Fallstudie: Server-Konsolidierung auf Linux

01.07.2004
Untersuchungen, ob eine Migration auf Linux eine sinnvolle Option darstellt, korrelieren oft mit den Intentionen des Auftraggebers. Im vorliegenden Beitrag rechnet ein unabhängiger Profi anhand eines konkreten Beispiels nach. Von Michael Hensche

Die Diskussion um mögliche Einsparpotenziale, die sich im Rechenzentrum durch Server- oder auch Client-Migrationen von Microsoft Windows auf das Open-Source-Betriebssystem Linux ergeben können, wird leidenschaftlich geführt.

Inzwischen hat der Schlagabtausch eine Dimension erreicht, in der es nicht mehr allein um das Einsparen von Lizenzkosten geht. Allerdings kommen verschiedene Studien zu diesem Thema trotz ähnlicher Ausgangslage zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen.

Lässt sich also keine allgemein gültige Aussage über die durch eine Migration zu realisierenden Einsparungen treffen? Anhand eines Praxisbeispiels wollen wir im Folgenden untersuchen, ob und inwiefern Linux in der Migrationsentscheidung eine sinnvolle strategische Option darstellt.

In der typischen Windows-Systemlandschaft stellt sich die Frage einer möglichen Migration in aller Regel nicht vorrangig aufgrund möglicher Kosteneinsparungen. Vielmehr entsteht in der Praxis meist durch die Abkündigung von Produkten durch Microsoft oder Abhängigkeiten zwischen Client- und Serverversionen ein massiver Migrationsdruck, dem das Unternehmen irgendwann nicht mehr ausweichen kann.

Sollen etwa die Desktop-Systeme mit Windows XP sicher und komfortabel betrieben werden, ist eine entsprechende Backoffice-Umgebung mit Windows XP/2003 und Active Directory zwangsläufige Voraussetzung.

Betriebssysteme

Erst wenn die Entscheidung zu einer Migration einmal grundsätzlich feststeht, stellt sich im zweiten Schritt die Frage, mit welchen Betriebssystemen die Rechner zukünftig betrieben werden sollen. Als Alternativen bieten sich an:

- eine komplette Umstellung auf aktuelle Microsoft-Produkte,

- eine vollständige Migration von Servern und Desktops zu Linux,

- eine Mischung beider Szenarien.

Üblicherweise arbeitet im Rechenzentrum ein Mix aus Infrastrukturdiensten (File und Print, Benutzerverwaltung, Inter/Intranet, Security), Bürokommunikationsanwendungen sowie Datenbank-/Applikationsservern zur Abbildung der Geschäftsprozesse. Hinzu kommen häufig noch unterschiedliche Spezialanwendungen.

Auf dem Desktop werden eine Office-Suite, ein E-Mail-Client, ein Webbrowser und eventuell eine Host-Emulation zum Zugriff auf einen Großrechner benötigt. Insgesamt finden sich hier - häufiger als auf den Servern - spezifische Software-Tools und Programme, die sich je nach Fachbereich oft stark unterscheiden.

Alternativen: Windows vs. Linux

Alle genannten Standardapplikationen auf Server und Desktop lassen sich entweder als lizenzkostenfreie Software oder als kommerzielles Produkt auch unter Linux abbilden. Darüber hinaus offerieren alle großen Software-Anbieter Linux-Versionen ihrer Produkte. Die Tabelle auf Seite 36 stellt eine Auswahl möglicher Anwendungen für die Migrationsszenarien Microsoft Windows beziehungsweise Linux zusammen.

Konsolidierung und Virtualisierung

Es bleiben noch diejenigen Server- und Desktop-Anwendungen zu untersuchen, die für fachbereichsspezifische Aufgaben zum Einsatz kommen. Oft lassen sich für solche Applikationen frei verfügbare oder kommerzielle Linux-Alternativen entdecken. Immer wieder finden sich hier jedoch auch Anwendungen, die nur unter Windows zur Verfügung stehen.

Das muss jedoch kein Ausschlusskriterium sein. Gibt es für eine wichtige Applikation kein Linux-Pendant, lässt sich auch eine Umgebung aufbauen, die einerseits eine strategische Linux-Migration erlaubt, daneben aber den Fortbestand unverzichtbarer Software unter Microsoft-Betriebssystemen sicherstellt.

