Was Technikchefs erwarten

23.05.2006 von Holger Eriksdotter
Mit Programmierkenntnissen und speziellem Tool-Know-how lässt sich der Technikchef eines Softwarehauses nicht mehr beeindrucken. Er erwartet von Mitarbeitern konzeptionelles Denken, Verständnis für Prozesse und Wissen um IT-Architekturen.

Die Ansprüche sind hoch: "Wir stellen fast nur noch Hochschulabsolventen ein", sagt Achim Weiß, Technikvorstand der 1&1 Internet AG in Montabaur. Selbst für die eigentliche Programmierung kämen Quereinsteiger kaum noch in Frage - allenfalls für die Systemwartung und das Verfassen von Skripts.

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  • warum sich die Chancen der Quereinsteiger in der Softwareentwicklung so verschlechtert haben;

  • worauf Technikchefs von Softwarehäusern besonderen Wert legen;

  • welche Karriereperspektiven sich für Programmierer anbieten.

Ähnlich äußert sich René Gawron, Geschäftsführer von Software Quality Services (SQS), einem Unternehmen, das sich auf das Testen von Software spezialisiert hat. "Für die Jahr-2000- oder die Euro-Umstellung waren die Unternehmen nicht wählerisch, das konnte man mit Umschülern problemlos machen", blickt er zurück. "Heute aber sind andere Qualifikationen notwendig. Softwareentwickler müssen in der Lage sein, die Entwicklung so zu gestalten, dass Fehler erst gar nicht auftreten." Qualität resultiere nicht nur aus der Umsetzung, sondern fange beim Design an, so Gawron.

Achim Weiß, 1&1: 'Die Leute müssen das Produkt im Ganzen verstehen und konzeptionelle Arbeit leisten können.'

Gefragt sind deshalb Grundlagen und Methodenwissen und besonders die Fähigkeit und Bereitschaft, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. "Wir suchen vor allem Hochschulabgänger mit einem IT-Abschluss mit dem Schwerpunkt Programmierung, am liebsten aus dem Java-Umfeld", sagt 1-&-1-Vorstand Weiß. Die Fähigkeit zum Programmieren reicht aber bei weitem nicht mehr aus, um in der Softwareentwicklung erfolgreich zu sein. Das reine Programmieren wird zunehmend ausgelagert, denn das reine Codieren wird weniger. "Die Softwareprodukte werden immer komplexer und die Entwickler müssen mehr können als das Codieren von Quellcode." 1&1 etwa unterhält für die Programmierung eine Filiale in Bukarest. Von seinen hiesigen Mitarbeitern erwartet Weiß mehr: "Die Leute müssen das Produkt im Ganzen verstehen und konzeptionelle Arbeit leisten können."

Georg von der Ropp, sd&m: 'Entwickler brauchen Verständnis für Prozesse und sollten sich mit IT-Architekturen auskennen.'

Georg von der Ropp, Mitglied der Geschäftsleitung beim Münchner Software- und Beratungshaus sd&m, sieht das ähnlich: "Softwareentwickler brauchen vor allem Sinn für Prozesse, sie müssen die gesamte Anwendungslandschaft verstehen und sich gut mit IT-Architekturen auskennen." Auch sein Unternehmen betreibt eine Niederlassung mit 50 Mitarbeitern in Polen, die die Codierarbeiten übernehmen. Die Fähigkeit zum Programmieren, darauf legt von der Ropp Wert, sei allerdings auch in Deutschland unverzichtbar. "Softwareentwicklung ist elementar - ohne gründliche Erfahrung geht es nicht. Man muss das schon selbst gemacht haben, um beurteilen zu können, welche Ziele überhaupt erreichbar sind, und um Projektziele und -laufzeiten einschätzen zu können." Seit etwa zwei Jahren beobachtet auch von der Ropp wieder eine zunehmende Nachfrage nach Entwicklern. "Nach dem Hype standen viele Unternehmen bei ihrer Personalpolitik auf der Bremse. Die jetzige verstärkte Nachfrage hat eine breite Basis und geht über alle Branchen."

