Zeit der Bewährung

20.01.2005
Im Geschäftskundenbereich schon längst ein Thema, ist Voice over IP vergangenes Jahr auch beim Privatkunden angekommen. Nun muss sich zeigen, ob die IP-Telefonie den Massenmarkt erorbern kann. Von ComputerPartner-Redakteur Dr. Thomas Hafen

Im Geschäftskundenbereich schon längst ein Thema, ist Voice over IP vergangenes Jahr auch beim Privatkunden angekommen. Nun muss sich zeigen, ob die IP-Telefonie den Massenmarkt erorbern kann.

Von ComputerPartner-Redakteur Dr. Thomas Hafen

Eine Million deutsche IP-Telefonie-Kunden wollen die Provider 2005 erreichen. Viel, wenn man bedenkt, dass es vor zwei Jahren so gut wie keine privaten VoIP-Nutzer gab - wenig, wenn man die Zahl mit den rund 54 Millionen bestehenden Analog- und ISDN-Anschlüssen vergleicht. Im Geschäftskundenmarkt dasselbe Prinzip: enorme Wachstumsraten, magere Grundlage: 2002, 2003, 2004 - jedes Jahr habe sich die Zahl der von dem Dienstleister Damovo installierten IP-Endgeräte verdreifacht, sagt Frank Sinde, Business Manager Voice Solutions. "Die installierte Basis liegt aber nach wie vor unter fünf Prozent", gibt Sinde zu.

"Wir stehen ganz am Anfang", pflichtet ihm Frank Obermeier, Director Channel & Regional Sales bei Avaya, bei. Weltweit seien 2003 neun Millionen IP-Telefonleitungen installiert worden, 2004 waren es bereits 17 Millionen. Bis 2007 soll die Zahl auf 40 Millionen steigen - wenig bei einer Gesamtzahl von 400 Millionen.

Und dennoch: Der IP-Telefonie gehört die Zukunft, daran zweifelt kaum noch jemand. "Es wird keinen Bereich geben, der nicht von VoIP bedient wird", ist sich Avodaq-Vorstand Jens- Peter Jacobs sicher. "Die IP-Telefonie hat ihren Siegeszug bereits angetreten", sagt Stefan Mintert, Sales Director bei Telefonbau Fiebig + Team.

Der Fortschritt findet auf allen Ebenen statt. In Großbritannien hat British Telecom bereits im Oktober 2004 mit der Umrüstung auf das "21st Century Network" (21CN) begonnen, erste durchgängige IP-Verbindungen im öffentlichen Telefonnetz soll es noch im Januar 2005 geben. Bereits 2006 will der Carrier mit dem Massen-Roll-out beginnen. Weniger ehrgeizig ist die Deutsche Telekom. Zeitungsberichten zufolge will sie sich mit der Netzumstellung auf IP bis 2012 Zeit lassen.

Weiter als im öffentlichen Netz ist VoIP bereits im Geschäftskundenbereich verbreitet. Hier sind es vor allem Unternehmen mit vielen Standorten, die von der IP-Telefonie profitieren können. "Eine Kostenreduktion von 20 bis 40 Prozent ist durchaus erreichbar", sagt Sinde. Der Sparfaktor war lange Zeit das Hauptverkaufsargument für IP-Telefonie-Lösungen. Das ändert sich, meint Obermeier: "Unternehmen fragen vermehrt: Kann ich mit einer VoIP-Lösung effektiver arbeiten, mehr Kunden gewinnen, mehr Umsatz generieren?" Die Erfahrung macht auch Eric Hampel, Director Channel Development bei Siemens Communications: "Der Fokus hat sich von der Kosten- zur Prozessoptimierung hin verlagert."

Integration wird einfacher

Produktivitätszuwächse verspricht VoIP vor allem durch seine Flexibilität. Sprache und Datenapplikationen lassen sich einfacher integrieren, die Telefonanschlüsse der Mitarbeiter sind leichter zu administrieren. "Der Nutzer kann sich selbst verwalten - das wäre in einer klassischen TK-Anlage undenkbar", sagt Martin Ruoff, Senior Manager Business Development Enterprise bei Nortel. Der User beantragt seinen Account per E-Mail und erhält im Gegenzug Freischaltungsdaten und die ihm zur Verfügung stehenden Leistungsmerkmale. Er installiert dann Client-Software, meldet sich an - und kann sofort telefonieren.

Damovo-Manager Sinde warnt jedoch vor überhöhten Erwartungen: "Das Datennetz muss sorgfältig strukturiert sein, damit es nicht zu Enttäuschungen kommt", sagt er. In der Tat ist ein ausführliches Audit der Netzstruktur Grundvoraussetzung für eine gelungene VoIP-Migration. "Man muss sich die Netz-Topologie sehr genau anschauen, das muss zu 100 Prozent sicher funktionieren", pflichtet ihm Stefan Mintert bei. Kosten- und Zeitaufwand für diese notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen dürfen nicht unterschätzt werden.

