Projektbericht: Landratsamt Rosenheim bekommt eine VoIP-Anlage

14.02.2002
Ende Oktober vergangenen Jahres nahm das Landratsamt Rosenheim ein Voice-over-IP-System (VoIP) in Betrieb. Konzipiert und umgesetzt wurde die Telefonanlage vom Netzwerkdienstleister Dimension Data. Die neue, IP-basierende Kommunikationslösung setzt auf rund 450 IP-Telefonen und zehn Vermittlungsstellen von Cisco.

Wir mussten nicht nur dringend in eine neue Telefonanlage investieren, auch unsere IT-Infrastruktur glich einem Flickenteppich und bedurfte dringend einer Runderneuerung." So umreißt Georg Vogl, Leiter Organisation im Landratsamt (LRA) Rosenheim, die Ausgangssituation in seiner Behörde. Knapp 30 Jahre lang war die analoge Telefonanlage mit knapp 500 Anschlüssen und 200 Kurzwahlzielen in Betrieb - im Laufe der Jahre kamen parallel zu den Datenleitungen mehr als 80 gemietete Standleitungen dazu, um weitere Nebenstellen in den insgesamt neun Standorten der oberbayerischen Behörde an die Zentrale anzubinden.

Gleichzeitig machten sich in der alten Anlage deutliche Schwächen bemerkbar, einzige mögliche "Komfort"-Funktionen waren Rufumleitung und -weiterleitung. Daraufhin installierte das Landratsamt in den Vorzimmern ISDN-Anlagen, um den Empfang von Faxen zu ermöglichen. Aber auch diese Maßnahme brachte nicht die erhoffte Entlastung. Denn immer öfter kam es zu Ausfällen, in denen ganze Nummernblöcke mit mehr als 50 Anschlüssen über Stunden nicht erreichbar waren.

Da sowohl die Telefonanlage als auch die IT-Infrastruktur erneuert werden sollten, entschied sich Vogl für eine Komplettlösung in Form eines VoIP-Systems (Voice over IP). "Eine traditionelle ISDN-Anlage hätte unseren Anforderungen nicht entsprochen", so Vogl gegenüber ComputerPartner.

Behörde als Dienstleister

"Wegen des generellen Strukturwechsels in der Verwaltung sind auch Behörden wie die unsere gezwungen, sich zum Dienstleister zu entwickeln - und das mit allen uns zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten", so der Organisationsleiter des Landratsamts. Wenn Bürger sich die zeitraubenden Behördengänge ersparen und stattdessen via Internet einen neuen Pass beantragen oder ihr neues Auto anmelden wollen, dann stehen die öffentlichen Ämter vor einer großen Herausforderung, lautet sein Fazit.

Hier fällt auch zum ersten Mal das Stichwort E-Government. Eine virtuelle Behörde ist allerdings nur mit Hilfe von Unified-Messaging-Lösungen realisierbar, denn nur diese übersetzen alle Nachrichtenarten wie Fax, SMS-Botschaften (Short-Message-Service) oder E-Mails in das gewünschte Format. Mittelfristig sollen beispielsweise alle in der Bauabteilung elektronisch erfassten Vorgänge dem Sachbearbeiter jederzeit zur Verfügung stehen. Bei Anfrage eines Kunden erscheinen seine Daten automatisch am Bildschirm.

"Im Vorfeld haben wir zwar eine Ausschreibung für eine traditionelle ISDN-Anlage ins Auge gefasst, allerdings wurde uns sehr schnell klar, dass diese Technologie unseren Anforderungen mittelfristig nicht genügen kann", erinnert sich Vogl. Gleichzeitig führt er die Argumente für eine IP-basierenden IP-Telefonielösung ins Feld: "Das System sollte möglichst ausfallsicher sein, damit die Behörde auch in Notfällen rund um die Uhr erreichbar ist. Um die Wartungskosten gering zu halten, wollten wir die Anlage selbst warten und nicht wie bislang diese Aufgabe einem externen Dienstleister übertragen."

Da dem Landratsamt Rosenheim einige bauliche Veränderungen ins Haus stehen, sollten auch Umzüge ohne großen technischen oder personellen Aufwand schnell und vor allem kostengünstig vonstatten gehen.

