Student und Arbeitnehmer zugleich

11.10.2001
"Jung", "frisch von der Uni" und zugleich "berufserfahren" - so sollen Bewerber um IT-Stellen in Unternehmen sein. Diese Anforderungen lassen sich mit einem traditionellen Studium nicht erfüllen. Das hat die Lineas Systeme AG erkannt. Daher finanziert das Braunschweiger Unternehmen zwei angehenden Informatikern ihr Studium an der FHDW Hannover. Bei deren dualem Studienkonzept büffeln die Studenten die Hälfte ihrer Studienzeit an der Fachhochschule, die andere Hälfte arbeiten sie im Betrieb.

Pro Tag bekomme ich etwa fünf Bewerbungen auf den Tisch", berichtet Wiebke Schmidtmeyer von der Lineas Informationstechnik GmbH. "Qualifizierte Softwareentwickler, die unserem Anforderungsprofil entsprechen, sind aber nur selten dabei." Doch die braucht das Tochterunternehmen der Lineas Systeme AG dringend. Denn von der Flaute in der IT-Branche wurde es bisher verschont. "Deshalb entwickeln wir, indem wir Fachinformatiker und IT-Systemkaufleute ausbilden, selbst unseren Nachwuchs", so die Personalverantwortliche des Software- und Beratungsunternehmens. Neben mehreren Auszubildenden stehen auch zwei Studenten der Fachhochschule für die Wirtschaft Hannover (FHDW) auf der Gehaltsliste der Lineas-Gruppe.

Einer davon ist Axel Faustmann. Er studiert seit September 2000 Wirtschaftsinformatik an der privaten Fachhochschule. In diesem Studiengang wechseln sich Theoriephasen an der Schule und Praxisphasen im Betrieb regelmäßig im Drei-Monats-Rhythmus ab. "Wegen dieser Praxisorientierung und der kurzen Studiendauer von drei Jahren entschied ich mich für das Studium an der FHDW", betont der 25-Jährige.

Theorie und Praxis parallel

Theorie und Praxis sind eng miteinander verknüpft. Dieses Konzept begeisterte auch Nils Probson. Deshalb bewarb er sich an der FHDW. Nach bestandener Aufnahmeprüfung suchte er - wie Faustmann - ein Unternehmen, das ihm nicht nur die Studiengebühren finanziert, sondern auch einen Praktikumsplatz zur Verfügung stellt. Dabei half ihm die FHDW. Probson erhielt nach der Aufnahmeprüfung eine Liste der Unternehmen, mit denen die Fachhochschule kooperiert. "Darauf stand auch die Lineas AG", berichtet Probson. Deren Tätigkeitsfeld entsprach seinen Vorstellungen. Der angehende Student bewarb sich bei der AG.

Zwei Vorstellungsgespräche folgten, dann stand Probson auf der Gehaltsliste der Lineas Integral Software GmbH, eines weiteren Unternehmens der Lineas-Gruppe. Diese trägt nämlich nicht nur seine Studiengebühren und bietet ihm einen Praktikumsplatz, sie zahlt ihm auch ein Praktikumsentgelt. Ebenso ist es bei Faustmann. "Das monatliche Entgelt der FHDW-Stu-denten orientiert sich an der Ausbildungsvergütung für Fachinformatiker", vergleicht Schmidtmeyer.

Für das Braunschweiger Unternehmen rechnet sich diese Investition offensichtlich. Warum, erläutert Schmidtmeyer: "Wir gewinnen so - über einen Zeitraum von drei Jahren betrachtet - zwei Mitarbeiter, die aufgrund ihres Studiums nicht nur hoch qualifiziert, sondern auch mit den Abläufen in unserem Unternehmen und unseren Arbeitsinhalten vertraut sind."

