IBM-Manager Richard Seibt: "80 Prozent der Banken setzen weiter auf OS/2"

10.04.1996
MÜNCHEN: Seit Jahren macht sich Seibt für OS/2 stark. Aus Anlaß der Einführung der neuen Version Warp 4 unterhielt sich ComputerPartner-Redakteur Lothar Derichs mit dem IBM-Geschäftsführer über seine Ziele und den Wettbewerb mit Microsoft.

MÜNCHEN: Seit Jahren macht sich Seibt für OS/2 stark. Aus Anlaß der Einführung der neuen Version Warp 4 unterhielt sich ComputerPartner-Redakteur Lothar Derichs mit dem IBM-Geschäftsführer über seine Ziele und den Wettbewerb mit Microsoft.

?Wie erklären Sie sich den Erfolg von Microsofts Windows?

SEIBT: Da muß man zunächst unterscheiden zwischen Windows und Windows NT. Der Erfolg von Windows liegt darin, daß eine Strategie des Preloads auf allen Rechnern erfolgreich war und dadurch keiner eine Wahl getroffen hat, sondern jeder es einfach bekam. Das ist die gleiche Strategie, die heute Firmen wie Netscape übers Netz betreiben, um eine massenhafte Verbreitung zu erreichen.

?Das haben Sie doch mit der letzten Version von OS/2 auch versucht.

SEIBT: Da waren wir auch sehr erfolgreich und haben so in Deutschland die Anzahl der OS/2-Anwender bekommen, die wir heute haben. Wenn ich jetzt an Windows NT denke, dann ist eigentlich das das Betriebssystem, mit dem wir uns in der Vergangenheit immer verglichen haben und mit dem wir uns auch heute vergleichen, nämlich ein echtes 32-Bit-Betriebssystem. Windows NT hat die gleichen Anforderungen an den Benutzer, wie OS/2 sie hat, und das sind keine geringen Anforderungen. Ein Windows-3.1-Benutzer, der NT nutzen will, muß komplett umlernen. Er muß Dinge hinzulernen, die er genauso bei OS/2 hinzulernen muß. Die meisten Menschen haben aber gar nicht den Skill und sind auch nicht bereit, komplexe Betriebssysteme zu erlernen. Das ist der Grund, warum wir unsere Network-Computing-Strategie so sehr in den Vordergrund stellen. Die heute 20 bis 40 Millionen Internet-Nutzer sind Menschen, die sich gut in der Informatik auskennen, die wissen, was zu tun ist, wenn ein Fehler auftritt, die neue Devices und Treiber installieren können. Wenn wir aber neue Käuferschichten gewinnen wollen, dann muß das ganze sehr viel einfacher werden; und das geht nur, wenn man Anwendungen ins Netz verlagert. So wird der Nutzer davon entlastet, immer die neueste und fehlerfreie Version auf dem Rechner zu haben. Nun gibt es eine Übergangszeit, bis das so perfekt funktioniert. Unsere Strategie mit OS/2 ist es, Investitionsschutz in das, was heute passiert, zu ermöglichen, und gleichzeitig neue Technologien zu implementieren, wie etwa Java, die das langsame Migrieren in die NC-Welt vor allem auch für unsere Großkunden möglich machen.

?Gibt es denn überhaupt Fakten, die den Trend zum Network Computing untermauern, oder ist das nicht nur Glaube und Hoffnung?

SEIBT: Das Internet ist das Vehikel für die größten Unternehmen, ihre Informationsverarbeitung kostenmäßig tragbar zu machen, denn in Zukunft steigen ja die Anforderungen zum Beispiel durch Lieferanten- und Kundenkommunikation in Form von Database Marketing. Wenn wir den Unternehmen ein Konzept anbieten, das statt 12.000 pro Client und Jahr nur 2.000 Mark kostet, dann ist der wirtschaftliche Vorteil einfach so groß und so offensichtlich, daß der Innovationsdruck von den Unternehmen kommen wird, und nicht aus dem Desktop- beziehungsweise privaten Bereich.

?Warum sollte sich ein professioneller Anwender OS/2 Warp kaufen und nicht Windows NT?

SEIBT: NT ist von der Funktionalität absolut vergleichbar mit OS/2. Wir positionieren auch OS/2 komplett gegen NT - sowohl als Server wie als Client. Wenn ich aber die Gesamtstrategie nehme, dann unterscheiden wir uns wesentlich, indem wir kein Business-Modell unterstützen, das das Windows-API erhält und fördert. Wir richten alles darauf aus, Standards zu unterstützen, die den Wettbewerb auf eine andere Ebene heben. Wir wollen auf Java basierende Anwendungen entwickeln und sie auf allen Plattformen zur Verfügung stellen können. So sieht es auch jedes Softwareunternehmen, das seinen Markt damit schlagartig ausweitet. Diese Entwicklung zu unterstützen, das ist der große Unterschied zwischen Microsoft und uns und damit auch zwischen NT und OS/2.