So fiel schließlich die Entscheidung für eine Voice-over-IP-Anlage aus dem Hause Cisco. Der Systemintegrator Dimension Data wurde beauftragt, eine WAN-Infrastruktur (Wide Area Network) für insgesamt neun Standorte, eine sprachfähige LAN-Infrastruktur (Local Area Network) sowie das komplette VoIP-Netzwerk aufzubauen und die IP-Telefonie-Lösung für rund 450 Anwender im gesamten Behördenverbund einzurichten. Insgesamt investierte das Landratsamt Rosenheim mehr als eine Viertelmillion Euro in die Lösung.

WAN mit sieben Außenstellen

"Das Rosenheimer Projekt hat den Vorteil, dass neben der Telefonanlage gleichzeitig die IT-Infrastruktur erneuert und in einem Schritt auf die Anforderungen von VoIP-Lösungen angepasst wurde. All dies geschah auf Basis eines komplett geswitchten Netzes", erklärt Ralf Gutewort, der das Projektmanagement beim Dienstleister innehatte. Hubs- und Shared-media-basierende Netzwerkinfrastruktur wäre dafür ungeeignet gewesen. Eine besondere Herausforderung war dabei die zunehmende Komplexität des Projekts durch die zusätzliche Einbindung von WAN-Strecken.

Im Zentrum der nun fertiggestellten VoIP-Anlage stehen zwei "Cisco Call-Manager MCS 7835-1000", die sowohl im Landratsamtsgebäude als auch im Jugendamt in Betrieb sind. Die Call-Manager arbeiten als Cluster-Verbund, das heißt, wenn ein Gerät ausfällt, übernimmt automatisch ein Zweites dessen Aufgaben. Dabei verbindet eine Dark-Fibre-Leitung beide Gebäude.

Die weiteren Dienststellen sind entweder über eine Zwei-Megabit-Standleitung oder einen gebündelten ISDN-Strang an das Landratsamt angeschlossen. Zur Sicherheit wurden fünf der sieben Außenstellen mit einer weiteren 64-Kbit-Backup-Leitung an das Landratsamt angebunden. Die sechste Außenstelle - das Gesundheitsamt Rosenheim - verfügt ebenfalls über eine zusätzliche ISDN-Leitung, um bei Ausfällen weiterhin erreichbar zu sein. Für den TÜV als siebten Standort hat das Landratsamt keine Backup-Möglichkeiten vorgesehen (siehe Grafik).

Die Sprachqualität von VoIP im LAN stellt laut Gutewort kein Problem dar, sofern das Netz entsprechend aufgerüstet und bei WAN-Verbindungen die Priorisierung der Sprachdaten gesichert ist. Allerdings erwies sich die Anbindung der Außenstellen über ISDN-Leitungen wegen der geringen Bandbreite als Hürde. Bei einer Datentransferrate von 128 Kbit/s wären die Verbindungen mit nur zwei Gesprächen bereits ausgelastet und die Standorte nicht mehr erreichbar. Zudem könnten die User nicht mehr auf die Daten in der Zentrale zugreifen.

Die Sprachpakete werden deshalb nach dem G729-Standard von 64 Kbit/s auf etwa 20 Kbit/s pro Kanal komprimiert, sodass mehrere Gespräche gleichzeitig vermittelt werden können. Der Call-Manager sorgt zusätzlich dafür, dass nicht mehr als fünf Telefonate gleichzeitig auf einer ISDN-Leitung geführt werden, und lässt dadurch Qualitätseinbußen während der Sprachübertragung erst gar nicht aufkommen.

Doch dann tauchten unerwartete Schwierigkeiten auf. Während der Implementierungsphase stellte sich nämlich heraus, dass Konferenzschaltungen auf komprimierten Verbindungen nicht möglich sind. Das Landratsamt entschied sich daher, in ein DSP-Modul (Digital Signal Processor) zu investieren. Diese Zusatzhardware dekomprimiert die komprimierten IP-Sprachpakete und ermöglicht damit wieder Konferenzschaltungen.