Dies kann zum einen durch die Virtualisierung der Server mit VMware ESX erfolgen. Die betroffenen Applikationen werden - unter Beibehaltung der Serverautonomie - auf entsprechend leistungsfähige Hardware konsolidiert. Zum anderen bietet sich eine Lösung auf Basis von Citrix an, mit der sich ebenfalls Windows-Anwendungen auf Linux-Desktops abbilden lassen.

Kostensenkungspotenziale stehen im Vordergrund

Vor jeder Migrationsentscheidung werden die Ziele festgelegt. Neben den Kosten stehen die unternehmerischen Zielsetzungen und Anforderungen im Vordergrund. In einem ein- bis zweitägigen Workshop, gemeinsam mit einem externen Dienstleister, der seine Erfahrung mit Konsolidierungsstrategien einbringt, werden die notwendigen Anforderungen und Strukturen erarbeitet.

Am praktischen Beispiel des Rechenzentrums eines Stadtwerks wollen wir untersuchen, welche Potenziale in einer typischen Kundensituation schlummern und wie diese erschlossen werden können. In unserem Beispiel-Rechenzentrum finden wir insgesamt 150 Server mit einer unterschiedlichen Anzahl von CPUs (siehe Bild).

Dabei gliedert sich die Aufteilung nach Anwendungen und Betriebssystemen wie folgt:

- Betriebssystem: Windows NT/2000

- 1-Wege-Server: Fileserver, Firewall, Applikationsserver, System-Management

- 2-Wege-Server: File und Print, Applikationsserver, SAP

- 4-Wege-Server: SAP, Applikationsserver

- 8-Wege-Server: CRM

Auf den Applikations-Servern laufen im Wesentlichen SAP, Oracle und Exchange. Näher untersucht werden müssen nur einige "exotische" Anwendungen (in unserem Beispiel ein Stadtplan, eine Rohrdruckberechnung und verschiedene grafische Analysen).

Für die Erstanalyse der Migrationskosten betrachten wir die vorliegende Installation zunächst unter der Annahme, dass alle Server auf Linux migriert werden können.

Administrationskosten haben großen Anteil

In einer Studie aus dem Jahr 2002 kommen die Marktforscher von IDC zum Ergebnis, der Serverbetrieb sei unter Microsoft-Betriebssystemen kostengünstiger zu erbringen. Etwa zeitgleich konstatierte eine Untersuchung der Robert Frances Group RFG (http://www.rfgonline.com), dass es genau umgekehrt sei.

Beide Studien benennen jedoch übereinstimmend die Administrationskosten als größten Kostenfaktor. Laut IDC lassen sich Windows-Administratoren jedoch kostengünstiger (70.000 Euro/Jahr) finden als ihre Linux-Kollegen (75.000 Euro/Jahr). Das räumt auch die Untersuchung der RFG ein. Sie weist jedoch darauf hin, dass Linux-Administratoren im Schnitt 45 Server managen, während ihre Kollegen im Windows-Umfeld nur 15 Server im Griff behalten können.

Bei der einer Anzahl von 150 Servern im Rechenzentrum aus unserem Beispiel benötigen wir also vier Linux-Systemverwalter oder zehn Windows-Administratoren. Nach diesem Ansatz lassen sich beim Einsatz von Linux über einen Zeitraum von drei Jahren rund 1,2 Millionen Euro an Personalkosten einsparen.

Lizenzkosten

Die Lizenzkosten allein rechtfertigten eine Migration nach Linux nicht. Allerdings stellen sie einen durchaus gewichtigen Faktor dar. Vergleichen wir einmal die Lizenzkosten für Windows und Linux in unserem Beispiel-Rechenzentrum.

Hier benötigen wir zum einen 150 Server-Lizenzen. Im Fall von Windows belaufen sich diese inklusive zwei Jahren Software Assurance auf je 1.200 Euro (Windows 2003 Server Standard) beziehungsweise bei den 30 Maschinen mit vier und mehr CPUs auf je 3.900 Euro (Windows 2003 Server Enterprise). Bei Linux wollen wir den SuSE Linux Enterprise Server einsetzen, der inklusive zwei Jahren Maintenance mit 1.649 Euro zu Buche schlägt.

Für unsere 1500 Clients benötigen wir unter Windows entsprechende Client-Access-Lizenzen, die inklusive zwei Jahren Software Assurance je Stück 51 Euro kosten. Unter Linux dagegen fallen keine zusätzlichen Lizenzkosten für die Clients an.

Unsere Rechnung für das vorliegende Beispiel weist also allein für Server-Betriebssystem und Zugriffslizenzen ein jährliches Sparpotenzial von gut 45.000 Euro zu Gunsten von Linux auf.

