McKinsey-Studie

Unternehmen beziehen IT nicht in die Strategie ein

Werner Kurzlechner lebt als freier Journalist in Berlin und beschäftigt sich mit Rechtsurteilen, die Einfluss auf die tägliche Arbeit von Finanzentscheidern nehmen. Als Wirtschaftshistoriker ist er auch für Fachmagazine und Tageszeitungen jenseits der IT-Welt tätig.
Eine McKinsey-Umfrage belegt, dass Unternehmen umso besser laufen, je intensiver sie IT und die IT-Leiter in die Geschäftsstrategie einbinden.

Datenanalyse wird zwar immer wichtiger, was unter anderem zu einer weiteren Aufwertung der Rolle des CIOs führen kann. Doch nicht jeder findet's spitze, wie zum Beispiel Charles Barkley. "Ich habe Analysen immer für Schrott gehalten", meint die Basketball-Legende, die als Eckpfeiler des Dream Teams um Michael Jordan, Larry Bird und Magic Johnson Gold für die USA bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona erspielte. "Diese Typen, die Organisationen leiten und über Analysen quatschen, haben eines gemeinsam: Es sind Kerle, die selbst nie gespielt haben, in der High School keine Mädchen abbekamen und sich jetzt einfach hineindrängeln wollen."

McKinsey fragte unter anderem nach den aktuellen IT-Prioritäten. Die Antworten von IT-Chefs auf der einen und Business-Managern auf der anderen Seite unterscheiden sich zum Teil erheblich.
McKinsey fragte unter anderem nach den aktuellen IT-Prioritäten. Die Antworten von IT-Chefs auf der einen und Business-Managern auf der anderen Seite unterscheiden sich zum Teil erheblich.
Foto: McKinsey

Nerds am Szepter

Charles Barkley hat bei seinen Worten zwar nicht x-beliebige Unternehmen im Sinn, sondern die Finanzstrategen im Profisport und vermutlich auch die Statistiker in den Trainerstäben. Für Tom Kaneshige, Autor unseres amerikanischen Schwestermediums CIO.com, passt das klischeegeladene Zitat des Ex-Sportlers aber hervorragend zu aktuellen Entwicklungen in den USA: Die Nerds übernehmen das Szepter von den beliebten Vollblutmenschen. Wissenschaft siegt über Verkäufermentalität, die Mathematiker verdrängen die intuitiven "Mad Men".

Kaneshige diagnostiziert das in einem Artikel, der IT-Leiter zu den aufstrebenden Sternen in den Vorständen erklärt. Flankiert und bestätigt wird dieser Befund von aktuellen Analysen aus dem Hause McKinsey.

Ankerpunkt der Entwicklung ist die zunehmende Digitalisierung der Firmen. "Jede Abteilung – von Marketing über Sales, Kundendienst und Finance bis hin zu Personal – unterläuft ein digitales Lifting", schreibt Kaneshige. "Gleichzeitig ist jede Führungskraft auf bemitleidenswerte Weise unfit, mit Technologie ohne Unterstützung des CIOs zurechtzukommen."

Das gelte zum Beispiel für die "Schwarze Kunst" der Datenanalyse, ohne die Marketingabteilungen aufgeschmissen wären. Und auch für das Unternehmen als Ganzes angesichts des Risikos, dass der eigene Ruf etwa durch einen über Twitter bekannt gemachten Sicherheitsvorfall in den Abgrund purzeln kann. Technologie-bewusste Firmen hätten deshalb die Bedeutung des Zusammenspiels von Social Media, Mobile IT, Analytics und Cloud Computing erkannt, das sich längst im Kürzel SMAC manifestiert.

Neue Dimensionen im CIO-Profil

Das Aufgabenprofil des CIOs gewinnt deshalb nach Einschätzung von Kaneshige neue Dimensionen hinzu: Er muss den Kollegen aus den Abteilungen beim Aushandeln von Cloud-Vereinbarungen und Service Level Agreements (SLAs) zur Hand gehen, beim Ausbalancieren von Risiken und Geschwindigkeiten helfen, Daten sammeln und auf neue Weise zusammenführen, abteilungsübergreifend IT-Initiativen integrieren und die sogenannten "Systems of Record" zu "Systems of Engagement" weiterentwickeln. Alles das, damit etwa die Marketingabteilung schnell genug auf Kundenbedürfnisse reagieren kann.

