Wenn Systemhäuser an die Börse gehen, zählt die Perspektive

27.04.2000
Immer mehr Systemhäuser streben den Gang an den Neuen Markt an. Welche Kriterien spielen für die Preisbildung bei der Emission und für die späteren Börsenkurse eine Rolle?

Die Bechtle-Aktien kosteten Ende März 27 Euro, die von M+S Elektronik kamen Ende Februar zu 16 Euro heraus. Halbwegs vergleichbare Branchentitel (siehe Tabelle), die schon länger am Neuen Markt notiert werden, verblüffen ebenfalls mit beträchtlichen Kursgefällen.

Im Vergleich Bechtle oder M+S hat die Vorgeschichte Bedeutung. Den ersten Anlauf zur Börse musste M+S Mitte September 1999 infolge des schlechten Klimas am Neuen Markt abbrechen. Besonders negativ war damals die Stimmung für junge Technologiewerte. Mehrere IT-Firmen verschoben deshalb den Börsengang. Im Februar dieses Jahres waren die äußeren Bedingungen für M+S viel besser. Entscheidend war aber auch, dass die Einnahmen aus der Emission größtenteils in die Firmenkasse flossen. Die zum Einflussbereich der Dresdner Bank gehörende Beteiligungsgesellschaft BdW stellte nur noch die Mehrzuteilungsoption bereit. Im Herbst vorigen Jahres wollte sie rund die Hälfte des Emissionserlöses kassieren, was den Anlegern missfiel. Beim zweiten Versuch war die Dresdner nicht mehr maßgeblich dabei (obgleich BdW beinahe die Hälfte des M+S-Kapitals hält). Bechtle hatte solche Probleme nicht.

Billigware oder Abzocker?

Ein höherer Aktienausgabekurs kann suggerieren, dass ein Unternehmen mehr wert sei als jene mit niedrigerem. Beim "Markenartikel" Aktie spielt eben auch die optische Preissicht eine Rolle. Zu tief angesetzte Spannen beim Book-Building können beim Anleger den Verdacht auf "Billigware" aufkommen lassen, zu hohe den des Abkassierens durch die Eigentümer mit Hilfe der Banken. Wichtig ist also, einen entsprechenden Mittelweg zu finden, mit dem man viele Zeichner anspricht - und das sind Emissionspreise möglichst unter 40 Euro.

Ob ein Papier bei der Emission und später viel oder wenig kostet, darüber gibt etwa das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV: aktueller Kurs dividiert durch Ergebnis oder Unternehmensgewinn pro Aktie) Auf- schluss. Wenn ein Unternehmen pro Aktie beispielsweise einen Euro verdient und der Emissionskurs 40 Euro beträgt, so errechnet sich ein KGV von 40. Geht es mit 20 Euro pro Aktie an die Börse, so ist das KGV 20. Ist dies teuer oder billig? Hier kommt nun die "herrschende Meinung" ins Spiel. Maßgebend sind die Emissionsbanken. Die eher Hardware-orientierten Systemhäuser "dürfen" bei der Emission grob um die 20-27 KGV kosten, dann gelten sie als angemessen taxiert. Diese Größe ergibt sich aus der bereits bekannten Bewertung von Branchentiteln. Sie spiegelt die Einschätzung des Marktes wider.

Die M+S-Aktien wurden Anfang April mit dem 20fachen KGV bewertet (Basis: Prognose 2001) und die von Bechtle mit 25,8. Der Unterschied ist also relativ zu sehen und nicht nur anhand der Kursdifferenz. Normalerweise sollte das KGV dem prozentualen jährlichen Ertragswachstum (PEG: Price-Earning to Growth) entsprechen. Nimmt das um 25 Prozent zu, so ist ein KGV von 25 angemessen. Wenn die Börse in euphorischer Stimmung ist, sind leicht auch dreimal höhere Ziffern möglich, die jedoch zwangsläufig einmal korrigiert werden (Beispiele Cenit und Transtec).

Mehr Vorschuss und höhere KGVs haben junge Software-, Telekom- und Internet-bezogene Gesellschaften, da bei ihnen der jährliche Zuwachs meist viel größer ist, selbst wenn sie aktuell Verluste schreiben. Aber auch Aktien von Systemhäusern dürfen bei der Emission und später um so teurer sein, je günstiger ihre Perspektiven erscheinen. Die Systematics-Aktie verdankt ihren rasanten Anstieg dem Sog der Web-Euphorie. Der IT-Dienstleister will zum Spezialisten für die Integration elektronischer Geschäftsprozesse mutieren. Vom viel zitierten E-Commerce wollen indes viele profitieren. Jedoch ist anzunehmen, dass der Glorienschein des im Aktien-Marketing hoch wirksamen Schlagworts sich im Laufe der Zeit stark abnutzt.

Das Emissions-KGV und die späteren Börsennotierungen werden noch von vielen anderen Kriterien beeinflusst: Wie gut präsentiert die Emissionsbank die börsenwillige Gesellschaft beim Publikum und den kapitalkräftigen institutionellen Investoren? Wie sind die Besitzverhältnisse? Was leistet das Management? Wie stark sind Expansion und Marktstellung, und wie wird die zukünftige Ertrags- und Umsatzentwicklung sein? Äußerst wichtig für die Kurse und die Bewertung ist die jeweilige Gesamtsituation, wie der erste Börsenstart von M+S zeigt.

In den kommenden Monaten dürfte das Klima rauer werden. Und schließlich fällt der Auftritt nach außen stark ins Gewicht. Wer nach der Emission nicht in den Medien präsent bleibt, wird schnell vergessen oder geht in der Fülle der neuen Papiere unter. Und letztlich sollten die Unternehmen beim Anleger nicht zu hohe Erwartungen wecken. (kk)