Realitäts-Check Unified Communications

Was bringt eine IP-basierte TK-Anlage?

20.03.2012
Um die Installation einer IP-basierten TK-Anlage zu rechtfertigen, führen viele Reseller das Kostenargument an. Doch stimmt das wirklich?

Um die Installation einer IP-basierten TK-Anlage zu rechtfertigen, führen viele Reseller das Kostenargument an. Doch stimmt das wirklich?

Von Sabine Schäfer, Secudion und Helmut Schäfer, InterCom Group

Foto: Fotolia/ktsdesign

Wer in den späten 1990er-Jahren die ersten größeren VoIP-Implementierungen (Voice over IP) wagte, kam rasch zu vorzeigbaren Ergebnissen: Zunächst half die geringe Produktvielfalt: Ein sehr großer Anbieter dominierte den Markt. Hatte man sich für Ciscos "Call Manager" (vorher: "Selsius") entschieden, so bestand die Aufgabe im Wesentlichen darin, den Rufnummernplan aufzustellen und die VoIP-Gateways zu konfigurieren.

Rasch noch ein paar Benutzer mit VoIP-Telefonen im amerikanischen "Look, Feel and Ring" erschreckt, diese auf die Ethernet-Etagenverteiler aufgeschaltet - fertig! Anschließend rechnete man dem begeisterten Management vor, wie viele PBX-Lizenzen für die Nebenstellenvermittlung und wie viele Telefon-Support-Mitarbeiter das Unternehmen nun sparte. Damit war wenigstens auf den oberen Etagen die Akzeptanz gesichert.

Mittlerweile sind aus überschaubaren VoIP-Produkten komplexe Unified-Communications-Lösungen geworden. Eine Phalanx von Anbietern kämpft um den Markt der multimedialen, mehrkanaligen Kommunikation. Er ist lukrativ, weil im Zuge der Unternehmensumstellung auf UC beachtliche Kollateralumsätze winken und eine langjährige Bindung des Kunden zu erwarten ist. Der Anwender sollte jedoch einen Blick auf die UC-Wirklichkeit werfen, bevor er sich finanziell und zeitlich verausgabt.

Die großen UC-Systeme für Firmenkunden

Nehmen wir an, das Unternehmen hat die UC-Dienste im eigenen Hause implementiert, bezieht sie also nicht aus einer Dienstleister-Cloud. Zu den für Unternehmen geeigneten UC-Lösungen zählen - in alphabetischer Reihenfolge - die Unified-Communications-Portfolios von Avaya, Cisco Systems, Microsoft und Siemens Enterprise Communications.

Cisco IP-Telefone
Foto: Cisco

Hinzu kommen einige Aspiranten. Die meisten UC-Lösungen entwickeln sich aus Netz- und Telefonieprodukten heraus, so bei Alcatel, Avaya, Cisco und Siemens. Andere, beispielsweise die von IBM und Microsoft, kommen aus der Groupware-Entwicklung. Der Grad der Integration und Vollständigkeit ist unterschiedlich weit entwickelt. Allerdings sind vier gemeinsame Richtungen erkennbar:

  1. Alles auf IP: Verbindungssteuerung (SIP) und Medienströme sind IP-formatierte Paketströme - zumindest im Intranet und Internet. Folglich lassen sich Daten, Sprache, Musik und Video gleichermaßen komprimieren, per Switch/Router oder auf Anwendungsebene routen, analysieren, filtern und archivieren.

  2. Zentrale IP-Vermittlungssysteme: Die vielen PBXe werden durch eine kleine Zahl zentraler IP-Vermittlungs-Cluster (IP-TK-Anlagen mit Notfallsystemen in fernen Außenstellen) abgelöst.

  3. Eine Oberfläche - viele Kanäle: Klassische Echtzeitdienste erscheinen mit Video- und Anwendungskonferenz sowie Instant Messaging, angereichert unter einer einheitlichen Benutzeroberfläche. Teilweise sind auch E-Mail, Voice Mail, SMS/MMS und Fax in einer Unified-Messaging-Komponente integriert.

  4. Teamarbeit: Die Einbindung von Verzeichnisdiensten, Verfügbarkeitsinformationen und sozialen Netzwerkkanälen unterstreicht das Generalziel: die Unterstützung spontaner Gruppenarbeit und dynamischer Teambildung.

Wo und wie lassen sich Kosten sparen?

Häufig führen Einsparungen die Liste der Argumente für UC an. Kostensenkend wirkt sich beispielsweise aus, dass die dedizierte Sprachinfrastruktur innerhalb des Unternehmens zusammen mit ihren kostspieligen Rangieroperationen wegfällt.