Strategische Bewertung nicht vergessen

Einen wichtigen Aspekt allerdings können Zahlen allein nicht widerspiegeln: welchen langfristigen Einfluss ein Wechsel auf Linux im Vergleich zu einer Fortführung der Microsoft-Strategie hat.

Die Stadt München beispielsweise hat sich entschieden, trotz vordergründig günstigerer TCO statt Microsoft-Software auch auf dem Desktop Linux einzusetzen. Dieser Entschluss beruht auf einer Messung und Bewertung (http://www.muenchen.de/aktuell/clientstudie_kurz.pdf) strategisch wichtiger organisatorischer Faktoren. Das unterstreicht die Bedeutung der Zieldefinition zu Beginn jedes Migrationsprojekts.

Für München wurde ein mehr als 600 Einzelfragen umfassender Katalog - unter anderem zu folgenden Themenbereichen - aufgestellt und in einer Matrix ausgewertet:

- Aufwand für die Einhaltung von Gesetzen und Verwaltungsvorschriften,

- Auswirkungen auf die IT-Sicherheit, die Mitarbeiter und die IT-Organisation,

- Auswirkungen auf externe Adressaten,

- Einhaltung offener Standards,

- Beurteilung der Hersteller- und Beschaffungsabhängigkeit,

- Flexibilität des IT-Einsatzes,

- Investitionsschutz.

Die Ausschlag gebenden Argumente gegen eine Migration auf Microsoft-Software lagen in der immer stärkeren Integrationstiefe der entsprechenden Client- und Backoffice-Dienste. In Verbindung mit dem durch Microsoft ausgeübten Migrationsdruck auf die jeweils aktuellsten Software-Versionen, auch wenn dazu eigentlich aus funktionaler oder technologischer Sicht kein Anlass besteht, hätte sich eine signifikant steigende Abhängigkeit vom Hersteller ergeben.

Schrittweise Migration

Sobald das Potenzial der Kosteneinsparung im Rahmen einer ersten Analyse ausgemacht ist, stellt sich die Frage nach dem Wie. Das geringste Projektrisiko liegt in der schrittweisen Migration.

Abhängig von der eigenen Zieldefinition sollte man zuerst diejenigen Systeme konsolidieren, die den schnellsten Return on Invest (ROI) erbringen - oder aber solche, die aus organisatorischer Sicht (Lebenszyklus, notwendige Erweiterungen) einen hohen Leidensdruck erzeugen.

Im Anschluss an die Migration der als vorrangig identifizierten Systeme kommen diejenigen Applikationen an die Reihe, für die sich unter Linux keine gleichartige Anwendung findet oder erheblicher Migrationsaufwand zu erwarten ist. Hier erweist sich in vielen Fällen eine Konsolidierung mit Hilfe von VMware unter Beibehaltung des Microsoft-Betriebssystems für einen Übergangszeitraum als der richtige Weg.

Fazit

Die Analyse und Abwägung anhand unseres Beispiel-Rechenzentrums haben deutlich gemacht, dass in typischen Installationen viele Kostensenkungspotenziale stecken, die es zu identifizieren gilt.

Dabei fällt auf, dass schon isoliert betrachtet bestimmte "Quick Wins" zu finden sind, die einen schnellen Return on Invest versprechen. Langfristige Effekte, die sich durch eine schlanke, vereinheitlichte und in ihrer Komplexität reduzierte IT für Verfügbarkeit, Sicherheit und Administration ergeben, erfordern jedoch die Entwicklung einer Linux-Strategie.

Sinnvollerweise sollte deshalb jedem Linux- und Konsolidierungsprojekt ein Strategie-Workshop vorangehen. Hier sind gemeinsam die langfristigen Ziele zu erarbeiten, an denen sich anschließend die kurz- und mittelfristigen Entscheidungen orientieren.

Steckbrief

Michael Hensche

Der Autor Michael Hensche ist Senior Consultant bei der Kerpener RZNet AG. Dort berät er Unternehmen bei der strategischen und konzeptionellen IT-Planung zu Themen wie Systemkonsolidierung, Virtualisierung, Speichernetzen, Datensicherung, Hochverfügbarkeit und K-Fall-Vorsorge. Nach dem Studium der Elektrotechnik war er bei Nixdorf und Comparex im technischen wie vertrieblichen Umfeld der zentralen IT tätig.

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