Der Kunde denkt nicht in Kanälen

Warum E-Commerce (und digitales Marketing) tot sind

19.03.2015 von Michael Hubrich
E-Commerce allein hat an Durchschlagskraft verloren. Das liegt auch am sich weiterentwickelnden Einkaufsverhalten der Kunden. Das erfordert eine Menge Überlegungen im Handel.

Sätze wie "Der Online-Handel nimmt in Deutschland mehr und mehr Fahrt auf" oder "E-Commerce ist der wichtigste Umsatztreiber" haben uns in den vergangenen Jahren permanent begleitet. Dann allerdings die ernüchternde Meldung bei der Studie "E-Commerce-Markt Deutschland 2014" des EHI und Statista: Das Tempo der Umsatzsteigerungen im E-Commerce hat deutlich abgenommen.

Demnach haben die Top 100 der E-Commerce-Händler in Deutschland 2013 einen Umsatz von 19,6 Mrd. Euro erwirtschaftet und damit eine Steigerung von knapp 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (18,2 Mrd. Euro) erzielt. Bereinigt man allerdings den Umsatz um den Anteil von amazon.de, beträgt das Wachstum nur noch 2,8 Prozent.

Shopping heute: Moderne Technologie kann die Kauferlebnisse verbessern, zum Beispiel Gesture-Browsing-Funktionalitäten ("Wischen") im Schaufenster nach Ladenschluss.
Foto: Kzenon - Fotolia.com

E-Commerce allein hat also an Durchschlagskraft verloren, das sieht auch der Handel und reagiert entsprechend: "Wer will, der kriegt. Im Markt. Im Netz. Jederzeit." Unter diesem Motto startete Ende vergangenen Jahres die medienübergreifende Multi-Channel-Kampagne des Media Markt, in deren Fokus der Roll-out von Multi-Channel-Technologie und -Diensten in allen 260 Märkten steht. Auch eine Verbraucherstudie des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel Deutschland zeigt, dass immer mehr Händler auf Mehrkanalstrategien setzen. Für das dritte Quartal 2014 weist sie ein Wachstum von zwei Prozent aus. Treiber ist dabei der Multi-Channel-Handel, der den Abstand zu den Online-Marktplätzen verkürzt.

Natürlich spielen Online-Shops nach wie vor eine wichtige Rolle im Kaufprozess, vor allem bei den digital-affinen Kunden von heute. Das zeigte auch die Studie "Cross-Channel Management 2014 in DACH" des Forschungszentrums für Handelsmanagement der Universität St. Gallen (IRM-HSG), die von hybris software unterstützt wurde. Laut den Ergebnissen hat der Online-Kontaktpunkt (63 Prozent der Befragten) sogar an Relevanz gegenüber dem Ladengeschäft (62 Prozent) gewonnen. Dennoch liegt der Schlüssel zu nachhaltigem Wachstum nicht mehr allein im "E" von E-Commerce und im rein digitalen Marketing.

Kunden denken nicht in Vertriebskanälen

Ein Grund dafür liegt im sich weiterentwickelnden Einkaufsverhalten der Kunden. Sie denken bei Recherche und Kauf nicht in Vertriebskanälen. Sie kennen und nutzen alle Kanäle übergreifend und entscheiden selbst, an welchem Touchpoint der Einkaufsprozess beginnt und an welchem er endet. Und sie erwarten in jedem Kanal ein einheitliches und service-orientiertes Einkaufserlebnis.

Die gnadenlosen Killerphrasen der Kunden

"Das ist aber alles andere als ein Schnäppchen!"

"Letzlich entscheidet der Preis, ob wir zusammenkommen!"

"Sie sind mindesten 20 Prozent teurer als der Wettbewerb!"

"Jetzt packen Sie die alle einfach mal aus. Dann können wir morgen über günstige Ausstellungsstücke reden."

"Ein Bekannter hat vielleicht die Hälfte dafür bezahlt."

"Wie ist denn der Preis, wenn Sie die "vergoldete" Verpackung weglassen?"

"Das ist doch eh ein Auslaufmodell."

"Sie wissen doch so gut wie ich, dass nach einem halben Jahr der Preis um die Hälfte runtergeht."

"Das gibt es doch bestimmt gebraucht wesentlich günstiger, oder?"

"Sie haben ein Geschäft – ich habe hunderte."

"Jetzt versuchen Sie es bitte nochmal mit Kopfrechnen."

"Hallo? Ich möchte nicht gleich den ganzen Laden kaufen!"

"Holen Sie mir mal den Chef ran!"

"Was muss denn passieren, damit Sie mit dem Preis runtergehen?"

"Über den Wartungsvertrag reden wir dann morgen."

"Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?"

"Ich kaufe doch schon so lange bei Ihnen ein."

"Sie wollen doch auch mal einen Großauftrag von uns bekommen, oder?"

"Ich wette, dass Ihr Kollege dort drüben wesentlich billiger ist."

"Sie kennen wohl geizhals.at nicht, was?"

"Und ich dachte immer, Sie hätten die besten Preise weit und breit."

