E-Commerce-Marktplatz verschiebt Systemumstellung

Rakuten-Händler warten auf den Befreiungsschlag

11.08.2015 von Matthias Hell
Viele Händler wünschen sich eine Alternative zu Amazon und eBay. Doch wer dabei auf Rakuten setzt, muss sich weiter gedulden: Die weltweite Rakuten-Plattform wird nun erst 2016 in Deutschland eingeführt, zuvor sind keine größeren Impulse zu erwarten.

Eigentlich hätte Rakuten das Zeug dazu, unter den Internet-Marktplätzen wirklich etwas zu bewegen: Nicht nur, dass das Unternehmen in Japan der klare E-Commerce-Marktführer ist und auch finanziell bestens aufgestellt ist - mit einem weltweiten Netz an Online-Marktplätzen, dem Streaming-Dienst Wuaki.tv, der Messaging-App Viber und weiteren Zukäufen hätte es Rakuten in der Hand, ein Ökosystem aufzubauen, das selbst der E-Commerce-Plattform von Amazon in keinster Weise nachstünde. Bei Händlern und Branchenbeobachtern weckt der japanische Konzern damit Erwartungen nach einer langersehnten Marktplatz-Alternative zu Amazon und eBay. Erwartungen, die auch Rakuten-CEO Hiroshi Mikitani gerne bedient, wenn er davon spricht, die Pole Position unter den Online-Marktplätzen im Visier zu haben.

Umso größer war die Enttäuschung, als Christian Macht, der damals frischgebackene Deutschland-Chef des Unternehmens, sich beim Händlertreffen "Rakuten Expo 2014" dafür entschuldigte, zu viel versprochen zu haben: Man sei nicht so erfolgreich geworden, wie man es sich gewünscht habe. Zum Teil habe das daran gelegen, dass das Gründer-Team des 2011 von Rakuten übernommenen deutschen Marktplatzes Tradoria die Integration in die internationalen Strukturen des Konzerns nicht zügig genug vorangetrieben habe. Im Gespräch mit ChannelPartner gelobte Rakuten.de-Chef Macht Besserung: Man werde die globale E-Commerce-Plattform des Konzerns einführen, die Integration mit anderen Rakuten-Diensten vorantreiben und auch die Marketing-Anstrengungen erhöhen. Konkrete Festlegungen vermied der ehemalige Groupon-Manager jedoch.

Konzentrierte Arbeitsatmosphäre statt großer Ankündigungen: Die "Rakuten Expo 2015" in Frankfurt
Foto: Rakuten

Wie sich nun zeigt, verzichtete Christian Macht aus guten Gründen auf allzu handfeste Ankündigungen: Gut ein Jahr später hat sich bei Rakuten.de weiterhin nicht viel getan. Auf die globale Plattform RMSg wird in Deutschland erst nach Großbritannien und Spanien umgestellt, wie es nun heißt "im ersten Halbjahr 2016". Immerhin soll der Parallelbetrieb einer Testversion des neuen Rakuten.de mit freiwilligen Pilothändlern bald starten. Größere Fortschritte, wie die Möglichkeit, internationale Angebote aus einem Backende heraus zu steuern, werden allerdings erst mit der endgültigen Umschaltung auf die neue Plattform möglich werden. Und auch größere Marketing-Initiativen sind in der Übergangszeit eher nicht zu erwarten.

Mit kleinen Schritten voran

Am ehesten voran geht es bei Rakuten.de mit kleinteiligen, durchaus sinnvollen Entwicklungen, die den erhofften Befreiungsschlag aber wohl kaum bringen werden. So wurden Schnittstellen geschaffen, mit denen deutsche Rakuten-Händler leichter Angebote auf dem populären französischen Marktplatz Priceminister.com einstellen können. Tagtäglich helfen die E-Commerce-Consultants des Unternehmens Händler dabei, ihre Rakuten-Shop erfolgsträchtiger zu gestalten. Mit der Rakuten University und einer Roadshow bietet der Online-Marktplatz dabei auch Formate, die vor einigen Jahren bei eBay-Händlern recht beliebt waren. Und schließlich hat Rakuten.de die angekündigte Trennung von "schwarzen Schafen" vollzogen, die mit qualitativ minderwertigen Angeboten dem Ansehen des Marktplatzes schadeten. Im Rahmen der von Rakuten erworbenen europäischen Banklizenz und der Umsetzung damit einhergehender Geldwäschebestimmungen seien "einige Händler" herausgefallen, erklärt Christian Macht. Doch sei es durch die Gewinnung neuer Anbieter gelungen, die Zahl der Merchants weiter bei mehr als 7.000 zu halten.

Online-Shoppingmall mit starken Händler-Persönlichkeiten - auf dem britischen Marktplatz ist die Rakuten-Plattform RMSg bereits zu sehen
Foto: Rakuten

Ein neuer Impuls für Rakuten.de ist schließlich auch die Nachricht, dass der Möbelhändler Butlers einen Shop auf der Plattform eröffnet hat. Der populäre Multichannel-Anbieter bezeichnet die Kooperation mit Rakuten als "wichtigen Baustein im Rahmen des Ausbaus unserer Marktplatz-Aktivitäten" - und unterstreicht damit einmal mehr, wie groß der Wunsch deutscher Händler nach einer schlagkräftigen Alternative zu Amazon und eBay ist. Doch zumindest vorerst handelt es sich dabei noch zu einem großen Teil um Wunschdenken.