McKinsey legt Zahlen vor

Die Beobachtungen und Schlussfolgerungen Kaneshiges werden von den McKinsey-Beratern Pedja Arandjelovic, Libby Bulin und Naufal Khan mit belastbaren Zahlen unterfüttert. Seit mehreren Jahren befragt McKinsey regelmäßig IT-Chefs und Manager aus dem Business. Dieses Mal beteiligten sich gut 700 Personen, jeweils etwa zur Hälfte aus dem IT-Bereich oder nicht. Über die Ergebnisse berichtet das Trio in McKinsey Insights.

Das wahrscheinlich wichtigste Resultat der Studie: Die IT-Abteilungen sind besonders dann effektiv, wenn die CIOs sehr stark oder sogar extrem in die Entwicklung der Unternehmensstrategie eingebunden sind. Je stärker die IT-Chefs hier beteiligt sind, umso wahrscheinlicher ist es aus Sicht der Fachabteilungen, dass die IT zentrale Aktivitäten wie etwa die Eroberung neuer Märkte und Entwicklung neuer Produkte wirksam unterstützen kann. Die Kehrseite der Medaille: Die Studie zeigt leider auch, dass die CIOs bei strategischen Angelegenheiten noch zu oft außen vor bleiben.

"Die Studienergebnisse legen nahe, dass Firmen gut daran tun würden, ihre CIOs und anderen IT-Führungskräfte ein wichtigere Rolle bei der Gestaltung der Unternehmensstrategie spielen zu lassen", konstatieren die McKinsey-Berater. "Das geht einher mit einem Wandel weg vom CIO mit Zulieferer-Denkweise, der sich auf kosteneffektive Versorgung beschränkt, und hin zur IT-Leadership, die in Diskussionen der gesamten Unternehmensstrategie eingebunden ist und einen positiven Beitrag zur geschäftlichen Innovation und Entwicklung leistet."

Diese Neudefinition der Rolle des CIOs kann nach Einschätzung der Berater gefördert werden, indem der CIO direkt an den CEO berichtet und indem klare Partnerschaften zwischen IT und strategischen Business-Funktionen etabliert werden. Die CIOs selbst müssen laut McKinsey aber ihr Business-Verständnis erweitern. Das könne etwa durch Rotation von Führungskräften, Forcierung von Wissenstransfer und Rekrutierung von Seiten- und Quereinsteigern mit hoher IT-Affinität in den IT-Abteilungen geschehen.

Planung wichtiger als Kostensenken

Der von McKinsey ermittelte Nachholbedarf ist in jedem Fall immens. Die wünschenswerten Szenarien sind nämlich derzeit mitnichten Realität. So schwindet momentan das Vertrauen in die Fähigkeit der IT, geschäftliche Schlüsselaktivitäten wie das Generieren von Wachstum zu unterstützen. Nur 35 Prozent aller Befragten sagen in der aktuellen Studie, dass die IT-Abteilung den Zugang zu neuen Märkten erleichtert; 2012 waren es noch 57 Prozent gewesen.

Im Zuge der Digitalisierung ist zwar der Gebrauch der IT für Geschäftsprozesse ausgebaut worden, zu einer Waffe für die Zukunftsgestaltung hat sich die Abteilung indes nicht entwickelt. Und auch die McKinsey-Studie verweist wie viele andere Erhebungen auf wesentliche Wahrnehmungsunterschiede zwischen IT und Business.

43 Prozent der befragten IT-Verantwortlichen betrachten eine Senkung der IT-Kosten nach wie vor als Priorität; aber nur für 18 Prozent der Manager aus den Fachbereichen ist dieses Thema relevant. Dafür wünscht diese Gruppe sich zu 54 Prozent Daten von der IT, die der Planung und Entscheidungsfindung dienen. Innerhalb der IT sehen das aber nur 36 Prozent als wichtige Aufgabe an.

