Personalengpass treibt die Einstiegsgehälter nach oben

11.05.1998

MÜNCHEN: Kaum zuvor war die Nachfrage nach IT-Experten so groß wie heute. Und noch nie waren die Gehaltsvorstellungen von Bewerbern so hoch wie zur Zeit. Das Management steht vor der Alternative "einstellen und zahlen" oder eben nahezu keine geeigneten Spezialisten mehr rekrutieren zu können. Eine Situationsschilderung von Stefan Rohr*.Zunehmend beklagen Personal- und IT-Verantwortliche die Situation im Spezialisten-Markt der Informations- und Kommunikationstechnik. Einerseits steigt in der IuK-Branche die Anzahl der Arbeitsplatzangebote lebhaft, andererseits bleiben die Erfolge innerhalb der Rekrutierung überproportional häufig aus. Menge und Qualifikation des geeigneten Bewerberpotentials sind nicht nur rapide gesunken, in manchen Funktions- oder Technologiebereichen bewegen sie sich nahezu am Nullpunkt. Erfahrene Spezialisten sind somit zu einer der gefragtesten "Waren" geworden.

Diese Situation erlaubt es wechselwilligen Kandidaten, ihren Marktwert neu zu "bewerten" und sich an die hohe Nachfrage mit entsprechend hohen Gehaltsforderungen anzupassen. Das Personalmanagement kann den vorherrschenden Gehaltsforderungen der mühsam gesammelten Kandidaten jedoch nicht entsprechen, da ansonsten die gesamte Gehaltsstruktur des Unternehmens in eine gefährliche Schieflage geraten würde. Nicht nur, daß die vielleicht schon länger im Unternehmen tätigen IT-Spezialisten ihre Gehälter dann an die "neue" Situation angepaßt haben wollen, gleichsam unterliegen in vielen Unternehmen auch andersgeartete Funktionen einer Stellenbewertung mit den IT-Positionen. Eine immer stärker auseinanderklaffende "Schere" kann somit aus Gründen des Gehaltsgefüges und der Zusammenhänge in einem Unternehmen weder akzeptiert noch kostenseitig getragen werden.

Permanenter Wandel der Anforderungsprofile

Wer in die Zukunft blickt, ein wenig Berufserfahrung im Personal-management mitbringt, wird zudem wissen, daß es bereits in wenigen Jahren wieder zu Entspannungen in einiger dieser Spezialistenmärkte kommen wird, andere Techniken dann gefragt sind und im Unternehmen eine große Menge von Besitzständen vorherrschen, die in dieser Zeit weit über dem Marktgefüge liegen. Ein Abbau derartiger Funktionsträger oder gar eine Reduzierung der vereinbarten Gehälter wird kaum möglich sein.

Motive, Gründe und Zusammenhänge sind allen klar. Das hohe Investment der Unternehmen in die IuK-Technologie, die Globalisierung der Märkte und die damit zusammenhängende Erweiterung der IT-Technik im eigenen Unternehmen sowie die stetig anwachsende Komplexität der Geschäftsprozesse erfordert immer mehr und immer besser ausgebildete IT-Experten.

Nachwuchsarbeit häufig für die Konkurrenz

Schulung und Investition in die personelle und fachliche Entwicklung von Junior-Kräften werden seitens des IT- oder Personalmanagements kaum noch als attraktiv und erfolgbringend betrachtet, da die Kosten für die fachliche Aus- und Weiterbildung explodiert und betriebswirtschaftlich - insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Gehaltssituation - kaum noch rechenbar sind. Desweiteren erlauben es die Anforderungen und Aufgabenstellungen innerhalb der praktischen Arbeit in den meisten Fällen nicht, einen Junior-Experten mittelfristig zu entwickeln und erst in vielen Monaten in eine akzeptable Produktivität zu bringen. Und zuletzt die traurige Tagesordnung: Sind erst einmal die Junior-Kräfte teuerst ausgebildet und mit den ersten praktischen Erfahrungen ausgestattet, verlassen sie das Unternehmen, um attraktive Gehaltssprünge machen zu können. Die inakzeptable Abwanderungsquote innerhalb dieser Mitarbeitergruppen liegt - trotz findiger Personalmarketing-Politik - deshalb nicht selten über 75 Prozent.

Berufseinsteiger, die mit einem Jahresgehalt von 75.000 Mark und mehr in die Praxis geraten, in den ersten 18 Monaten noch einmal für knappe 100.000 Mark aus- und weitergebildet werden, fordern nicht selten noch im zweiten oder dritten Beschäftigungsjahr Gehälter von 120.000 Mark. Diese Kandidaten sind dann vielleicht gerade 30 Jahre alt, haben zwei bis drei Jahre Erfahrung gesammelt und stehen im unternehmensinternen Stellenvergleich gegebenenfalls auf derselben Ebene wie der junge Maschinenbauingenieur, der allerdings mit einem jährlichen Salär von 65.000 Mark in den Gehaltskatalogen steht.

Hier hat das Personalmanagement keine Chance mehr, die Forderungen - ob nun marktberechtigt oder nicht - des jungen IT-Experten zu erfüllen. Dieser verläßt dann das Unternehmen, wechselt zum Wettbewerb oder in die Beratungsbranche und sorgt so für einen Beitrag zum Pusch der beklagten Gehaltsschraube.

