Empirie schlägt Komplexität

Wie sich digitale Geschäftsmodelle effizient steuern lassen

20.04.2016 von Dietmar Matzke
Die Digitalisierung macht ein Umdenken bei der Gestaltung neuer und bestehender Geschäftsmodelle nötig, weil neuartige und komplexe Ertragsmechanismen möglich werden. Im Markt führt dies zu einer Dynamik, die von Unternehmen immer kürzere Reaktionszeiten verlangt. Wer nicht schnell auf die veränderten Bedürfnisse der Kunden reagiert, kann leicht Marktanteile einbüßen.

Die zunehmende Komplexität trifft Business Developer und Produkt-Manger besonders. Den folgenden drei Bereichen sollten Business Developer und Produkt-Manager besonderes Augenmerk schenken:

Interne und externe Stakeholder sollten optimal miteinander vernetzt und gesteuert werden.
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Diese drei Welten sind eng miteinander verbunden. Es gibt vielfältige Wechselwirkungen, Beeinflussungen und Rückkopplungen, die eindeutige Prognosen, ob ein Produkt in seiner Zielgruppe erfolgreich werden kann oder nicht, nahezu unmöglich machen. Andererseits lässt sich hier ein System erkennen, das zwar schwer durchschaubar und kaum prognostizierbar ist - für das aber bereits neue Ansätze existieren, um seine Komplexität zu bewältigen. Hier sind agile Methoden und das aus dem Automobilsektor bekannte Lean Management zu nennen. Diese Ansätze stellen sich der Herausforderung, indem sie kurze Zyklen mit schnellem Feedback nutzen, Verschwendung vermeiden und kundenzentriert vorgehen, um sich adaptiv einer optimalen Lösung zu nähern.

Business Development bedeutet die Orchestrierung einer Vielzahl von Stakeholdern mit unterschiedlichsten Interessen. Die Geschäftsführung definiert die strategischen Ziele des Unternehmens, die ihrerseits Input für den Business Development-Prozess sind. Der Business Developer definiert die Maßnahmen, die für den Aufbau neuer oder die Optimierung bestehender Geschäftsfelder notwendig sind. Um die Strategieziele zu realisieren, nutzt er bestehende strategische Partnerschaften oder baut neue. Aber er verlässt sich auch auf die Beistellungen aus der eigenen Organisation und von spezialisierten Dienstleistern oder Zulieferern.
Deshalb müssen die betroffenen Linienmanager früh in die Kommunikationsstrategie einbezogen werden, um mit deren Hilfe die neuen Produkt-, Service- oder Prozessinnovationen zum Erfolg zu führen (sh. Abb. 1).

Abb. 1: Business Development im Spannungsfeld der Geschäftsführung und der Operationalisierung.
Foto: Cassini Consulting

Alle beteiligten Partner müssen nahtlos in die digitale Wertschöpfungskette integriert werden, will man der Dynamik des Marktes gerecht werden. Alle Medienbrüche oder manuellen Teilprozesse erschweren es, schnell auf neue Gegebenheiten des Marktes zu reagieren.
Auch die Partner müssen sich den Kundenversprechen verpflichtet fühlen - andernfalls ist die Qualitätsaussage des Unternehmens in Gefahr. Darum definiert beispielsweise Amazon für die Amazon Market-Teilnehmer die Lieferfristen und Modalitäten und überwacht sie. Dadurch hat ein Prime Kunde die gleiche User Experience hat, als würde er von Amazon direkt beliefert.

Digitale Geschäftsmodelle sind typischerweise durch mehrere der folgenden Aspekte charakterisiert:

Um die Investitionsverteilung, die Fremdleistungsanteile und deren Integration, die Automatisierung durch softwaredefinierte Prozesse und die User Experience so zu managen, dass daraus ein nachhaltig erfolgreiches Produkt wird, ist es notwendig, jede Partnerbeziehung aktiv zu pflegen. Nur wer auf diese Weise miteinander vernetzt arbeitet, kann agil auf Veränderungen reagieren.

Von der Theorie zur Praxis

Der Umgang mit zahlreichen Partnern verlangt entsprechendes Vorgehen. Handelt es sich um externe Partner, müssen diese Partnerbeziehungen vertraglich abgebildet werden. Preise, Leistungen und zeitliche Rahmenbedingungen werden in den Verträgen verbindlich geregelt. Klare Verhältnisse dürfen in diesem Zusammenhang aber nicht starre Strukturen bedeuten. Denn dies würde die notwendigen Handlungsspielräume einschränken, die ein agiles Unternehmen braucht.
Viel wichtiger ist es, die beteiligten Parteien so zu koordinieren, dass sie parallel an der Realisierung des Produkts arbeiten und in regelmäßigen und kurzen Zyklen bewertbare Ergebnisse produzieren. Neben den Kerntätigkeiten (sh. Abb. 2 , oberer Teil) ist es sinnvoll, an den Übergabeschnittstellen Koordinatoren einzusetzen, die die Transitionsaufgaben übernehmen (sh. Abb. 2, unterer Teil). Solche Koordinatoren leisten wichtige Übertragungsarbeiten, strukturieren die Arbeitspakete und sorgen für eine synchronisierte Taktung. Auf diese Weise können werthaltige Produktinkremente ausgeliefert werden (Launch).

