Private Clouds und SaaS setzen sich durch

Fehlende Standards hemmen das Cloud-Geschäft

03.04.2012
Im Channel herrscht Aufbruchs-, aber keine Goldgräberstimmung: Denn die Cloud bringt frische Dynamik in die Unternehmens-IT, fordert aber auch von den Systemhäusern neue Vertriebsmodelle. Bei den Angeboten der Hersteller hakt es obendrein noch an offenen Standards.
"Das Cloud-Business entwickelt sich aktuell deutlich schneller als erwartet", Dirk Waltje, Vorstand der Janz IT
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Im Channel herrscht Aufbruchs-, aber keine Goldgräberstimmung: Denn die Cloud bringt frische Dynamik in die Unternehmens-IT, fordert aber auch von den Systemhäusern neue Vertriebsmodelle. Bei den Angeboten der Hersteller hakt es obendrein noch an offenen Standards.
Mit diesem Tempo hatte selbst in der Hype-verwöhnten IT-Branche kaum einer gerechnet: Noch vor rund zwei Jahren, als der Begriff "Cloud" anfing, durch die IT-Branche zu geistern, zuckten viele Vertriebspartner erst einmal skeptisch zurück. Zu unklar war, welche Rolle sie, gerade bei den Software-as-a-Service-Modellen, künftig spielen würden. Die Gefahr, dass Hersteller mit der Cloud im Gepäck komplett am Channel vorbeiziehen könnten, schien greifbar - schon aufgrund der technischen Möglichkeiten.

Die Skepsis weicht

Vereinzelt ist diese Skepsis zwar noch spürbar, doch das Gros der Partner ist inzwischen auf den Zug aufgesprungen; insbesondere jene, die bereits seit Jahren Managed-Services anbieten oder sich als Virtualisierungsspezialist etabliert haben. Für sie ist "die Cloud" eine Möglichkeit, ihr bisheriges Geschäft schrittweise zu erweitern. Die Umsätze mit Cloud-basierten Lösungen sind - gemessen an den Gesamtumsätzen - derzeit noch gering. Doch Systemhäuser wie Hersteller und Distributoren rechnen nicht nur mit rapidem Wachstum mit Cloud Computing - sie verzeichnen es bereits.
"Das Cloud Business entwickelt sich aktuell sehr schnell, deutlich schneller als erwartet", berichtet beispielsweise Dirk Waltje, Vorstand des Systemhauses Janz IT.
Offenbar schmilzt die anfängliche Cloud-Skepsis auch aufseiten des Endkunden (siehe nebenstehende Grafik) unerwartet schnell - sofern sie zu ihrem Dienstleister Vertrauen gefasst haben und datenschutzrechtliche Belange geklärt sind.

Obendrein erwächst dem etablierten IT-Channel aber auch neue Konkurrenz: "Es kommen neue IT-Dienstleister und Beratungshäuser auf, die sich mit der klassischen Welt nie beschäftigt hatten und nun durch die Standardisierung, Nutzenfokussierung und die einfachen Bereitstellungsmodelle der Cloud deutlich an Fahrt aufnehmen", berichtet Acmeo-Geschäftsführer Henning Meyer.

Die Cloud sorgt damit nicht nur für mehr Dynamik in der Unternehmens-IT der Endkunden, sondern treibt auch den Wandel im Channel mit unvermutet hohem Tempo an.

Seitens der klassischen großen Cloud-Service-Provider hingegen droht den Resellern offenbar weniger Gefahr: Sie haben es Experton zufolge bislang nicht geschafft, ihre Kunden von den neuen IaaS- und PaaS-Angeboten zu überzeugen: "Speziell die Public-Cloud-Angebote werden von Groß- und Mittelstandskunden derzeit nur für Nischen-Workloads nachgefragt und genutzt", zieht Dr. Carlo Velten, Senior Advisor bei der Experton Group, Bilanz. Klare Gewinner sind Anbieter von Managed Private Clouds (dedizierte Infrastrukturen je Kunde), für die Experton auch künftig das deutlich größere Marktpotenzial erkennt - und das ist die Domäne der Systemhäuser.

Cloud-Angebote unter der Lupe

Channel-Sales-Kongress "Cloud Computing"

Der Kongress vermittelt einen Überblick über Cloud-basierte Lösungen und Partnerprogramme, Praxisbeispiele, Tipps zur Vertragsgestaltung.
Vor Ort vertreten sind: Also Actebis, Akamai, Avnet, Hewlett-Packard, IBM, nfon, Sage Software, PFU (Fujitus Imaging Solutions), Samsung, Telekom und Vitec.