Fachabteilungen brauchen IT-affine Mitarbeiter

Als Mittel zur Verbesserung der IT-Qualität nennen die Befragten neben der Aufgeschlossenheit der Business-Seite für IT-bezogene Projekte insbesondere personelle Verbesserungen in der Abteilung, im Kern die Akquise von Talenten. Gegenüber dem Vorjahr stieg der Anteil der Nennungen von 35 auf 44 Prozent an. "Aber die Talent-Rekrutierung bleibt schwierig", mahnen die Autoren. "Grob zwei Drittel der Führungskräfte bezeichnen das Anwerben von IT-Nachwuchs als signifikante Herausforderung für ihr Unternehmen - ein Wert, der im zeitlichen Vergleich gleich geblieben ist."

Um wieder an das Hassobjekt des Basketballers Barkley zu erinnern: Besonders Analyse-Experten sind bei der Jagd nach dem besten Nachwuchs gefragt. 51 Prozent der Befragten sagen, der Rekrutierungsdruck sei im Bereich Analytics & Data Science besonders hoch (Vorjahr: 40 Prozent). Von 14 auf 24 Prozent stieg der Anteil für Datenarchitekten. Weniger gefragt als in der jüngeren Vergangenheit sind mittlerweile Enterprise Application Architects und Developer für Mobile und Online.

Berater empfehlen Schulterschluss mit HR

Angesichts des Fachkräftemangels empfiehlt McKinsey einen Schulterschluss zwischen IT und Personalabteilung. Je genauer die IT den aktuellen Bedarf spezifiziere, den zukünftigen Bedarf für die kommenden beiden Jahre prognostiziere und optimale Rekrutierungskanäle benenne, umso systematischer könne die Suche verlaufen.

Festzuhalten bleibt darüber hinaus als Fazit der McKinsey-Studie: "Wir wissen aus Erfahrung, dass CIOs mit einem Sitz an Strategie-Tisch besser über die kurz- und langfristigen Technologieanforderungen ihres Unternehmens Bescheid wissen." Sie seien überdies effektiver im Vorantreiben von Partnerschaften und im Zusammenwirken mit der Business-Seite. "Unglücklicherweise spielen die CIOs die Rolle des einflussreichen Business-Managers nicht in vielen Firmen", so McKinsey weiter.

CIO.com-Autor Kaneshige ist zuversichtlich, dass sich das bald ändert. Auch wenn die IT-Chefs künftig womöglich mit neuen Titeln operierten: Chief Integration Officer, Chief Connections Officer, Chief Data Officer, Chief Innovation Officer, Cloud Broker oder interner IT-Berater. "Diese Bezeichnungen unterstreichen den kritischen Charakter jeder einzelnen Aufgabe, und außerdem die Ausweitung der CIO-Rolle auf die ganze Organisation", so Kaneshige.

Verkehrspolizist für IT-Initiativen

"Der nächste Schritt ist ein Chief Connections Officer", meint beispielsweise Nicholas Lee, der sich bei Fujitsu um das Enduser-Geschäft kümmert. Im Mittelpunkt dieses Profils stehe das Sammeln und Überblicken der Daten aus dem Internet of Things. Deloitte-CTO Bill Briggs malt sich hingegen einen Chief Integration Officer aus, der sich mit Künstlicher Intelligenz, Robotern und Additive Manufacturing befasst. Darüber hinaus sei der Chief Integration Officer eine Art Verkehrspolizist, der sowohl auf der technologischen wie auch auf der organisatorischen Ebenen IT-Initiativen aus den Fachbereichen koordiniert.

Wo Chancen sind, gibt es indes immer auch Risiken. "Nicht jeder CIO wird beim Steuern in die digitale Ära erfolgreich sein; nicht jeder CIO kann mit den schnellen Veränderungen selbst Schritt halten; nicht jeder CIO wird einfach so in die Rolle zum Beispiels eines Integrators oder Friedensstifters schlüpfen können", warnt Autor Tom Kaneshige.

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