"Da kann ich ja gleich in der Apotheke einkaufen."

"Ist doch nicht mein Problem, wenn Sie zu teuer einkaufen!"

"Jetzt kommen Sie mir nicht wieder mit Ihren Mondpreisen!"

"Für so was habe ich noch nie mehr bezahlt."

"Warum kostet das denn soviel? Das kommt doch eh alles aus China."

"Bei meinem Umsatz mit Ihnen müssen fünf Prozent Rabatt locker drin sein!"

"Der Preis muss schon knackig sein, wenn Sie im Rennen bleiben wollen."

"Ich empfehle nur jene weiter, die mir einen guten Preis machen."

"Sie wollen doch Folgegeschäfte mit mir machen, oder?"

"Jetzt nennen Sie mir einfach mal den Projektpreis dafür."

"Dafür verdienen Sie doch an allem anderen sehr gut."

"Im Internet habe ich das viel billiger gesehen!"

"Wie sagt man so schön: A bisserl was geht immer!"

"Wollen Sie mich nun als Kunden oder nicht?"

"Welche günstigeren Alternativen haben Sie denn?"

"Für Service zahle ich prinzipiell nichts."

"Hopp oder topp – mehr zahle ich nicht."

"Ich weiß genau, dass Sie da immer noch gut daran verdienen."

"Reden wir nicht lange rum: Was ist Ihr bester Preis?"

"Ich bin ganz Ohr, was Ihr Entgegenkommen anbelangt."

"Sie sind doch sicherlich an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert, oder?"

"Rechnen Sie bitte nochmal mit spitzem Stift nach."

"Das liegt weit über meinem Budget."

"Ihr Angebot liegt weit über dem der anderen."

"Ich bin sicher, dass das nicht Ihr letztes Wort war."

"Ohne ein Entgegenkommen wird das nichts mit uns!"

"Warum sind Sie eigentlich so viel teurer als andere?"

"Was kostet es, wenn ich 300 Stück abnehme?" (wohlwissend, dass der Bedarf bei zwei Stück liegt)

"Sehen Sie, mir ist das letztlich doch eh egal, von wem ich das kaufe."

"Das kann ich woanders viel billiger kaufen!"

Marc Mathieu, Head of Global Marketing bei Unilever, forderte auf der letztjährigen Global Marketer Conference: "Wir müssen aufhören, über digitales Marketing nachzudenken, und anfangen, uns Gedanken über Marketing in einer digitalen Welt zu machen." Es ist Zeit, die isolierten Silos in unserem Denken und unseren Operationsmodellen abzureißen. Marketing- und Vertriebsexperten müssen in der Lage sein, vertriebskanalübergreifend zu arbeiten und Strategien zu entwickeln und zu implementieren, die im Web, in mobilen Apps und sozialen Netzwerken genauso funktionieren wie im traditionellen Laden.

Wenn Händler erfolgreich sein wollen, müssen die Marketingverantwortlichen die Verbraucher dort abholen, wo sie sich befinden, und sie zur Nutzung von Einkaufskanälen nach ihrem Belieben ermutigen. Moderne Technologie kann in vielen unterschiedlichen Situationen die Kauferlebnisse verbessern, zum Beispiel NFC Tags für Funkkommunikation und Gesture-Browsing-Funktionalitäten ("Wischen") im Schaufenster nach Ladenschluss. Dadurch verschwimmen die Grenzen zwischen Ladenkauf und E-Commerce – der souveräne Kunde hat die Wahl zwischen Online-Kauf oder Rückkehr zum Laden während der Öffnungszeiten.

Neue Wege der Zusammenarbeit

Eine Geschäftsumstellung dieses Ausmaßes erledigt sich allerdings nicht im Handumdrehen und erfordert eine Menge Überlegungen auf zahlreichen Ebenen. Unternehmen, in denen E-Commerce und digitales Marketing in isolierten Silos stattfinden, müssen jetzt eine Diskussion über neue Wege der Zusammenarbeit zwischen Management, IT, E-Commerce und dem Vertrieb anstoßen. Dazu können die folgenden Punkte gehören:

1. Mut zur Restrukturierung
Silos abbauen – sie trennen nur: Unternehmen müssen intern flache Strukturen schaffen und Jobbeschreibungen erstellen, in denen digitale Kompetenz und Online-Erfahrungen in die traditionellen Rollen, die wir heute noch haben, integriert werden.

2. Zum Botschafter für den Wandel werden
Das kann beispielsweise durch ein Bonussystem für das Ladenpersonal geschehen, wenn dieses Kunden an das Unternehmen bindet und das Kauferlebnis unabhängig von der Kauf-Schnittstelle verbessert. Wer nicht in der Lage ist, den Kunden prompt und umgehend zu bedienen, sei es durch Bestandsrecherche via Mobilgerät oder durch Bestellmöglichkeiten in einer anderen Filiale und Lieferung an die Kundenadresse, verliert ihn schnell an einen anderen Einzelhändler.