Verantwortung im Praktikum übernehmen

Dies setzt voraus, dass die Studenten in den Praktikumsphasen ihres Studiums aktiv mitarbeiten. Das tun sie auch: So arbeitete Faustmann schon im ersten Praxisquartal in einem Projekt für einen Firmenkunden der Lineas Informationstechnik GmbH mit. Er half beim Entwickeln einer Datenbankanwendung für dessen Logistik. Betreut wurde er dabei von dem Projektverantwortlichen. Er stand ihm als Mentor mit Rat und Tat zur Seite.

Dies war auch nötig, denn die Anwendung, die in dem Projekt entwickelt wurde, war recht anspruchsvoll. Faustmann: "In der Datenbank sollte unter anderem erfasst werden, welche Transporte wann unternommen wurden, welcher Dienstleister dafür zuständig war und welche Kosten entstanden." Doch damit nicht genug: "Sie sollte zudem die gesammelten Daten auswerten können, um die Logistik zu optimieren." Faustmanns Aufgabe dabei: einen Teil der Auswertungssoftware einzurichten. Zugute kamen ihm dabei seine Vorkenntnisse in MS Access und Visual Basic.

Bei seiner Arbeit kommunizierte Faustmann auch häufig mit Vertretern des Kunden - zum Beispiel, um die von ihm entwickelte Problemlösung genau auf deren Bedarf abzustimmen. Dadurch arbeitete er sich so tief in die Materie ein, dass er zu Beginn des zweiten Praxisquartals die Urlaubsvertretung für seinen Mentor, den Projektleiter, übernahm. "Dies war nur möglich, weil die Kunden Herrn Faustmann als kompetenten Ansprechpartner akzeptieren", erklärt Schmidtmeyer.

Informatiker müssen auch kommunikativ sein

"Herr Faustmann ist zudem unkompliziert und sehr kommunikativ", so die Personalverantwortliche über den Studenten. "Dies erleichtert ihm nicht nur den Umgang mit Kunden. Er passt auch gut in unser Team." Denn ausgeprägte soziale und kommunikative Fähigkeiten sind für die Arbeit bei Lineas sehr wichtig. "Unsere Mitarbeiter müssen Freude am Umgang mit Menschen haben", erklärt die Personalerin.

Das allein genügt aber nicht. Zusätzlich müssen sie komplexe Zusammenhänge und abstrakte Prozesse in ihrer Gesamtheit erfassen, durchdringen und verstehen können. Ob bereits Programmierkenntnisse vorhanden sind, ist hingegen ein eher untergeordnetes Kriterium bei der Auswahl der Studenten und Auszubildenden. "Das Programmieren komplexer Software ist schließlich das Endziel der Ausbildung", erläutert die studierte Juristin. Schmidtmeyer. "Ein Nachteil sind Vorkenntnisse aber nie", betont Probson. Wie viele FHDW-Studenten sammelte er schon während der Schulzeit erste Erfahrungen in der Systemadministration.

Bei der Lineas Integral Software GmbH, die vorwiegend die Basisarchitektur für Unternehmenssoftware entwickelt, erwartete ihn im ersten Praxisquartal schon eine "kleinere Programmieraufgabe". Er sollte eine Oracle-Datenbank optimieren. "Genauer gesagt, habe ich eine Altdatenmigration vorgenommen, um sie an unser Produkt anzupassen", berichtet Probson. "Fehler in der Datenbank konnte ich so korrigieren."

Hochschule und Unternehmen helfen weiter

Einen festen Mentor hat der 21-Jährige im Gegensatz zu Faustmann nicht. "Lineas Integral Software ist noch relativ klein. Meist sind nur sechs, sieben Leute im Büro anwesend. Da kann ich jeden fragen." Für fachliche Fragen stehen zu-dem jederzeit die Professoren der FHDW als Ansprechpartner bereit. Sie vermitteln in den Theoriephasen jeweils das nötige Wissen für das nächste Praxisquartal.