Gehälter müssen ins Gesamtgefüge passen

Den hochgeschnellten Gehaltsforderungen generell zu entsprechen, somit den Usancen des Marktes uneingeschränkt zu folgen, kann keinem Unternehmen wirklich angeraten werden. Die sozialgesetzliche Besitzstandsabsicherung sorgt zu sehr für eine Unvereinbarkeit zwischen momentanem Bedarf und den Grundlagen einer vernünftigen Personal- und Gehaltspolitik eines Unternehmens. Auch wenn der Druck für diese Neueinstellung enorm hoch ist, muß das Gesamtgefüge betrachtet werden. Gehaltsunterschiede von 40.000 bis 60.000 Mark innerhalb der vergleichbaren Funktion sind jedenfalls in den meisten Unternehmen weder strukturell noch mitarbeiterpolitisch realisierbar.

Ein wesentlicher Aspekt in der notwendigen Umorientierung liegt in der Bereitschaft der IT-Fachbereiche, ihre Anforderungen zu minimieren. Gesucht werden stets vollausgebildete und praxiserfahrene Experten, die den Aufgabenstellungen weitestgehend gerecht werden, hohes Entwicklungspotential aufweisen und möglichst keinerlei Ausbildungsbedarf hervorrufen. Die hieraus entstehenden Anforderungsprofile sind deshalb gehaltvoll, beinhalten präzise vorzuzeigende Qualifikationen sowie in aller Regel einen Ausbildungsmix aus IT-Technologie und betriebswirtschaftlichem Wissen. Mit dem stringenten Anspruch einer Paßgenauigkeit von 1:1 wird dann die Suche fundamentiert, ohne Bereitschaft, von geforderten 100 Prozent vielleicht auch einmal mit 60 Prozent die Einstellung auszusprechen.

Noch vor wenigen Jahren galt es im IT-Bereich, eine bestimmte Datenbank und eine bestimmte Programmiersprache zu beherrschen, dann war die fachlich Anforderungsliste nahezu abgearbeitet. Der Steckbrief heute sieht bei weitem anders aus. Und dieser hohe Grad der Spezialisierung macht es in vielen Bedarfssituationen nahezu unmöglich, auf eine ausreichende Menge an potentiellen Kandidaten zu stoßen.

Gehaltsforderungen stehen häufig in keinem Verhältnis zum Können

Die Gesamtproblematik innerhalb der Rekrutierung und der Vergütung von IT-Experten ist also weit verzweigt und resultiert aus den verschiedensten Zusammenhängen und Marktbedingungen. Der fehlende oder unzureichende Abgleich der Befähigungen in Gegenüberstellung zu den gehaltlichen Forderungen ist dabei einer der am weitesten verbreiteten Fehler innerhalb der Einstellungsprozesse. Unter der falschen Annahme, daß der Markt eben zur Zeit bestimmte Gehälter zahlt, werden von den Unternehmen Generalismen unterstellt, die lediglich auf eine Minorität zutreffen. Mit jedem Nachgeben allerdings wächst die Zahl der repräsentativen Beispiele und somit die Veränderung der Gegebenheiten.

Es bedarf einer engen Abstimmung zwischen dem Personalwesen und dem IT-Bereich eines Unternehmens, damit die Grundlagen und Bedingungen klar definiert und umgesetzt werden können. Auch die IT-Strategie hat die Bedingungen des Personalmarktes zu berücksichtigen. So sind viele der heutigen Probleme hausgemacht und hätten mit einer planvolleren Strategie in weiten Teilen entschärft oder gar vermieden werden können.

Neue Ideen und Konzepte sind gefragt

Als ein weiteres Kardinalproblem kann darüber hinaus angesehen werden, daß es dem IT-Management nur sehr wenig liegt, die geschaffenen Organisations- und Laufbahnstrukturen innovativ zu regenerieren und durch flexiblere Formen anpassungsfähiger zu gestalten. So drängen die IT-Manager immer weiter auf eine hohe Zahl intern gebundener Top-Experten. In jedem Fachbereich der IT-Landschaft müssen hochkompetente Spezialisten vorgehalten werden, Platz für den Einsteiger oder den Junior ist nur in Ausnahmefällen vorhanden. Nur in wenigen Unternehmen hat die Philosophie Einzug halten können, Kompetenzbereiche aufzubauen. Bereiche, in denen tatsächlich eine Gruppe von (hochbezahlten) Experten sitzen, die Know-how-seitig alle Sektoren übergreifend abdecken. Derlei "Interne Berater" sind nicht nur die Speerspitzen in Richtung der Fachbereiche, sie sind gleichfalls Mentoren und Fachführungskräfte, die die nachgeordnete Spezialisten-Crew betreuen, fachlich organisieren, das Projektmanagement und zudem Training und Erfahrungsvermittlung gewährleisten.

Derlei Kräfte müssen dann natürlich auch auf exorbitant gute Gehälter blicken können. Und die nachgeordnete Mannschaft unterliegt dann nicht mehr ausschließlich den Höchstansprüchen in punkto Wissen und Erfahrungen. Sie kann sich aus den verschiedensten Reifegraden zusammenstellen und bietet auf diese Weise wesentlich mehr Flexibilität innerhalb des Gesamtprozesses von der Rekrutierung bis zur Experten-Weihe.

*) Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Speyer/Hannover/München/Zug(CH)

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