Zum Video: Warum E-Commerce (und digitales Marketing) tot sind

3. Vertriebskanäle integrieren
Geschäftskanäle sollten nahtlos ineinandergreifen, das bedeutet zum Beispiel dieselben Preise und Dienstleistungsangebote an allen Kunden-Schnittstellen anzubieten. Neue Technologien sollten dafür in alle Maßnahmen integriert werden, die dazu dienen das Kauferlebnis aufzuwerten. Die australische Marke Lorna Jane für Frauen-Fitness- und Freizeitbekleidung unterhält Facebook-Seiten für jede ihrer 120 Einzelhandelsfilialen. Dahinter steht die Absicht, um jeden einzelnen Laden herum eine Community aufzubauen und dem Kunden, das, was er sucht, so nahe wie möglich zu bringen. Die Nutzung der sozialen Netzwerke trägt Früchte: Die Online-Umsätze der Marke liegen nun gleichauf mit denen der stationären Einzelhandelsgeschäfte und 10 Prozent der "Konvertiten" kommen über Facebook.

Die australische Marke Lorna Jane für Frauen-Fitness- und Freizeitbekleidung unterhält Facebook-Seiten für jede ihrer 120 Einzelhandelsfilialen. Dahinter steht die Absicht, um jeden einzelnen Laden herum eine Community aufzubauen.

4. Die Verschmelzung von online und offline
Unternehmen brauchen Marketingstrategien, die neue Technologien integrieren und ihnen damit einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Zur Verbesserung des Kundenerlebnisses lassen sich beispielsweise digitale Medien auch im Laden einsetzen – seien es nun iPads für das Personal, Kunden-Terminals oder bargeldloses Bezahlen. Markentreue lässt sich auch forcieren, wenn der Kunde bereits im Laden seine neuen Produkte via Pinterest oder Instagram etc. posten kann, um sie mit der Community zu teilen.

5. Keine Budgetschlachten mehr
Die Analysten des Marktforschungsunternehmen Econsultancy fanden heraus, dass 56 Prozent der Einzelhändler sich aktuell ein separates Budget für E-Commerce leisten und dass drei Prozent noch nicht einmal mit E-Commerce-Investitionen begonnen haben. In einer flachen Betriebsstruktur würden die in Silos organisierten Abteilungen nicht mehr um den Löwenanteil des Gesamtbudgets kämpfen müssen. Und wenn Geschäftsziele abteilungs- und kanalübergreifend angegangen werden, profitiert das gesamte Geschäft davon.

Fazit: Keine Insellösungen, sondern grundlegender Wandel

Wer sich als Unternehmen wirklich auf den Handel der Zukunft einlassen will, schafft das nicht mit Insellösungen – nachhaltiges Wachstum wird nicht allein durch das "E" im Commerce oder einem Fokus auf digitales Marketing geschaffen. Eine einheitliche Kundeninteraktionsplattform und die Auflösung bisheriger Silos werden entscheidend sein. Der Wandel auf dem Weg dorthin ist grundlegend und definiert die Schnittstellen im Markt und die Organisation der Unternehmen neu. Hierfür ist es notwendig, nicht nur die richtige Technologie auszuwählen, sondern auch Partner, die einen solchen Wandel nachhaltig unterstützen können. (tö)

Die wichtigsten Fragen im Kundengespräch
Suggestivfrage
Beispiel: "Sie wollen doch sicherlich auch ...?"

Antwort: Ja! Stark manipulierend, kein Nein zulassend

Nutzen: Bitte äußerst sparsam verwenden.
Geschlossene Frage
Beispiel: "Gefällt Ihnen das Produkt?"

Antwort: Ja oder Nein, wenig Information

Nutzen: Nur zum Herbeiführen von (Teil-)Entscheidungen verwenden.
Alternativfrage
Beispiele: "Wollen Sie lieber ....oder ...?", "Passt es Ihnen besser am ... oder am ...?"
Antwort: bewegt sich innerhalb eines Korridors
Nutzen: beschleunigt Entscheidung bzw. führt diese hierbei, gibt dem Kunden das Gefühl "Ich entscheide ..."
Bestätigungsfrage
Beispiele: "Sehen Sie das genauso?", "Haben Sie sich das so vorgestellt?"
Antwort: Ja oder Nein, Zustimmung oder Ablehnung
Nutzen: führt Teilentscheidungen herbei, ideal um Einwände zu vermeiden
Offene (Informations-)Frage
Beispiele: "Was erwarten Sie von einem guten…"; "Wie meinen Sie das?"
Antwort: (mindestens) ein vollständiger Satz
Nutzen: ideal zum Gewinnen von Informationen, Schaffen von Klarheit, Klären von "Bedenken"
Wer fragt, der führt
Das gilt besonders in Verkaufgesprächen, wenn es darum geht, Klarheit zu schaffen und Entscheidungen herbeizuführen. Verkäufer müssen deswegen in jeder Situation und an jeden Kunden die passenden Fragen stellen. Und diese lassen sich oft ganz einfach formulieren, wie ein paar Beispiele auf den folgenden Seiten zeigen.