"Zwar bedeutete dies Zusatzkosten von mehr als 20.000 Euro, doch mit einer derart ausgestatteten Anlage können nun auch Faxe über das IP-Netz versendet werden", sagt Helmut Lechner, IT-Verantwortlicher im Landratsamt Rosenheim, und begründet damit die nicht vorgesehene Neuanschaffung. In der ursprünglichen Planung sollten nämlich Faxe weiterhin noch über eine alte ISDN-Anlage geschickt werden.

"Bei neuen Technologien ist bei Systemintegratoren und Auftraggebern an Flexibilität gefordert", resümiert Lechner. "Gerade zu Beginn mussten wir häufig neue Updates des Call-Managers in das System einspielen." Im Mai 2001, nach Abschluss der ersten Implementierungsphase, war beispielsweise ein Update für die Active-Directory-Koppelung notwendig, um das Benutzerverzeichnis auch in einer Windows-2000-Umgebung weiterhin verfügbar zu halten.. "Diese Möglichkeit bot allerdings erst die Version 3.1. des Call-Managers - dafür ist jetzt allerdings auch die Kennzeichnung privater Gespräche möglich", so Lechner weiter.

Doch was passiert, wenn einmal die Anbindung einer oder mehrerer Außenstellen an das Landratsamt oder das Jugendamt ausfällt? Wenn auch die Backup-Verbindungen versagen, wären diese Standorte telefonisch nicht mehr erreichbar, da sie über keinen eigenen Call-Manager verfügen. Um auch für diesen Fall gerüstet zu sein, stattete Dimension Data den Kunden mit Routern in jeder Niederlassung aus. "Bei Ausfall der Verbindung können diese Router die Funktionalität eines Call-Manager simulieren", so Lechner. Den größten Vorteil sieht er allerdings im offenen Standard von VoIP-Lösungen, denn dadurch sind Erweiterungen mit Drittanbieterprodukten möglich und Investitionen langfristig gesichert.

Mit VoIP Kosten sparen

Mit Funktionen wie Least-Cost-Routing sowie der gleichzeitigen Nutzung einer Leitung für Sprache und Daten hofft das Landratsamt, künftig rund 30 Prozent seiner Verbindungskosten einzusparen. Die Konfiguration der Anlage richtet sich stets nach der wirtschaftlich günstigsten Lösung für ein Telefonat. So werden heute viele Verbindungen, die früher als Ferngespräche tarifiert wurden, über das eigene Netz an die Außenstelle geleitet, die dem Angerufenen räumlich am nächsten liegt.

Außerdem macht die neue Lösung 80 bislang vorhandene Standleitungen überflüssig. Laut Vogl schlägt allein dies mit mehreren tausend Euro monatlich zu Buche. Allerdings werden sich dafür die Kosten für die Datenleitungen erhöhen. "In der Summe fahren wir aber wesentlich billiger, und das mit weitaus besserer Leistung", erzählt Lechner.

Während der Implementierungsphase der VoIP-Lösung blieb die alte TK-Anlage in Betrieb. "Allerdings kam das alte System nicht als Unteranlage des Neuen zum Einsatz, da beide Systeme nicht miteinander kommunizieren konnten", erklärt Vogl vom Landratsamt. Mit einer neuen Rufnummernkombination blieben Mitarbeiter der Behörde telefonisch erreichbar. Sie haben zwar ihre alte Nummer beibehalten, aber ihre Durchwahlen bestanden nun aus vier statt wie bisher drei Ziffern. War der Nummer eine "8" vorgestellt, wurden die Anrufe automatisch auf die neue VoIP-Anlage umgeleitet. Ohne die "8" gingen die Gespräche über die alte Anlage. "Trotz dieses Tricks kam es allerdings zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen - auch seitens der Mitarbeiter. Die Erreichbarkeit unserer Behörde war in dieser Umstellungszeit nicht eben optimal", bedauert Vogl.