Auch Stefan Sachse, Geschäftsführer des Hamburger Software- und IT-Dienstleisters Datenlotsen-Informationssysteme, sucht Leute: "Es gibt heute viel weniger gut qualifizierte Arbeitskräfte als noch vor wenigen Jahren", stöhnt er. Dabei freut er sich über Quereinsteiger mit fundiertem IT-Wissen, wenn sie handfeste Erfahrungen aus anderen Branchen mitbringen. "Wir stellen auch gerne Ärzte, Architekten oder Rechtsanwälte mit guten IT-Kenntnissen ein."

Die Anforderungen ändern sich immer schneller

Stefan Sachse, Datenlotsen: 'Wer seine Mitarbeiter nicht weiterentwickelt, hat keine Chance auf dem Softwaremarkt.'

Sachse nennt einen weiteren Grund, warum er den Generalisten dem Spezialisten vorzieht: "Die IT-Architekturen und damit die Anforderungen an Mitarbeiter ändern sich immer schneller. Wenn man an SOA oder Web-Services denkt - darüber hat kaum ein Student je etwas an der Uni gehört, weil das zu neu ist und noch vor kurzer Zeit nicht auf den Lehrplänen stand." Offenheit für Neues und die Bereitschaft, sich immer wieder auf neue Technologien einzustellen, seien wichtiger als Kenntnisse und Erfahrungen mit speziellen Tools oder Entwicklungsumgebungen. Hier sieht Sachse aber auch die Arbeitgeber in der Pflicht: "Wer seine Mitarbeiter nicht weiterentwickelt, hat keine Chance auf dem Softwaremarkt."

Mit der zunehmenden Verlagerung der reinen Codierarbeit ins Ausland, sei es ins Baltikum, nach Polen, Rumänien, Indien oder China, wachsen auch die sprachlichen und sozialen Anforderungen an die heimischen Softwareentwickler. Sehr gute Englischkenntnisse sind in internationalen und multikulturellen Projekten unerlässlich. Zwar sagt man den IT-Profis nach, dass sie schon durch den Umgang mit der meist englischen Terminologie und Fachliteratur fit in dieser Sprache seien. "Aber Schulenglisch und die Fähigkeit, technische Literatur auf Englisch zu lesen, reichen keineswegs. Die Leute müssen in der Lage sein, sich in internationalen Projektteams angemessen auf Englisch auszutauschen", sagt Weiß von 1&1.

Vorbei die Zeiten, als der eigenbrötlerische Programmierer allein in seinem Kämmerlein geniale Programme entwickelte. "Einzelkämpfer haben heute keine Chance mehr", sagt Andreas Schwendt, Managing Partner beim Stuttgarter Systemhaus dmc. "Gefragt sind Teamfähigkeit, kommunikative und soziale Kompetenz." Denn in dem Maße, wie sich die Tätigkeit des Softwareentwicklers von der reinen Codierung wegbewegt, nehmen die Ansprüche an die Kommunikation zu: "Wir erwarten heute auch von unseren Entwicklern, dass sie konstruktiv mit Fachabteilungen und Kunden zusammenarbeiten und dabei eine Sprache sprechen, die auch Leute ohne IT-Ausbildung verstehen", sagt Schwendt.

Absolventen programmieren nicht gern

Bei vielen Hochschülern rangiert Softwareentwicklung indes eher am unteren Ende der Beliebtheitsskala. Nicht nur, dass das reine Codieren als wenig attraktiv gilt. Zudem, so die verbreitete Einschätzung, verspricht die Entwicklungsabteilung schlechtere Karrierechancen als andere Bereiche der IT. Aber hier hat sich einiges getan, beteuern die Unternehmen: "Wir eröffnen unseren Mitarbeitern sowohl eine Management- als auch eine Fachkarriere", sagt Weiß von 1&1. Und auch von der Ropp von sd&m versichert, dass Softwareentwickler in seinem Unternehmen gute Entwicklungsperspektiven haben: "Wir bieten unterschiedliche Karrierepfade an, die in die drei Richtungen Anwendungswissen, technisches Fachwissen oder Projekt-Management gehen."

