Unangepasste Mitarbeiter mit neuen Augen sehen

11.10.2001
Kreativität im Betrieb erfordert selbständige Mitarbeiter, denen entsprechende Freiräume zugestanden werden. Doch die Realität sieht in vielen Unternehmen anders aus. Hartmut Volk* sprach mit Professor Olaf-Axel Burow von der Gesamthochschule Kassel über die Gefahren festgezurrter Meinungen und innerer Erstarrung.

Routine ist ein wichtiges betriebliches Funktionselement. Beginnt aber dieses automatische, kanalisierte Denken und Verhalten das betriebliche Geschehen zu dominieren, ist Gefahr im Verzug. Wie können Betriebe vor schleichender innerer Erstarrung und geistiger Erstickung bewahrt werden?

Für den Kasseler Kreativitätsforscher und Organisationsentwickler Professor Olaf-Axel Burow besteht die Kunst, einen Betrieb geistig wach, funktional lebendig und situativ aufgeschlossen zu erhalten, unter den heutigen Bedingungen darin, so viel Ordnung wie nötig zu schaffen und so viel Unordnung wie möglich zuzulassen. Er spricht denn auch gerne von den "vitalisierenden Kräften der Unordnung". Burow: "Wer kreative Kräfte will, muss die betriebliche Regelungsdichte reduzieren."

Voraussetzung dafür ist laut Burow eine Revision des betrieblichen Bewusstseins. Darunter versteht er, sich die gewohnten betrieblichen Konstruktionsmuster von Wirklichkeit bewusst zu machen, blinde Flecken zu entdecken und neue Räume im Denken und Handeln zu öffnen. Kurz: immer wieder und in jeder Hinsicht festzustellen, dass es auch anders geht. "Für Menschen wie Betriebe darf es keine absoluten Wahrheiten geben", mahnt Burow. Und schon gar nicht, setzt er hinzu, "darf die betriebliche Wahrheit mit der Höhe der innerbetrieblichen Position verheiratet werden".

Nonkonformistische Geister eher als Plage betrachtet

Das Problem dabei ist: Zur Revision ihres Bewusstseins brauchen Betriebe Menschen, die sich trauen, Gewohntes in Frage zu stellen, Vertrautes aus neuer Perspektive zu betrachten, scheinbar Unzusammenhängendes zusammenzubringen und # die keine Angst vor Fehlern haben. Doch bislang werden diese nonkonformistischen Geister eher als Plage denn als Gewinn für den Betrieb betrachtet.Wer die Dinge respektlos gegen den Strich bürstet, sich den Teufel um das gestern Richtige kümmert, nicht nur 'quer' denkt, sondern gelegentlich auch quer durch die Hierarchie Vorstellungen zu realisieren versucht, Fehler nicht vertuscht, sondern offen anspricht und sie nicht nach den Kriterien der Schuldzuweisung, sondern des Dazulernens analysiert, der muss damit rechnen, eher zum Abschuss freigegeben oder kaltgestellt zu werden, als für seine Initiative und seinen Mut belohnt zu werden.

"Wenn wir den lebendigen Betrieb wollen, und mit Blick auf das Geschehen haben wir doch gar keine andere Wahl, dann müssen wir anfangen", betont Burow, "geistig und praktisch unkonventionelle Gestalten mit anderen Augen zu sehen. Wir müssen sie identifizieren und ihnen einen Freiraum schaffen, in dem sie sich mit Synergiepartnern zu einem ,kreativen Feld# vernetzen und für neue Impulse im Betrieb sorgen können."

Firmen verharren in Lethargie

Professor Burow ist sich der Tragweite seiner Forderung sehr wohl bewusst. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er immer wieder mit der Tatsache konfrontiert wird, dass manche Betriebe in "Atem verschlagender Weise lethargisch" sind, obwohl die einzelnen Belegschaftsmitglieder durchaus Pep haben - was sie mit teilweise bemerkenswerten Feierabendaktivitäten überzeugend unter Beweis stellen.

"Es ist doch schizophren", schimpft Burow: "Derselbe Mensch ist im Privatleben Stadtbrandmeister bei der Freiwilligen Feuerwehr, trägt eine enorme Verantwortung und muss blitzschnell Entscheidungen treffen und Maßnahmen einleiten, und wenn er im Betrieb in nicht betriebsgenehmer Manier den Mund aufmacht, lässt man ihn auflaufen. Mir begegnen in den Betrieben immer wieder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die werden von ihren Vorgesetzten an der ganz kurzen Leine geführt, und privat stellen sie die tollsten Dinge auf die Beine, leiten ehrenamtlich Vereine, Hilfsorganisationen, Bürgerinitiativen, sind begnadete Computerkapazitäten und was weiß ich noch alles, und die Betriebe nutzen diese Power einfach nicht. Das ist doch Ressourcenverschwendung - zum Heulen!"

Der Schlüssel zum Verständnis dieser Diskrepanz und damit gleichzeitig zur Problemlösung liegt für Burow in den weit verbreiteten betrieblichen Glaubenssystemen, die jedweden eigenständigen geistigen Freiflügen den Luftraum sperren. "Will ich den lebendigen Betrieb will, dann muss ich den Belegschaftsmitgliedern sozusagen in jeder Hinsicht geistige Starterlaubnis geben und den betrieblichen Himmel von ,dominierenden Sichtweisen mit Konkurrenzausschluss# befreien."

Vom müden Schlappen zum flotten Tanzschuh

Spielwitz und von festgezurrten Überzeugungen vorgezeichnete Spielzüge schließen sich aus für den 50-Jährigen, der sich selbst scherzhaft als Spezialist für betriebliche Wiederbelebung bezeichnet. Dies erklärt für ihn auch, warum Neues so oft in Randzonen oder außerhalb unserer etablierten Betriebe entsteht. Und eben Mitarbeiter "im Betrieb müde Schlappen und nach Feierabend flotte Tanzschuhe" sind.

Wenn wir Betriebe geistig leben-dig erhalten, wenn wir sie vor innerer Erstarrung bewahren wollen, dann, so seine Aufforderung an Unternehmer und Geschäftsführer, müssen Fragen wie diese gestellt werden:

- Dank welcher spezifischen Maßnahmen trägt die Unternehmenskultur zur Steigerung des Bemühens um innovatives Denken und Handeln bei?

- Wie wirkt sich diese Unternehmenskultur auf das Gesamtsystem, die Strukturen, Gratifikationen und Stellenbeschreibungen aus?

- Wie wird die notwendige offene innerbetriebliche Geisteshaltung zu etwas Spürbarem und Animierendem, so dass die Mitarbeiter unmittelbar die Bedeutung des Scheuklappen freien Arbeitens begreifen?

*Hartmut Volk ist freier Wirtschaftspublizist in Bad Harzburg.

Lesetipps

Olaf-Axel Burow: Die Individualisierungsfalle: Kreativität gibt es nur im Plural. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 1999, 163 Seiten

Olaf-Axel Burow: Ich bin gut - wir sind besser. Erfolgsmodelle kre-ativer Gruppen. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2000, 278 Seiten

Karl-Heinz Brodbeck: Entscheidung zur Kreativität. Primus/Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Darmstadt, 2. Auflage 1999

Mihaly Csikszentmihalyi: Kreativität - Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 5. Auflage 2001, 646 Seiten

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