ICN-Chef Ganswindt: "Wir müssen schneller werden"

29.11.2001
Die ITK-Sparte von Siemens wird umgekrempelt. Zentralvorstand Volker Jung sucht nicht nur einen Partner für das Handygeschäft, sondern will auch Netzwerke und IT-Dienstleistungen neu strukturieren.

Wir haben im vergangenen Jahr gerade einmal die Gewinnschwelle erreicht," erklärt Volker Jung, Zentralvorstand der Siemens ITK-Sparte (Information und Telekommunikation). Ohne Partner sei eine gewisse Profitabilität bei Telefonen nur für den Marktführer Nokia möglich. Nachdem die Gespräche mit Motorola gescheitert sind, gelten als mögliche Kandidaten unter anderem Toshiba oder NEC. Aber auch einen PDA-Hersteller zieht Jung in Betracht. Wichtigstes Kriterium: Der zukünftige Partner müsse vor allem eine überlegene Technologie für die Zukunft mitbringen.

Mit der Partnersuche hat Siemens seine bisherige Strategie komplett geändert. Noch vor Kurzem hieß es, Ziel sei ein Weltmarktanteil von 15 Prozent. Damals war von einer Kooperation noch nicht die Rede. Laut Gartner Group beträgt der Marktanteil von Siemens nur mehr 7,2 Prozent. Damit rangiert Siemens auf dem fünften Platz hinter Nokia, Motorola, Ericsson und Samsung.

Fokus auf Kundengruppen

Jungs Zuständigkeitsbereich, die Sparte ITK, hat drei Standbeine: die Bereiche ICM (Information Communication Mobile), ICN (Information Communication Networks) und der IT-Dienstleistungsbereich SBS (Siemens-BusinessService). Doch nicht nur ICM ist von Veränderungen betroffen. Der Konzern sucht auch einen Partner für einen Teil des Netzwerkbereichs (ICN). "Optical Networks", ein Geschäftsfeld, das im abgelaufenen Geschäftsjahr (30.9) etwa 2 Milliarden Euro Umsatz gemacht hat, soll in Zukunft nicht mehr allein getragen werden. Allerdings stehe man hier nicht so sehr unter Zeitdruck wie bei den Mobiltelefonen, so Jung,.

Auch an der Vertriebsstruktur soll sich einiges ändern. Jung will von ICN das Geschäftsfeld "Netzwerke für Unternehmenskunden" zu SBS schieben. Der Konzern hatte im letzten Geschäftsjahr damit 4,4 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Der gesamte Vertrieb soll nach Kundenfeldern ausgerichtet werden und nicht mehr nach Produkten. Bei ICN würden dann nur noch die Telefonnetzbetreiber übrig bleiben. Sollte Siemens jedoch einen Partner für die Handys finden, dann bleibt die Frage: Wohin mit den mobilen Netzen? Es liegt nahe, dass die mobilen Netze wiederum von ICM zu ICN verschoben wird.

ICN-Sparte muss sparen

Dies allerdings würde das nächste Problem aufwerfen. Wenn die Handys und die mobilen Netze nicht mehr zu ICM gehören, dann bleibt kein sehr großes Aufgabengebiet mehr für den amtierenden ICM-Vorstand Rudi Lamprecht, dessen Name auf Heinrich von Pierers Liste der möglichen Nachfolger steht.

Der Vorstand von ICN dagegen, Thomas Ganswindt, erst seit September im Amt, hat eine ganze Menge zu tun. Er will mittelfristig rund 2 Milliarden Euro in seiner Sparte einsparen. Der angekündigte Abbau von 10.000 Stellen sei nur ein kleiner Teil. Die ICN-Sparte hatte im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von 12,9 Milliarden Euro einen Verlust von 861 Millionen Euro erwirtschaftet. Ganswindt gegenüber der "Financial Times": "Wir müssen uns darauf einstellen, schneller zu werden - sowohl bei der Analyse der Marktsituation als auch bei der Umsetzung der richtigen Maßnahmen."

Verkauf eigener Produkte

Der ICN-Chef will in Zukunft 80 Prozent der Investitionen in die Fokusgebiete Sprach- und Datenkonvergenz sowie Breitbandzugang stecken. Außerdem: "Wir werden mit unseren Lieferanten aggressiver umgehen", kündigt Ganswindt an. Und man werde in Zukunft keine Produkte mehr von Wettbewerbern vertreiben. Verkauf der eigenen Produkte, heißt die Devise. Grundlegendes Übel sei, dass die Branche bislang nur auf Wachstum ausgerichtet gewesen sei. In Zukunft gehe "Ertrag vor Umsatz".

Fröschl geht, Stodden kommt

Das dritte Standbein der ITK-Sparte, der Dienstleistungssektor SBS, hat ebenfalls einige Umstrukturierungen vor sich. Den Beginn macht der anstehende Führungswechsel. Der bisherige Vorstand Friedrich Fröschl wird in Zukunft als CIO (Chief Information Officer) die "zentrale Richtlinienkompetenz für E-Business, IT-Infrastrukur und die weltweite Standardisierung der Geschäftsprozesse" innehaben. Ab 1. Dezember sitzt Paul Stodden, ehemals Fujitsu Siemens Computers, auf seinem Sessel. Stodden zeigt sich im Moment allerdings noch etwas zurückhaltend. Nur eines sei sicher. Es gehe zunächst darum, SBS wieder "stabil und profitabel aufzustellen". Frühestens Ende Januar 2002 könne er konkrete Angaben zu geplanten Maßnahmen machen. Bis dahin will er sich erst einmal der Bestandsaufnahme widmen.

ComputerPartner-Meinung:

ICN-Chef Ganswindt hat Recht. Siemens gehört wirklich nicht zu den Schnellsten, was das Erkennen von Marktsituationen betrifft. Was hier mit großem Geschrei angekündigt wird, haben andere schon vor Siemens gemacht. Hewlett-Packard hat sein Geschäft bereits vor einiger Zeit an Kundengruppen anstatt auf Produktgruppen ausgerichtet. Und dass sich im Handygeschäft ein Alleingang gegen Nokia zur Sisyphusarbeit auswächst, haben Ericsson und Sony bemerkt. (gn)

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