Meins - nicht deins!

27.10.2006
Viele Kunden fühlen sich von der angebotenen Technik überfordert. Einen Ausweg bieten personalisierte Produkte. In der Siemens-Forschung sind sie schon Wirklichkeit.

Menschen fühlen sich von Technik oft überfordert. So beklagen 57 Prozent der Deutschen, dass Geräte immer komplizierter werden, wie es in einer Studie von Research International Deutschland heißt. Einen Ausweg bietet personalisierte Technik, meint Dr. Irene Walther vom Bayerischen Forschungsverbund Forsip, der an der intelligenten Individuali- sierung von Mensch-Maschine-Schnittstellen forscht. "Wer den Trend zur Personalisierung verpasst, läuft Gefahr, Wettbewerbsvorteile aufs Spiel zu setzen", sagt die Expertin.

Bei Siemens macht sich der Leiter des User Interface Design Center, Dr. Stefan Schoen, Gedanken über Usability - auf Deutsch: Bedienerfreundlichkeit - von Produkten. Die Personalisierung der Technik ist seiner Ansicht nach mehr als nur ein Marketinggedanke, der Kunden an ein Produkt binden soll.

Schoen sieht prinzipiell zwei Ansätze, wie Bedienung, Inhalt und Funktionen der Geräte personalisierbar gestaltet werden können: "Entweder verändert der Kunde selbst die Eigenschaften, oder ein technisches System passt sich automatisch an die Gewohnheiten seines Besitzers an."

Zur ersten Kategorie gehört etwa, wenn Nutzer die Oberschalen von Handys austauschen, Funktionstasten individuell belegen oder neue Klingeltöne herunterladen. Zu tief in die Verästelungen der Software lassen die Hersteller den Nutzer dabei aber nicht; die Bedienlogik des Produkts darf nicht beeinträchtigt werden.

Auswahl mit Profil

Zur zweiten Kategorie, der automatischen Personalisierung, gehören "Collaborative Filtering"-Ansätze, wie sie etwa Online-Geschäfte wie Amazon.com praktizieren. Die Software bietet dem Kunden Produkte an, die ihn interessieren könnten - ermittelt werden sie anhand des bisherigen Kaufverhaltens und eines Vergleichs mit anderen Nutzern.

Ein ähnlicher Ansatz ist das Siemens-interne Enterprise-Portal, das künftig auf einzelne Mitarbeiter zugeschnittene Inhalte zusammenstellen soll. Auswahlkriterien sind dann im System hinterlegte Profile. Sie enthalten etwa das Jobprofil und den Einsatzbereich des Mitarbeiters. Statt eines vordefinierten Profils könnte auch eine selbst lernende Software den Nutzer "beobachten", wie er mit den Funktionen eines Geräts umgeht. Diese Entwicklung steht bei Enterprise-Portalen allerdings noch am Anfang.

Unproblematisch ist eine automatische Personalisierung aber nicht, gibt Schoen zu bedenken: "Wenn der Benutzer nicht weiß, welche Daten eine Software über ihn sammelt, können Überwachungsängste aufkeimen." Und eine automatische Anpassung an das Nutzerverhalten werde auch nur akzeptiert, "wenn die Bedienung sich nicht ständig so ändert, dass sie den Nutzer verwirrt und er öfters umlernen muss". Jede Art der Personalisierung müsse deshalb immer transparent und nachvollziehbar bleiben.

Schoens Kollege Bernd Holz auf der Heide vom Siemens-Bereich Communications (Com) nennt ein Beispiel: Wenn ein Nutzer künftig jeden Freitag um die gleiche Zeit sein Handy in einen Wochenendmodus schaltet und am Montag wieder auf seine Business-Oberfläche wechselt, könnte eine selbst lernende Software das automatisieren. "Das Gerät muss aber den Nutzer vorher fragen, ob er umschalten möchte", sagt der gelernte Psychologe, der sich in der Entwicklungsabteilung der Mobiltelefone um adaptive Systeme kümmert. Ähnlich funktionieren könnte das Herunterladen von Musik aus dem Netz. Das Handy oder der dahinterstehende Server merkt sich bereits gehörte Titel und kombiniert daraus den Musikgeschmack des Nutzers. Beim nächsten Einloggen könnten dann passende Musiktitel angeboten werden. In diese Richtung geht beispielsweise heute schon das Angebot des Musikportals von Yahoo.

Handy mit Gefühl

Das "CX70 Emoty" von Siemens ging als Erstes in Richtung einer stärkeren Personalisierung. Das Mobiltelefon reagiert auf Berührungen und kann Stimmungen per Bild an einen Gesprächspartner übermitteln. Über die Tastatur werden 3-D-Figuren gesteuert, die bis zu zehn Gefühlsregungen zeigen. Per MMS (Multimedia Messaging Service) werden diese Animationen verschickt.

