Den CEO wählen

"In Wahrheit führen Mitarbeiter Unternehmen"

06.03.2015
Von Tatjana Krieger

"Das System korrigiert sich selbst"

Wie verhalten sich Mitarbeiter, wenn man ihnen Wahlfreiheit einräumt? Besteht nicht die Gefahr, dass sie sich dafür entscheiden, was ihnen persönlich nutzt, nicht was die Organisation voranbringt?
Stoffel: Wir glauben, dass der größte Teil der Mitarbeiter kooperationsbereit ist. Diese Menschen denken nicht egoistisch, sondern für das größere Ganze – sei es für das Team, für die Abteilung oder für die Firma. Bestimmt 95 bis 99 Prozent der Mitarbeiter gehen nicht wegen des Gehalts oder wegen eigener Vorteile in die Arbeit. Sie gehen zur Arbeit, weil sie ihnen Sinn gibt und das Gefühl, zu etwas Größerem beizutragen.
Es gibt natürlich auch andere Konzepte, die davon ausgehen, dass Mitarbeiter egoistisch sind, dass man sie steuern oder sie über Anreize führen muss. Das ist falsch. Konzepte muss man auf die Mehrheit ausrichten, und nicht auf die zwei bis drei Prozent, die egoistisch handeln. Dann erzeugt man echte Energie.

Die zwei bis drei Prozent Egoisten sind also zu vernachlässigen?
Stoffel: Das System korrigiert sich selbst. Wenn transparent wird, wer kooperativ handelt und wer nicht, dann ist sichergestellt, dass sich das System von alleine ausgleicht. Wenn ich aber davon ausgehe, dass 90 Prozent aller Menschen Egoisten sind, dann habe ich ein anderes Menschenbild. Vielleicht sehen deshalb viele Organisationen heute noch aus wie vor 100 Jahren.

Verursacht ein solches Wahlsystem zusätzlich zum Leistungsdruck nicht sozialen Druck? Muss man sich als Kandidat in Everybody's Darling verwandeln?
Stoffel: Der ganze Wahlprozess kostet Energie und Zeit, von daher ist eine bewusste Entscheidung des Unternehmens unbedingt erforderlich. Für uns ist es richtig, weil wir es für eine Investition in die Zukunft halten, die uns mehr bringt als kostet. Trotzdem war die Zeit emotional sehr schwierig – auch für die Personen, die wählen. Jemanden nicht zu wählen, fällt viel schwerer, als man denkt.
Auch in anderen Organisationen ist immer sichtbar, welcher Manager einen guten Job macht und wer für seinen eigenen Vorteil und seine Politik kämpft. Bei uns kann das Team darauf reagieren. Somit hat die Führungskraft die Pflicht, ihren Beitrag zu zeigen.

Hat die Wahl das Unternehmen verändert? Was beobachten Sie?
Stoffel: Mit Sicherheit hat es uns verändert und weitergebracht. Und wir reifen weiter daran, denn der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir werden einen festen Rhythmus einführen und jedes Jahr eine neue Wahl abhalten. Dinge, mit denen wir noch nicht zufrieden sind, werden sich über die Jahre entwickeln.

Wo sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?
Stoffel: Damit es wirklich funktioniert, muss sich das Rollenverständnis von Führung ändern. Führung muss entglorifiziert werden. Die Gleichstellung von Führung und Expertentum müssen wir noch fördern. Erst wenn Führung als eine normale Rolle betrachtet wird wie die eines Experten für Softwarelösungen, ist eine wirklich agile Organisation, wie wir sie uns wünschen, möglich. Dazu gehört die Entkopplung von Titel, Status und Gehalt.

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