Der Feedback-Kanal muss vor dem ersten Kontakt des Kunden mit dem Produkt installiert sein, sodass eine optimale Produktsteuerung möglich wird. Auch wenn hier nur von einem Feedback-Kanal die Rede ist, so handelt es sich immer um viele Wege, über die das Feedback zum Produkt-Manager oder Business Developer gelangen kann.

Abb. 2: Transitionsaufgaben und Feedback im Lean Business Development.
Foto: Cassini Consulting

Der Masterplan

Mit dem agilen Vorgehen und einem guten Feedback-Mechanismus stehen gute Werkzeuge zur Verfügung, um auch eine Schwerpunktverlagerung zügig umzusetzen, wenn die bisherige Strategie nicht die gewünschten Erfolge bringt. Der Business Developer sollte einen Masterplan im Hinterkopf haben, den alle Parteien kennen. Dieser Masterplan enthält sowohl eine inhaltliche Festlegung in Form eine Roadmap als auch einen Arbeitsmodus und Synchronisationspunkte. Die Kunst bei der Planung eines neuen Produkts liegt in der Synchronisation der Arbeitsergebnisse. Bei jedem Iterationsschritt muss allen Beteiligten das Teilziel für die Iteration klar sein. Wer in kurzen Iterationen, zusammen mit allen zuliefernden Abteilungen und Dienstleistern, nutzbare Ergebnisse liefert, kann bereits nach kurzer Zeit wertvolles Feedback bekommen. Mit den Iterationen verkürzt man die Time-to-Feedback, also den Zeitraum bis zum ersten Feedback.

Ähnlich wie in Entwicklerteams für agile Softwareentwicklung strukturiert ein guter Business Developer die Realisierung in Sprints oder Iterationen (Time-Box). Der Business Developer verpflichtet alle beteiligten Parteien, diese Time-Boxen einzuhalten. Nur so kann es gelingen, aus mehreren voneinander abhängigen Teilzulieferungen ein nutzbares Teilergebnis zu erhalten. Viele Dienstleister und auch interne Beteiligte müssen das Arbeiten in diesem Vorgehen gegebenenfalls erst erlernen. Dann sollten sie durch Coaches unterstützt werden, die diesen agilen Ansatz vermitteln können.

Lean Management stellt die Kundenbedürfnisse ins Zentrum jeglichen Handelns. Im Lean Business Development ist das Kundenbedürfnis ein bewegliches Ziel, und der Feedback-Kanal ist das Zielfernrohr, um die Trefferwahrscheinlichkeit zu erhöhen. Die hier vorgestellte Methode soll dafür sorgen, schnell an Feedback des Kunden zu kommen. Dieser Aspekt hat bereits bei der organisatorischen Aufstellung eine wichtige Rolle gespielt - auch in den Prozessen ist er an vorderster Stelle. Im Business Development ist die erste Idee für eine Maßnahme, die ein strategisches Ziel verwirklichen soll, nicht immer die ökonomisch wertvollste. Und doch gibt es Unternehmen, die es gut verstehen, diese erste Idee zu einem erfolgreichen Produkt zu entwickeln.

Positives Beispiel eines digitalen Geschäftsmodells

Am Beispiel von Uber kann man sehr gut erkennen, wie ein digitales Geschäftsmodell konstruiert ist. Es sind typische Geschäftsmodell-Muster, wie sie auch Oliver Grassmann, Karolin Frankenberger und Michaela Csik 2013 in ihrem Buch "Geschäftsmodelle entwickeln - 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator" beschrieben haben:

An dem neuen Produkt UberPool wird ein wertvolles Prinzip deutlich, das in erfolgreichen Innovationen zum Tragen kommen kann: die Empirie. Mit UberPool konnte Uber in einem regional begrenzten Gebiet versuchsweise Fahrgemeinschaften vermitteln. Es gibt unzählige Beispiele, in denen solche Experimente auch zu Misserfolgen führten. Doch kein Unternehmen kann es sich leisten, die Produkt-, Prozess- oder Dienstinnovationen dem Zufall zu überlassen. Ein effektives Business Development benutzt deshalb einen strukturierten Prozess, der eine gezielte Auswertung einer Idee zulässt.

Experimentieren erlaubt

Ein solch strukturierter Prozess, der auch der Komplexität Rechnung tragen kann, ist der empirische Prozess.