Seit November 2001 ist nun die alte TK-Anlage im Ruhestand, und die Kommunikation läuft ausschließlich auf der neuen Lösung. Hierzu setzen die Mitarbeiter des Landratsamtes Rosenheim rund 450 VoIP-Telefone ein. Zu Beginn nutzten sie nur zwei Features der neuen Technologie: Sprache und Least-Cost-Routing. Inzwischen ging auch der Faxversand und -empfang in Betrieb und läuft bis dato reibungslos. Unified-Messaging-Werkzeuge und die Voice-Boxen sollen sukzessive zum Zuge kommen.

www.de.didata.com

ComputerPartner-Meinung:

Man kann sich darüber streiten, ob ausgerechnet der Steuerzahler "Netzwerk-Spielereien" via "Voice over IP" finanzieren muss. Doch zurzeit spricht einiges für die Ablösung veralteter Telefonie-Infrastrukturen durch paketbasierende Sprachlösungen. Sicherlich ist ein derartiges Projekt nichts für einen Zehn-Mann-Betrieb, aber für größere Behörden eignet es sich durchaus. Dabei darf man sich nicht durch die derzeit noch horrenden Preise für die Endgeräte abschrecken. Auch wenn heute noch bis zu 500 Euro für ein IP-Telefon hinzublättern sind, dieser Betrag wird sich noch im Laufe dieses Jahres halbieren. (rw)

Solution Snapshot

Kunde: Landratsamt Rosenheim; www.landkreis-rosenheim.de Wittelsbacherstraße 53, 83022 Rosenheim Ansprechpartner: Georg Vogl, Leiter IT und Organisation Tel.: 080 31/392-0; Fax: 080 31/392-90 20

Problemstellung: Bedarf an einer neuen TK-Anlage bestand ohnehin, und auch die gesamte IT-Infrastruktur des Landratsamtes musste überabeitet werden.

Lösung: VoIP-Anlage von Cisco (siehe auch Kasten: Die Lösung auf einen Blick)

VAR: Dimension Data Germany AG & Co, Niederlassung München. Ohmstraße 3, 85716 Unterschleißheim; www.de.didata.com Ansprechpartner: Ralf Gutewort, Projektleiter Tel.: 089/321 816-63; Fax: 089/310 70 24 E-Mail: Ralf.Gutewort@eu.didata.com

Kontaktaufnahme: nach Ausschreibung; Kontakt zum Kunden bestand bereits vorher

Verhandlungsdauer: rund zwei Monate

größte Herausforderung: zunehmende Komplexität des Projekts durch die Einbindung von WAN-Strecken

unerwartete Schwierigkeiten: Nach Abschluss der ersten Implementierungsphase war ein Update für die Active-Directory-Kopplung notwendig, um das Nutzer-Verzeichnis in der Windows-2000-Umgebung jederzeit aktuell zu halten - dies war aber erst mit der Version 3.1 von "Call-Manager" möglich.

länger in Anspruch genommen als vorausgesehen hat: Erneuerung der IT-Infrastruktur; Anschaffung von neuen Netzwerkkomponenten (Lieferzeiten); Implementierung des "Call-Managers", Verlegung der WAN-Leitungen ("Dark Fibre") durch die Deutsche Telekom

Implementierungsdauer:

Phase I - Erneuerung der IT-Infrastruktur: Januar bis Mai 2001

Phase II - eigentlicher VoIP-Rollout: Juni bis September 2001

vom VAR aufgewendete Arbeitszeit: rund 25 Manntage

Kostenumfang des Projekts: rund 250.000 Euro

Verhältnis Hardware/Software/Dienstleistung: Hardware und Software: rund 225.000 Euro

Dienstleistung: rund 25.000 Euro

Service- und Wartungsverträge: Servicevertrag durch Dimension Data selbst realisiert

Schulung: erfolgte im Laufe des Projekts online

Benefit für Kunden: neues Telefonsystem mit hoher Investitionssicherheit; Unified-Messaging-Lösung; hohe Ausfallsicherheit des Systems, hohe Flexibilität bei Umzügen und Erweiterungen; die Behörde Landratsamt wird nun dem Anspruch, als Dienstleister aufzutreten, eher gerecht; entscheidenden Schritt in Richtung E-Government getan

Benefit für VAR: Das VoIP-Projekt im Landratsamt Rosenheim zählt zu den deutschlandweit größten Vorhaben im Behördenumfeld; insofern stellt das Projekt eine sehr gute Referenz für Dimension Data im Behörden-/Verwaltungsbereich, aber auch in anderen Branchen dar; dadurch sind Folgegeschäfte programmiert.

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