Aufstieg in der Entwicklung wird finanziell gut honoriert

Der Aufstieg lohnt sich. Sechsstellige Jahreseinkommen sind mit mehrjähriger Berufserfahrung und speziellen Fachkenntnissen durchaus möglich, wobei oft ein nennenswerter Teil der Vergütung variabel und erfolgsabhängig gezahlt wird. "Es gibt bei uns einen klaren Zusammenhang zwischen Tagessätzen und Gehalt. Das gilt auch für Softwareentwickler", sagt Gawron von SQS. Die Einstiegsgehälter für Hochschulabsolventen ohne Berufserfahrung liegen um die 40.000 Euro im Jahr. "Von einem Berufseinsteiger erwarten wir Neugier und Engagement. Das sollte anfangs wichtiger sein als das Einstiegsgehalt - das kann dann sehr schnell steigen", so Gawron.

Aber trotz der gewachsenen Nachfrage sind die Einstiegshürden nicht niedriger geworden. "Unsere Kompromissbereitschaft ist in puncto IT-fachliche Qualifikation eher gesunken", so dmc-Chef Schwendt. Während Weiß von 1&1 sich bei einem exzellenten Entwickler Abstriche bei der sozialen Kompetenz noch vorstellen kann, will von der Ropp trotz Bewerbermangels seine Ansprüche nicht zurückschrauben: "Es muss ein Gleichgewicht zwischen fachlicher und persönlicher Qualifikation geben. Ohne soziale und kommunikative Kompetenz geht es heute nicht mehr - und wenn die fachliche Qualifikation fehlt, erst recht nicht." (hk)

Anforderungen an Entwickler

Fachkenntnisse

  • Grundlagen- und Methodenwissen über Hardwarearchitekturen, Softwarekonzeption, -design und -realisierung sowie Qualitätssicherung;

  • gute Kenntnisse mindestens eines Betriebssystems wie Unix, Linux, Windows;

  • umfassende Erfahrung mit mindestens einer (objektorientierten) Programmiersprache und Entwicklungsumgebung wie Java/J2EE, C++/ Visual Basic;

  • Erfahrung mit einfachen Programmier- und Skriptsprachen wie PHP, XML, Shell-Programmierung, Perl beziehungsweise die Fähigkeit, sich eigenständig und schnell einzuarbeiten;

  • Kenntnisse und Erfahrungen mit Modellierungs- und Design-Tools wie UML, OOA, OOD, OOP, RUP;

  • Kenntnisse und Erfahrungen mit mindestens einem Datenbanksystem wie Oracle, DB2, MS-SQL-Server, Sybase, MySQL und gute Kenntnisse in SQL;

  • möglichst Projekt- oder bei Berufseinsteigern Praktikumserfahrung aus einem der Bereiche: ERP, SCM, CRM, BI, Data Warehouse, EAI;

  • möglichst vertiefte Kenntnisse mindestens einer Branche wie Banken/Versicherungen, Automotive, Handel, Transport und Logistik, industrielle Fertigung.

Softskills

  • Teamfähigkeit (die Fähigkeit und Bereitschaft, in der arbeitsteiligen Softwareentwicklung als konstruktives Mitglied des Projektteams zu fungieren);

  • kommunikative und soziale Kompetenz (die Fähigkeit und Bereitschaft, mit Fachabteilungen, Marketing, Vertrieb und Kunden zu verhandeln);

  • gute bis sehr gute Englischkenntnisse, die über das reine Fachenglisch hinausgehen müssen (um erfolgreich in internationalen und multikulturellen Projekten mitarbeiten zu können);

  • Reisebereitschaft.

*Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.