Ein anderer Faktor ist die Vereinheitlichung des Supports: Weil Werkzeuge und Wissensvoraussetzungen im Daten- und Sprach-Support ähnlich sind, wird der klassische "Telefoner" verzichtbar. Es gibt nur noch IP-Support-Mitarbeiter. Die sind zwar pro Kopf teurer, aber aus der Verkleinerung der Betriebsmannschaft resultiert oft eine Einsparung. - vor allem dank Zentralisierung.

Schützenhilfe erhält das Kostensenkungsargument durch die Ablösung der im Regelfall 20 bis 200 Nebenstellenvermittlungsanlagen im Unternehmen. Allerdings sind diese meist schon abgeschrieben, sodass real nur noch der Wegfall der Betriebskosten bleibt.

Einsparungen lassen sich auch bei den Reisekosten erziehen: Mit einer ausgereiften und sorgfältig eingeführten UC-Lösung werden viele Reisen überflüssig. Hinzu kommen geringere Reisefolgekosten, besonders beim Roaming, beispielsweise durch kombinierte WLAN/3G/4G-Smartphones, Call-Back-Lösungen oder Least Cost Routing.

Die Gesamtkostenbetrachtung muss selbstverständlich auch die aus Parallelbetrieb, Mehrwertdiensten, Komplexität und Schutzmaßnahmen resultierenden Aufwendungen berücksichtigen. Sie ist deutlich komplexer, als es zunächst scheint - selbst dann, wenn Effizienzgewinne und soziale Folgekosten unberücksichtigt bleiben.

Die Gegenüberstellung von klassischer Telefonielösung und UC ist keineswegs der Versuch, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Es handelt sich eher um den Vergleich von Apfel und Obstkorb. Schon deshalb ist das Kostenargument problematisch.

Der Mehrwert von UC

Insgesamt sind alle Befürworter des UC-Einsatzes besser beraten, den Mehrwert für das Unternehmen unter den Aspekten Funktion, Zeitersparnis, Komfort und Mobilität herauszuarbeiten. Denn einige UC-Lösungen bieten Beachtliches.

Nummerngewählte Gespräche, Click-to-Call-Verbindungen, Instant Messaging, Video- oder Anwendungskonferenzen - technisch gesehen sind alle diese Kommunikationsmodi in UC-Lösungen völlig unabhängig vom Ort der Teilnehmer nutzbar. Lediglich die Fähigkeiten des Endgeräts (Display, Video- und Audiokanäle) sowie die Qualität der Netzverbindung (Bandbreite, Laufzeit, Paketverluste) entscheiden, was geht und wie es geht.

Die Lösungsvarianten

Zwei Klassiker beherrschen auch heute noch die Masse der Schreibtische im Unternehmen: zum einen der Telefonhandapparat, zweidrähtig oder per DECT mit der Nebenstellenvermittlungsanlage (PBX) verbunden, zum anderen der PC oder Laptop beziehungsweise das Notebook. Im Zuge der Ausbreitung von UC-Lösungen können den Mitarbeitern konfektionierte Endgerätekombinationen angeboten werden, die ihre Arbeit wirkungsvoller unterstützen.

Die Kombination aus VoIP-Telefon und Notebook ist diesem Duo äußerlich ähnlich. Wichtiger Unterschied: Das Telefon ist in die LAN-Verbindung eingeschleift. Über einen eingebauten LAN/IP-Switch verbindet es den PC mit dem LAN-Anschluss. Das macht die Etagenverkabelung für das Telefon überflüssig. Vor allem aber ist diese Kombination funktional reicher als das Klassik-Duo. Zum Beispiel werden Telefongespräche durch Klickverbindung oder Nummernwahl/Kurzwahl hergestellt, während Video- oder Anwendungskonferenzen über den angeschlossenen (PC-)Bildschirm laufen.

Für den PC-orientierten Mitarbeiter im Büro oder Home Office ist das reine Softphone die bessere Wahl. Hier erscheint das Telefon als Anwendungsfenster, also als Emulation einer Kombination aus Audio-, Video- und Konferenztelefon, auf dem PC. Als Ein-/Ausgabegeräte lassen sich Mikrofon und Lautsprecher des PCs - oder besser eine angeschlossene Sprechgarnitur - nutzen.

Daneben gibt es noch das Smartphone/Tablet mit Cradle und "High-Definition"-Peripherie (Bildschirm, Sprechgarnitur, Eingabegeräte) auf dem Schreibtisch. Mit ihm lassen sich die Office-Funktionen von Microsoft, Google oder anderen Anbietern per Browser nutzen.

