicht voran." Deshalb sollten auch kleine Fortschritte wahrgenommen, dokumentiert und gewürdigt werden, damit die Beteiligten nicht resignieren, sondern mutig weiter voranschreiten.

Kontakt und Infos: Michael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens- und Arbeitspraxis (ilea), Esslingen bei Stuttgart (www.ilea-institut.de), das Unternehmen bei ihrer Entwicklung zur High-Performance-Organisation unterstützt und begleitet. Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit fast zwei Jahrzehnte als Führungskraft und Projektmanager in der (Software-)Industrie.