Laut Experton Group hat sich die Zahl der Cloud-Offerten in den vergangenen drei Jahren verzehnfacht. 300 bis 400 relevante Anbieter seien aktuell im deutschen Markt aktiv. "Die Anbieter haben enorm in Produktentwicklung und Marketing investiert. Jetzt warten alle auf den Pay Day", so Dr. Carlo Velten, Senior Advisor bei der Experton Group.

Doch kaum losgelegt, soll auch schon die Konsolidierungswelle anrollen - schneller, als es für die ohnehin tempogetriebene IT-Branche üblich ist. Offenbar drückt auch hier die Cloud kräftig aufs Gas: Binnen zwei bis fünf Jahren werde es pro Anwendungskategorie maximal fünf bis zehn profitable Anbieter geben, schätzt der Experton-Analyst.

Der Umsatz mit Cloud Computing wird dem Marktforschungsinstitut zufolge auf 3,2 Milliarden Euro steigen (siehe Grafik). In diese Zahlen sind einberechnet: der Bau von Private-Cloud-Infrastrukturen großer Unternehmen, die Investitionen der Service Provider und die Umsätze, die Privatkunden in der Cloud generieren.

PaaS schwächelt noch

Halbgare Angebote, keine Standards, so lautet das vernichtende Urteil der Gartner-Analysten mit Blick auf PaaS. Ausnahmen bildeten hier lediglich HP, IBM, Oracle, Microsoft, SAP, Red Hat, Salesforce und VMware. Einige der avisierten PaaS-Angebote sollen bis Ende 2012 Marktreife erreicht haben. Dazu zählen unter anderem die cCell-Services von HP.

Angesichts des überschaubaren Angebots gebe es laut Gartner aktuell weder etablierte Marktführer noch Erfahrungen über die bestmögliche Nutzung von PaaS und damit auch keine Best Practices oder etablierte Technologiestandards. "Die meisten PaaS-Angebote sind noch in der Entwicklungsphase", konstatiert Gartner-Analyst Yefim Natis.

Glossar

Cloud Computing: Der Endkunde bezieht Applikationen, Dienste und IT-Ressourcen via Internet. Die Dienste werden an den Bedarf dynamisch angepasst und nach Nutzung bezahlt.

Service-Modelle

SaaS = Software-as-a-Service: Bereitstellung von Applikationen

IaaS = Infrastructure-as-a-Service: Bereitstellung "nackter" Rechner- und Storage-Ressourcen

PaaS = Platform-as-a-Service: Zusätzlich zu IaaS wird alles angeboten, was nötig ist, um Dienste und Applikationen aus der Cloud zu beziehen beziehungsweise in der Cloud zu betreiben (Middleware, Vereinbarungen über die Laufzeiten, Monitoring, Skalierbarkeit, SLAs, Abrechnungssysteme etc). Der Anwender managt zwar nicht die Basisinfrastruktur wie Netzwerk, Server, Betriebssysteme oder Storage, behält aber die Kontrolle über die vom Provider bereitgestellten Applikationen und möglichen Konfigurationen für die Applikations-Hosting-Umgebung (NIST-Definition).

Den Angeboten mangle es vor allem an gesicherten Verfahren für die Bereitstellung von PaaS für die Bereiche Integration, Anwendungen und Geschäftsprozessmanagement. Es hakt vor allem auf der Softwareseite. Denn aufgrund der eingesetzten Programmiermodelle fehlen Plattformstandards.
"Dadurch sind Unternehmen, die Plattform-Services beziehen, auf Gedeih und Verderb an einen einzelnen Anbieter gebunden", so Natis. Bis Ende 2013 jedoch rechnet er damit, dass alle großen Softwareanbieter marktreife PaaS-Angebote im Portfolio haben. Bis 2016 sollen neue Programmiermodelle die dringend benötigten Standards ermöglichen.

Private Clouds und SaaS machen das Rennen

Der Trend gehe eindeutig in Richtung Managed Private Clouds, darin sind sich Distributoren, Hersteller und Reseller einig. Auch der SaaS-Markt wachse weiter und soll laut Experton dieses Jahr die Eine-Milliarde-Euro-Grenze knacken. Treiber sind hier Anwendungen für Collaboration, CRM, Web Conferencing oder auch Projektmanagement.