In allen drei Varianten spielt das Mitarbeiterhandy eine Rolle - sei es als vom Unternehmen bereitgestelltes Arbeitsmittel oder als betrieblich und privat genutztes Mitarbeitergerät. Letzteres ist ebenfalls in die UC-Lösung zu integrieren, falls sich das Unternehmen der ByoD-Philosophie (Bring your own Device) verschrieben hat.

Verfügbarkeit wird transparent

Der klassische Telefonanruf erfolgt blind: Wir wissen nicht, ob die angerufene Teamkollegin da ist und Zeit hat. Nützlich also, zu wissen, ob ein gewünschter Kommunikationspartner gerade verfügbar ist und, falls ja, auf welchem seiner Endgeräte. Abhilfe schafft der in UC-Lösungen integrierte "Presence Service". Er prüft regelmäßig oder bei Bedarf den Belegt-Zustand der Endgeräte eines Teilnehmers, aber beispielsweise auch Kalendereinträge.

Die Anbieter lobpreisen den Presence-Service als die 40-Liter-Holstein-Kuh im UC-Stall. Gewiss ist die Verfügbarkeitsanzeige sinnvoll. Wenn die Chefin seit Stunden intensiv beschäftigt ist, sollte man jetzt besser nicht seine Gehaltswünsche vor ihr ausbreiten. Allerdings steht und fällt der Wert dieser Präsenzinformation mit der Sorgfalt, die auf die Pflege der Statusanzeigen verwendet wird, und mit der Art und Weise, wie damit umgegangen wird.

An Effizienz gewinnt die betriebliche Kommunikation, wenn die Präsenzinformation auch die systematische Suche nach verfügbaren Personen erlaubt, die beispielsweise eine gerade benötigte technische, administrative oder juristische Kompetenz haben. So lässt sich Fachwissen zeitgerecht in technische Diskussionen oder juristische Verhandlungen einbeziehen. Das setzt jedoch voraus, dass Verzeichnis- beziehungsweise Organigramminformationen des Unternehmens in die Präsenzanzeige eingebunden sind.

Die Integration der Echtzeitdienste Chat, Telefonie und Konferenzen mit Basisfunktionen wie E-Mail und Kalender ist eine weitere Stärke vieler UC-Lösungen - vor allem wegen der Akzeptanz dieser Basiswerkzeuge. Hier lassen sich mobil wie stationär Datenbestände mit den wichtigsten Kommunikationspartnern ("Kontakte", "Buddies") pflegen sowie Termine und Einladungen zu Telefon-, Video- oder Anwendungskonferenzen verwalten.

Unnötige Transferzeiten schwinden

Büroarbeit ist zunehmend Fernarbeit, auch innerhalb des Firmengeländes. Weil zum Beispiel einige Meeting-Teilnehmer ohnehin ständig unterwegs sind, die Wege zu weit und die Räume zu knapp sind, werden physische Treffen seltener. Das virtuelle Meeting per Telefon- oder Videokonferenz ist in vielen Unternehmen schon die Norm. UC-Lösungen beschleunigen diesen Trend. Sie helfen damit, Transferzeiten auf dem Gelände zu vermeiden.

Faktisch wird für den Mitarbeiter die Erfahrung mit virtuellen Konferenzen am Büroarbeitsplatz zur Qualitätsreferenz für die UC-Lösung. Und Heimarbeiter fühlen sich bürointegriert, wenn sie an ihrem UC-Arbeitsplatz zu Hause qualitativ und funktional genauso an Konferenzen teilhaben können wie im Büro.

Eine Mitarbeiterin, die viel reist, ist für die Unternehmenskommunikation auf ihr mobiles Endgerät angewiesen. Smartphone, Tablet oder Notebook sollten also annähernd dieselbe Qualität aufweisen wie das Equipment im Büro. Die großen UC-Lösungen bieten hier für die gängigen Mobilplattformen, derzeit also für Android, iOS4 und RIM OS, recht komfortable UC-Clients. Besonderes Augenmerk sollte außerdem den Mechanismen zur Qualitätssteigerung (Bandbreitenreservierung, Codecs, Freisprecheinrichtungen) und zur Senkung der Roaming-Kosten (Wegewahl) zukommen.

Sabine Schäfer ist Geschäftsführerin beim Beratungshaus Secudion. www.secudion.de
Foto: Secudion

Die heute verfügbaren Unified-Communications-Portfolios bieten also teilweise einen beträchtlichen Mehrwert für die Unternehmenskommunikation. Arbeitszeit und spezifische Fähigkeiten - insbesondere der Teleabeiter und der ständig mobilen Mitarbeiter - lassen sich besser ausschöpfen. Die Zusammenarbeit in Arbeitsgruppen wird effizienter, die Bildung spontaner Arbeitsgruppen einfacher. (rw)