Warum Neckermann pleite ging

Handel nicht in der Krise

27.09.2012
Die Anwerber von Amazon waren schon da: Als bei einer Jobbörse im Frankfurter Neckermann-Haus neue Arbeitsgelegenheiten für die rund 2.000 Beschäftigten gesucht wurden, war auch der Online-Riese vertreten, der rund 140 Kilometer weiter nördlich in Bad Hersfeld eines seiner größten Distributionszentren in Europa betreibt. Am osthessischen Autobahnkreuz werden ständig neue Leute gesucht und weitere Hallen gebaut, während in der angegrauten Neckermann-Zentrale in Frankfurt-Fechenheim immer weniger zu tun ist.

Die Pleite von neckermann.de ist hausgemacht und keinesfalls ein Zeichen von Krise im Handel, meint Christian Ebner von der dpa

Die Anwerber von Amazon waren schon da: Als bei einer Jobbörse im Frankfurter Neckermann-Haus neue Arbeitsgelegenheiten für die rund 2.000 Beschäftigten gesucht wurden, war auch der Online-Riese vertreten, der rund 140 Kilometer weiter nördlich in Bad Hersfeld eines seiner größten Distributionszentren in Europa betreibt. Am osthessischen Autobahnkreuz werden ständig neue Leute gesucht und weitere Hallen gebaut, während in der angegrauten Neckermann-Zentrale in Frankfurt-Fechenheim immer weniger zu tun ist.

Ausverkauf bei neckermann.de
Foto: neckermann.de

Trotz weiterer Pleiten wie bei Schlecker oder geplanten Entlassungen bei Metro und Karstadt wollen Fachleute nicht von einer Krise der Branche sprechen. "Im Handel trennt sich gerade die Spreu vom Weizen", sagt beispielsweise der Handelsexperte Thomas Harms von der Beratungsgesellschaft Ernst&Young.

Nach der Konzernschwester Quelle im Jahr 2009 droht mit Neckermann der zweite große Versandhändler Nachkriegsdeutschlands in der Versenkung zu verschwinden. An die Stelle der Dinosaurier sind neben dem US-Giganten Amazon zahlreiche schnelle Anbieter wie zum Beispiel der Berliner Internet-Versender Zalando getreten, immer mehr stationäre Händler generieren zusätzliche Umsätze im Netz. Zuletzt sind die Metro-Elektrohandelsriesen Saturn und Media-Markt auf den Online-Zug aufgesprungen. Schwergewicht Otto schlägt sich wacker, will aber auch Jobs abbauen.

Der Online-Handel wächst zwar deutlich schneller als der stationäre Handel, macht laut Einzelhandelsverband HDE aber immer noch erst ein Zwanzigstel des gesamten Volumens aus. "Neckermann oder Schlecker sind tatsächlich Einzelfälle. Das hat mit einer generellen Entwicklung im Handel nichts zu tun", sagt HDE-Sprecher Kai Falk. Er verweist auf die nach wie vor stabile Umsatzentwicklung mit einem Plus von 2,6 Prozent im ersten Halbjahr. Zwar werden die Betriebe beim Blick auf die Eurokrise vorsichtiger, doch ein nominales Umsatzplus von 1,5 Prozent wird nach HDE-Erwartung in diesem Jahr schon noch herauskommen.

Ebenfalls auf Rekordkurs ist die Beschäftigtenzahl, die laut HDE zur Jahreswende erstmals die Drei-Millionen-Grenze überschritten hat. Dabei stieg auch die Zahl der sozialversicherten Vollzeitkräfte auf zuletzt 1,27 Millionen. Auch für die rund 2400 Neckermann-Beschäftigten in Hessen und Sachsen-Anhalt stehen daher die Chancen auf einen neuen Job nicht ganz so schlecht.

Die Neckermann-Pleite scheint hausgemacht. Mögliche Investoren schreckten vor den Spuren jahrelanger Misswirtschaft zurück, berichteten die Insolvenzverwalter Joachim Kühne und Michael Frege von ihren Gesprächen mit rund 200 Interessenten. Im Arcandor-Konzern war das Frankfurt Traditionsunternehmen mit dem berühmten Slogan "Neckermann macht's möglich" zunächst die hässliche, unbeachtete Schwester der weitaus größeren Quelle in Fürth.

Neckermann hatte aber zunächst das Glück, schon 2007 mehrheitlich an den US-Investor Sun Capital verkauft zu werden. Erlösperlen wie Hess Natur oder Baby Waltz waren zuvor in die Primondo Speciality Group ausgelagert worden. Dass sich die Amerikaner 2010 die restlichen 49 Prozent an Neckermann aus der Arcandor-Insolvenzmasse sicherten, freut aber heute nur noch die KarstadtQuelle-Pensionäre, in deren Kasse der Erlös floss.

Am 18. Juli 2012 zogen die Amerikaner ohne Rücksicht auf die deutsche Sozialpartnerschaft den Stecker und verweigerten jede weitere Zahlung. Geld für Abfindungen oder Beschäftigungsgesellschaften ist nicht vorhanden, obwohl nahezu ausschließlich langjährige Mitarbeiter bei dem Unternehmen arbeiten. Das stößt auch beim Sohn des legendären Firmengründers Josef Neckermann auf Ablehnung. "Ich bedauere es sehr, wie die Amerikaner handeln - es ist typisch amerikanisch, kein soziales Gewissen", hat Johannes Neckermann im Sommer geurteilt.

Die Beschäftigten hätten sich in den vergangenen Jahren gefühlt wie auf der Achterbahn, berichten die Verdi-Gewerkschafter im Betrieb. Auch sie beklagen Misswirtschaft der über die Jahre häufig ausgewechselten Manager, die insbesondere die teure Logistik, die Informationstechnologie und die komplexen internen Abläufe nicht in den Griff bekommen hätten. Der aktuelle Chef Henning Koopmann wollte die Textilsparte samt Lager abstoßen und Neckermann zum reinen Online-Versender von Möbeln und Elektrogeräten umbauen.

Ein offensichtlicher Fehler ist das zu lange Festhalten an dem dicken Papierkatalog, der hohe Kosten verursachte und zudem die Preise für die einzelnen Produkte über Monate zementierte. Im ständigen Preiswettkampf des Internets ist hingegen clevere Werbung und Flexibilität gefragt, um bei den Preissuchmaschinen ganz oben zu landen. Dabei hat Neckermann bereits in der Computersteinzeit 1995 seine Waren auch im Netz angeboten, das aber zunächst lediglich als zusätzlicher Bestellkanal begriffen wurde. Trotz vieler guter Ansätze sei die Umstellung zu einem E-Commerce-Unternehmen nicht gelungen, urteilen die Gewerkschafter - und letztlich auch die Kunden. (dpa/rw)