"Unternehmenskritische Anwendungen werden im Unternehmen verbleiben", schätzt Josef Blank, Geschäftsleitung Vertrieb & Marketing bei Magirus Deutschland. Für ADN-Chef Hermann Ramacher trifft dies auch generell auf alle Themen rund um Datenspeicherung und Compliance zu. Betriebswirtschaftliche, rechtliche oder kulturelle Gründe werden nach Ansicht von Klaus Berle, Leiter Cloud Competence Center Deutschland bei HP, zudem auch der Auslagerung von Daten und Infrastruktur weiter im Wege stehen. "Hier sehen wir noch die Tendenz zu Private Clouds", pflichtet ihm IBM-Manager Frank Strecker bei.

Generell werde sich die Cloud verstärkt in IT-Projekten durchsetzen, die eine hohe Flexibilität und Skalierbarkeit erfordern, schätzt Martin Berchtenbreiter, General Manager Mittelstand & Partner bei Microsoft Deutschland: "beispielsweise Big-Data-Projekte oder Projekte mit Auslastungsspitzen in der fertigenden Industrie".

Eher Zusatz- als Ersatzgeschäft

Angesichts der noch geringen Cloud-Umsätze ist zwar zurzeit noch schwer abzusehen, wie stark das Cloud-Geschäft langfristig zulasten des klassischen Verkaufs von Soft- und Hardware gehen wird. Doch aktuell scheint das kaum der Fall zu sein: "Dieses Geschäft erweist sich als Zusatzgeschäft", erklärt Dirk Waltje, "und davon gehen wir auch künftig aus".

Diese Erfahrung teilen weitestgehend auch andere Systemhäuser, ebenso wie Distributoren und Hersteller: "Die Cloud zieht hier Kunden in das Systemhaus, die mit den traditionellen Modellen schlichtweg nicht interessant waren", berichtet Acmeo-Chef Meyer. "Bei Bestandskunden mit klassischen Infrastrukturen sehen wir inzwischen deutlich mehr Evaluierungen und Umsetzungen als noch vor ein bis zwei Jahren." Erdrutschartige Veränderungen seien allerdings nicht zu erwarten. Dell-Channel-Chef Thomas Bleeker sieht das ähnlich: "Das Ersatzgeschäft macht nur einen kleinen Teil aus."

Lediglich im Bereich Standardsoftware komme es im So-Ho-Bereich zu Verschiebungen, beispielsweise zu Office 365, wie ADN-Chef Hermann Ramacher anmerkt. "Dagegen kommen diese Angebote bei SMB-Kunden, wenn überhaupt, dann nur in einzelnen Segmenten zum Tragen", so Ramacher. Auch Frank Strecker, verantwortlich für das Cloud-Geschäft bei IBM Deutschland, schlägt in diese Kerbe: "Es wird nach wie vor Software und Hardware gekauft, aber im Hinblick auf interne Private-Cloud-Implementierungen. Über die nächsten fünf Jahre erwarten wir einen Rückgang zugunsten von Managed Cloud und SaaS".

HP-Manager Klaus Berle kontert dagegen: "Das Cloud-Geschäft geht fast komplett zu Lasten des traditionellen Verkaufs von Hardware und Software, deshalb müssen Partner eigene Cloud-Geschäftsmodelle etablieren."

Einzug der Schatten-IT

Cloud-basierte Angebote wecken zunehmend Begehrlichkeiten bei den Fachabteilungen. Denn sie ermöglichen es den Mitarbeitern, an der hausinternen IT-Abteilung vorbei kurzfristig benötigte Ressourcen, beispielsweise Speicher, oder Applikationen einfach aus der Public Cloud zu beziehen. Dieses häufig als "Schatten-IT" bezeichnete Phänomen ist laut Axel Oppermann, Advisor bei der Experton Group, vor allem bei Unternehmen ab 500 Mitarbeitern mit einer dezentralen Struktur anzutreffen. "Die Beschaffung von IT an der IT-Abteilung vorbei wird weiter zunehmen", prognostiziert Oppermann.

Das bestätigt auch Roland König, Leiter des Geschäftsfelds Virtualisierung bei Bechtle: "Wir haben Cloud-Projekte umgesetzt, die zu 100 Prozent von der Fachabteilung getrieben wurden."

Dieser Trend stellt nicht nur eine Herausforderung für CIOs dar, sondern auch für Vertriebspartner. Denn beide müssen künftig die Verantwortlichen in den Fachabteilungen viel stärker in die Entscheidungen über die künftige IT-Strategie mit einbinden.
Das ist aber nur eine der großen Herausforderungen, die mit der Cloud auf die IT-Häuser zukommen. Weitaus grundlegender noch ist die Aufgabe, die eigene Organisation so umzubauen, dass die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen von Cloud-Angeboten - allen voran regelmäßige, aber weitaus kleinere Einnahmen bei gleichzeitig hohen Einstiegsinvestitionen - abgebildet werden können.
(rb)