Neben Verfügbarkeit und Leistungsmerkmalen spielt derzeit vor allem das Thema Sicherheit eine große Rolle. Mit der Migration auf IP wird die Telefonie angreifbar. Viren, Würmer oder Denial-of-Service-Attacken, die das Firmennetz lahmlegen, lassen auch die Telefone verstummen. Eine erste Welle von "Spits" (Spam over Internet Telephony) schwappt bereits aus dem E-Mail-Bereich herüber. Damovo empfiehlt, Virenscanner und Intrusion-Detection-Systeme zu verwenden sowie Sprach- und Datennetze in virtuelle LANs zu teilen und durch eine interne Firewall gegeneinander abzusichern. Eine Authentifizierungspflicht für IP-Telefone und eine durchgehende Verschlüsselung der Daten runden die Sicherheitsmaßnahmen ab.

"Sicherheit ist das A und O", sagt auch Nortel-Manager Ruoff. Der Hersteller will in den kommenden Wochen Telefone vorstellen, bei denen eine Verschlüsselung direkt in den Endgeräten erfolgt. Auch Cisco hat beim Thema Sicherheit nachgelegt: Release 4.1 des Callmanagers unterstützt nicht nur die Verschlüsselung von Inhalten, sondern schützt auch die Signalisierung, also den Verbindungsauf- und -abbau vor Missbrauch. Ernst Engelmann, Business Development Manager IP Communications beim Hersteller, findet die ganze Sicherheitsdiskussion aber auch ein bisschen unfair: "Bei klassischen TK-Anlagen gab es die Frage nie - obwohl für die Fernwartung häufig nur relativ schwache Passwörter existierten."

Ob Netzwerk-Audit oder Sicherheitsfragen, die Migration von herkömmlicher Telefonie zu VoIP ist beratungsintensiv. Für Partner tut sich deshalb ein attraktiver Markt auf. "Wir sehen im Moment nur die Spitze des Eisbergs, Wachstum für die kommenden zehn Jahre ist garantiert", sagt Avodaq-Chef Jacobs. Doch die Anforderungen an Systemintegratoren und Wiederverkäufer sind hoch. Sie müssen das gesamte Spektrum beherrschen - von der Netzinfrastruktur in LAN und WAN über die Applikationsintegration bis hin zur TK-Anlagentechnik. Das geht nicht ohne erhebliche Investitionen in qualifiziertes Personal und teure Herstellerzertifizierungen.

TK-Partner im Vorteil

Am wichtigsten ist jedoch ein Umdenken auf beiden Seiten der immer noch getrennten IT- und TK-Welten. "Wir haben keine Berührungsängste", sagt Stefan Mintert von Fiebig + Team. Das Systemhaus, das aus der klassischen Telekommunikation kommt, hat schon frühzeitig IP-Know-how aufgebaut und ist der erste deutsche Avaya-Business-Partner mit Platinum-Status. Mintert sieht für TK-Systemhäuser einen leichten Vorteil beim Wettbewerb um den VoIP-Kunden: "Telefonie ist im Unternehmen immer ein politisches Thema, damit haben wir einfach mehr Erfahrung."

Während große Systemhäuser längst vom VoIP-Boom profitieren, tut sich der Fachhandel schwer. "Bisher boomt es vor allem bei den Providern, aber nicht im Handel", sagt AVM-Gesamtvertriebsleiter Ulrich Müller-Albring. Zusammen mit 1&1 hat der Hersteller eine Initiative gestartet, die das ändern soll. Ein Paket aus der "Fritz Box Fon" und einem DSL-Anschluss von 1&1 soll dem Händler den Einstieg ins VoIP-Geschäft erleichtern. Obwohl auf private Endkunden ausgerichtet, zeigen auch Unternehmen Interesse an der AVM-Lösung. So telefonieren die Außendienstmitarbeiter von Melitta über die Box kostenlos mit der Zentrale, Gespräche ins Festnetz kosten einen Cent pro Minute.

Den IT-Handel mit professioneller Zielgruppe hat Partners in Europe im Blick. Um den IT-Spezialisten den Sprung ins kalte TK-Wasser so verlockend wie möglich machen, hat der TK-Distributor VoIP-Pakete geschnürt. Sie enthalten neben Alcatel-Hardware Dienstleistungen wie Einschalthilfen, Support und Vorkonfiguration, aber auch den Netzzugang. Für drei typische Einsatzszenarien gibt es jeweils ein Paket: Einbindung von Heimarbeitsplätzen ins Firmennetz, Vernetzung von Unternehmensstandorten und VoIP-Telefonie innerhalb eines Unternehmens. Für Händler wird so das Risiko minimal: "Ein fixer Preis und unsere Unterstützung garantieren Kalkulationssicherheit", wirbt PiE-Vorstand Michael Padberg für sein Modell.