?Aber gibt es nicht bereits heute starke Abwanderungstendenzen von OS/2 zu NT, auch in ihren angestammten Märkten wie der Bankenbranche?

SEIBT: Es gibt sicherlich Banken, die NT installieren. Mit diesen Unternehmen haben wir natürlich unsere neue Strategie nicht im Detail diskutiert, weil es sie noch nicht in der formulierten Art gab. Das wird sich ändern. 80 Prozent der Bankenindustrie setzen weiter auf OS/2. Wir haben kaum verloren.

?Wie erklären Sie sich dann die katastrophalen Marktprognosen für OS/2?

SEIBT: Diese Studien gibt es ja schon ewig. Nur, was sie vorausgesagt haben, ist noch nie eingetreten. Der größte Anbieter dieser Informationen erstellt seine Berichte ja nicht aufgrund eigener Analysen und Recherchen, sondern aufgrund des Reden und Schreibens anderer. Alle, die sich 1993 für OS/2 entschieden haben, werden diese Investments weiter betreiben. Aber natürlich werfen alle einen Blick auf andere Töchter schöner Mütter und beschäftigen sich mit NT. Das würden wir als Kunde auch tun. Bis aber ein Unternehmen, das bisher OS/2 genutzt hat, in der Lage ist, so einen Rollout zu machen, vergehen drei Jahre. Wenn also jemand behauptet, er hätte sich für NT entschieden, heißt das noch lange nicht, daß er es auch tatsächlich implementiert. Aber Ihre Frage ist ja auch eine berechtigte Kritik an uns, denn wir könnten das ja besser kommunizieren.

?Welchen Marktanteil streben Sie denn an mit OS/2?

SEIBT: Ich könnte jetzt jede Zahl nennen, und wir hätten beide Schwierigkeiten, uns die gegenseitig zu beweisen oder zu widerlegen. Ich halte von solchen Vorhersagen wenig. Mein Ziel ist es, das profitable Business von heute fortzuführen und gegenüber anderen überproportional erfolgreich zu sein. Das muß nicht bedeuten, daß wir Marktanteile erzielen von 80 Prozent. Wir wollen mit der Network-Computing-Strategie erfolgreich sein. Dabei sind die Java-Applikationen in der Zukunft noch viel wichtiger als das Betriebssystem, denn die bringen dem Kunden einen Nutzen und nicht das Betriebssystem. Ein Beispiel wäre eine Homebanking-Lösung auf Basis von Java. Unser Erfolg soll immer die Applikation sein oder die Tools, um die Applikationen zu erzeugen. Das ist der bessere Weg, als zu sagen: "Wir wollen möglichst viel OS/2 verkaufen". Das interessiert doch letztendlich keinen. Entscheidend ist, welchen Nutzen bringt so eine Strategie dem Kunden und dem Partner.

?Was wollen Sie denn im Bereich Marketing und Vertrieb tun, um dieses Ziel zu erreichen?

SEIBT: Sie kennen unsere Business Partner Charta. Ziel ist es, 70 Prozent des IBM-Umsatzes über Partner zu erzielen - bei Hardware und bei Software. Wir haben die Entscheidung getroffen, 100 Prozent unserer Intel- und RISC-basierten Workstation-Software über Partner zu vermarkten. Partner sind nicht nur Händler, sondern auch unabhängige Softwarehäuser. Ich denke, mit unserer NC-Strategie arbeiten wir in deren Hände; und mit der Unterstützung unseres Namens und auch des Geldes aus dem Fond von 100 Millionen Dollar, den wir aufgelegt haben, schaffen wir eine profitable Basis für jeden Anwendungsentwickler. Er hat ja dann Software, die über alle Plattformen eingsetzt werden kann bis hin zum MVS. Durch Network Computing und Internet kann er außerdem einen unbegrenzten Verkaufsraum eröffnen. Das bietet ungeahnte Geschäftsmöglichkeiten für den Partner, und wir wollen dazu beitragen, denn wir können und wollen das mit eigenen Ressourcen nicht schaffen. Draußen ist eine Menge Skill beim Vertrieb und der Implementierung, und den wollen wir nutzen - entgegen dem, was wir früher gemacht haben.

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