Abb. 3: Der empirische Prozess.
Foto: Cassini Consulting

Im Mittelpunkt des empirischen Vorgehens steht das Experiment, mit dem zuvor aufgestellte Hypothesen geprüft werden (sh. Abb. 3). Anschließend an das Experiment vergleicht man die Erwartungswerte mit den tatsächlichen Ergebnissen aus dem Experiment - die Hypothesen werden so verifiziert oder falsifiziert. Aus dem Gesamtergebnis lässt sich eine Lehre ziehen, und Hypothesen werden gegebenenfalls neu aufgestellt oder angepasst - um dann ein neues Experiment durchzuführen.

Einen Weg, um schnell in die Phase des Experimentierens zu kommen, eröffnet das Minimal Viable Product (MVP). Die Erstellung des MVP fällt vielen Business Developern oder Produktmanagern schwer. Denn das MVP enthält nur die Kernelemente des künftigen Produkts und verzichtet auf alle weiteren Features. Ein gutes MVP liegt dann vor, wenn die Entfernung eines beliebigen weiteren Features dazu führen würde, dass das Produkt keinen sinnvollen Nutzen mehr liefert.

Wurde im Entwicklungs- oder Veränderungsprozess ein MVP realisiert, können das Produkt, die Dienstleistung oder die Prozessveränderung zum ersten Mal getestet werden - und der Feedbackprozess lässt sich in Gang setzen (siehe Abb. 2).

Der empirische Prozess bildet also den Rahmen für die schrittweise Produktentwicklung. Der wesentliche Zweck dieses Prozesses ist es, Hypothesen zu validieren. Hinter allen Veränderungsideen stehen immer implizite oder explizite Hypothesen. Die expliziten Hypothesen sind schnell dokumentiert. Die impliziten Hypothesen können unter Nutzung des Business Plans aus den Annahmen und Prognosen abgeleitet werden (sh. Abb. 4). Hier sollte man besondere Sorgfalt walten lassen, denn alle implizit angenommenen Hypothesen können später - als blinder Fleck im Sichtfeld des Business Developers - eine Eigendynamik entwickeln, die dem Geschäftsmodell schadet, aber trotzdem lange unentdeckt bleibt.

Abb. 4: Die Schritte der Hypothesen-Validierungsmethode (HVM).
Foto: Cassini Consulting

Ohne Kennzahlen geht nichts

Der nächst Schritt ist die Definition der Kennzahlen, die für jede Hypothese aufgestellt werden. Diese Kennzahlen müssen messbar gestaltet sein, um in der späteren Auswertung bewertbar zu werden. Mit den Erwartungswerten für jede Kennzahl definiert der Business Developer die Schwellen- oder Grenzwerte, mit denen sich Erfolg oder Misslingen des Experiments prüfen lassen.

Nun folgt die Durchführung des Experiments. Hier gilt es, auf die Wechselwirkungen der einzelnen Hypothesen zu achten. Wenn zu viele Themen in einem Experiment geprüft werden, kann es bei der Auswertung der Messergebnisse zu Unschärfen kommen. Dann ist plötzlich nicht mehr klar, ob ein Messwert wegen der einen oder der anderen Veränderung den Schwellenwert zum Erfolg übersteigen konnte.

Je nach Geschäftsmodell sind zur Auswertung der Messdaten Werkzeuge notwendig, die eine Aggregation der Daten vornehmen, eine Aufteilung über Vertriebsregionen abgrenzen oder unterschiedliche Beobachtungszeiträume unterscheiden. In vielen Unternehmen existiert eine eigene Abteilung - oftmals in der IT -, die sich auf die Auswertung von Geschäftszahlen spezialisiert hat. Solch eine auf Business Intelligence ausgerichtete Abteilung kann bei Messung und Transformation der Messdaten unterstützen. Die Definition der Kennzahlen aber lässt sich nur aus dem Geschäftsmodell ableiten, weshalb diese Leistung durch das Business Development oder die an der Veränderungsumsetzung beteiligten Fachbereiche zu erbringen ist.

Durch die Auswertung der Daten und den Vergleich mit den Erwartungswerten lassen sich neue Erkenntnisse über Benutzerverhalten, Optimierungserfolge oder Umsatzwachstum gewinnen. Diese Erkenntnisse dienen dazu, durch neue Hypothesen und Anpassungen am Produkt die Effektivität der Maßnahmen zu verbessern oder die Umsetzungsstrategie anzupassen.

Messergebnisse zur Planung heranziehen

Das wissenschaftliche Arbeiten mit dem empirischen Vorgehen erfordert viel Disziplin, es ermöglicht aber zielgenauere Prozesse und Ergebnisse. Folgende Ziele sollte die Produktentwicklungspipeline unterstützen:

In Konzernen und mittelständischen Unternehmen sind die Veränderungen hin zu digitalen Geschäftsmodellen teilweise massiv. Daraus resultiert ein enormer Veränderungsbedarf in der Organisationsstruktur und in den Prozessen. Darum weiß der Business Developer, dass ein effizientes Change Management nötig ist, wenn er die digitale Transformation zum Erfolg führen soll. (bw)