Betreibt Canon Preisdumping ohne Not?

04.09.2003

Die Überraschung ist gelungen: Mit viel Brimborium hat der japanische Elektronikkonzern Canon am 20. August 2003 eine nach eigenem Bekunden neue Ära der Fotografie eingeläutet. Die bedeutendste und wichtigste Produkteinführung, seitdem das Unternehmen 1976 mit der "AE-1" die erste Spiegelreflexkamera mit integriertem Mikrochip auf den Markt brachte, stand an. Um es kurz zu machen: Canon präsentierte der Weltöffentlichkeit just an diesem Tag eine neue digitale Spiegelreflexkamera (siehe Beitrag auf Seite 28). Nichts Besonderes insoweit, als Canons neuer Wurf keinerlei technische Raffinessen aufzuweisen hat, die einen vom Hocker hauen könnten. Das Revolutionäre an der 6,3-Megapixel-Kamera "EOS 300D" ist ganz woanders zu finden: am Preisschild. Gerade mal 1.099 Euro - gebündelt mit einem Wechselobjektiv 100 Euro mehr - für ein digitales Spiegelreflexsystem zu verlangen kommt tatsächlich einer kleinen Sensation gleich. Andere Anbieter verlangen dafür derzeit glatt das Doppelte.

Es stellt sich die Frage, ob Canons überraschendes Vorpreschen in diese Preisregion "gut" ist für diesen Markt, ob es das richtige Signal ist. Schließlich tobt dort schon seit geraumer Zeit ein geradezu verheerender Preiskampf, der mit einer gewaltigen Margenvernichtung einhergeht und den Markt schon bis kurz vor den Kollaps getrieben hat..

Wäre es also nicht klüger gewesen, fragen sich die Kritiker, 500 Euro mehr für dieses Produkt zu verlangen? Hätte nicht gerade dieses Produkt die Chance geboten, dass der Handel - Distributoren und der Hersteller selbst natürlich auch - wenigstens eine Zeit lang Heil bringende Gewinne hätten einfahren können? Gerade im Weihnachtsgeschäft sind Digitalkameras schließlich der Verkaufsrenner schlechthin, das Gros der in diesem Jahr erwarteten 4,5 Millionen verkauften digitalen Knipser wird in den letzten beiden Monaten abgesetzt. Gießt Canon also mit der "EOS 300D" weiteres Öl ins Feuer? Betreibt Canon Preisdumping ohne Not?

Sicherlich: Deutlich mehr Geld für dieses Produkt zu verlangen wäre ein möglicher und gangbarer Weg für Canon gewesen. Aber es gibt noch gänzlich andere Aspekte, welche die aufkommende Bekrittelung nicht rechtfertigen. Schon seit geraumer Zeit wird in Branchenkreisen hinter vorgehaltener Hand darüber geredet, dass digitale Spiegelreflexkameras dieser Preisklasse auf den Markt kommen werden. Canon hat diesen Wettlauf gewonnen. Das zeichnet das Unternehmen durchaus aus, beweist es doch seine Schlagkräftigkeit und den Anspruch, Marktführer zu bleiben. Die Konkurrenz schläft keineswegs, und so hätte der Sieger auch Fuji, Nikon oder Olympus heißen können. Zudem: Der Markt verlangt schon lange nach einem Produkt dieses Kalibers. Die Absatzzahlen analoger Spiegelreflexkameras sind mit 25 Prozent seit Jahr und Tag stark rückläufig. Die potenzielle Klientel weiß nur zu gut, dass die Zukunft in der digitalen Fotografie liegt. Sie wartet nur auf eine preisgünstige Einstiegslösung, um sich mit dieser Technologie vertraut zu machen. Canon hat diesen Wunsch erfüllt, weitere Anbieter werden in Kürze ähnliche Produkte auf den Markt werfen.

Für den IT-Fachhandel ist das Chance und Herausforderung zugleich. Der Markt für Digitalkameras wird deutlich an Professionalität zulegen. Fototechnische Ausstattungsmerkmale werden in den Vordergrund treten. Damit wird sich in diesem Markt die Spreu vom Weizen trennen. Hersteller, die von Fototechnik nichts verstehen, werden auf der Strecke bleiben, denn die Ansprüche der Kunden werden steigen. Auch das ist eine Folge der Marktöffnung nach "unten", die Canon eingeleitet hat. Mittelfristig werden selbst die letzten digitalmuffligen Berufsfotografen auf die neuen Systeme zurückgreifen. Und ihr Equipment, das dann nicht bloß Digitalkamera, sondern Digital-Imaging-Lösung heißt, werden sie - so bleibt zu hoffen - dann im IT-Handel erwerben. Denn beispielsweise die Integration einer WLAN-tauglichen Kamera in eine PC-Landschaft kann ein Fotofachhändler kaum bewerkstelligen. WLAN-taugliche Digitalkameras? Klar doch, hier übernimmt gerade Nikon die Vorreiterrolle. Wer also seine Scheu vor Fototechnik ablegt, wird auf Geschäftsfelder stoßen, die reichlich Erträge versprechen.

Christian Meyer cmeyer@computerpartner.de

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