Jeder Theorieblock endet mit mehreren Prüfungen. Für die Studenten bedeutet dies aber nicht nur Lernstress. "Durch die Prüfungen erhalte ich ein direktes Feedback darüber, wo ich mit meinen Leistungen stehe", erklärt Probson. "Ob ich den Stoff wirklich verstanden habe, merke ich aber meist erst in der Praxis." Zeigen sich dann gravierende Lücken, rufen die Studenten oft einfach beim Fachbereichsleiter Informatik der FHDW an. An öffentlichen Hochschulen ist dies wegen ihrer Größe kaum denkbar. "Dort erfährt man auch erst nach dem Studium, welche Relevanz das Gelernte für die Praxis hat", ergänzt Faustmann. Der angehende Wirtschaftsinformatiker weiß, wovon er spricht. Bevor er an die mit knapp 300 Studenten relativ kleine Fachhochschule kam, studierte er mehrere Semester Rechtswissenschaften an einer öffentlichen Hochschule.

Während ihrer Praktika registrieren die beiden Studenten auch, welche Dinge in den vorbereitenden Theoriephasen an der FHDW nicht angesprochen wurden. Als Mitglied der Fachschaft kann Faustmann so gezielt Einfluss auf die Qualität der Lehrveranstaltungen nehmen. "Wir sagen der Hochschulleitung und den Professoren sehr konkret, was sie aus Sicht der Studenten verbessern könnten." Sie stoßen dabei auf offene Ohren. Anders als bei manch größerer Uni gibt es an der FHDW nämlich kei-ne "Zwei-Lager-Mentalität". Faustmann: "Bei uns ziehen Dozenten und Studenten an einem Strang. Die Professoren kennen die Namen all ihrer Studenten, und der Kontakt ist sehr persönlich."

Beim Studieren das Projekt im Auge behalten

Zu "ihrem" Unternehmen halten die beiden auch während der Theoriephasen den Kontakt. "Schließlich will ich wissen, wie es mit den Projekten, an denen ich mitgearbeitet habe, weitergeht", erklärt Probson. "Ab und zu schaue ich auch persönlich vorbei." Dieses Engagement freut auch den Geschäftsführer von Lineas Integral Software Jörg-Volker Müller. "Deshalb haben wir ihm auch unsere Systemadministration übertragen." Doch nicht nur diese Aufgabe erledigt der Student, seit er im zweiten Praxisblock wieder täglich zwischen Hannover und Braunschweig pendelt. Zurzeit testet er die Software anderer Hersteller - "vor allem deren Benutzerfreundlichkeit".

Auch Faustmann wurden im zweiten Praxisquartal komplexere Aufgaben übertragen. Außerdem bezog er ein neues Arbeitszimmer. Weiter wurden ihm zwei neue Mentoren zugewiesen, mit denen er das Büro teilt. Schmidtmeyer hierzu: "Herr Faustmann soll während seines Studiums möglichst viele Stationen in unserem Unternehmen durchlaufen. Außerdem soll er sich in möglichst viele Fachgebiete einarbeiten. Deshalb wechseln auch die Mentoren, da Herr Faustmann stets von dem im jeweiligen Fachgebiet kompetentesten Kollegen betreut werden soll."

Im zurückliegenden Theorieblock an der FHDW begann Faustmann damit, objektorientiertes Programmieren mit Java zu erlernen. Diese Kenntnisse kann er nun in dem Projekt vertiefen, das seine neuen Mentoren betreuen. Unter anderem soll er eine Schnittstelle zu den Servern des Auftraggebers programmieren. Faustmann: "Das Programm, das wir entwickeln, ist auf Informationen, die auf den Servern des Kunden gespeichert sind, angewiesen. Deshalb benötigen wir die Schnittstelle."

Trotz ihres straffen Unterrichtsplans haben die beiden Studenten ihre Entscheidung nicht bereut. "Die Arbeitsbelastung ist zwar höher als bei einem Studium an einer staatlichen Hochschule", so Faustmann. "Aber um abends mit Kollegen oder Mitstudenten ein Bier zu trinken, reicht die Freizeit allemal."

Der Autor Matthias Dreschert ist freier Journalist in Darmstadt.

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