Interview mit Rakuten.de-Chef Christian Macht: "Die Händler haben Verständnis für uns"

Die internationale Rakuten-Oberfläche RMSg wird in Deutschland später eingeführt als ursprünglich in Aussicht gestellt - eine weitere Enttäuschung für die Händler?

Christian Macht: Unser oberstes Ziel war immer: Ein gutes Produkt zu bieten, selbst wenn es länger dauert. Hätten wir den Händlern gern schneller ein Angebot gemacht? Ganz klar: ja! Bei RMSg handelt es sich aber nicht nur um ein neues Backend oder Frontend, sondern um ein komplett neues System mit neuen Funktionen und der Anbindung an andere europäische Marktplätze. Das ist komplex, und ich habe die Händler um Verständnis gebeten, dass es länger dauert. Mein Eindruck ist: Es gibt dieses Verständnis.

Welche Vorteile wird die internationale Rakuten-Plattform den deutschen Händlern bieten?

Macht: Das wichtigste ist: Händler können mit RMSg international verkaufen, indem sie in ihrem Backend ganz einfach auswählen, auf welche Marktplätze sie wollen. Eine Rakuten-Händlerumfrage hat ergeben, dass über 70 Prozent sich diese Möglichkeit wünschen - und jetzt setzen wir das um. Durch die neue Storefront hatten wir bereits 2013 begonnen, die Händler und die Rolle der Superpunkte zu stärken, wovon auch die Kunden profitieren.

Christian Macht ist nicht nur Geschäftsführer von Rakuten.de, sondern auch Chief Strategy Officer für das E-Commerce-Unternehmen in Europa

Bereits bei der diesjährigen "Rakuten Expo" hatten Sie unter dem Motto "Beyond" den grenzüberschreitenden Handel in den Fokus genommen. Hängt das nicht mit der neuen Plattform zusammen?

Macht: Deutsche Händler können in viele europäische Länder versenden, allerdings ist auch richtig: Sie können bisher ihre Produkte neben dem deutschen nur auf dem österreichischen Marktplatz und über eine Middleware auf dem französischen listen. Das ändert sich mit RMSg: Das System macht den grenzüberschreitenden Handel weniger komplex und bietet ein einziges globales Kundenkonto, nicht nur für die verschiedenen Marktplätze, sondern auch für unsere anderen Services wie etwa Wuaki.tv oder Kobo.

Mit den zugekauften Diensten könnte Rakuten ein Ökosystem wie Amazon auf die Beine stellen. Doch leider geht die Integration der Services nur sehr schleppend voran...

Macht: Mir kann die Verknüpfung der verschiedenen Rakuten-Services in einem Ökosystem gar nicht schnell genug gehen. Speziell für Europa haben wir ein eigenes Expertenteam zusammengestellt, das sich genau darum kümmert. Bereits jetzt kann man mit einem Kundenkonto Wuaki, Kobo oder auch den deutschen Marktplatz nutzen. Es stehen aber noch andere Services in den Startlöchern, Endkunden- wie Händlerseitig, die auch Amazon nicht bietet. D.h. das Potential ist tatsächlich groß und wir möchten es natürlich schnellstmöglich nutzen.

Wie erfolgreich verlief aus Ihrer Sicht die angekündigte Trennung von "schwarzen Schafen" auf Rakuten.de?

Macht: Das betraf nur einen sehr, sehr kleinen Teil unserer 7000 Händler, aber ja: Hier waren wir konsequent und werden es auch weiterhin sein. Wir unterstützen unsere Händler, wo wir können - aber wenn jemand wiederholt und objektiv nachvollziehbare, schlechte Bewertungen bekommt, müssen wir im Sinne alle anderen Marktteilnehmer etwas unternehmen. Das zeigt Wirkung, beispielsweise bei verbesserter Liefertreue und verringerter Retourenquote.

Wie sieht es mit der Umsetzung der in Aussicht gestellten verstärkten Marketing-Anstrengungen aus?

Macht: In Spanien und Österreich haben wir in den vergangenen Jahren erfolgreiche TV-Kampagnen gefahren, und deren Ergebnisse sind eine gute Grundlage für Deutschland. Allerdings halten wir es nicht für sinnvoll, vor dem Wechsel auf die neue Plattform RMSg neue, große Initiativen in dem Bereich zu starten.

Erst die neue Plattform, dann mehr Werbung, so lautet die Prioritätensetzung bei Rakuten.de
Foto: Rakuten

Rakuten setzt gerne auf Nischen-Händler mit individuellem Profil. Mit Butlers hatten Sie aber zuletzt einen großen Mainstream-Händler als Neuzugang. Verwischt dadurch nicht die Positionierung Ihres Marktplatzes?

Macht: Wir sind überzeugt, dass Kunden im Internet nicht nur den puren Preisvergleich suchen, sondern offen für Neues, Interessantes und Spannendes sind. Natürlich sorgt einerseits unser breites Sortiment dafür, dass Kunden zu uns kommen - denn das macht schließlich einen Marktplatz aus; andererseits sind es gerade die "besonderen" Händler, die Kunden überzeugen, zu bleiben und wiederzukehren.

Welche Rolle spielt eigentlich der Elektronikbereich auf Rakuten.de?

Macht: Elektronik ist auch bei uns wie generell im E-Commerce eine starke Kategorie, und natürlich nutzen wir sie bei Sales-Aktionen, um Kunden auf unseren Marktplatz aufmerksam zu machen. Es gibt aber Kategorien, die bei uns noch stärker sind und auf die wir viel Wert legen, etwa "Möbel, Wohnen & Lifestyle", "Haus & Garten" oder auch "Beauty & Wellness". (mh)