"Die Emoty-Figuren sind aber nur die zarten Anfänge einer Technik, die wir Avatare nennen", erklärt Holz auf der Heide. Diese 3-D-Figuren müssen heute noch manuell in Stimmung gebracht werden, aber "in der nächsten Generation können solche Avatare wesentlich mehr". Zum Beispiel wird man nicht nur das Aussehen eines Avatars bestimmen können, auch sein Verhalten wird differenziert einstellbar sein. "Künftig wird der Avatar ein individueller Ansprechpartner sein, er tritt wie ein persönlicher Butler auf und kann möglicherweise sogar auf Emotionen des Besitzers reagieren", sagt Holz auf der Heide. Über die Handykamera ließe sich dann beispielsweise die Mimik des Benutzers erfassen und mit einer Bilderkennungssoftware dessen emotionaler Zustand einschätzen.

Weitere Sensoren könnten nicht nur auf Bewegungen des Handys reagieren, sondern die emotionale Disposition des Nutzers etwa über die Hautfeuchtigkeit oder den Hautwiderstand erfassen. "Personalisierte Dienste und Angebote werden ein wichtiger Trend sein", prognostiziert Holz auf der Heide. "Das Mobiltelefon ist dafür ein ideales Medium, denn es kann die reale Welt des Nutzers zu jeder Zeit und an jedem Ort bedarfsgerecht erweitern", beispielsweise in der virtuellen Welt: Ein Avatar könnte selbstständig durchs Netz reisen und nach interessanten Angeboten suchen.

Die Autozubehörindustrie lebt davon

Ein dankbares Objekt für Personalisierung ist auch das Auto - eine ganze Zubehörindustrie lebt davon. Bereits 2003 stellte Siemens auf der Internationalen Automobilausstellung (IAA) die Studie eines modularen Cockpits aus Fahrer-, Beifahrer- sowie Mittelkonsole vor. Inzwischen wurde das Konzept mit Ideen aus der PC-Welt weiterentwickelt: Der Fahrer kann oft genutzte Multimedia-Funktionen mit wenigen Handgriffen in einer Favoritenliste sammeln und damit schneller auf seine Lieblingsradiosender, CD-Titel oder Telefonnummern zugreifen. Wichtige Informationen wie Geschwindigkeit oder Fahrtroute projiziert ein Head-up-Display auf die Windschutzscheibe. Auch da bleibt dem Nutzer die Wahl, welche Inhalte er lieber auf der Scheibe oder auf einem Kombi-Instrument in der Armaturentafel angezeigt haben möchte.

Ideal wäre es für Guido Meier-Arendt, Spezialist für Mensch-Maschine-Schnittstellen bei Siemens VDO, wenn "statt elektromechanischer Anzeigeinstrumente künftig nur noch Displays verwendet würden". Dann gäbe es ganz neue Chancen: Aus einem Baukasten verschiedener Kombi-Instrumente könnte der Nutzer seine Favoriten auswählen, etwa ob die Tankuhr im Blick sein soll oder der Drehzahlmesser.

Auch für das Multimedia-Display, mit dem Radio, CD, DVD oder TV bedient werden, hat Meier-Arendt neue Ideen. Warum sollte sich der Kunde mit verschiedenen Benutzeroberflächen herumschlagen, wenn er die Menüs seiner häuslichen Stereoanlage oder seines PDAs (Personal Digital Assistent) gewöhnt ist? Es wäre einfacher, sie auch im Auto zu verwenden.

Projekt Smart Home

Für Siemens sind das nicht nur Gedankenspiele. Seit längerem erarbeiten Teams im unternehmensweiten Projekt "Smart Home" Ideen für gemeinsame Benutzeroberflächen. Zunächst sollen alle Geräte in Haus und Wohnung vernetzt und dann über Telekommunikationsnetze nach draußen verbunden werden. Die Deutsche Telekom hat im März 2005 ein Demonstrationshaus in Berlin eröffnet, in dem wechselnde Bewohner die intelligenten Anwendungen testen konnten - auch hier waren Objekte aus der Siemens-Forschung integriert. In diesem Haus konnten Fernseher, Jalousien und Beleuchtung bequem vom Sofa aus mit dem PDA gesteuert werden. Das Schnurlostelefon diente als universelles Informations- und Kommunikationsgerät, um etwa Besucher an der Haustür über die Türsprechstelle zu empfangen. Auch von unterwegs konnten sich die Bewohner mit dem Handy in die Hauszentrale einwählen und etwa die Heizung regulieren oder prüfen, ob die Herdplatte noch eingeschaltet ist - und sie dann ausschalten.

Experten sind sich einig, dass diese Entwicklungen keine Zukunftsmusik bleiben, sondern ihren Weg in die Realität finden werden - die Frage ist nur, mit welcher Geschwindigkeit. "Bedarf und Angebot müssen übereinstimmen. Wenn der Datenschutz verletzt wird oder ein negatives gesellschaftliches Klima entsteht, dann wird sich die Personalisierung langsamer durchsetzen", urteilt der Wirtschaftsinformatiker Prof. Peter Mertens von der Universität Erlangen-Nürnberg.

Für Prof. Norbert Szyperski von der Betriebswirtschaftlichen Forschungsgruppe Innovative Technologien an der Universität Köln steht fest, dass "die Personalisierung bei technischen Lösungen eine zentrale Aufgabe der kommenden Jahre sein wird". Und der Usability-Experte von Siemens, Stefan Schoen, bringt es auf den Punkt: "Personalisierung muss für den Anwender einen klar erkennbaren Mehrwert haben, für den er auch bereit ist zu bezahlen."

(Pictures of the Future/ Marzena Fiok)

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